Biographiearbeit

Aus Familienwortschatz
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In erster Linie ist Biographiearbeit Erinnerungsarbeit. Ob man dabei von Arbeit sprechen kann, ist vielleicht eine Geschmacksfrage im Umgang mit der Sprache. Im Kern geht es um die Berücksichtigung der Biografie von Patienten oder betreuten alten Menschen bei der Pflegeplanung oder der Durchführung von Pflege etc.

Biographiearbeit

In erster Linie ist Biographiearbeit Erinnerungsarbeit. Diese kann in verschiedenen Feldern angewendet werden. An dieser Stelle soll selbstverständlich auf das Feld der Pflege eingegangen werden: Hierbei handelt es sich um ein in der Altenpflege gebräuchliches Verfahren aktivierender Pflege, das dem Pflegepersonal dabei helfen soll, besser auf Patienten einzugehen.

Die Biographiearbeit ist unter anderem begründet in dem Psychobiographischen Pflegemodell nach Erwin Böhm. Böhms Theorie sagt aus, dass das Pflegepersonal lernen muss, Patienten (besser) zu verstehen und dieses Verstehen auch in die Pflege mit einzubeziehen.

Der Kerngedanke von Biographiearbeit ist, dass das Wissen über die Lebensgeschichte des Patienten zu einem besseren Verständnis und somit auch zu einer besseren Pflege beiträgt. Höhen und Tiefen eines Lebens prägen Menschen sehr stark und wirken so auf sein Verhalten und seine Gewohnheiten ein.

Durch Biographiearbeit sollen vergangene Ereignisse, Erfahrungen, (Miss-)Erfolge, aber auch Beziehungen und frühere Krankheiten bzw. Pflegeerfahrungen untersucht und aufgearbeitet werden, um Zusammenhänge von Ereignissen und Verhalten zu finden. Somit soll ein ganzheitliches Menschenbild geformt werden, ein vertieftes Pflegeverständnis, das einen differenzierten Umgang mit den Patienten ermöglicht. Ziel ist es, die Individualität des Patienten zu unterstützen. Daher findet das Psychobiographische Pflegemodell nach Böhm besonders bei der Pflege dementer Patienten Anwendung.

Zudem soll Biographiearbeit auch den Pflegealltag des Pflegepersonals erleichtern.

(Alzheimerforum; PZ 2/2001; B. Ellerbrock)

Warum ist Biographiearbeit so wichtig?

Speziell bei der Pflege dementer Patienten kann es dazu kommen, dass Bedürfnisse nicht eindeutig geäußert werden können. Kenntnisse über die Biographie eines Patienten können helfen Bedürfnissignale besser zu verstehen. Nur dann können die Bedürfnisse auch berücksichtigt werden. Da sich die Pflege dahingehend verändert hat, dass sie heute nicht mehr so stark defizitär, sondern aktivierend ausgerichtet ist, erhofft man sich von der Biographiearbeit zudem einen Schlüssel zu noch vorhandenen Fähigkeiten. Diese sollen dann möglichst bewusst gefördert werden, so dass sie so lange wie möglich erhalten bleiben. Dementen Patienten kann die Biographiearbeit auch helfen ihre – untergehende, schwindende – Identität noch etwas länger zu bewahren. Durch Biographiearbeit kann eine andere Wahrnehmung des Patienten ermöglicht werden. Dieser sollte als Körper, Geist und Seele wahrgenommen werden – einschließlich seiner gesamten Umwelt, die ihn prägt. Biographisches Wissen soll helfen, den Patienten in seiner Ganzheit und Einzigartigkeit zu erkennen und zu respektieren. Die Notwendigkeit von Biographiearbeit zeigt sich zudem, wenn das ‚Ich’ eine Erläuterung und/oder Anerkennung benötigt, wenn ihm die Gesellschaft keine selbstverständlichen Plätze gibt. Biographiearbeit ist indirekt auch auf die Zukunft gerichtet: „In dem das Vergangene wahrgenommen wird, werden Begründungen möglich, warum die Zukunft lohnenswert ist“. (Hansgeorg Ruhe, Weinheim 1998)

(Alzheimerforum; PZ 2/2001; B. Ellerbrock; H. G. Ruhe)

Voraussetzungen

Damit Biographiearbeit gelingen kann, müssen der Patient und die Pflegekraft eine Vertrauensbasis aufbauen. Dies erfordert eine ehrliche Zuwendung von der Pflegekraft, da der Patient spüren kann ob eine Begegnung wirklich herzlich ist oder nur formal. Des Weiteren erfordert eine derartige (Zusammen-)Arbeit von Patient und Pflegekraft Feingefühl, Sorgfalt und selbstverständlich Diskretion. Besonders schwierig ist hierbei, zu erkennen und entscheiden, was persönlich anvertraut wird, und was dokumentiert werden sollte. Die Pflegekraft sollte kontinuierlich Informationen sammeln. Dies kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden:

Zum einen sollte die Pflegekraft aufmerksam zuhören und so viele Informationen aufnehmen wie möglich. Das schließt auch beiläufige Äußerungen ein, da diese gelegentlich wesentliche Einstellungen des Patienten offenbaren. Zum anderen kann die Pflegekraft auch auf Angehörige zugehen und diese gezielt befragen. Sie sind häufig in der Lage reichlich Auskunft über die Familienverhältnisse des Patienten, den Werdegang, Begabungen, Angewohnheiten und bedeutende Ereignisse zu geben. Zusätzlich kann die Pflegekraft auch eigenständig ‚suchen’. Sie sollte das Umfeld des Patienten bewusst wahrnehmen, nach Einzelheiten fragen und Hilfsquellen wie Fotoalben, Schriftstücke etc. nutzen. Es darf bei der Biographiearbeit auch nicht vergessen werden, alle drei Zeitdimensionen einzubeziehen, sprich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind alle drei von großer Bedeutung, da sie sich gegenseitig beeinflussen können. So können aus der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart oder Zukunft gezogen werden, oder aus der Gegenwart Schlüsse für die Zukunft. Sich nicht ausschließlich auf das Gestern zu konzentrieren, sondern auch das Heute und Morgen vor Augen zu behalten, kann helfen positiv vorwärts zu schauen und zu planen.

(Alzheimerforum)

Methoden

Bei der Biographiearbeit kann man grob zwischen der gesprächsorientierten und der aktivitätsorientierten Methode unterscheiden:

  • Die gesprächsorientierte Biographiearbeit umfasst Einzel- und Gruppengespräche, die zu vorgegebenen Themen (z.B. Familienleben, Schulzeit) stattfinden können.
  • Die aktivitätsorientierte Biographiearbeit umfasst, dem Namen entsprechend, aktive Tätigkeiten. Beispiele sind unter anderem Basteln, Singen von (bekannten) traditionellen Liedern und alltägliche Dinge, wie den Tisch decken.

Ein Beispiel für Erfassungsmaßnahmen, die die beiden Methoden vereinen, ist die biographische Gruppenarbeit. Hier können einfache Fragen gestellt werden, Stichworte gegeben werden, Gegenstände aus älterer Zeit herumgegeben werden oder auch Bilder angeschaut werden. Häufig ist es hilfreich auch Angehörige mit einzubeziehen. Dies gilt für beide Varianten. Zudem können generell vertraute Gegenstände gut sichtbar platziert werden, um Erinnerungen zu wecken und wach zu halten.

Eine besonders bedeutende Methode der Erfassung von biographischen Informationen, ist die biographisch-narrative Gesprächsführung (narratives Interview).


Des Weiteren wird zwischen drei Formen der Erfassung der Biographie unterschieden:

  • Die Erzählform, bei der es sich um eine mündliche Wiedergabe von biographischen Daten handelt, welche die Kommunikation anregt.
  • Die Form(en) der Verschriftlichung, bei der Memoiren in kleinen Büchern oder Textheften niedergeschrieben werden. Dies kann eine besondere Bedeutung für die Patienten haben, dadurch dass sie ihrer Nachwelt etwas hinterlassen.
  • Die akustische Ausdrucksform, bei der auf ein Tonband gesprochen wird. Diese Form ist immer dann angebracht, wenn ein Patient nicht schreiben kann/mag, jemandem etwas nicht direkt erzählen möchte, oder auch an einer stärkeren Sehschwäche leidet.

(B. Ellerbrock)

Auswirkungen ?

Welche Auswirkungen hat die Anwendung von Biographiearbeit aus der Sicht der Pflegekräfte und Patienten?

Es gibt verschiedene Artikel, Studien und Übersichtsarbeiten, die sich mit den Effekten der Biographiearbeit in der Pflege befasst haben. Ihre Aussagen stimmen überwiegend überein. Leider konzentriert sich ein Großteil dieser Arbeiten hauptsächlich auf die Perspektive der Pflegekräfte und weniger auf die der Patienten. Zudem wird auch mehrfach darauf hingewiesen, dass weitere Studien durchgeführt werden sollten, um noch mehr und deutlichere Ergebnisse zu bekommen. So soll zum Beispiel (noch intensiver) untersucht werden, inwiefern Biographiearbeit als Standardpflege angewendet werden und ins (Zeit-)Management eingeplant bzw. integriert werden kann.

Folgende Punkte sind generelle Aussagen aus verschiedenen Studien und Artikeln über die Auswirkungen von Biographiearbeit in der Pflege.

1. Aus der Sicht der Pflegenden…

… hilft Biographiearbeit, den Patienten als Subjekt und Individuum zu sehen, nicht nur als seine Diagnose oder sein Zimmer.

… hilft Biographiearbeit, den Patienten zu verstehen und somit auch Verhaltensweisen nachvollziehen zu können.

… ist Biographiearbeit eine gute Methode um einen Patienten besser kennen zu lernen (z. B. auch wenn ein Patient in ein neues Heim kommt).

… kann Biographiearbeit die Einstellung zu einem Patienten verändern.

… hilft Biographiearbeit Erinnerungen zu stimulieren

… kann Biographiearbeit nicht nur zu einem besseren Verhältnis zu den Patienten, sondern auch zu deren Angehörigen führen.

… macht Biographiearbeit auch Spaß

... kann Biographiearbeit einen Einfluss auf die Planung und Ausführung von Pflege haben.

(Übersichtsarbeiten: J. McKeown et al., A. Clarke et al.)


2. Aus der Sicht der Patienten…

… trägt Biographiearbeit dazu bei, ein engeres Verhältnis zu den Pflegenden aufzubauen („companionship“ – Kameradschaft).

… kann Biographiearbeit mit einem sozialen / geselligen Anlass (wie z. B. einem Café-Besuch) verglichen werden.

… bringt Biographiearbeit Spaß

… kann Biographiearbeit auch dazu führen, dass das Verhältnis zwischen ihnen und ihren Angehörigen wieder enger wird.

… hilft Biographiearbeit sich an gute alte Zeiten zu erinnern

… kann Biographiearbeit auch helfen eine neue Perspektive für das Leben zu sehen.

(Übersichtsarbeit J. McKeown et al.)


Auch Angehörige von Patienten äußerten, dass sie die Biographiearbeit für eine sinnvolle Methode hielten. (J. McKeown et al.)

Allerdings kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass es sich bei der Biographiearbeit um eine überall und immer anwendbare Methode handelt. Studien haben ebenfalls gezeigt, dass Biographiearbeit nicht bei allen Patienten geeignet ist. So zeigte sich, dass es für einige Patienten mit großem Stress verbunden war, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Manchen Patienten fiel es sehr schwer an negative Ereignisse erinnert zu werden und mit diesen umzugehen. Hier würde die Biographiearbeit in eine Therapie ausarten, was nicht durch die Pflegenden durchgeführt werden soll. Besonders dann, wenn ihnen genau bewusst wird, wer und was sie einmal waren, im Gegensatz zu dem, wer und was sie heute sind, können ebenfalls Probleme auftreten, wenn sie sich in der Gegenwart als minderwertig erachten. Für Pflegende was es außerdem anstrengend sich immer wieder Wiederholungen von Patienten mit Gedächtnisschwierigkeiten anhören zu müssen. Die wohl wichtigste negative Äußerung von Seiten der Pflegenden ist wohl die, dass der starke Zeitmangel frustrierend ist.

(J. McKeown et al., A. Clarke et al.)

Literaturverzeichnis

"Life story work in health and social care: systematic literature review", Jane McKeown / Amanda Clarke / Julie Repper, J Adv Nurs., 2006 Jul;55(2):237-47

"Seeing the person behind the patient: enhancing the care of older people using a biographical approach", Amanda Clarke / Elizabeth Jane Hanson / Helen Ross, J Clin Nurs., 2003 Sep; 12(5):697-706

"Zur Bedeutung biographischer Ansätze in der Pflegewissenschaft", H. Remmers, Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 2006 Juni; Band 39, S.183-191

"Lebensgeschichtliche Erfahrungen in der stationären Altenpflege, eine qualitative Untersuchung pflegerischer Interaktionen und ihrer Wahrnehmung durch pflegebedürftige Personen und Pflegende", 2007, M. Schilder, Verlag Hans Huber, Bern

"Die Bedeutung lebensgeschichtlicher Erfahrungen in der Situation der morgendlichen Pflege in der stationären Altenpflege", Michael Schilder, Pflege 2004; 17:375-383

"Der biographische Ansatz in der Pflege", Jens Friebe, Pflege & Gesellschaft, 9. Jahrgang, 1/2004, S.3-5

"Biografiearbeit braucht umfassendes Generationenwissen, Maria Brands- Haverkamp / Maria Fuchs, Pflegezeitschrift 10/2000, S.672-674

"Brücken bauen zu dementen Menschen", Hartmann, PflegeDienst: Gerontopsychiatrische Aspekte der Pflege 1/2007, S.8-9

"Im Alter wird die Kindheit wach - Lebenserinnerungen als wichtiger Baustein in der Arbeit mit Älteren", Bettina Ellerbrock (http://www.forum-seniorenarbeit.de)

"Erinnern und Vergessen - Zur Bedeutung von Biografiearbeit", Hans Georg Ruhe (http://www.forum-seniorenarbeit.de)

"Biografiearbeit zwischen Erinnerung und Therapie", Prof. Dr. Rainer Hirt, Jena 2003 (http://www.sw.fh-jena.de/)

"Die Kriegskinder werden alt", Psychologie: In der Kindheit erlebte Traumata, Corinne Adler, Geriatrie Journal 1/2007 März, 9. Jahrgang, S.26-30

"Verwirrt nicht die Verwirrten!", Ingrid Popp, Heilberufe 7/2002, S.36-37

"Lebensgeschichtliche Elemente nutzen", Strategien zur Betreuung von Demenzkranken, Sven Lind, Pflegezeitschrift, 2/2001, S.106-108

Weblinks

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