Nahtmaterial

Aus Familienwortschatz
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Chirurgisches Nahtmaterial, Nahtmaterial

Durchtrennte Gewebe (Haut, Faszie, Darm) werden heute durch Nähte, Klammern oder Klebstoffe adaptiert. Die Naht unterstützt und verkürzt die Heilung indem sie Gewebe aneinander annähert. Unterschieden wird zwi­schen nicht-resorbierbaren Fäden (Metall, Seide, Zwirn, synthetische Stoffe) und re­sorbierbarem Nahtmaterial (Catgut, Chromcatgut, Polyglykolsäure = PGS, Po­lydioxanon = PDS).

Die klinisch maßgeblichen Qualitäten sind Sterilität, Gewebsverträglichkeit, Reißfe­stigkeit, Knotenfestigkeit und Manipulier­barkeit. Die Fadenstärke ist in der europäi­schen Pharmakopoe festgelegt und mit X/0 bezeichnet. Hohe X/0-Werte (z. B. 7/0-10/0) bedeuten besonders dünne Fäden.

Geschichte des Nahtmaterials in der chirurgischen Medizin

Die Geschichte der chirurgischen Naht reicht bis in die Anfangszeit der Menschheit zurück. Jedoch entwickelten sich spezifische chirurgische Materialien zur Naht erst im Industriezeitalter.

In der Frühzeit wurde praktisch zur chirurgischen Naht dasselbe Material eingesetzt welches zur Naht von Kleidern, Stoffen, Tüchern etc. zur Verfügung stand. Dies waren in erster Linie Haare, Tiersehnen, aus Tierdärmen gedrehte Fasern, gesponnene Fäden aus Pflanzenfasern, aus Leder oder Pergament geschnittene feine Streifen wurden sowohl zum Anfertigen von Kleidung eingesetzt als auch zum Verschluß von Wunden.

Das erste „echte“ Nahtmaterial gibt es seit 1860 mit der Einführung des Karbol-Catguts nach Lister. Dieses desinfizierte Catgut wurde ergänzt durch ein Chromcatgut welches 1881 auf den Markt kam. Damit war das erste spezielle Nahtmittel für die Chirurgie im Angebot. Erst 1906 wurde das erste wirklich sterile Catgut geschaffen und ab 1909 im industriellen Maßstab gefertigt.

1931 entstand das erste synthetische resorbierbare Material aus Polyvinylalkohol in Zusammenarbeit von Wacker-Chemie und B. Braun Melsungen.

1939 wurde ein ummantelter Polyamidfaden (Supramid) von BASF entwickelt der 1946 im klinischen Bereich eingeführt wurde. Weiter folgten Collafil, ein synthetischer Collagenfaden 1939 und Polyesther 1950.

Etwa um diese Zeit etablierte sich auch die Strahlensterilisation, die besondere Eignung von Catgut und Polyesther für diese Sterilisationsart wurde entdeckt. B.Braun

Unterscheidung von Fadenmaterialien

Einfachste Unterscheidung zwischen multi-, oder polyfilem und monofilem Material, die jedoch weiter unterschieden werden kann. Monofile Fäden werden durch ein Schmelzspinnverfahren hergestellt (Extrudieren). Die Vorteile sind durch die glatte geschlossene Oberfläche, keine Dochtwirkung und gute Gleiteigenschaft durch das Gewebe. Nachteile besonders der etwas dickeren Fäden sind die Drahtigkeit und der schlechtere Knotensitz.

Die polyfilen- oder mulifilen Fäden erhält man, indem man mehrere dünne Einzelfäden miteinander entweder verdreht, verflicht oder verzwirnt. Gezwirnte Fäden sind Leinenzwirn und Seide. Der Vorteil ist in der Hauptsache ein ausgezeichneter Knotensitz die Nachteile sind eine ausgeprägte Rauhigkeit, ein stark schwankender Durchmesser und durch die Längsrichtung der Einzelnfasern ist eine starke Kapillarität gegeben die sich auch durch eine entsprechende Beschichtung nur teilweise minimieren lässt.

Durch Verflechten gewonnene Fäden besitzen eine weitaus geringere Kapillarität, durch Imprägnieren lässt sich diese noch weiter vermindern. Auch die geflochtenen Fäden besitzen eine gewisse Rauhigkeit der Oberfläche. Die Knotensitzfestigkeit ist demgegenüber jedoch ausgezeichnet. Produkte die geflochten geliefert werden sind sogenannte NC-Seide, Polyamid- und Polyestherfäden.

Weiter existieren sogenannte pseudomonofile Fäden, bei denen gezwirnte oder geflochtene Fäden mit einem Überzug versehen werden, der die Gleiteigenschaft beim Gewebedurchzug verbessert. Die Knotensitzfestigkeit bei den beschichteten Fäden ist auch fast so gut wie bei den polyfilen Fäden.

Fadenstärken

Stärkeneinteilung:

Zu Beginn der industriellen Fadenpoduktion erfolgte die Bezeichnung des ersten gefertigten Fadens mit 1, alle nachfolgenden dickeren Materialien erhielten die aufsteigende Kennzeichnung 2, 3, 4 usw. Schwierigkeiten bei den Bezeichnungen ergaben sich als dünnere Fäden verlangt wurden. Den ersten Faden der darauf gefertigt wurde, konnte noch mit 0 bezeichnet werden, dann folgte 2/0, 3/0, 4/0 usw.

Durch nationale Differenzen und Unterschiede der einzelnen Pharmekopöen , ergibt sich daß der Faden 0 eines bestimmten Materiales unterschiedliche Durchmesser besitzt. Dadurch ergeben sich auch Unterschiede bei den dickeren und dünneren Materialien.


Durchmesser

Oberflächenglätte und Knotensitzfestigkeit

Die unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst die chirurgische Naht in mehrfacher Hinsicht. Rauhe Fäden werden beim Legen einer Naht als höherer Widerstand beim durchziehen des Fadens wahrgenommen (Extremfall: Sägeeffekt!), glatte Fäden sind demgegenüber relativ widerstandslos. Umgekehrt sind polyfile Fäden im eindeutigen Vorteil bei der Knotensitzfestigkeit, die stärkere Reibung im Knoten verbunden mit den Durchmesserschwankungen verhilft hier zum Vorteil. Weitere Faktoren im Zusammenhang zur Knotensitzfestigkeit sind Fadenstärke, Knotentechnik, Quellbarkeit des Fadens und wie kurz ein Fadenende abgeschnitten wird.

Nahtmittelverträglichkeit

Jedes Fremdmaterial das in den Körper eingebracht wird, löst eine gewisse Gewebsreaktion aus. Dies hängt im Weiteren auch von der eingebrachten Art und Menge an Material ab oder von Chemikalienreststoffen die für die Herstellung notwendig waren (Weichmacher, Härtemittel, Farbstoffe, Katalysatoren etc).

Eine Unverträglichkeit liegt dann vor, wenn die Wundheilung gestört ist oder das umliegende Gewebe zerstört wird.

Sterilität

Die Rohstoffe aus denen die verschiedenen Materialien hergestellt werden, sind je nach Herkunft und Beschaffenheit unterschiedlich keimhaltig. Hier besonders zu nennen ist naturgemäß das Catgut, dessen Rohstoff tierischer Darm ist wie der menschliche naturgemäß stark keimhaltig. Auch die Rohseide und der Leinenzwirn ist sowohl verunreinigt als auch verkeimt. Nur die Rohstoffe der Kunststoffäden sind im Grunde genommen steril. Auch bei Metallen ist die Keimanhaftung sehr gering. Diese besitzen auch eine bakterizide oder baktriostatische (oligodynamische) Wirkung, die bakterielle Verunreinigung gering hält. Grundsätzlich gilt: polyfile Fäden können Keime im ganzen Geflecht enthalten, monofile „nur“ an ihrer Oberfläche.

Bei der Sterilisation hat sich nach der Abwägung der Vor- und Nachteile inzwischen allgemein folgende Verfahren durchgesetzt. Gammastrahlen bei: Seiden-, Polyamid-, poyesther- und Catgutfäden. Die Sterilisation mit Ethylenoxyd bei: Zwirn-, resorbierbaren Kunststoff- und Polypropylenfäden.

Von einer Resterilisation von Nahtmitteln wird gleich welchen Verfahrens dringend abgeraten.

Resorbtion und Auflösung von chir. Fäden

Heute ist sicher, daß die alte Einteilung in resorbierbares und nicht resorbierbares Nahtmaterial so nicht mehr gehalten werden kann. Neben die Resorbtion und die Absorbtion muß heute der Zerfall gestellt werden. Dieser betrifft die lange Zeit für im Körper für nicht auflösbar gehaltenen Leinenzwirn, Seiden, Polyamid und auch Polypropylenefäden. Diese Auflösung dauert über Jahre hinweg und geschieht vermutlich zunächst durch Zerfall und anschließende Phagozytose bei Seide und Zwirn und bei den Kunststoffäden durch Depolymerisation.

Einteilung

Verpackung

Die früher üblichen Spulenrollen die in ihrer Anwendung unhandlich und zeitraubend waren, haben sich seit längerem die Einzelfadenverpackungen durchgesetzt. Diese sind anwenderfreundlich und ökonomisch. Dank großindustrieller Fertigungsmethoden sind diese auch bei unbeschädigter Verpackung sicher steril und der Faden von gleichbleibender Qualität.


Resorptionszeit

Dieser Begriff umschreibt die Zeit, in der ein Material 50% seiner Festigkeit eingebüßt hat. Die Resorptionszeit entspricht der Absorptionszeit ist aber nicht zu verwechseln mit der Auflösungszeit, die das völlige Verschwinden des Nahtmaterials meint.

Folgende Tabelle zeigt die „normale“ Resorptionszeit von verschiedenen gebräuchlichen chirurgischen Nahtmaterialien:

Resorption

Die Angaben zu Resorption, Zerfall und Auflösung sind jedoch nur Richtwerte, da für den Abbau weitere Faktoren wichtig sind. So gab es früher bei Catgut Plain nur hitzesterilisirtes Material welches eine beträchtlich kürzere Resorptionszeit hatte, als das heute übliche welches mit Ethylenoxid behandelt wird. Weiter ist die Zeitdauer von der Art des Gewebes abhängig wo das Material eingebracht wird, in bradytrophem Gewebe ist auch der Abbauprozeß verzögert. Während dem im entzündetem Gewebe die Resorption beschleunigt abläuft.


Übersicht

An Nahtmaterial steht heute zur Verfügung:


Metall:

Chrom-Nickel-Eisenverbindung (V2A-Stahl).

Eigenschaft: Hohe Reißfestigkeit, Gewebeverträglichkeit, keine Dochtwirkung, bakte­riostatische und bakterizide Wirkung.

Nachteil: Korrosion, Metallose.


Seide:

Geflochtener Naturseidefaden.

Eigenschaft: Geringe Elastizität, Geschmei­digkeit und sehr gute Knüpfeigenschaften.

Nachteil: Ausgeprägte Fremdkörperreak­tion, Dochtwirkung (Infektionsbegünsti­gung). Bei besonderer Imprägnierung des Fadens keine Dochtwirkung (NC-Seide: non capillary silk).


Resorbierbarer Kunststoff:

Polymere der Glykolsäure (Dexon® = PGS), Copolymere aus Glykolyd und Lactid (Polyglaktin = Vi­cryl® = PGS), Polymere aus Dioxanon (Polydioxanon = PDS). Monocryl® und Monosynth®. Nach den Herstellerangaben beträgt die verbleibende Reißkraft der PDS/Maxonfäden nach etwa 14 Tagen 75%, nach 28 Tagen ca. 50% und ist nach etwa 6 Monaten abgeschlossen.

Panacryl® ist ein neues Nahtmaterial, das eine geflochtene Grundstruktur (Copolymer aus 5% Glykolid und 95% Lactid) aufweist, die aber beschichtet ist (90% Caprolacton und 10% Glykolid). Dadurch verhält sich der Faden bei der Gewebspenetration wie ein monofiler Faden, beim Knüpfen jedoch wie ein Polyfiler. Außerdem ist die Resorptionszeit deutlich verlängert: nach 3 Monaten ist noch 80% der Ausgangsreiskraft vorhanden und nach 6 Monaten noch 60%. Die vollständige Resorption ist erst nach 1,5 bis 2,5 Jahren abgeschlossen.

Eigenschaften: Spaltung im Gewebe durch Hydrolyse in Glykol und Milchsäure, die im intermediären Stoffwechsel abgebaut wird. Resorption 42 Tage, PDS ca. doppelt so lange. Geringe Fremdkörperreaktion.

Nachteil: Rauhe Oberfläche (PGS), nach Beschichtung besser.

Catgut/Chromcatgut

  • Catgut steht heute wegen seines bovinen Ursprunges entgültig nicht mehr zur Verfügung (BSE-Risiko).

Das Material war Kollagen, hergestellt aus dem Dünndarm von Rind oder Schaf. Verzwirnter geschliffener Faden mit Resorptionszeit von 8-12 Tagen. Durch Gerbung mit Chromsalzen wird die Resorptionszeit ver­doppelt (Chromcatgut).

Eigenschaften: Niedrige Knotenreißkraft, in kurzer Zeit resorbierbar, fermentative Spal­tung mit heftiger Bindegewebsreaktion.

Reaktion

Jede Nahtsubstanz erzeugt eine spezifische Fremdkörperreaktion. Das Ausmaß der

Bindegewebsreaktion steigt in folgender Reihenfolge: Stahl, Polyester, PDS, PGS,

Seide, Leinen, Zwirn, Catgut und Chrom­catgut.


Für die Anwendung der einzelnen Materialien ergibt sich daraus:

1. Hautnaht: Stahl- oder monofiler Kunst­stoffaden, Klebestreifen (Steristrips), Klammern.

2. Versenkte Naht: Resorbierbarer Kunst­stoffaden.

3. Schleimhautnaht: Catgut bei zweireihi­ger Nahttechnik, sonst PGS.

4. Gefäßnaht: Nichtresorbierbares und resorbierbares, synthe­tisches Nahtmaterial. Zur Ligatur von kleineren Gefäßen resorbierbarer Kunst­stoff.

5. Faszien und Aponeurosen: Resorbierba­re oder nicht resorbierbare Kunststoffä­den, Draht.

6. Infizierte Wunden: Resorbierbares syn­thetisches Nahtmaterial.

Übersicht über die gängigsten Fäden und deren Einteilung

Resorbierbar, monofil, tierischer Ursprung: Catgut, Chromcatgut, Kollagen (in Deutschland nicht mehr im Handel)

Resorbierbar, monofil, synthetisch: PDS II, Maxon, Monocryl

Resorbierbar, polyfil, synthetisch: Dexon, Vicryl, Vicryl-Rapid

Nicht resorbierbar, monofil, tierischenUrsprungs: Seide

Nicht resorbierbar, monofil, pflanzlichen Ursprungs: Leinenzwirn

Nicht resorbierbar, monofil, synthetisch: Resolon, Mopylen, Prolene, Dafilon, Miralen, Premilene, Novafil, Dermalon

Nicht resorbierbar, monofil, metallisch: Stahldraht

Nicht resorbierbar, polyfil, synthetisch: Supramid, Mersilene, Dargofil, Synthofil

Literatur

  • Nockemann, Paul Ferdinand

Die chirurgische Naht Thieme Verlag

  • Schumpelick, Volker et al.

Chirurgie Enke Verlag

  • B.Braun Melsungen

Der Wundverschluß im OP

  • Orginalbeipackzettel der Hersteller