Altersbild

Aus Familienwortschatz
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Vor wenigen Jahren, nach Hippie-Kultur, Weltraumtourismus und Handyboom schien alles für Alle möglich. Mann und Frau glaubte fast in eine age-irrelevant society hineinzuwachsen, eine Gesellschaftskultur mit verschwindender Bedeutung des Alters. Einige Jungpolitiker haben inzwischen das Wort vom Generationenkonflikt, aus dem heraus sie vielleicht ihre Aktivitäten lebten, auf die Gesellschaft übertragen und begründen mit den Altersunterschieden Forderungen in Steuer-, Finanz- und Kulturpolitik. age-irrelevant society ist englisch für: das Alter verliert an Bedeutung in vielen oder sogar allen gesellschaftlichen Feldern, Rollen. Demgegenüber beschreibt die Gerontologie verschiedene Formen des Altersbildes – wie wird das Altern, das Älterwerden von der übrigen Gesellschaft und von der betroffenene Person wahrgenommen? Kann dieses jeweilige Altersbild Einfluss auf weitere Entscheidungen nehmen?

Das Altersbild in früheren Gesellschaften

Solange nur wenig Menschen das Greisenalter erreichten, schwankten die abendländischen Kulturen in seiner Einschätzung beträchtlich. Die Ausnahme wurde altersmäßig ganz unterschiedlich angesiedelt und ganz unterschiedlich prinzipiell positiv oder negativ, qualifiziert. Ob jemand als „alter Mensch“ tituliert wird, hing nicht von leicht erkennbaren und stabilen Merkmalen der Person sondern eher von der umgebenden Gesellschaft ab.

Die positive Einschätzung mag insgesamt seltener gewesen sein. Sie gehörte eher in die vornehme Literatur, spiegelte vermutlich die Einstellung der ökonomisch gesicherten Oberschicht zum Alter wieder und begünstigte die Wahrung der bürgerlichen Autorität alter Menschen. Es wurde angenommen: Das Alter ist weiser, abgeklärter, erfahrener, nachsichtiger, milder, friedlicher, freier und heiterer als die Jugend. Beispiel das Wort Patriarch.

Daneben gibt es auch die relativ neutrale Bezeichnung des Alten als etwas Bekanntem gegenüber der Neuerung, dem Jungen. Z.B. in den Begriffen alte und neue Welt für Europa und dem neu entdeckten Amerika, konservative und junge veränderungswillige Partei. Dagegen aber auch der verklärende Ausdruck die gute alte Zeit.

Die Komödienschreiber fügten dieser Litanei den Spott auf den charakterlichen Zerfall aller alten Menschen hinzu. Sie zeichneten die Alten fast durchwegs als eigensinnig, launisch, lächerlich, geizig, lüstern, als nahezu verblödet, aber dennoch verschlagen, als machtgierig und mißtrauisch bis zum Exzeß. All diese Kennzeichnungen sind nicht nur bei Molière (18. Jhdt., Fr.) anzutreffen. Für das Erzielen komischer Effekte eigneten sie sich prächtig. Man lachte über das Alter auf Kosten der Alten.


negatives Altersbild allgemein

Das negatives Altersbild (engl: Ageism) wertet alte Personen ab. Soll etwas abgewertet werden, wird es „alt“ genannt. Eine teuflische Wechselwirkung. In der Mode vergleichbar altmodisch, altbacken gegenüber modern, neumodisch. Aber wo kauft sich die 76jährige ein junges Ego?

Eine besondere Rolle kommt heute der Werbung und den Massenmedien zu, die das Negativbild aufgreifen und dadurch die Diskriminierung weiter verstärken oder sich bemühen es abzubauen. Ihre Präsenz im Alltag von uns allen kann historisch durchaus mit der Rolle der Kirche im Mittelalter verglichen werden. Es fehlen doch nur noch die Werbespots bei der Trauerfeier. Die Ansichten über die Alten haben sich im Laufe der Geschichte häufig gewandelt. Es finden sich Achtung und Ächtung. Auch die Überbetonung von jung, modern, fortschrittlich kann unausgesprochen das Altgewordenen herabsetzen.

Doch jetzt, mit einer zahlenmäßig noch nie dagewesenen „Vergreisung“ der Gesellschaft, könnten neuartige Machtkämpfe zwischen den Jungen und Alten entstehen. Einige Journalisten und Schriftsteller haben dafür bereits das Wort Generationenkrieg erfunden und benutzen es so reißerisch falsch wie in den Jahrzenten zuvor den Spruch Sex sells (Mit einem Busen auf der Titelseite geht alles).

Mit dem Begriff „ageism“ (auf deutsch schwingt da mit: Abwertung des Alters bzw. von alten Menschen, Negativbild, Altendiskriminierung) benannte der amerikanische Gerontologe R. Butler 1969 erstmals wissenschaftlich das in der Literatur schon jahrhundertealte Klischee von den nutzlosen, senilen, starrsinnigen und altmodischen Alten, durch das heute ein Fünftel oder Viertel unserer Gesellschaft immer noch in die Rolle einer Randgruppe gedrängt wird. Zu Unrecht, wie gerontologische ForscherInnen seit S. de Beauvoir betonen.

Alt sein wird als Makel empfunden, wenn es auch nicht überall einheitlich verstanden wird: Personen zwischen 18 und 34 Jahren halten 43jährige für alt, älter als 65jährige ziehen diese Grenze erst bei 78 Jahren. Und für den 86jährigen sind die anderen 80jährigen alt.…

Altersbild bzw. Altersbildnis meint in der klassischen Malerei in der Regel ein Selbstporträt eines Künstlers, das mit seinen Porträts aus früheren Jahren verglichen werden kann. Übrigens meistens in einem ganz anderen Stil gemalte Bilder.

Altersbild heute

Die Wirklichkeit: Häufig mündlich gebrauchte Ausdrücke für alte Menschen in der BRD: Alte, Senioren, Ruheständler, Rentner, Veteranen, sie erlebt gerade den Zweiten Frühling, altes Eisen, oder unverhüllt direkt als Schimpfwörter: alter Esel, alter Narr, alter Sack, alter Wein, Liste Alzheimer, Generation der 68er, Grufties.

Zur Wahrnehmung des Alters im Fernsehen und Zeitungen gibt es einige Untersuchungen. Hier auch ein positives Beispiel: Der Egon-Erwin-Kisch-Preis ist für Journalisten eine wichtige Auszeichnung. 1997 erhielt den 3. Preis (10 000 DM) Stephan Lebert von der Süddeutschen Zeitung für sein Porträt einer 81 Jahre alten Münchnerin, die in ein Altenheim zieht.

Auch im Theater kommt es ständig zu Reproduktionen von Altersbildern verschiedenster Schriftsteller. Eher ungewöhnich ist dieser Titel einer Produktion: Nie wieder achtzig!, die immer noch in München "live" zu sehen ist. Im Mai 2008 hatte es Dieter Hildebrandt geschafft. Er wurde 81 Jahre alt. Seit diesem Geburtstag kann der Altmeister des deutschen Kabaretts mit Fug und Recht behaupten, "nie wieder achtzig" werden zu wollen. Und der Titel für seine nächste Tour? "Schon wieder neunzig!" Ein anderes Beispiel gibt Johannes Heesters mit seinen 100 Jahren.

negatives Altersbild der einzelnen Person

Nicht nur in den Augen der Jungen ist das vorherrschende Bild der Alten negativ: Auch die Betroffenen selbst übernehmen unbewußt das Vorurteil, das Fremdbild – ein Vorgang, der für viele soziale Minderheiten typisch ist.

Die Vorstellung, jeder Mensch habe ein abrufbares „Altersbild“ parat, das sich irgendwo zwischen „negativ“ und „positiv“ klar einordnen läßt, geht wahrscheinlich an der Lebenswirklichkeit vorbei. Es ist eher diffus, unbestimmt. Aber je älter ein Mensch wird, um so wahrscheinlicher ist die Konfrontation des Fremdbildes mit der subjektiven Auffassung vom eigenen Altern.

Negativ kann diese Sicht beeinflusst werden durch falsche Vergleiche aus dem Alltag mit Abfall, Müll, biologischem Zerfall.

Jeder Mensch kennt ganz verschiedene Altersbilder, die er auch je nach situativer Erfordernis einsetzt. So dient die Selbstbezeichnung als „alt“ bei der Beantragung eines „Seniorenpasses“ (BahnCard , Rabattkarte der Bundesbahn) oder einer „Altenwohnung“, bei aufzuteilenden Gartenarbeiten oder dem „ernsten Wort“ mit den „Kindern“ ganz unterschiedlichen Zwecken. So vielfältig kann der transportierte Sinn sein, dass man durch Abfragen von Aussagen zu allgemeinen Items einer Umfrage über das Alter oder alte Menschen dem inneren „Kino“ über das Altwerden gar nicht gerecht werden kann.

Und für den 86jährigen aus obigem Beispiel sind die anderen 80jährigen alt, weil seine Erfahrung ihn lehrt, dass sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit körperlich nicht so fitt sind wie 30jährige. Da dieselbe Person aber sich selbst als gesund erleben kann, ist diese (quasi epidemiologische) Altersdefinition für sie selbst nicht zutreffend. Also keine gelebte Schizophrenie sondern hier gilt der Satz, ich bin so alt wie ich mich fühle.

Das subjektive Altersbild ist also die Sicht der einzelnen Person auf ihr eigens Altwerden und das der Altersgenossen.

Auswirkungen des Altersbildes

Die Ergebnisse einer Befragung zu Erwartungen an das Leben im Alter weisen darauf hin, dass Menschen im mittleren Lebensalter das Leben im Alter insgesamt etwas positiver bewerten als ältere Menschen, die selbst schon in dieser Lebensphase stehen. Für das Altersbild ist dabei nicht entscheidend ob es unbedingt richtig ist, ob es auf Erfahrung basiert oder „nur“ ein Vorurteil ist. Wichtig ist daran, dass es ausdrückt, welche Überzeugung jemand hat - und nach der wird sie/er sich bei plötzlich anstehenden Entscheidungen wahrscheinlich eher richten als nach irgendwelchen wissenschaftlich korrekt bewiesenen Tatsachen.

Es kann auch ein politisches Klima erzeugt werden, in dem sich fast niemand mehr traut zu sagen, dass seine Eltern doch noch ganz vernünftige Leute sind. … dass sein Grossvater kein Pflegeheim benötigt. … und es ganz angenehm ist, wenn ich mal von meiner verstorbenen Tante überraschend xx tausend Euro erben kann.


Psychologisches Alter

Das ist die subjektive Bestimmung des Alters aufgrund des Bildes, das der Mensch von sich selbst und seiner Leistungsfähigkeit hat. Das Älterwerden gehört zu den elementaren Erfahrungen der Menschen.

Der Lebenssinn wird dadurch beeinflußt. Altern ist auch ein mehrdimensionaler Prozeß, der sich aus unterschiedlichen Aspekten zusammensetzt.

Es läuft bei den verschiedenen Personen sehr verschieden ab.

Die neuen Alten, ein positives Altersbild ?

Aber Achtung, vielleicht steckt sogar hinter dem neuen positiven Altersbild - gesunde, aktive, kulturell bewegliche, integrierte und ökonomisch durchgängig gut gestellte Alte - ein verstecktes Negativ-Image. Es soll von den betroffenen Erwachsenen als Vorbild akzeptiert werden. Mensch ist nicht alt, mensch gehört zur Konsumentengruppe der Bestager, der Silver Ager, Mick Jagger Generation, Master Consumers und Woopies (well off old People), silvereconomy-europe. Und jedermann/jedefrau soll dem durch Abstreifen falscher Einstellungen und ein wenig persönliche Willenskraft nachfolgen. Kaufe und werde jung. Wellness als Ersatz für Tourismus. Aktivismus statt Nachdenklichkeit oder Trauer über Verluste. Hektik statt Genuss?

Das sind vorerst offene Fragen. Wir erleben es – gerade jetzt.

Literatur

  • Ursula Biermann: „Der Alte stirbt doch sowieso.“ Der alltägliche Skandal im Medizinbetrieb. Herder Verlag, Freiburg, 2009. 198 Seiten.
  • Franziska Kalch: Alte Damen. Neugebauer, Zürich, 2008. 36 Seiten. ISBN 9783865660879 (Ein Bilderbuch. Die Autorin versucht direkt das Altersbild von Kindern durch das Vorzeigen positiver Beispiele ktiven Alterns zu beeinflussen)
  • Bilder des Alterns im Wandel. Historische, interkulturelle, theoretische und aktuelle Perspektiven, Altern in Deutschland Band 1, 2009, 248 Seiten.
  • Hans Peter Tews, 1991: Altersbilder. Über Wandel und Beeinflussung von Vorstellungen und Einstellungen zum Alter. KDA Forum Band 16. Köln. 152 S. ISBN
  • H P Tews, 1994: Alter zwischen Entpflichtung, Belastung und Verpflichtung, in: Günter Verheugen (Hrsg.) 60 plus. Die wachsende Macht der Älteren. Köln. ISBN
  • Karsten Thormaehlen (Fotograf), Peter Gross (Autor), Barbara Hardinghaus (Autor), Sebastian Gaiser (Herausgeber u. Autor), Tobias Wall (Autor): Jahrhundertmensch: Fotografien von Karsten Thormaehlen. Verlag Moonblinx Publishing; 2008. 160 Seiten. ISBN 3000250964. Dazu gibt es auch ein Ausstelllungsprojekt mit überlebensgroßen Portraits (zwischen 2006 und 2008 in Berlin, Potsdam und Umgebung fotografierte Hundertjährige).
  • „Specials“ zum Thema Altwerden gibt es von FAZ, Süddt. Ztg, Spiegel und wahrscheinlich auch Ihrer Tageszeitung um die Ecke mindestens einmal im Jahr.

Weblinks

Siehe auch