Beziehungsqualität

Aus Familienwortschatz
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Wenn man Fachkräfte nach den wichtigsten Kriterien für gute Qualität sozialer Arbeit fragt, dann werden „weiche Faktoren“ wie motivierte Pflegekräfte, Empathie, Teamarbeit oder Belastbarkeit genannt. Gleichzeitig nennen die gleichen Fachkräfte Elemente wie Dokumentation, Prozessbeschreibung, Standardisierung, Ablaufdiagramme usw. als die typischen Elemente von QM-Systemen, mit denen sich die vorgenannten Faktoren qualitätvoller Arbeit aber nur unzureichend beschreiben oder gestalten lassen. Wichtig für die Qualität, aber in vielen QM-Ansätzen oder Konzepten nur unzureichend enthalten! Was hat es mit dieser Diskrepanz auf sich? Ohne Zweifel geht es nicht ohne Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Aber kann es sein, dass das klassische Qualitätsmanagement die Ebene menschlicher Beziehungen vernachlässigt oder deren Wirkung als „Erfolgsfaktor“ für die Qualität der Arbeit mit Menschen unterschätzt? Das GAB-Verfahren sieht die Beziehungsqualität (die Fähigkeit zur Interaktion) als 4. Qualitätsdimension, gleichsam als Bedingung für gute Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Ich möchte nachfolgend an Beispielen zeigen, was damit gemeint ist. Beziehungsqualität – „missing link“ im QM sozialer und pädagogischer Einrichtungen.

In der Qualitätsdiskussion der Altenpflege und Behindertenhilfe wird der Begriff Qualität in drei Qualitätsebenen systematisiert: in Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität. Das klingt umfassend und schlüssig. Fragt man AltenpflegerInnen, Heil- und SozialpädagogInnen, ErzieherInnen, Qualitätsbeauftragte, Lehrkräfte, StudentInnen, GutachtInnern u.a., was für sie qualitätvolle Arbeit bedeutet, erhält man Antworten wie:

„Motivierte Pflegekräfte; Interesse am Menschen und an der Arbeit; Empathie; zuhören können; positive und negative Rückmeldungen; positives Echo gegenüber Personen und Arbeit; auf Wünsche eingehen; Belastbar-keit („Seelenspeck“); Selbstpflege; Anerkannt werden; Unterstützung be-kommen; Menschenliebe; Soziales Handeln; eine sich ergänzende Teamarbeit; offene Zusammenarbeit mit der Leitung usw.

Diese Kriterien oder Faktoren lassen sich nur schwer in die oben genannten Qualitätsdimensionen einordnen. Der Anteil dieser nicht schlüssig einsortierbaren Aussagen beträgt im Verhältnis zu den drei etablierten Qualitätsebenen zwischen 20% und 45%. Diese lassen sich alle entweder durch einen Selbstbezug charakterisieren (wie sich die Betroffenen zu sich selbst in Bezug setzen, also diese Situation erleben) oder einen Bezug zu ande-ren Menschen bzw. gemeinsamen Ideen oder Zielen. Deshalb liegt es nahe, diese Dimension Beziehungsqualität zu nennen.

Beziehungsqualität – unterschätzt, aber äußerst wirksam

Die von fast allen im sozialen und pädagogischen Bereich Tätigen intuitiv erfasste Relevanz dieser Qualitätsdimension bestätigt sich auch in empirischen Forschungsergebnissen: Bei der Untersuchung der Wirksamkeit von Diagnose, Prävention und Evaluation in der Sprachheilpädagogik stellte sich z.B. heraus, dass: 40% des Erfolgs von der Persönlichkeit des Klienten abhängt, also außertherapeutisch determiniert sind; 30 % durch die Beziehung zwischen Klient und Heilpädagoge bedingt sind; 15% durch den Placebo-Effekt (etwa Positives Denken oder Betonung der vorhandenen Ressourcen etc.) und lediglich 15 % durch den gewählten – oft auch als Fi-nanzierungsgrundlage fungierenden – therapeutischen Ansatz oder die Methode.

Wir versuchen nun die Frage zu klären: Warum hängt fast ein Drittel des Erfolgs, also der Ergebnisqualität, von der Beziehung zwischen Klient und Dienstleister ab?

Beziehungsqualität durchdringt alles – warum nicht das Qualitätsmanagement?

Warum sprechen wir hier nun von Beziehungsqualität und nicht von Konzeptqualität, Normqualität, Handlungsqualität oder Verrichtungsqualität? Beziehungen sind konstitutiv für das Arbeitsfeld „Personennahe Dienstleistungen“ – also für Tätigkeiten, bei denen zwischen den beteiligten Personen kein Gegenstand und keine Ware steht, sondern beide sich in einer Arbeitssituationen wiederfinden, in denen Menschen im direkten Kontakt mit Menschen das „Produkt“ ihrer Arbeit herstellen. Diese Tätigkeiten sind durch folgende Aspekte bestimmt:

1. Pflegen, Erziehen, Begutachten, Teamarbeit geht nur im aktiven Miteinander. Der Klient/Mitarbeiter wird in gewissem Sinn Mitgestalter und „Mitproduzent“ der Leistung, die sich in der Beziehung konstituiert (s.o. 40% + 30 % der Wirksamkeit).

2. Das Anwenden der Dienstleistung erfolgt nicht erst nach dem Erstellen der Dienstleistung, sondern in der Regel während des Dienstleistens. Dienstleistung erbringen und empfangen fallen zeitlich zusammen.Die Arbeit selbst ist als „Interaktionsarbeit“ durch drei weitere Merkmale charakterisiert:

Es gehört zur Arbeit erfolgreicher Pflegekräfte, Lehrer, Therapeuten, usw.,

  1. die Gefühle des Gegenübers zu berücksichtigen und zu pflegen und bei Bedarf auch positiv zu beeinflussen. In der Literatur wird das als Gefühlsarbeit bezeichnet („Gefühlsarbeit“);
  2. die eigenen Gefühle einzubringen und bewusst zu steuern („Emotionsarbeit“);
  3. Es hat sich gezeigt, dass gerade bei den „Könnern“ unter den Altenpflegenden die Arbeit in einer sehr persönlichen, rational schwer fassbaren, von „Gespür“ getragenen Weise zustande kommt („subjektivierendes Arbeitshandeln“).

Diese Dimension der Beziehungsqualität jedoch wird mit den etablierten Ansätzen und Konzepten des Qualitätsmanagements kaum explizit erfasst oder bewusst berücksichtigt. Fragt man Menschen in sozialen und pädagogischen Arbeitsfeldern, was für sie das Qualitätsmanagement ausmacht, nennen sie schwerpunktmäßig: Prozessbeschreibungen, Ablaufdiagramme, Checklisten, Standardisierungen, Dokumentationen. Diese gängigen Elemente des Qualitätsmanagements (QM) verbessern primär die Struktur- und die Prozessqualität. Sie stützen jedoch nicht die in den Augen des Betroffenen – Klienten wie Anbieter – mitentscheidende Dimension der „Beziehungsqualität“.

Bei der Beziehungsqualität geht es nach unserer Ansicht nicht um eine neue Qualitätsebene, die man losgelöst von der Struktur- und Prozessqualität betrachten kann. Sie richtet den Fokus explizit auf die interaktiven Anteile der Dienstleistungsarbeit und integriert damit deren Besonderheit direkt in das Qualitätsmanagement. D.h.: Berücksichtigt man die Beziehungsqualität, werden Strukturen und Prozesse anders gestaltet – mit enormen Auswirkungen auf die angestrebte und die subjektiv erlebte Ergebnisqualität. Man braucht aber auch Instrumente und Formen im Qualitätsmanagement, mit denen man die soziale Beziehung zwischen den Akteuren beschreiben und damit wahrnehmen, besprechen und verbessern kann.

Die Energie der AltenpflegerInnen für ihre zu Pflegenden eine Beziehung aufbauen können, wird entscheidend davon beeinflusst, ob es das Leitbild, die Gesamtkonzeption und die Pflegedienstleitung erlauben, die Zusammenarbeit und der systematische Austausch über die eigene Arbeit mit KollegInnen gelingt und die eigene Vorbereitung inhaltlich, methodisch und sozial stattfinden. Beziehungsarbeit erfordert, dass man sich ganz auf die Klienten konzentrieren kann und nicht innerlich mit Ärger und Teamkonflikten beschäftigt ist. Man muss sich sicher sein, dass man Unterstützung bekommt, wenn man sich überfordert fühlt – und das setzt Vertrauen im Team voraus und Menschen, die auf einen eingehen.

Beziehungsqualität kann nur dadurch gefördert werden, indem man in Beziehung geht. Das gilt für die Zusammenarbeit zwischen Dienstleister und Dienstleistungsempfänger, zwischen den Kollegen im Team, zwischen Leitung und Mitarbeiter.

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