Selektive Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 30. Januar 2014, 20:53 Uhr

Selektive Wahrnehmung bedeutet, daß bewußt nur bestimmte Inhalte wahrgenommen werden, und zwar aufgrund von Wünschen oder bisher gemachten Erfahrungen. Selektive Wahrnehmung hat also ein Ziel und eine Funktion.

Funktion

Der evolutionäre Vorteil des Menschen beruht auf seiner enormen Anpassungsfähigkeit. So wie sich Muskeln auf bestimmte Lebensumstände einstellen, indem sie bei schwerer körperlicher Arbeit größer werden oder aber bei häufiger Ausdauertätigkeit eben ausdauernder, so stellt sich auch das Gehirn auf Lebensumstände in seiner Arbeitsweise ein. Ziel dieser Anpassung ist immer, daß der Mensch so gut wie möglich in seiner Umgebung zurecht kommt, sprich überlebt, indem er Gegebenheiten früh genug bemerkt und den Anforderungen gerecht wird. Um also ein adäquates Handeln zu ermöglichen, werden bewußt nur Dinge wahrgenommen, die zu einer bereits erfahrenen Situation oder zu vorhandenen Wünschen passen, alles andere wird ausgeblendet. Es ist dabei zweitrangig, ob diese Dinge angenehm oder unangenehm sind, Hauptsache ihre Wahrnehmung trägt zu einem auf Erfolg ausgerichteten Handeln bei. Das Gehirn hält das, was es als wahrgenommen gemeldet kriegt, für die Wahrheit, sei diese nun negativ besetzt oder positiv, und so stellt es seine Arbeitsweise darauf ein, auf daß die Situation erfolgreich bewältigt wird.

Das Gehirn ist ständig damit beschäftigt, das Wahrgenommene in Einklang mit bisher Erfahrenem zu bringen, kurz: zu verarbeiten. Dieser Einklang vermittelt das Gefühl von Sicherheit. Und um diese Sicherheit nicht zu gefährden, wird oft auch das nicht wahrgenommen, was sie gefährden könnte. Selektive Wahrnehmung trägt also nicht nur dazu bei, bereits Erlerntes zu verbessern und zu verfeinern, sondern sorgt auch dafür, daß dabei störende Informationen nicht durchdringen.

Wird tatsächlich etwas wahrgenommen, was dem Erlernten oder der Auswertung von etwas bereits Erlebtem widerspricht, kommt es zu einer kognitiven Dissonanz. Mit ihr droht das feste Bild, was sich ein Mensch gemacht hat, um in der Welt zurecht zu kommen, zu zerbrechen. Das bedeutet Unsicherheit und somit Gefahr, denn die Strategien, die diesen Menschen erfolgreich überleben ließen, sind damit nicht mehr sicher. Entweder der Mensch ist fähig, das neu Erfahrene zu integrieren und alte Vorstellungen zu korrigieren, oder aber er wird das neu Erfahrene leugnen.

Die selektive Wahrnehmung verhindert eine kognitive Dissonanz. Das Leben eines Menschen mag angenehm sein oder nicht, Hauptsache, er kommt darin zurecht. Die selektive Wahrnehmung ist somit die Anpassung der Wahrnehmung an die Umwelt, um ein optimales Handeln darin zu ermöglichen. Und schon im kleinen greift sie: so wird an einem attraktiven möglichen Partner zunächst nur das Positive wahrgenommen. Würde man am Anfang auch das Negative sehen, wäre die Menschheit vermutlich schon längst ausgestorben... Auf sehr kluge Art zwar, aber dennoch.

Gefahr

So sinnvoll eine selektive Wahrnehmung also ist, da ansonsten ein Mensch immer wieder eine bereits bekannte Situation neu erschließen und auswerten müßte, so gefährlich kann sie allerdings auch sein, weil sie auch außerhalb der betreffenden oder auslösenden Situation vorhanden bleibt. Eine selektive Wahrnehmung ist nicht objektiv und entspricht in gewisser Weise auch nicht mehr "der Realität", sondern der Realität des Einzelnen. Wenn sich der Betreffende also vorrangig mit negativen Dingen beschäftigen muß, kann es sein, daß er irgendwann das ganze Leben als etwas Negatives sieht, da sich seine Wahrnehmung entsprechend eingestellt hat und nur noch jene negativen Erlebnisse als Erfahrungen durchläßt, um besser in der Lebenssituation bestehen zu können. Gemäß seiner Wahrnehmung hält der Betreffende das Erlebte dann für "normal", obwohl der Lebensbereich, durch den diese selektive Wahrnehmung entstand, vielleicht nur ein Bruchstück vom gesamten Leben darstellt und es, objektiv gesehen, nicht normal ist. Selektive Wahrnehmung blendet also auch Nützliches aus anderen Lebensbereichen aus, genauso vielleicht auch Gefährliches. Meist nimmt sie jedoch beim Abstand zum Moment, der selektieren läßt, mit der Dauer ab.

Wem also im Freibad während des Freis alle 8 versammelten Beinnarben nach ACVB-Operation auffallen, der hat mit Sicherheit eine selektive Wahrnehmung entwickelt. Diese selektive Wahrnehmung bringt ihm oder ihr in diesem Moment zwar überhaupt nichts, aber der Organismus hat sich darin, was wichtig ist, wahrzunehmen, auf die Lebensumstände bereits eingestellt, und daher ist es völlig wurscht, ob es jetzt gerade Sinn macht oder nicht.

siehe auch