Umgang mit der Presse bei Gewalt in der Pflege

Aus Familienwortschatz
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Auch in einer krisenhaften Situation sollte die Leitung einer Pflegeeinrichtung professionellen Umgang mit der Presse halten - auch bei Gewalt in der Pflege.

In so einer Sitaution fragen sich Verantwortlich: Was veröffentlichen? Was lässt sich unterm Teppich halten?


Gewalt in der Pflege: Wie sollten Leitungen und Träger dann mit der Presse umgehen?

Von Carsten Tesch

Ein Pfleger hat eine Frau mit einem Fön misshandelt. Sie hat Verbrennungsmale am ganzen Körper. Schwer geistig behindert kann sie nicht erzählen, was ihr widerfahren ist. Pflegerinnen und Hausarzt rätseln wo die kreisrunden Flecken herkommen. Ein Vermerk in der Dokumentation bringt die Heimleitung schließlich auf die Spur des Pflegers. „Haare gewaschen und gefönt“. Das Fönen wird in dem Heim eigentlich nicht gesondert vermerkt. Der Mann verstrickt sich in Widersprüche. Schließlich sagt er: „Sie hat so gelacht.“ Heimleitung und Träger reagieren sofort. Sie rufen die Polizei, informieren MDK und Heimaufsicht, erstatten Anzeige, sprechen kurzfristig eine Verdachtskündigung aus. Die Heimaufsicht untersucht den Fall und die Verhältnisse in dem Haus.

Vier Monate später wird das Landessozialministerium auf Anfrage einer dpa-Journalistin erklären, dem Heim sei kein Vorwurf zu machen. Zuvor waren wir als Pressevertreter des Trägers gefragt worden, ob wir den Vorfall vom Frühjahr bestätigen könnten. Die Journalistin war gut informiert. Wir hatten damals mit dem Träger entschieden, den Fall nicht zu veröffentlichen. Nun geht die Geschichte durch alle Regionalmedien. „Warum haben Sie den Fall nicht veröffentlicht?“ Das ist keine Frage, das ist ein Vorwurf. In den Augen der Journalisten hat der Träger den Fall verheimlicht. Die Gewichte in der Story verschieben sich. Der Träger hat sich verdächtig gemacht, ist er nicht doch mitverantwortlich?

Muss die Altenpflege Fälle von Gewalt in der Pflege nicht nur den Behörden sondern auch von sich aus der Presse melden? Schwierige Frage. Straftaten, wie hier beschrieben, sind selten. Was sagen sie über das heikle Thema Gewalt in der Pflege? Sind es Einzelfälle von Menschen, in einer ganz persönlichen Verstrickung oder sind sie exemplarisch für die Verhältnisse in der Altenpflege? Das Problem ist, dass es darum in den Nachrichten nicht geht. Nachrichten können nur schwer das Sowohl-als-auch erzählen. Sie sind zumeist einfache Botschaften, die mit dem Finger zeigen. Der Nachrichtenwert steigt mit dem Moralanteil. Die Föngeschichte dagegen ist ein Drama. Ein wehrloser Mensch wird das Opfer eines Pflegers, der selbst schwach und beladen durch das Leben stolpert. Eine Geschichte voller schaurig-abgründiger Details über die „Menschennatur“ – komplett ohne Moral.

Obwohl der Träger den Fall nicht verheimlicht hat, obwohl ihm die zuständigen Behörden bescheinigen, dass es kein Gewaltproblem in dem Heim gibt, hat er sich aus der Perspektive der Journalisten schuldig gemacht, weil er die Geschichte nicht veröffentlicht hat. Kann man daraus eine Regel ableiten? Ja. Der Fall zeigt, dass es keine Alternative zur Veröffentlichung gibt. Auch wenn die Sache vielleicht nicht heraus kommt. Die Presse bestimmt, was von öffentlichem Interesse ist. So gute Gründe wir vielleicht haben mögen, wir können Dinge nicht als Interna behandeln, wenn die Presse ein öffentliches Interesse sieht. Es kann nicht darum gehen, ob wir Straftaten von uns aus berichten, sondern wie wir es tun.


Was können wir für eine differenzierte Berichterstattung tun? Nach unserer Erfahrung mit dem Handling dieser und anderer Krisen sind es folgende Punkte:

Kurzfristig reagieren. Neben den Behörden sofort auch die Presse mit einer kurzen Pressemitteilung informieren, auf Untersuchungen verweisen und einen Pressetermin für den Tag, wo Ergebnisse vorliegen ankündigen. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht verkehrt, die Journalisten zu bitten, den Namen des Heims und des Trägers zunächst nicht zu veröffentlichen. Je nachdem wie die Beziehungen zu den Medien sind, werden sie sich daran halten. (Im oben erwähnten Fall wäre der Fön noch nicht erwähnt worden sondern von Misshandlung die Rede.) Gleichzeitig die Behörden über die Pressemitteilung informieren und sie bitten, zunächst keine weiteren Details an die Öffentlichkeit zu geben. Unmissverständliche Maßnahmen einleiten. Zunächst gegen den Beschuldigten. Aber insbesondere auch für das Opfer und seine Angehörigen. Veranstaltungen für Bewohner, Angehörige und MitarbeiterInnen organisieren. D.h. das Ereignis auch intern als Skandal behandeln. Alles im Hinblick auf den Pressetermin dokumentieren. Pressetermin vorbereiten. Durch die kurzfristige Pressemitteilung ist Zeit gewonnen. Das Material reicht erstmal nur für eine kurze Notiz in Zeitungen und Nachrichtensendungen. Bei Nachfragen kann man überzeugend auf den Pressetermin verweisen. Für den Termin umfassend Informationen zusammen tragen. Je mehr wir über den mutmaßlichen Täter und seine Vorgeschichte sagen können, umso individueller wird der Fall. Außerdem Gesprächspartner besorgen, die mit dem Tatverdächtigen zusammen gearbeitet haben, die aus dem Alltag erzählen können. Alle Maßnahmen, die das Heim nach dem Vorfall eingeleitet hat übersichtlich aufbereitet zusammenstellen. Für den Pressetermin nur die zuständigen Lokalredaktionen einladen. Die Redakteure entscheiden, ob die Sache an die große Glocke gehört. Die Nachrichtenagenturen benutzen ggf. die Artikel der Lokalpresse als Quelle. Beim Gespräch mit den Journalisten den Fall in persönlichen Worten schildern. Fachsprache vermeiden, alle Gesprächspartner beteiligen, kein inszeniertes Nacheinander. Die eigene Betroffenheit nicht verbergen sondern deutlich aussprechen. Zwischenfragen provozieren, indem Sie nach der Meinung der Journalisten fragen.

Je mehr die Journalisten wissen und sich vorstellen können, je mehr „Futter“ sie für ihre Geschichte bekommen, umso größer ist die Aussicht auf eine differenzierte Berichterstattung. Je mehr Material auf dem Tisch ist, umso schwerer passen Klischees und Vorurteile. Statt eines Skandals in der Altenpflege gibt es eine Straftat, an der es wenig zu verallgemeinern gibt. Einrichtung und Träger sind der Öffentlichkeit als Teil der Öffentlichkeit begegnet. Ehrlich betroffen, kompromisslos in der Anwendung der Gesetze, offen und um Dialog bemüht.

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