"Schwester" als Berufsbezeichnung

Aus Familienwortschatz
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Weibliche Angehörige von Pflegeberufen benutzen immer wieder und immer noch den Begriff Schwester, um sich und ihren Beruf zu bezeichnen und zu definieren oder ihre berufliche Rolle zu kennzeichnen. Analog gebrauchen auch Patienten, Pflegebedürftige und deren Angehörige Schwester zur Anrede und Bezeichnung der Pflegkraft. Der Bezeichnung ist, wenn sie ohne den Wortbestandteil Kranken- gebraucht wird, rechtlich ungeschützt, so dass sich jede, unabhängig von ihrer pflegerischen Qualifikation, Schwester nennen darf. Verbreitet findet sich der Gebrauch auch bei Altenpflegern/Altenpflegerinnen, die in dem Wort eine höhere Wertschätzung oder stärkere emotionale Bindung ("Nähe") vermuten als in dem Begriff "Pflegerin".

Mit dem Gebrauch des Wortes Schwester schwingen vielfältige Bedeutungen mit, die Anlass geben, das Berufs- und Rollenverständnis und die Gestaltung der professionellen Beziehungen zu reflektieren und daraus Schlussfolgerungen für den Sprachgebrauch und darüber hinaus für das berufliche Handeln zu ziehen.

Etymologische, geschichtliche und rechtliche Aspekte

Schwester bezeichnet eine Verwandschaftsbeziehung. Das Wort wird aber auch im übertragenen Sinn (wie auch Bruder) für die Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft (Ordensschwester) gebraucht, es findet auch im nicht religiösen Bereich Anklang, wie zum Beispiel in Kegelschwester.

Da die Krankenpflege zu den Aufgaben der weiblichen geistlichen Orden gehörte, bildete sich der Begriff Krankenschwester heraus, der im 20. Jahrhundert, lösgelöst von dem religiösen Kontext, offizielle Berufsbezeichnung wurde.

In Deutschland war die Bezeichnung Krankenschwester bis Ende 2003 offizielle Bezeichnung für die weiblichen Angehörigen des Krankenpflegeberufs. Krankenschwestern, denen vor dem Inkrafttreten des Krankenpflegegesetzes am 1. Januar 2004 das Führen dieser Berufsbezeichnung erlaubt worden ist, dürfen sich weiter Krankenschwester nennen (§ 23 Abs. 2 KrpflG), sie können aber auch die neue Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpflegerin führen. Der singuläre Begriff Schwester ist rechtlich nicht geschützt.

Der Begriff Schwester wird heute häufig auch im Zusammenhang mit einer Funktionsbezeichnung oder der Bezeichnung einer Subspezialität benutzt. So hört man immer wieder etwa für weibliche Stationsleitungen die Bezeichnung Stationsschwester (Abkzg: St.Sr.), oder OP-Schwester für Gesundheits und Krankenpflegerin im Operationsdienst. Mitunter kommen auch noch Lernschwester für eine Auszubildende in der Pflege, Schulschwester für eine Lehrerin für Pflegeberufe oder Gemeindeschwester für eine Pflegekraft einer (kirchlichen) Sozialstation vor.

In der Schweiz ist seit 2004 Dipl. Pflegefachfrau / dipl. Pflegefachmann die offizielle Bezeichnung für die diplomierte Fachperson in Gesundheits- und Krankenpflege. Die Bezeichnung dipl. Pflegefachfrau löste die Berufsbezeichnung dipl. Krankenschwester (dipl. Pflegefachmann für dipl. Krankenpfleger) ab. Schon seit dem Jahr 2000 hatte in der Schweiz die Anrede Frau XY Einzug gehalten, Schwester wird dort kaum mehr benutzt.

Kritik am Begriff Schwester

Der Begriff Schwester wird vor allem aus feministischer, berufspolitischer und fachlicher Sicht kritisiert und abgelehnt.

Gender

Die Bezeichnung Schwester hat eine geschlechtsdiskriminierende Konnotation, weil das männliche Pendant Bruder im Pflegebereich ungebräuchlich ist. Männliche Pflegekräfte werden zumeist mit Herr und Nachname angeredet, teilweise auch mit Herr und Vorname. Die männliche Berufsbezeichnung bot von sich aus nie den Vornamen an. Dagegen vermittelt das Wort Schwester einen Bedeutungsgehalt, der exklusiv Frauen zugeschrieben wird und einem bestimmten Stereotyp von Weiblichkeit entspricht. Dies wird noch verstärkt dadurch, dass die Anrede Schwester üblicherweise mit dem Vornamen verknüpft wird. Damit wird gegenüber erwachsenen Personen in einem Kontext, der nicht von persönlicher Nähe der Beteiligten geprägt ist, eine Anredeform gewählt wird, die ansonsten gegenüber unreifen Kindern gebraucht wird. Bei männlichen Patienten tritt mitunter eine sexuell anzügliche Komponente hinzu.

Berufspolitische Aspekte

Im Kontext der traditionellen Hierarchie vor allem im Krankenhaus schwingt mit der Bezeichnung Schwester daneben der Antagonismus zwischen männlicher, fachlich qualifizierter heilender Tätigkeit durch überwiegend männliche Ärzte und weiblicher, dienender, aufopfernder und selbstloser pflegender Tätigkeit durch überwiegend weibliche Pflegekräfte mit. Schwester ist daher problematisch im Zusammenhang mit der Entwicklung eines professionellen, eigenständigen und vor allem von der Medizin unabhängigen Berufsbildes der pflegenden Berufe.

Fachliche Kritik

Fachliche Kritik wird daran geübt, dass es die Bezeichnnung Schwester erschwert, eine ausgewogene Nähe-Distanz zu halten. Selbst Fachliteratur und die Bedeutung in der Beziehungsgestaltung können dieser unprofessionellen Anrede nichts anhaben. Die unterschiedlichsten Begründungen tauchen auf, um sich mit diesem Thema nicht fachlich auseinandersetzen zu müssen. Es werden psychologische, soziologische, bzw. pflegewissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Davon sind Patienten ausgenommen, die diese Anrede aus der Erkrankung heraus nicht leisten können. Das bedarf einer pflegerisch-fachlichen Einschätzung.

Geschichtlicher Ballast

Schließlich ist der Begriff durch seine geschichtliche Herkunft mit dem Selbstverständnis der pflegenden Ordensschwestern von einer dienenden und selbstlosen Tätigkeit verknüpft.

Zeitgemäße Anrede und Bezeichnungen

Geht es darum, seine berufliche Stellung und Qualifilation zu vermitteln, so ist anstelle des nichtfachlichen Begriffs Schwester die offizielle Berufsbezeichnung zu wählen (Gesundheits- und Krankenpflegerin, Altenpflegerin etc). Dies gilt vor allem bei schriftlicher Kommunikation, Unterzeichnung von Berichten etc.

Im übrigen bietet sich anlaog zur Anrede der Angehörigen anderer Berufsgruppen das neutrale Frau und (Familien-) Name an, um die problematische Sonderstellung zu vermeiden. Es würde ja auch niemand z.B. Masseur Meyer oder gar Masseur Uwe sagen. Das Lehrbuch psychiatrische Pflege 2., durchgesehene und ergänzte Auflage 2006 empfieht: Wir halten die traditionelle Anrede "Schwester" für nicht mehr zeitgemäß und unpassend für gut ausgebildete Fachpersonen. Die Anrede "Frau X", "Herr Y" scheint uns heute selbstverständlich.

Wer mit seinem guten Namen einsteht, wird dadurch zwar angreifbarer, aber auch authentischer. Es war nicht die "Schwester" vom Frühdienst, sondern Frau XY, die heute morgen die Tabletten verteilt hat. Dadurch entsteht ein Prozess, eine wirkliche Auseinandersetzung, welche die pflegende Person in ihrer eigenen Persönlichkeit stärkt. Das künstliche Schutzschild "Schwester" fällt zwar weg, dadurch kann sie aber besser und gezielter an sich arbeiten.

Motive für den Weitergebrauch von Schwester

Bei Pflegekräften und Patienten gibt es pragmatische aber auch psychologische Aspekte, die den Weitergebrauch des Wortes Schwester begünstigen.

Die Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpflegerin ist verhältnismäßig lang und bürokratisch. Sie ist daher nur bedingt praxistauglich, wenn es darum geht, einen alternativen Begriff für Schwester zu finden. Auch der Kurzform Pflegerin entbehrt eine gewisse persönliche und menschliche Färbung, die gerade in der Beziehung zu Kranken und Pflegebedürftigen, auch bei professioneller Herangehensweise wichtig ist. Aus diesem Grunde erleben es männliche Pfleger paradoxerweise mitunter als Defizit, dass es kein männliches Pendant zu Schwester gibt.

Aus Sicht eines Patienten hat die Bezeichnung den Vorteil, dass sie eine Kontaktaufnahme ermöglicht, ohne den Namen der Schwester zu kennen oder sich an ihn erinnern zu müssen.

Auf Seiten des Pflegepersonals gibt es verschiende Ängste, sich nicht mit dem Nachnamen vorzustellen und anreden zu lassen. Es sind dies Ängste vor Verantwortung, vor den Patienten, vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, Aspekte des Helfersyndroms und der Wunsch, weiterhin die "gute Schwester" sein zu wollen und die vermeintliche Sonderstellung nicht aufzugeben.

Die Konnotationen des Wortes Schwester mit klassischen Sterotypen von Weiblichkeit kongruieren teilweise mit problematischen Erwartungen und Haltungen von Patienten. Sie negieren einerseits die Eigenverantwortung des Patienten, machen diesen eher zum Objekt (weiblicher) Hilfe, andererseits erschweren sie die Wahrnehmung einer durch Fachkompetenz gekennzeichneten Rolle und Beziehungsaufnahme.

Weblinks

Literatur

  • C E Gedike: Handbuch der Krankenwartung. (Charite-Heilanstalt, Berlin, 1854, 3. Aufl.). Faksimile ISBN 3-88210-042-7.
  • Jonathan Gawlitta, René A. Bostelaar: Aus für "Schwester Anja". Klinikum der Universität Köln untersucht den Umgang mit Namensschildern. In: Die Schwester/Der Pfleger 44: 11/2005 S. 890-893
  • Stephan Schmitz: Du oder Sie“ – wie spreche ich Auszubildende in den Pflegeberufen an? In: Der Pflegebrief - Das Online Magazin für die Pflege Ausgabe 06/2005 - Nr. 91 - 2. Dezember 2005. ISSN 1433-2795 (Internet-Ausgabe)

Siehe auch dazu

Kurz und knapp findet sich die Diskussion um die Anrede Schwester dort zusammengefasst.