Narkose

Aus Familienwortschatz
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Arbeitsplatz eine Anästhesisten mit Narkosegerät

Die Narkose (griech.: ναρκόει = betäuben, schlaff machen bzw. ναρκώδης = erstarrt, betäubt) ist eine Form der Anästhesie. Die sogenannte "Vollnarkose" wird als Allgemeinanästhesie bezeichnet. Sie ist für die Durchführung bestimmter Eingriffe notwendig, um den Untersuchungs- bzw. Operationserfolg zu sichern und vor allem dem Patienten Schmerzen und andere Unannehmlichkeiten zu ersparen.

Die künstlich herbeigeführte Narkose bewirkt die zeitweilige, umkehrbare Funktionshemmung des zentralen Nervensystems (ZNS) mit Herbeiführung von Bewusstseinsverlust (Bewusstlosigkeit, Hypnose) und Ausschaltung des Schmerzempfindens (Analgesie). In vielen Fällen ist zusätzlich die schlaffe Lähmung der Willkür-Muskulatur erwünscht. Die Narkose geht mit einer Dämpfung von Reflexen einher.

Die Narkose wird in Deutschland von speziell weitergebildeten Fachärzten durchgeführt (Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Anästhesist)

Geschichte (Auswahl)

Es finden sich antike und mittelaterliche Quellen für künstlich herbeigeführte schlafähnliche (hypnotische) und schmerzfreie (analgetische) Zustände:

etwa 3500 v. Chr. 1. Buch Mose-Genesis II, 21: "Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte zu mit Fleisch"
etwa 1200 v. Chr. Asklepios (Griechenland): unter Anwendung eines Trunkes wird Schmerzunempfindlichkeit für chirurgische Eingriffe herbeigeführt
etwa 1300 Guy de Chaliac (Frankreich): berichtet erstmals über Komplikationen während der Anwendung von Schlafschwämmen

Im ausgehenden Mittelalter und Anfangs des industriellen Zeitalters wurden die entscheidenden Grundlagen für die Entwicklung der modernen Narkose gelegt:

1546 Valerius Cordus (Deutschland): Synthese von Äther.
1771 Joseph Priestley, Carl Wilhelm Scheele (England und Schweden): Entdeckung des Sauerstoffs.
1775 Priestley (England): Synthese von Lachgas
1831 Samuel Guthrie, Justus von Liebig, Eugene Soubeiran (Europa): Synthese von Chloroform

Die Anfänge der wissenschaftlichen Anästhesie (Narkose) sind untrennbar mit den Namen Horace Wells, William Thomas Green Morton, John Snow und James Young Simpson verbunden:

erste OP unter Narkose durch den Chirurgen Warren und Morton

1844

Horace Wells (1815-1848, amerikanischer Zahnarzt) wohnte einer öffentlichen Vorführung des experimentierenden Chemikers G. Q. Colton bei, der einen jungen Mann Lachgas inhalieren ließ. Dabei konnte Wells beobachten, wie dieser sich zufällig, unter dem Einfluss des Gases zwar schwer am Schienbein verletzte, Schmerz aber anscheinend nicht verspürte.

Wells testete mit Coltons Hilfe die Methode bei der Extraktion eines Zahnes mit Erfolg. Die Demonstration an der Havard-Universität (Boston) endete aber im Fiasko, da der Patient trotz Lachgasgabe unter Schmerzen litt.

Wells veröffentlichte seine Ergebnisse 1847. Das Lachgas geriet aber in der medizinischen Fachwelt zunächst aufgrund der Bostoner Vorführung in Vergessenheit. Zu Unrecht, denn Lachgas ist das einzige Anästhetikum der Pionierzeit (wie Äther, Chloroform), das heute noch in Anwendung ist.

1846

William Thomas Green Morton (1819-1868, amerikanischer Chirurg) erkannte die Bedeutung des Äthers zu Narkosezwecken und führte am 16. Oktober eine erfolgreiche Narkose vor, an gleicher Stelle, wie vor ihm der glücklose Wells. Dieses Datum gilt als die Geburtsstunde der modernen Anästhesie (AINS 2003;38).

1847

James Young Simpson (1811-1870, schottischer Geburtshelfer) suchte unter dem Eindruck der Nachteile des Äthers nach einem alternativen Narkosegas und fand das Chloroform.

Dabei hat er sich auf der Suche nach dem geeigneten Mittel seiner Familie bedient. Die Wirkung der unterschiedlichen Dämpfe muss beeindruckend gewesen sein. Ein Zeitgenosse berichtete, dass er die Aufgabe übernommen hatte, ab und zu bei den Simpsons vorbei zu schauen, ob sich dort noch alles beim Rechten befände.

1853

John Snow (1813-1885, amerkanischer Anästhesist) war der erste Arzt, der sich ausschließlich der Anästhesiologie widmete.

Er entwickelte u.a. 1847 den ersten Ätherverdampfer.

1853 ermöglichte er die schmerzlose Geburt des Prinzen Leopold Georg, Herzog von Albany durch Königin Viktoria I.

Patient und Anästhesist

Was tut der Patient?

Der Patient arbeitet mit dem Anästhesisten gemeinsam für seine Sicherheit. Besonders bei ambulanten Eingriffen in Narkose ist das medizinische Team auf die Kooperation des Patienten angewiesen.

Die Vorgehensweise muss in jedem Fall mit dem Anästhesisten abgesprochen werden. Dazu dienen die Informations- und Aufklärungsgespräche bzw. -Broschüren und -Formulare. Vor einem geplanten Eingriff findet ein solches Prämedikations-Gespräch oft schon vor der stationären Aufnahme in einer sogenannten Prämedikations-Ambulanz der anästhesiologischen Fachabteilung statt.

Präoperative Nüchternheit

Am Wichtigsten für die Sicherheit von Narkosen ist der leere Magen um sogenannte Aspirationen zu vermeiden (siehe unten im Abschnitt Komplikationen). Sollte die Magenentleerung nicht durch besondere Erkrankungen gestört sein oder andere Gründe dagegen sprechen, kann heute vom Folgenden ausgegangen werden:

Nach heutigen Richtlinien ist es erlaubt, bis 6 Stunden vor dem geplanten Eingriff eine Kleinigkeit zu essen (z. B. eine Weißbrotscheibe).

Spätestens 2 Stunden vor der Narkose können geringe Mengen (maximal 150-200ml) einer klaren Flüssigkeit eingenommen werden. Dazu gehören z. B. klarer Apfelsaft und Früchtetee, der etwas gezuckert sein kann. Auf keinen Fall dürfen in diesem Zeitraum trübe Getränke oder gar Milch eingenommen werden. Auch die Industrie stellt geeignete Nahrungsergänzungprodukte (z. B. Präparat "PraeOP" der Fa. Nutrica) zur Verfügung.

Rauchen und auch Kaugummikauen sind zu vermeiden, da dadurch die Speichel- und Magensekretion angeregt wird, was bedeutet, dass auch nach nur einer Zigarette der Magen nicht mehr leer ist.

Die derzeitigen Empfehlungen über die Einnahme von Arzneimitteln im Zusammenhang mit Operationen und Narkose sind komplex. In diesem Zusammenhang sind die Medikamente an sich, Begleiterkrankungen und die Art des Eingriffs und der Narkose zu bedenken. Die Vorgehensweise kann nur mit dem Facharzt für Anästhesie abgestimmt werden.

Was tut der Narkosearzt?

Der Anästhesist versetzt den Patienten in einen Zustand, in dem er durch Dämpfung oder Unterdrückung des Bewusstseins einen vorübergehenden Zustand der Schmerzlosigkeit herbeiführt damit dieser eine absehbar höchst unangenehme Prozedur toleriert (siehe Abschnitt Ziele).

Die natürliche Atmung ist durch den Eingriff, aber meistens durch die Narkose selbst beeinträchtigt. Der Anästhesist hat somit für eine ausreichende Atmung (d. h. Sauerstoffversorgung) des Patienten zu sorgen: er überwacht ständig die Atmung des betäubten Patienten, hält die Atemwege offen (siehe Abschnitt Sicherung der Atemwege) und sorgt ggf. für dessen Beatmung.

Für die Durchführung der Narkose benötigt er technische Hilfsmittel. Mit einem Narkosegerät kann er den Patienten beatmen und neben Sauerstoff auch gasförmige und verdampfbare Narkosemittel (siehe Abschnitt Narkotika) zuführen. Injizierbare Narkosemittel werden oft mit speziellen programmierbaren Spritzenpumpen (z.B. Injektomat, Perfusor) verabreicht.

Es ist Aufgabe des Anästhesisten, durch permanente Überwachung Zustandsänderungen und Normabweichungen des Patienten zu erfassen, die sich oft durch die eigentliche Behandlung (zum Beispiel Blutverlust durch eine OP) ergeben. Er führt dazu ein umfangreiches Programm an Überwachungsmaßnahmen durch (siehe Abschnitt Überwachungsmaßnahmen).

Er hat die Beobachtungen und Messergebnisse zu interpretieren und verfügt über die Mittel, im Notfall geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um aufgetretene Störungen im Zustand des Patienten zu korrigieren (beispielsweise Bluttransfusion).

Seine Tätigkeit während der Narkose umfasst also:

  1. Narkosedurchführung
  2. Sicherstellung der Atmungsfunktion
  3. Überwachung des Patienten
  4. Therapie von Störungen

Operationen werden im modernen OP in Teamarbeit durchgeführt. Für den Bereich rund um die Narkose ist der Anästhesist (Narkosearzt) und der Gesundheits- und Krankenpfleger in der Anästhesie oder der Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Anästhesie- und Intensivpflege zuständig.

Narkoseziele und Narkosemittel

Ziele der Narkose

Ziele und Mittel

Die Narkose verfolgt vier Ziele:

  1. Bewusstseinsverlust (Hypnose), hiermit wird psychischer Stress während einer Operation vermieden.
  2. Die Schmerzausschaltung (Analgesie)
  3. Die Muskelentspannung (Relaxation) macht verschiedene Operationen technisch erst möglich. So sind große Bauch-OPs (zum Beispiel an Darm und Magen) erst unter Muskelentspannung möglich geworden. Sie ist aber nicht bei allen Eingriffen notwendig.
  4. Die Reflexdämpfung (besser: vegetative Dämpfung) verhindert das Auftreten von Störungen u.a. durch Schluck- und Hustenreflexe

Mittel für die Narkose

Entsprechend der Ziele der Narkose (s.o.) werden die verwendeten Medikamente wie folgt eingeteilt.

  1. Hypnotika (Schlafmittel)
  2. Analgetika (schmerzdämpfende Mittel)
  3. Muskelrelaxantien (Mittel zur Erschlaffung der Willkürmuskulatur)
  4. Reflexdämpfende Mittel

Eine umfassendere und vergleichende Darstellung findet sich unter dem Stichpunkt Narkotika.

Hypnotika (Schlafmittel)

Bei den Hypnotika finden einige medizinische Gase, volatile (dampfförmige) und injizierbare (einspritzbare) Medikamente.

Gase und Dämpfe
Gase
Lachgas, Xenon
volatile Anästhetika
Äther, Chloroform, Halothan, Enfluran, Sevofluran, Desfluran

Volatile Substanzen liegen unter Standardbedingungen in flüssiger Form vor. Diese Narkosemittel werden durch spezielle Verdampfer dem Frischgas beigefügt.

Injektionsnarkotika

Diese Medikamente liegen in flüssiger, gelöster Form vor. Sie müssen injiziert (eingespritzt) werden.

Aufnahme und Elimination eines Injektionsnarkotikums unterscheiden sich generell von den Inhalationsnarkotika. Während die Gase im Wesentlichen durch die Atmung dem Organismus zugeführt oder entzogen werden, erfolgt die Zufuhr bei den Injektionsnarkotika durch einspritzen (Injektion) und die Elimination durch Verstoffwechslung in der Leber oder Ausscheidung durch die Nieren.

Analgetika (Schmerzmittel)

Die in der Anästhesie verwendeten Analgetika stammen aus zwei Substanzgruppen:

  1. Opioide
  2. Nichtopioid-Analgetika
  3. Sonderfall: Ketamin

Bei den Opioiden sind Fentanyl, Sufentanil, Alfentanil und Remifentanil im allgemeinen Gebrauch. Wegen seiner extrem kurzen Wirkdauer ist Remifentanil besonders gut im Rahmen der TIVA (siehe unten) einsetzbar.

Die Nicht-Opioid-Analgetika sind zur Verwendung während der Narkose nicht geeignet. Ihre Wirkung, die auf der Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase beruht, ist nicht unmittelbar. Diese Substanzen werden vorrangig zur Behandlung des postoperativen Schmerzes eingesetzt.

Ketamin, die unter Hypnotika schon genannte Substanz hat unter anderem μ- und δ-agonistische Eigenschaften und ist deshalb auch ein gutes Analgetikum aber auch ein potentes Hypnotikum. In letzter Zeit kommt sein Isomer S-Ketamin in Gebrauch, das ungefähr doppelt so stark und nebenwirkungsärmer ist.

Muskelrelaxantien

Muskelrelaxantien (siehe dort die Definition) kommen in Abhängigkeit von zugrundeliegendem Eingriff und dem Narkoseverfahren in Anwendung. So sind die Operationen in den größen Körperhöhlen, wie Brustkorb und Bauch ohne Muskelrelaxantien schwer vorstellbar.

An anderer Stelle, wie beispielsweise in der Kniegelenkchirurgie, kommen sie heute aufgrund verbesserter Narkosetechniken (siehe Larynxmaske) kaum noch in Anwendung.

Gebräuchliche Mittel sind unter anderem Suxamethonium, Mivacurium, Atracurium, Rocuronium und Vecuronium.

reflexdämpfende Mittel

Atropin
diente der Vermeidung parasympatischer Reflexe, ist aber heute zu diesem Zweck kaum noch in Gebrauch.
Clonidin
komplexe Wirkungen im Sinne von Vermeidung von Hypertensionen und Reduzierung des Analgetikabedarfs intra- und postoperativ.


Narkosestadien

Es werden

  1. Einleitung (syn.: Anflutung)
  2. Unterhaltung (syn.: statische Phase)
  3. Ausleitung (syn.: Abflutung)

der Narkose unterschieden.


Einleitung
Phase, in der die zur Narkose verwendeten Medikamente im Organismus eine zu ihrer Wirkung ausreichende Konzentration erst erreichen müssen. Es kommt in der Einleitungsphase zu umfangreichen Umverteilungsvorgängen zwischen Kompartimenten des Organismus. Entscheidend ist die Konzentration am Wirkort (hier Gehirn). In diesem Zeitraum ist eine andere medizinische Intervention (beispielsweise OP) nicht möglich.
Unterhaltung
Die Medikamente haben eine ausreichende Konzentration im Gehirn erreicht. Konzentration und damit Wirkung ermöglichen die medizinische Intervention (zum Beispiel die OP). In dieser Phase wird die Medikamentenzufuhr dem wechselnden Bedarf angepasst. Die Notwendigkeit dazu kann sich mit dem Fortschreiten der Operation ergeben, da die Regionen der Intervention unterschiedlich schmerzempfindlich sind.
Ausleitung
Nach Beendigung der Intervention werden die Narkosemittel aus dem Organismus eliminiert.

Einleitung und Ausleitung sind in medizinischem Sinne nicht von Nutzen, deshalb sollen diese Phasen möglichst kurz sein. Die Narkosemittel unterscheiden sich diesbezüglich in ihren physikalisch-biologischen Eigenschaften (s. u.). Moderne Narkosemittel erfüllen diese Forderung immer besser.

Systematik der Narkoseformen

Narkosesystem

Das Narkosesystem beschreibt das engere technische Prinzip zur Verabreichung von Gasen unter der Narkose. Es ist ein Teil des Narkosegerätes, das zusätzlich Vorrichtungen zur Bevorratung und Dosierung von Gasen enthält.

Klassen Beschreibung
Nichtrückatemsysteme Narkosen können im Rahmen der technischen Durchführung anhand des Narkosesystems systematisiert werden. In der Abbildung oben ist ein halbgeschlossenes Narkosekreissystem dargestellt, wie es am häufigsten in Anwendung ist.
Rückatemsysteme


Sicherung der Atemwege (airway management)

Durch zentrale Dämpfungsvorgänge ist unter der Narkose einerseits die Spontanatmung tendenziell eingeschränkt (Hypoventilation) und in vielen Fällen gezielt aufgehoben. Durch manuelle oder maschinelle Beatmung wird die Sauerstoffversorgung und CO2-Abatmung sichergestellt.

Andererseits führen die oben genannten Dämpfungsvorgänge zur Erschlaffung der Schlundmuskulatur. Besonders in Rückenlage kommt es dabei zu einem Zurückrutschen der Zunge, die dabei die Atmwege verlegt. Die im Folgenden beschriebenen Verfahren dienen durch das sog. "Offenhalten der Atemwege" dem Narkoseverfahren. Sie haben unterschiedliche Risiken und Nebenwirkungen.

Klassen Beschreibung
Intubation unter Einführung eines Schlauches (Trachealtubus) durch Mund oder Nase in die Luftröhre zum sicheren Abdichten der Atemwege. Der Vorgang wird als endotracheale Intubation bezeichnet. Zu Komplikationen siehe unten unter Intubationsschäden.
Gesichtsmaske Der Sauerstoff und evtl. die Narkosegase werden über eine vor Mund und Nase dicht aufgesetzte Maske zugeführt. Das Offenhalten der Atemwege erfolgt durch spezielle Handgriffe (ESMARCH) und Lagerung des Kopfes (leichte Reklination des Kopfes).
Larynxmaske Eine speziell geformte Kehlkopfmaske sichert die Atemwege und ermöglicht die Beatmung.

Narkotikum

Narkosen können unter dem Aspekt betrachtet werden, welches Narkotikum zur Unterhaltung (siehe Abschnitt Phasen) benutzt wird:

Klassen Beschreibung
Inhalationsnarkose Verwendung von gas- oder dampfförmigen (volatilen) Narkosemitteln (beispielsweise Lachgas, Halothan, Sevofluran)
iv.-Anästhesie Verwendung von injizierbaren Narkosemitteln (Barbiturate, Propofol, Opioide)
Balancierte Anästhesie Verwendung von injizierbaren Narkosemitteln zur Narkoseeinleitung (Barbiturate, Benzodiazepine, Propofol, Etomidate), Aufrechterhaltung der Narkose unter Einsatz von volatilen Narkosemitteln (s.o.), Analgesie mit Opioiden. Die Balancierte Anästhesie ist die derzeit am häufigsten verwendete Narkose.
TIVA Totale Intravenöse Anästhesie unter ausschließlicher Verwendung von injizierbaren (einspritzbaren) Anästhetika. Man kombiniert ein Schlafmittel (Propofol, Methohexital) mit einem schmerzstillenden Mittel (Remifentanil, Fentanil). Das Verfahren verdrängt derzeit die Inhalationsanästhesie, da es sehr nebenwirkungsarm ist. Die Kombination Propofol/Remifemtanil zeichnet sich durch relativ gute Steuerbarkeit und weitestgehendes Ausbleiben von PONV aus (siehe Narkotika und Abschnitt Komplikationen und Nebenwirkungen)
Neuroleptanalgesie Zustand der Schmerzfreiheit (Analgesie) mit Gleichgültigkeit (Affektindifferenz, Neurolepsie) den Ereignissen gegenüber. Die Neurolepanalgesie (auch Neuroleptanästhesie) wird heute nicht mehr angewendet, da manche Personen sich an Ereignisse während der OP erinnern konnten.

Überwachungsmaßnahmen/Sicherheit

Die intraoperativen Überwachungsmaßnahmen sind für Deutschland im Medizinproduktegesetz und in der Medizingerätebetreiberverordnung festgelegt. Beide Gesetze stellen die Umsetzung der europäischen Norm EN 740 dar. Außerdem existiert eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) zur Überwachung der Narkose und für die Ausstattung von Narkosearbeitsplätzen.

Damit existiert ein Set von Austattungsnormen und Überwachungsmaßnahmen, das der Standardisierung von Narkosearbeitsplätzen dient.

Nach EU-Norm müssen folgende Parameter gemessen werden:[1]

  • inspiratorische O2-Konzentration
  • Anästhesiegaskonzentration
  • Atemwegsdruck (bei Beatmung)
  • expiratorisches Atemvolumen (bei Beatmung)
  • Diskonnektionsalarm (bei Beatmung, meist über den Atemwegsdruck getriggert)
  • Kapnographie (Darstellung der CO2-Verlaufkurve)

Weiterhin überwachte Parameter sind nach DGAI:

  1. kontinuierliches EKG-Monitoring, sowie Herzfrequenz und Blutdruck
  2. Sauerstoffsättigung des Blutes (SaO2)

Bei entsprechender Indikation müssen nach anerkannten berufsständischen Regeln invasive Verfahren, wie arterielle Blutdruckmessung in Anwendung kommen.

Fakultativ, derzeit noch nicht vorgeschriebene Verfahren sind:

  1. EEG-Messungen (gelten als geeignet zur Bestimmung der Bewusstseinslage, nicht der Schmerzbeeinflussung)[2]

Vorerkrankung und Narkose

In der Regel finden vor planbaren Operationen Vorbereitungs- und Aufklärungsgespräche statt. Dabei findet neben der Patienteninformation auch eine Klassifikation zur Einschätzung des Operations- bzw. Narkose-Risikos statt. Insbesondere erhöhen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Stoffwechsels, der Lunge, Leber und Niere das Risiko. Auch eine bestehnde Allergieneigung und die Einahme bestimmter Medikamente sowie Nikotin- und Alkoholabusus sollten im Prämedikations-Gespräch angesprochen werden.

Gerade der Missbrauch von Alkohol, Drogen und/oder Medikamenten wird manchmal aus Scham verschwiegen, was in manchen Fällen dazu führt, dass eine Vollnarkose nicht tief genug ausfällt und der Patient unfreiwillig seine Operation miterlebt, ohne dies zeigen zu können, da die zur Narkose gegebenen Muskelrelaxantien Bewegungen verhindern (siehe dazu auch den Abschnitt intraoperative Wachheit).[3]

Die nachstehende Liste enthält eine Auswahl interessanter Erkrankungen, die von der Narkose beeinflusst werden können:

maligne Hyperthermie Die maligne Hyperthermie ist eine seltene Erkrankung, die in Zusammenhang mit Narkosen zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann.
restless legs-Syndrom Kennzeichnend für das Restless-Legs-Syndrom sind Missempfindungen in den Extremitäten, die zum Bewegungszwang führen. Bei dieser relativ häufigen Erkrankung älterer Menschen ist die Verwendung von Propofol kontraindiziert (nicht angezeigt), da es zu einer akuten Verstärkung der Missempfindungen führt.
Myasthenia gravis Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung mit Bildung von Antikörpern gegen die Actylcholinrezeptoren der Muskelzelle im Bereich der Muskelendplatte. Die Erkrankung ist durch Schwäche der Willkürmuskulatur gekennzeichnet, in einem ausgeprägtem Stadium durch Beeinträchtigung der Atmung. Muskelrelaxantien dürfen in diesem Fall nur in sehr eingeschränktem Umfang angewendet werden.

Nebenwirkungen und Komplikationen

Die primär anästhesiebedingte Mortalität soll bei 0,05 Promille liegen, dh. bei 5 von 100000 durchgeführten Narkosen.

Zum Vergleich: die primär anästhesiebedingte Mortalität von allgemeinchirurgischen Patienten soll bei 0,07-0,09 Promille liegen, die Gesamtmortalität liegt bei diesen Patienten jedoch bei 6 Promille (also knapp 100mal höher!). [Heck, M., Fresenius, M.: Repetitorium Anaesthesiologie 3. Aufl., 2001]

Im Folgenden eine (lückenhafte) Liste der Nebenwirkungen und Komplikationsmöglichkeiten von Narkosen:

Übelkeit und Erbrechen (PONV = Postoperative Nausea and Vomity)

Relativ häufige Nebenwirkung (bis zu 80% bei gynäkologischen Eingriffen, im Allgemeinen 25-30% [1], bei ambulanten Eingriffen unter 5%). Diese Nebenwirkung (PONV = postoperative nausea and vomiting) geht meistens mit dem Gebrauch von bestimmten Opioiden in der Anästhesie einher und kommt nach der Wahl geeigneter Mittel seltener vor (z. B. TIVA mit Propofol und Remifentanil).

Als Risikofaktoren gelten:

  • weibliches Geschlecht
  • Nichtraucher
  • schon stattgehabte PONV oder "Reisekrankheit"
  • anästhesieseitiger Gebrauch von Opioiden (besonders postoperativ), volatilen Anästhetika, Antagonisten der nichtdepolarisierenden Muskelrelaxantien[4]

Intubationsschäden

Zahnschäden

Diese Komplikation ist häufig Folge der trachealen Intubation. Beim Einlegen des Tubus in die Luftröhre (lat.: Trachea) muss der Anästhesist mit Hilfe des Laryngoskopes die Zunge wegdrängen, um freie Sicht auf den Trachealeingang mit Stimmlippen und Kehlkopf zu haben. Bei diesem Vorgang kann es zur Schädigung von Oberkiefer-Frontzähnen kommen.

Die Häufigkeit soll bis zu 1% der Intubationen betragen. In den letzten Jahren setzt sich immer mehr die Verwendung der Larynxmaske durch. Bei Fehlen von Kontraindikationen kann der Einsatz der Larynxmaske diese Komplikation sicher vermeiden.

Fehlintubation

Zum Zwecke der Beatmung wird normalerweise das Ende des Beatmungstubus in der Luftröhre (Trachea) platziert.

Fehlintubationen sind:

  • Ösophagusintubation,
  • endobronchiale Intubation oder
  • Verletzung der Trachea (Penetration).

Im ersten Fall wird der Tubus fehlerhaft in die Speiseröhre (Oesophagus) eingeführt. Damit kann kein Gasaustausch stattfinden. Klinisch fällt -in Abhängigkeit von der Sauerstoffvoratmung- rasch eine Zyanose auf. Die Kapnografie/-metrie zeigt keine expiratorischen CO2-Werte an. Gleichzeitige Kallibrierung des Sensors, Genuss kohlensäurehaltiger Getränke (Coca-Cola) oder Antazida-Einnahme kurz vor Messung können in seltenen Fällen zu Fehlinterpretationen führen (CO2-Blase im Magen).

Die Therapie besteht in der sofortigen Umintubation nach tracheal.

Bei der endobronchialen Intubation gelangt das distale Tubusende in einen der Hauptbronchien oder tiefer. Folge ist zumindest eine einseitige Ventilation mit resultierender pulmonaler Shuntdurchblutung. Die Diagnose kann durch Auskultation gestellt werden, indem in der nichtbelüfteten Lunge das Fehlen von Vetilationsgeräusche festgestellt werden muss.

Die Therapie besteht im kontrollierten Zurückziehen des Tubus unter Beatmung. Das Stethoskop sollte auf der nichtbelüfteten Lunge liegen während der Tubus langsam herausgezogen wird. Beim Auftreten von Atemgeräuschen liegt der Tubus korrekt.

Es sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Thoraxchirurgie und -intensivmedizin Techniken zur endobronchialen Intubation zweckgebunden in Anwendung kommen. Das kann der gezielten Ruhigstellung eines Lungenflügels oder der seitengetrennten Beatmung dienen und somit gewollt sein.

Im letzten Fall kann durch tracheale Verletzung das Tubusende nach paratracheal gelangen. Es handelt sich um ein extrem seltenes Ereignis.

Aspiration von Mageninhalt

Die Aspiration von Mageninhalt ist eine der gefürchtetsten Komplikationen der Narkose.

In der Narkose sind normalerweise die Schutzreflexe erloschen. Dieser Zustand ist erwünscht. Es kann aber unter ungünstigen Verhältnissen dazu kommen, dass sich Mageninhalt passiv in den Rachen entleert und dann passiv in die Luftröhre und Lunge gelangt (Aspiration).

Hierbei können grobe Nahrungsbrocken zur Verlegung der Luftwege führen und die Ventilation beeinträchtigen. Die Folge ist die Ausbildung von Atelektasen, also unbelüftete Lungenabschnitten, die für den Luftaustasch nicht mehr zur Verfügung stehen. Im ungünstigsten Fall kommt es durch große Nahrungbrocken zur Verlegung der Luftröhre (Trachea), womit Atmung und Beatmung unmöglich werden können. Es sind Ventilphänomene beschrieben worden. Diese Komplikation ist akut lebensbedrohlich und muss innerhalb von Minuten behoben werden..

In anderen Fällen kann es bei Aspiration dünnflüssigen Magensaftes zur Verätzung des empfindlichen Lungengewebes kommen. Ursächlich ist der niedrige pH-Wert des Magensaftes. Man spricht von einer chemischen Pneumonitis, die zum ARDS führen kann. Dieses Krankheitsbild ist ebenfalls lebensbedrohlich und führt bei überstandener Krise oft zu Folgeschäden (Lungenfibrose). Die sog. Aspirationspenumonie (Mendelson-Syndrom) erfordert immer Behandlungsmethoden der Intensivmedizin.

Der Vermeidung dient normalerweise die Nahrungkarenz vor Narkosen. So muss jegliches Essen für mindestens 8 Stunden vor Narkosen vermieden werden. Die Einnahme von 150 ml einer klaren Flüssigkeit wird heute meistens in einem Zeitraum bis 4-3 Stunden vor der Narkose als unproblematisch angesehen, wenn es sich um sonst gesunde Patienten handelt.

Im Notfall oder unter besonderen Bedingungen muss das Risiko der Aspiration durch Medikamente (z. B. pH-Wert-Anhebung), bestimmte Narkosetechniken (Crush-Intubation) oder Verwendung von Magensonden und -blockern minimiert werden.

intraoperative Wachzustände (Awareness-Phänomen)

Die Inzidenz wird mit bis zu 2% angegeben, wobei herzchirurgische und gynäkologische Eingriffe besonders häufig genannt werden. Andere Quellen geben eine Inzidenz von 0,02% für Awareness mit Erinnerung und bis zu 80% (!) für Awareness ohne Erinnerungsmöglichkeit an.

Die Ursache liegt in der unzureichenden Narkosemittelbedarfsdeckung des Patienten, sei es durch Schwierigkeiten in der Interpretation der Narkosetiefe (z. B. Einsatz von Muskelrelaxantien, vorbestehender Drogenabusus) oder durch technische Dysfunktionen (z. B. Störungen in der zentralen Gasversorgung).

Als wichtigste Vermeidungsstrategie wird - wo möglich - der Verzicht auf die Anwendung von Muskelrelaxantien angesehen, so können reflexhafte Gliedmaßenbewegungen das drohende Gewahrwerden anzeigen. Andererseits wird der Einsatz von Benzodiazepinen und der kombinierte Einsatz von volatilen Anästhetika empfohlen.

In manchen Einrichtungen wird das Neuromonitoring in Form von EEG- und evoziierte Potentiale-Analysen eingesetzt. Die EP-Analyse scheint dabei Nachteile zu haben, da sie einer Alles-oder-Nichts-Regel zu folgen scheint. Zwischenschritte sind nicht zu ermitteln. Durch EEG-Analyse können demgegenüber Indizes erstellt werden, die unterschiedlich Narkosetiefen verifizieren können. Durchgesetzt hat sich ein numerischer Index von 100 (wach) bis 0 (Nulllinie im EEG) oder alternativ ein Index von A (wach) bis F (Narkose zu tief).

Diese Verfahren sind noch in der Entwicklung. Es gibt aber schon eine Reihe einsatzbereiter Geräte (Narkotrend, BIS) und engagierter Anwender (beispielsweise Narcotrend, siehe Abb. des Narkosegerätes oben).


Siehe auch

Weblinks

Quellen

  1. Lips U.: Monitoring; in Pichlmayr, Jaeger: Kompendium Anästhesiologie; ecomed, 2004, ISBN 3-609-71360-7
  2. Schmidt G. N. et al: Comparative Evaluation of Narkotrend, Bispectral Index and classical electroencephalographic variables during Induction; Maintenance and Emergence of a Propofol/Remifentanil Anesthesia; Anesth Analg 2004;98:1346-53
  3. Übersichtsarbeit Unerwünschte Wachheit während der Narkose.
  4. Apfel C. C. und N. Roewer: Postoperative Übelkeit und Erbrechen, Der Anästhesist 4:2004 S. 377ff


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