Pflegetheorie
Geschichtliche Entwicklung
Als Vorreiterin zum theoretischen Denken in der Pflege kann Florence Nightingale angesehen werden. Die Theorieentwicklung in der Pflege kam jedoch mit der Akademisierung der Pflege in den USA, ab der Mitte des 20. Jahrhunderts erst in Gang.
Die Theoriewelle im angloamerikanischen Raum wurde durch die verbesserte Ausbildung der Pflegenden dort ausgelöst, die auch bessere Lehrbücher und eine wissenschaftliche Grundlegung der Pflege, unabhängig von rein medizinischem Wissen notwendig machten. Die Pflegetheoretikerinnen dieser ersten Generation versuchten den Erkenntnisbereich Pflege als Ganzes, in großen, umfassenden Theorien (sogenannte Grand theories) und Definitionen zu erfassen. Sie machten sich dabei zu den folgenden Fragen Gedanken:
- Was ist Pflege?
- Aus dieser Frage entstanden die zahlreichsten Definitionen.
- Wer pflegt?
- Pflegeausbildung und Qualifikation im Zusammenhang mit Motivation, Rolle der Pflegenden in verschiedenen Umgebungen
- Beruf, Berufsbild – Familienpflege, gesellschaftliche Bedeutung
- Grenzen der Belastbarkeit, Ethik, Gesundheitssystem
- Was tut Pflege?
- Zur Klärung dieser Frage formulierten die ersten Pflegetheoretikerinnen Entwicklungs- oder Bedürfnistheorien. Sie gehen davon aus, dass die Aufgabe der Pflege darin liegt, Menschen bei ihrem Streben nach Reife, Wachstum und Unabhängigkeit zu unterstützen. Dies entspricht einem humanistischen Weltbild.
- u. a. Theorien von Faye Abdellah, Virginia Henderson, Dorothea Orem und Nancy Roper
- Was wird von ihr erwartet?
- Wie tut sie es?
- Bei Interaktionstheorien steht die Frage der Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden im Mittelpunkt des Interesses.
- u. a. Theorien von Ida Jean Orlando, Imogene King und Watson
- Was kann mit Pflege bewirkt werden?
- Diese Frage stellt Pflege in einen größeren Zusammenhang und führt unter anderem zu der gesellschaftlichen Bedeutung von Pflege.
- Sie wurde in sogenannten System- oder Ergebnistheorien dargestellt.
- u. a. Theorien von Callista Roy und Marie-Luise Friedemann
Die Bedeutung der ersten Pflegetheorien
Eine Pflegetheorie schafft einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Pflegepraxis. Das bedeutet, dass sie ein theoriegeleitetes Arbeiten ermöglicht. Abgesehen von dem individuellen Pflegeverständnis (Ein individuelles Pflegeverständnis), das jede Pflegekraft in ihrem Berufsleben gewinnt, ist die Einigung auf eine bestimmte Sichtweise (die Perspektive, die eine bestimmte Pflegetheorie vermittelt) im Team hilfreich, um sich überhaupt zu verständigen. Ohne eine Pflegetheorie (die immer einen hohen Abstraktionsgrad aufweist) und ihre dazugehörigen Pflegemodelle (das sind graphische Darstellungen oder in Form einer mathematischen Formel abgebildete Teiltheorien auf einer mittleren Abstraktionsebene) und -handlungskonzepte (das sind Instrumente auf einer niedrigen Abstraktionsebene)ist Pflegeplanung unmöglich. Eine Pflegetheorie bietet quasi das Schloss mit dem passenden Schlüssel, um Pflege zu beschreiben.
Bei der Auswahl einer geeigneten Pflegetheorie für einen bestimmten Arbeitsbereich ist es unbedingt notwendig, sich mit verschiedenen Theorien auseinanderzusetzen und sie zu vergleichen - das schließt auch das Lesen der Originalliteratur ein. Sie lassen sich gut mit den sogenannten Metaparadigmen voneinander unterscheiden. Besonders empfehlenswert ist auch, unterschiedliche Theorien zu kombinieren, um eine breitere Perspektive zu ermöglichen. Dabei sollten solche ausgewählt werden, die sich nicht gegenseitig widersprechen. Weniger empfehlenswert ist die gängige Praxis, anerkannte Pflegetheorien mit dem persönlichen Pflegeverständnis anzureichern oder einzelne Teile einer Pflegetheorie für die Darstellung des persönlichen Pflegeverständnisses zu nutzen. Diese Praxis lässt sich dann für andere Pflegende schwer nachvollziehen, solange es keine ausführlichen, schriftlichen und veröffentlichten Belege dafür gibt.
Neue Entwicklung von Pflegetheorien
Eine Pflegetheorie muss sowohl die Praxis anleiten, als auch für die Wissenschaft von Bedeutung sein. Diesem Anspruch wird keine der bisherigen "Pflegetheorien" gerecht. Sie müssen daher als konzeptionelle Pflegemodelle gesehen werden (siehe Theoriebildung in der Pflegewissenschaft).
Die Pflegewissenschaft hat mittlerweile ihren Schulenstreit beigelegt und ist sich weitgehend darüber einig (wie in anderen Wissenschaftsbereichen auch), dass es keine Theorie geben kann, die den Erkenntnisbereich Pflege vollständig beschreiben kann. Die Theoriebildung der ersten Generation ist heutzutage weitgehend abgeschlossen. Die Pflegewissenschaft bildet derzeit kleinere Theorien, die sich auf verschiedene Teilbereiche der Pflege beziehen. Solche Theorien stehen mit emprischer Pflegeforschung im Zusammenhang und sind nicht mehr nur eine gedankliche Zusammenfassung der Pflegepraxis, wie die großen Theorien, die sich quasi dem Kern der Pflege nähern wollten. Beispielsweise ermöglicht die Entwicklung von Expertenstandards eine wissenschaftlich fundierte Pflegepraxis. Eine anderer, vielversprechender Bereich der Pflegeforschung befasst sich mit der Lebenswelt von Pflegebedürftigen, um daraus Handlungsempfehlungen für die Praxis abzuleiten.
siehe auch
- Theoriebildung in der Pflegewissenschaft - Abgrenzung Pflegemodell - Pflegekonzept - wissenschaftlicher Theorie-Begriff
- Nutzen_von_Pflegetheorien
- historische Phasen auf dem Weg zur Pflegetheorie - historische Meilensteine in der Theorieentwicklung
- Theorieanalyse
- Pflegetheorie Orem (Schlüsslebegriffe)
- Pflegetheorie Peplau (Schlüsslebegriffe)
- Sammlung von Hausarbeiten zu Pflegetheorien
Literatur
- Meleis, A. I. (1999) Pflegetheorien. Gegenstand, Entwicklung und Perspektiven des theoretischen Denkens in der Pflege, Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, ISBN 3-456-82964-7
- Schäffer, E. et al (1997) Pflegetheorien. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle
- Fawcett, J. (1996) Pflegemodelle im Überblick. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle
- Marriner-Tomey, A. (1992) Pflegetheoretikerinnen und ihr Werk. Recom Verlag, Basel
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