Schmerzerfassung bei sedierten und maschinell beatmeten Patienten

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Hintergrund

Schmerz ist ein verbreitetes und wegen seiner häufig hohen Intensität auch schwerwiegendes Problem. Besonders schwerkranke Patienten machen während ihres Intensivstationsaufenthaltes Schmerzerfahrungen. Unter den beatmeten Patienten leiden fast 50% an Schmerzen und das, obwohl sie eine sedierende und analgetische Therapie erhalten (6). Ein Grund für die Unterversorgung von Schmerzpatienten ist eine inadäquate Gabe von Schmerzmitteln aufgrund mangelnden Wissens und falscher Ansichten seitens der Ärzte, Pflegenden und Patienten (2). Ein weiterer Grund für inadäquates Schmerzmanagement ist, dass bei der Einschätzung der Schmerzintensität Schmerzskalen nur sehr selten angewendet werden. Eine Ursache hierfür könnte die Schwierigkeit der Schmerzerfassung bei beatmeten und sedierten Patienten und die Unwissenheit über Schmerzerfassungsinstrumente sein.

Probleme der Schmerzerfassung bei Intensivpatienten

Intensivpatienten leiden häufig wegen ihrer Erkrankung, invasiven Eingriffen oder Verletzungen an Schmerzen und physischen Beschwerden. Diese können außerdem durch therapeutische Maßnahmen wie Katheter, Drainagen, maschinelle Beatmung sowie endotrachealer Intubation und pflegerischen Maßnahmen wie Absaugen der Atemwege, Physiotherapie, Mobilisation und Verbandswechsel noch verstärkt werden (4). Schwerkranke Intensivpatienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit sind aufgrund von Sedierung, endotrachealer Intubation oder maschineller Beatmung besonders gefährdet, mit ihren Schmerzen unerkannt zu bleiben. Daher ist die Schmerzeinschätzung in dieser Patientengruppe für Pflegende eine enorme Herausforderung.

Verschiedene Möglichkeiten zur Schmerzeinschätzung stehen bei nicht kommunikationsfähigen Patienten zur Verfügung. So können nonverbale Schmerzanzeichen wie Mimik, Lautbildung und verhaltensbezogene Merkmale beobachtet werden. Des Weiteren gibt es noch die Möglichkeit der Fremdeinschätzung durch Professionelle oder Angehörige. Jedoch unterschätzen Pflegende und Ärzte häufig die Schmerzintensität, während Angehörige die Schmerzzustände oft überbewerten. Fehleinschätzungen des Schmerzzustandes und die daraus resultierenden unbehandelten Schmerzustände können erhebliche Folgen für den Genesungsprozess des Patienten haben. Starke Schmerzen belasten die Atmung und das Herzkreislaufsystem und können die Wundheilung verzögern. Die Folgen sind vermehrte Beatmungstage und eine Verlängerung der Immobilität. Damit erhöhen sich auch das Thrombose- und Pneumonierisiko (5). Neben der unzureichenden medikamentösen Schmerztherapie besteht auch die Gefahr der Überdosierung von Analgetika durch Fehleinschätzung des Schmerzzustandes. Beides führt zu einer längeren Beatmungsdauer, erhöht die Morbidität und verlängert den Aufenthalt auf der Intensivstation und in der Klinik. Dadurch entstehen nicht nur unnötige Kosten für das Gesundheitssystem, sondern auch für Patienten und ihre Angehörigen(2).

Es gibt einige Überlegungen, wie sich Schmerzen bei beatmeten und sedierten Patienten erfassen lassen. So können Veränderungen physiologischer Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Schweißsekretion und Pupillengröße Schmerzreaktionen sein. Diese Parameter weisen jedoch bei kritisch kranken Patienten eine hohe Variabilität auf und können durch Medikamente sowie Umgebungseinflüsse wie Lärm und Licht beeinflusst sein (6). Auch verhaltensbezogene Parameter können zur Schmerzerfassung genutzt werden. Dazu zählen Körperbewegungen, Gesichtsausdruck und Körperhaltung. Jedoch können sedierende Medikamente die Ausdrucksmöglichkeiten der Patienten beeinflussen. Je nach Wirkstoff wirken diese Medikamente Angst lösend, beruhigend, Muskel relaxierend, hypnotisch oder Schlaf erzeugend und können die sichtbaren Anzeichen von Schmerzen überdecken (4). Ebenso können biochemische Parameter wie Plasma-Beta-Endorphine wichtige Hinweise zum Schmerzempfinden liefern. Für die Schmerzeinschätzung im klinischen Alltag sind sie aber ungeeignet, da die Ergebnisse durch die diagnostischen Verfahren zeitlich verzögert vorliegen (5). Die Anwendung apparativer Messmethoden, insbesondere EEG-Monitoring, wird bei noch bestehendem Forschungsbedarf nicht empfoh-len (1). Das EEG- Monitoring wird aber als wichtige Option bei tiefer Sedierung (ab RAMSAY-Score von 5) genannt (1).

Schmerzerfassungsinstrumente

Zu den Schmerzerfassungsinstrumenten zählen Skalen, die die Schmerzintensität erfassen. Mittels Skalen kann der Schmerz in Zahlen übertragen werden. Skalen zur Messung der Schmerzintensität sind die Verbale Rating Skala (VRS), die Numerische Rating Skala (NRS), die Visuelle Analogskala (VAS) und die Wong-Baker Skala (2). Für jede dieser Skalen ist die Mitarbeit des Patienten notwendig und demzufolge für beatmete und sedierte Patienten ungeeignet.

Systematische Schmerzerfassung

Zur systematischen Schmerzerfassung gibt es eindimensionale und mehrdimensionale Assessment-Instrumente. Im folgenden Kapitel werden diese Schmerszerfassungsinstrumente vorgestellt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Schmerzerfassungsinstrumenten

Zu den eindimensionalen Assessment-Instrumenten zählen die Postanesthesia Care Unit Behavioral Pain Rating Scale (PACU-BPRS), die Behavioral Pain Scale (BPS) sowie das Critical Care Pain Observation Tool (CPOT)(5).

Die Postanesthesia Care Unit Behavioral Pain Rating Scale basiert auf vier verhaltensbezogenen Parametern (Ruhelosigkeit, Muskeltonus, Grimassieren, vokale Äußerungen). Die Intensität dieser Parameter wird mit Punkten von 3 (sehr stark) bis 0 (nicht vorhanden) von Pflegenden bewertet. Die PACU-BPRS ist noch nicht an intubierten postoperativen Patienten getestet worden (5).

Die Behavioral Pain Scale (BPS) besteht aus drei verhaltensbezogenen Parametern (Gesichtsausdruck, Bewegung der oberen Extremitäten und Compliance mit der maschinellen Beatmung). Diese Parameter werden auf einer Skala von 1 bis 4 bewertet. BPS wurde in einer Studie an 30 maschinell beatmeten Patienten einer Intensivstation untersucht. Dazu wurden die Patienten einer nozizeptiven Gruppe (nozizeptive Interventionen: intratracheales Absaugen, Mobilisation) und einer nichtnozizeptiven Gruppe (nichtnozizeptive Interventionen: Kompressionsstrümpfe anziehen, Verbandswechsel des zentralen Venenkatheters) zugeteilt und miteinander verglichen. Zusätzlich zur Schmerzerfassung mittels BPS wurde mit Hilfe der Ramsay-Skala die Sedationstiefe erfasst. Die Patienten in der Gruppe mit den nozizeptiven Interventionen hatten einen signifikant höheren Schmerzwert als die Patienten in der Gruppe mit den nichtnozizeptiven Interventionen. Die BPS wird von den Autoren als ein zuverlässiges sowie valides Instrument beschrieben und sie gehen davon aus, dass es sich um ein sensibles Instrument für die Einschätzung von Schmerzen handelt. Jedoch ist ein geringer Schmerzwert bei stark sedierten Patienten problematisch und es stellt sich die Frage, ob die Einschätzung anhand dieser drei verhaltensbezogenen Parameter bei tief sedierten Patienten ausreichend ist (6). Die BPS wird in Deutschland bereits angewendet.

Das Critical Care Pain Observation Tool (CPOT) ist eine Modifikation der BPS. Die Schmerzustände werden dabei an fünf verhaltensbezogenen Parametern (Gesichtsausdruck, Körperbewegungen, Muskeltonus, Compliance mit der maschinellen Beatmung und vokalen Äußerungen) erfasst. Die Beschreibung der Intensität erfolgt über eine dreistufige Skalierung von 0 bis 2. In einer Studie (3), mit 55 Patienten einer Intensivstation, davon 30 wache, beatmete Patienten und 25 bewusstlose, beatmete Patienten wurde COPT getestet. Dabei wurden eine nozizeptive Intervention (Lagerung) und eine nichtnozizeptive Intervention (Blutdruckmessung) durchgeführt. Die Schmerzerfassung mit COPT erfolgte vor der Intervention, während der Intervention und 20 Minuten danach. Ergebnis der Untersuchungen war, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen den Interventionen gab. Der Schmerzwert bei der Lagerung war höher als beim Blutdruckmessen. COPT wird von Autoren als zuverlässig und valide beschrieben. Bei der Validität wird eine Sensitivität von 66,7% und eine Spezifität 83,3% angegeben. Die Autoren beschreiben COPT als ein reliables und valides Instrument, jedoch war die Anzahl der Teilnehmer sehr gering und es bedarf noch weiterer Forschung, um die Ergebnisse von COPT auch auf spezielle Patientengruppen, z.B. neurochirurgische Patienten, übertragen zu können (7). COPT ist ein Instrument aus Frankreich, und die englische Version wurde in einer Studie (3) untersucht. Eine deutsche Übersetzung konnte nicht identifiziert werden.

Zu den Mehrdimensionalen Schmerzerfassungsinstrumenten zählen das Pain Assessment Tool, das Pain Assessment and Intervention Notation Tool (P.A.I.N.) und die Pain assessment Scale (NVPS/nonverbal pain scale).

Das Instrument Pain Assessment Tool misst die physiologischen Parameter (Blutdruck, Herzfrequenz, Schwitzen, Pupillendilatation) und die verhaltensbezogenen Parameter (Mimik, spontane Körperbewegungen). Eine zehnstufige Skalierung misst die Schmerzintensität. Eine erste Evaluation bei Intensivpflegepatienten zeigte, dass das Instrument zur Schmerzerfassung hilfreich und nützlich ist. Zur Validität, Reliabilität und der praktischen Anwendung gibt es keine Angaben (5).

Bei dem Pain Assessment and Intervention Notation Tool (P.A.I.N.) werden physiologische Parameter (Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz, Schwitzen sowie Blässe) und verhaltensbezogene Parameter (Körperbewegungen, Gesichtsausdruck sowie Haltung) erhoben. Auf einer visuellen Analogskala wird die Schmerzintensität durch Einschätzung dieser Parameter von 0 bis 10 ermittelt. Außerdem wird mit Hilfe der Ramsay-Skala die Sedationstiefe eingeschätzt und es erfolgt eine Selbsteinschätzung durch die Patienten mittels numerischer Ratingskala. Dieses Schmerzerfassungsinstrument ermöglicht Pflegenden eine systematische Herangehensweise bei der Schmerzerfassung. Außerdem werden beeinflussende Faktoren, wie die Sedationstiefe, berücksichtigt, was eine wichti-ge Vorraussetzung für ein sicheres Schmerzmanagement bei sedierten und maschinell beatmeten Patienten darstellt. Allerdings wurde dieses Instrument nur an ansprechbaren Patienten getestet. Für die pflegerische Praxis wurde P.A.I.N. als zu detailliert und zeitaufwendig beurteilt (5).

Die Pain assessment Scale (NVPS/nonverbal pain scale) ist eine Modifikation des Schmerzerfassungsinstruments FLACC (face, legs, activity, cry, consolability) aus dem pädiatrischen Bereich. Bei erwachsenen Intensivpflegepatienten sollen die physiologischen Parameter (Blutdruck, Herzfrequenz, Hauttemperatur, Pupillendilatation, Schwitzen und Blässe) und verhaltensbezogene Parameter (Mimik, Körperbewegungen und Schutzverhalten) gemessen werden. Die Intensität dieser Parameter wird auf einer Skala von 0 bis 2 erfasst. In einer Pilotstudie wurde dieses Instrument an 59 Intensivpatienten, die nicht in der Lage waren, sich verbal zu äußern, getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass die physiologischen Parameter Blutdruck und Puls einen signifikanten Einfluss auf den Gesamtscore haben. Die Parameter Hauttemperatur, Pupillendilatation, Schwitzen und Blässe haben dagegen keinen Einfluss auf den Gesamtscore (5).

Schlussfolgerung

Zur Schmerzerfassung sedierter und maschinell beatmeter Patienten stehen ein- und mehrdimensionale Instrumente zur Verfügung. Die hier dargestellten Instrumente sind nicht alle für sedierte und beatmete Patienten geeignet oder wurden bisher nur an bestimmten Intensivpatientengruppen eingesetzt und getestet, sodass allgemeingültige Aussagen für alle Intensivpatienten nicht möglich sind. Keines dieser Instrumente verfügt über ausreichende Validität und Reliabilität und nicht alle Instrumente wurden auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft. Die derzeit verfügbaren Schmerzerfassungsinstrumente sind für Pflegende nur bedingt von Nutzen, da sie bei sedierten und beatmeten Patienten mehrheitlich nicht validiert wurden. Außerdem eignen sie sich nur für leicht bis moderat sedierte Patienten. Somit bleibt offen, wie Schmerz bei tief sedierten Patienten erfasst werden kann. Pflegende sollten bei der Anwendung von Schmerzerfassungsinstrumenten deren Vor- und Nachteile kennen, um nicht aus den Ergebnissen falsche Schlüsse zu ziehen. Vorteile von Schmerzerfassungsinstrumenten sind die systematische Herangehensweise bei der Schmerzerfassung als Basis für eine adäquate Schmerzbehandlung und die gleichzeitige Eignung für eine Therapieevaluation. Nachteil ist, dass es noch keine ausreichenden Belege dafür gibt, dass Schmerzen tatsächlich mit diesen Instrumenten erfasst werden können und dadurch auch die Gefahr der Fehleinschätzung besteht. Fakt ist, dass es sehr schwierig ist, das Phänomen Schmerz durch Skalen zu erfassen, deshalb sollten die bis-herigen Schmerzerfassungsinstrumente nicht als „Goldstandard“, aber als wegweisend gesehen werden.

Literaturverzeichnis

1. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF online), Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI): Sedierende und analgetische Therapie im Rahmen der Intensivmedizin (2005) online hier

2. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege (2004)

3. Gélinas C, Johnston C: Pain Assessment in the Critically Ill Ventilated Adult: Validation of the Critical – Care Pain Observation Tool and Physiologic Indicators. The Clinical jour-nal of pain 23 (6): 497-505 (2007)

4. Jacobi J et al.: Clinical practice guidelines for the sustained use of sedatives and analgesics in the critically ill adult. Critical care medicine 30 (1): 119-141 (2002)

5. Jeitziner MM, Schwendimann R: Schmerzerfassung bei sedierten und maschinell beatmeten Patienten: Eine systematische Literaturanalyse. Pflege 19: 335-334 (2006)

6. Payen JF et al.: Assessing pain in critically ill sedated patients by using a behavioural pain scale. Criticale care medicine 29 (12): 2258-2263 (2001)

7. Young J et al.: Use of Behavioral Pain Scale to assess pain in ventilated, unconscious and/or sedated patients. Intensive and Critical Care Nursing 22: 32-39 (2006)

siehe auch

Expertenstandard Schmerzmanagement, Schmerzfreies Krankenhaus, Schmerzmanagement