Paraplegie

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Paraplegie ist definiert als eine totale Lähmung der unteren Extremitäten oder der oberen Extremitäten. Sie ist das Resultat einer Schädigung des Rückenmarks unterhalb von C4 (Cervikal- Halswirbel Nr. 4), auf Höhe der Brust – oder Lendenwirbelsäule mit Lähmungen der Beinmuskulatur und Verlust des Empfindungsvermögens.

Ursachen

Aufteilung der Ursachen einer Paraplegie

Die Ursachen für eine Paraplegie lassen sich in traumatische und krankheitsbedingte Ursachen aufteilen:

traumatische Ursachen

  • Verkehrsunfälle (40%)
  • Sport- und Spielunfälle (20%)
  • Berufsunfälle (20%)
  • häusliche Unfälle (10%)
  • Suizidversuche/Angriffe (10%)

krankheitsbedingte Ursachen

  • Tumoren (32%)
  • sonstige (z.B. Entzündungen) (25%)
  • neurodegenerative Krankh. (24%)
  • vaskuläre Abweichungen (13%)
  • iatrogene, also von einem Arzt zugefügte Schäden (6%)

Patho-/Physiologie

Paraplegie entspricht einer Unterbrechung des Rückenmarks auf Höhe der mittleren Wirbelsäule (Brustwirbelsäule) und bedeutet motorischer und sensibler Ausfall der unteren Körperhälfte. Die oberen Extremitäten bleiben funktionsfähig und die Atemmuskulatur ist in günstigen Fällen kaum beeinträchtigt.

Die physiologische Übertragung von Reizen erfolgt vom Hirn über das Rückenmark bis in die Organe und Muskeln und auf dem selben Weg wieder zurück. Wird diese Bahn unterbrochen, so können die Organe und Muskeln nicht mehr auf die Befehle des Gehirns reagieren und keine Informationen mehr zurück senden. Ist diese Kommunikation völlig verstummt, spricht man von einer kompletten Läsion. Ist die Leitungsfunktion noch partiell vorhanden, spricht man von einer inkompletten Läsion.

Der Unterbruch kann auf verschiedene Weise geschehen:

  • Verletzung des Rückenmarks: durch Wirbelbrüche (lineare Frakturen, Kompressions- und Trümmerfrakturen) oder Verletzung bei einer ärztlichen Untersuchung oder Therapie.
  • Abklemmen der Nervenbahnen: durch Tumoren, Thrombosen oder Verschiebungen der Wirbel.

Folgen/Symptome

  • willkürkontrollierte Bewegungen sind in den gelähmten Körperarealen nicht möglich (motorische Lähmung)
  • Berührungs-, Schmerz-, Temperatur- und Tiefensensibilität fehlen oder sind herabgesetzt (sensible/sensorische Lähmung)
  • Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion sowie Beeinträchtigung der Sexualfunktion, der Schweissdrüsensekretion und der peripheren Kreislauf- und Temperaturregulation (vegetativen Lähmung)
  • zusätzlich können innersekretorische Störungen mit Elektrolytverschiebungen und Hyperglykämien eintreten.


Komplikationen

Es können verschiedene Komplikationen auftreten, die entweder direkte Konsequenz der Paraplegie oder Folgeerscheinungen sind.

  • Spasmen: die Regulation des Muskeltonus ist gestört, was dazu führt, dass sich der Muskel zu sehr verkrampft. Diese Spasmen verstärken sich meist so sehr, dass es zu einer Verkürzung der Muskeln, sogennannter Kontrakturen kommt.
  • Schmerzen: weil das Hirn keinerlei Signale mehr von den Nerven der unteren Extremitäten mehr erhält, setzt es dies mit Schmerz gleich. Es kommt zum sogenannten Phantomschmerz
  • pathologische Weichteilverknöcherungen: durch die mangelnde Bewegungung kommt es zu Versteifunen in den Gelenken und zu Verknöcherungen der Gelenkknorpel
  • Frakturen: da die Muskulatur keine Signale mehr erhält, bildet sie sich nach zurück. Dies hat zur Folge, dass der darunter liegende Knochen nicht mehr geschützt ist. So kann es auch schon bei leichten Stössen zu Frakturen kommen
  • Thrombosen: durch die fehlende Bewegung wird das Blut in den Extremitäten nur sehr langsam zum Herz zurück geführt, was zur Entstehung von Thrombosen und in der Folge zu einer Embolie führen kann.
  • Dekubitus: diese enstehen durch das lange Liegen des Patienten. Die Gefahr wird zusätzlich verstärkt, da der Patient nicht spürt, wenn er an einer Stelle wundliegt.
  • Pneumonie: auch diese Komplikation entsteht durch das lange liegen. Ist ein Patient zu oft und zu lange in liegender Haltung, wird die Lunge nicht mehr richtig belüftet, was zu einer Pneumonie führt

Therapie

Die Ziele der Paraplegie-Therapie sind:

  • Wiederherstellen der Wirbelsäule:
    • Konservativ: spezielle Lagerung, äussere Stabilisierung
    • Operativ: durch offene/geschlossene Reposition
    • Schrittweise Mobilisierung
  • Erlangen der Selbstständigkeit
  • Reintegration

erste Hilfe

Vakuummatratze zum Transport
Transport eines Verletzten, wenn keine flache Unterlage vorhanden ist

Die Paraplegie-Therapie beginnt nicht erst im Spital; Bereits am Unfallort ist ein korrekter Umgang mit dem Patienten wichtig. Dazu gehört das Vermeiden von:

  • Abrupten Bewegungen
  • Abknicken der Wirbelsäule
  • Stössen und Erschütterungen

Dies wird erreicht durch:

  • einen flachliegend Transport
  • eine Vakuummatratze
  • Sanfte Umlagerung (Schaufeltrage)

Grundsätzlich gilt: den Patienten bei Verdacht auf Rückenmark-Verletzungen nicht anrühren, bis professionelle Hilfe eintrifft. Schwebt der Patient aus anderen Gründen (z.B. Feuer) in Lebensgefahr, so kann er durch mindestens 4-5 Personen auf eine stabile, flache Unterlage (z.B. eine Tür) aus dem Gefahrengebiet getragen werden. Wichtig bei der Umlagerung ist vor allem die Fixierung des Genicks mit zwei Händen.

Fixierung

Im Spital angekommen wird die Wirbelsäule des Patienten je nach Stabilität der Verletzung innerlich und/oder äusserlich stabilisiert:

  • operativ: Die einzelnen Wirbel werden reponiert und danach mit einem Fixateur interne stabilisiert. Wegen des hohen OP-Risikos wird diese Fixatur nicht entfernt. Zur Sicherung trägt der Patient für einige Wochen eine Halskrause oder ein Korsett.
  • konservativ: Die Wirbelsäule wird mit einer Extensionsklammer (Crutchfield-Klammer) gestreckt und so reponiert. Danach wird sie mittels einem Korsett (z.B. Halo-Fixateur) stabilisiert.

Medikamente

Da bei einer Paraplegie Begleiterscheinungen wie Schmerzen oder psychische Störungen auftreten können, wird die Therapie durch Medikamente unterstützt. Sie sollen:

  • Spannungen lösen (Spasmolytika)
  • Schmerzen lindern (Analgetika)
  • die Psyche unterstützen (Psychopharmaka)

längerfristige Therapie

Wichtig ist auch die längerfristige Therapie. Als Beispiel dient die Giger MD©-Therapie. Folgende Punkte werden in einem schwerelosen Zustand trainiert:

  • Gleichgewicht
  • Raumgefühl
  • Koordination

Die Vorteile dabei sind:

  • Mobilisation ist ohne Belastung möglich
  • Spastiken werden verringert; dadurch sind auch weniger Antispastika nötig
  • die Haut wird besser durchblutet

Prognosen

Der langfristige Verlauf ist deutlich abhängig vom Versorgungsniveau bei der Rettung, dem Transport und der klinischen Erstversorgung, die möglichst bereits in einem spezialisierten Zentrum erfolgen soll.

Eine vorsichtige Prognose kann frühestens nach etwa 6-8 Wochen abgegeben werden und muss den bisherigen Lähmungsverlauf miteinbeziehen. Je kompletter die Ausfälle bei Lähmungseintritt und je früher die Reinnervationen beginnen, desto günstiger ist die Gesamtprognose und umgekehrt. Rückenmarksverletzungen könne bis heute nicht rückgängig gemacht werden. Eine Vielzahl von Therapien soll jedoch ein möglichst unabhängiges Leben ermöglichen. Nachdem in den letzten 25 Jahren die adäquate medizinische Versorgung im Vordergrund stand, wird seit 10-15 Jahren eine zielgerichtete Forschung im Bereich des Rückenmarkstraumas betrieben. Forscher gehen davon aus, dass eine Behandlung von Rückenmarksverletzungen beim Menschen stets eine Kombination von Stimulation und Regeneration auf molekularer Ebene und motorischem Training ist.

Pflege

Auflistung nach den LAs, bzw. ATLs (nach Roper bzw. Juchli)


Atmen

Probleme:

  • vermindertes Atemvolumen
  • unregelmäßige Atemfrequenz

=> Pneumoniegefahr!

Maßnahmen: atemunterstützende Lagerungen etc.

Ausscheiden

Probleme:

  • Störung der Blasenentleerungsfunktion
  • Störung der Darmentleerungsfunktion

=> Inkontinenz

Maßnahmen: allgemeine Maßnahmen bei Inkontinenz, ev. Arbeiten an einem Wiedererlangen der Fähigkeiten, Unterstützung in der Handhabung

Sich bewegen

Probleme:

  • willkürlicher Muskelbewegung (je nach Lähmungsgrad!)
  • Rollstuhlabhängigkeit

Maßnahmen: Unterstützung in der Mobilisation (z.B. nach Kinästhetik). Psychische Unterstützung im Annehmen der Situation

Schlafen:

Probleme:

Maßnahmen: grundsätzliche Maßnahmen, psychische Unterstützunge, Behandlung der Ursachen

sich sauber halten und kleiden

Probleme:

  • starke Einschränkung wegen Teilimmobilität

Maßnahmen: Unterstützung beim Ankleiden, jedoch nur dort, wo es nötig ist => Selbständigkeit des Patienten fördern!

Regulieren der Körpertemperatur

Probleme:

  • Störungen der Wärmeregulation

Maßnahmen: bei Schwitzen: Patient regelmässig erfrischen, evtl. ständig feuchten Lappen bereit legen; bei Frieren: auf genügende Isolierung durch Decken achten, warme Getränke anbieten

Für eine sichere Umgebung sorgen

Probleme:

  • Durch die eingeschränkte Mobilität verminderte Einflussnahme auf Umgebung

=>Unsicherheit statt Kontrolle!

Maßnahmen: Umgebung so gestalten, dass der Patient möglichst selbständig seinen Tagesablauf gestalten kann; Utensilien wie Lektüre, Zwischenverpflegung, Klingel, etc. in Reichweite legen; zudem: bei Transfer/Umlagerung auf Sicherheit achten, Patient eventuell zu zweit mobilisieren

sich als Frau & Mann fühlen

Probleme:

  • sexuelle Funktionsstörungen beim Mann:
    • Erektionsstörungen / Impotenz
    • Ejakulationsstörungen
    • Orgasmusstörungen
  • sexuelle Funktionsstörungen bei der Frau:
    • Sensibilitätsstörungen => Verlust sexueller Erlebnisfähigkeit
    • Menstruationsstörungen

Die Frau bleibt jedoch fruchtbar!

Maßnahmen: Dem Patienten Platz für Intimität mit dem Partner schaffen, Gespräche anbieten, Partner miteinbeziehen; Wichtig zudem bei der Körperpflege: Intimbereich schützen!

Arbeit und Spielen

Probleme:

  • durch die Rollstuhlabhängigkeit eingeschränkte Möglichkeiten von Berufs- , sowie von Spiel- und Sportmöglichkeiten

Maßnahmen: Möglichkeiten zu Zeitvertreib und/oder Arbeit schaffen; Brett- und Kartenspiele bereitstellen, auf speziell für Paraplegiker ausgerichtete Aktivitäten aufmerksam machen wie z.Bsp. die Arbeit an einem Computer. Es gibt mittlerweile sehr ausgereifte technische Lösungen wie die Integra-Maus. Dieses Gerät funktioniert als Mausersatz und kann mit dem Mund bedient werden. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten, wenn auch oft erst nach einem Einspruch und einem Schreiben durch medizinisch geschultes Personal über die Notwendigkeit dieses Hilfmittels.

Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Astrophysiker Stephen Hawking.


Sinn finden im Werden, Sein und Vergehen

Probleme:

  • Psychische Belastung durch
    • Gestörtes Körperbild; besonders der gelähmten Körperpartie
    • Angst vor Ekel und Ablehnung durch Ausscheidungskompli-kationen
    • Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste
    • Probleme bei sozialen Kontakten (eigene, Probleme anderer wahrnehmen), der Partnerfindung
    • Ablehnende Haltung der Gesellschaft

Maßnahmen: psychologische Betreuung durch Gespräche, den Patienten über Selbsthilfegruppen informieren, dem Patienten das Gefühl von Mitbestimmung vermitteln => Patient soll seinen Tagesablauf oder ähnliches mitbestimmen dürfen, Information über Therapie, usw.

==> Beinahe alle LA’s (bis auf 3) sind von der Paraplegie betroffen!!!

Weblinks

vielleicht Hinweise auf spezialisierte Behandlungszentren aufnehmen.

Das wären gute Arbeitsplätze zur Fortbildung und aus Betroffenensicht Referenzstellen für eine "zweite Meinung" bei allen Fragen.

verwendete Literatur

  • Thiemes Pflege, 10. Auflage, Seiten 859-868
  • Querschnittlähmung: Behandlung, Pflege und Rehabilitation, Hesselbarth, 1990
  • Chirurgie für Pflegeberufe, Paetz und Benzinger-König, 2000
  • Pflegeleitfaden, Rehabilitative Methoden, Urban und Schwarzenberg, 1998
  • Paraplegie, Zeitschrift der schweizerischen Paraplegiker-Stiftung, 101. Ausgabe, März 2002