Vorführung

Aus Familienwortschatz
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Vorführungsaufgaben der Betreuungsbehörde

Allgemeines

Die Betreuungsbehörde hat im Betreuungsverfahren den Betroffenen auf Anweisung des Gerichtes zur persönlichen Anhörung (§ 68 Abs. 3 FGG, ab 1.9.2009 § 278 Abs. 5 FamFG) und zur Untersuchung durch den Sachverständigen (§ 68bAbs. 3 FGG, ab 1.9.2009 § 283 FamFG) vorzuführen.

Bei dem Verfahren zur zivilrechtlichen Unterbringung (§ 70 Abs. 1 Ziff. 1b FGG, ab 1.9.2009 §§ 312 ff. FamFG) gilt das gleiche (§ 70g Abs. 4 , 70 e Abs. 2 i.V.m. 68 b Abs. 3 FGG, ab 1.9.2009 § 322 FamFG).

Die Anordnung des Gerichtes wird mit Bekanntgabe an die Behörde wirksam (§ 40 Abs. 1 FamFG). Körperliche Eingriffe (sind gegen den Willen des Betroffenen unzulässig), Beantwortung von Fragen und Teilnahme an Tests können nicht erzwungen werden (BayObLG FGPrax 2001, 78 zu § 68b FGG).

Dies betrifft insgesamt folgende Verfahren:

  • Vorführung zur persönlichen Anhörung des Betroffenen vor Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes (§ 278 Abs. 5 FamFG);
  • Vorführung des Betroffenen zur Untersuchung zur Vorbereitung eines Sachverständigengutachtens (§ 283 FamFG);
  • Vorführung des Betroffenen zur Unterbringung und Beobachtung, soweit dies zur Vorbereitung eines Gutachtens erforderlich ist (§ 284 FamFG);
  • Vorführung zur persönlichen Anhörung des Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme (§ 319 Abs. 5 FamFG);
  • Vorführung des Betroffenen zu einer Untersuchung zum Zwecke der Begutachtung vor einer Unterbringungsmaßnahme (§ 322 FamFG);
  • Vorführung des Betroffenen zur Unterbringung und Beobachtung zwecks Vorbereitung eines Gutachtens vor einer Unterbringungsmaßnahme (§ 322 FamFG);
  • Vorführung des Betroffenen zur Anhörung oder Begutachtung in Betreuungsverfahren, insbesondere: bei wesentlicher Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers (§ 293 FamFG), bei Erweiterung des Einwilligungsvorbehaltes (§ 294 FamFG), bei Bestellung eines weiteren Betreuers (§ 293 Abs. 3 FamFG), bei Verlängerung der Bestellung eines Betreuers (§ 295 FamFG);
  • Vorführung zur Anhörung oder Begutachtung im Beschwerdeverfahren;

Rechtsprechung

BVerfG; Beschluss vom 21.08.2009, 1 BvR 2104/06, BtMan 2009, 213:

  1. § 68b Abs. 3 FGG stellt keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erlaubnis zu einer Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen dar.
  2. Vor Erlass einer Vorführungsanordnung und der Gestattung der gewaltsamen Öffnung und des Betretens der Wohnung ist der Betroffene anzuhören.

BVerfG, Beschluss vom 02.12.2009, 1 BvR 2797/09:

Die Vorführungsanordnung gegenüber einer chronisch depressiven, suizidgefährdeten Person in einer Betreuungssache ist wegen möglicher Verfassungswidrigkeit vorläufig auszusetzen, wenn die Betroffene weder schriftlich noch mündlich von der beabsichtigten Untersuchung und Einrichtung einer Betreuung informiert wurde. Dies gilt insbesondere im Fall, dass eine persönliche Anhörung auch nicht nachgeholt, sondern lediglich die ergangene Entscheidung bestätigt wird, obwohl keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung von Leib und Leben durch eine nicht rechtzeitige Unterbringung vorliegen. Insofern besteht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die durch drohende körperliche Zwangsmaßnahmen einen irreversiblen Grundrechtseingriff nach sich ziehen kann.

OLG Hamm, Beschluss vom 20.06.1996, 15 W 143/96; FamRZ 1997, 440

Die Anordnung der Untersuchung des Betroffenen und seine Vorführung zur Untersuchung ist im Anwendungsbereich des § 68b Abs. 3 S. 1 FGG einschließlich etwaiger Nebenentscheidungen unanfechtbar. Dies gilt auch für die Ermächtigung zur Anwendung einfacher körperlicher Gewalt und für die Gestattung, sich gewaltsam Zugang zu der Wohnung zu verschaffen, weil sich diese Anordnungen unterhalb der Schwelle einer - anfechtbaren - befristeten Unterbringung nach § 68 Abs. 4 FGG bewegen.

OLG München, Beschluss vom 09.06.2006, 33 Wx 124/06, BtPrax 2006, 150 = BtMan 2006, 162 = FamRZ 2007, 81 = FGPrax 2006, 212:

Die Androhung der Vorführung eines Betroffenen zur psychiatrischen Begutachtung ist bei einer im Raum stehenden Verlängerung der Betreuung unanfechtbar (Abgrenzung zu BayObLG BtPrax 1995, 182 = FamRZ 1996, 499).

OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2006, 17 W 101/06; BtMan 2007, 104 = FamRB 2006, 387 = FamRZ 2007, 167 = R&P 2007, 33 = RdLH 2007, 33:

Eine Untersuchungs- und Vorführungsanordnung ist bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 68 b Abs. 3 S. 2 FGG zumindest dann anfechtbar, wenn gleichzeitig die Befugnis zur Anwendung von Gewalt gegen den Betroffenen und/oder die Erlaubnis zum gewaltsamen Zutritt zu dessen Wohnung erteilt wird.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.06.2006, 8 W 140/06; MDR 2006, 1439 = FGPrax 2007, 47 = Justiz 2006, 402 = OLGR 2006, 914:

In einem Verfahren zur Bestellung eines Betreuers, das von der Rechtsanwaltskammer nach §§ 16 Abs. 3, 224a BRAO (i.V.m. § 1 VO JMBW v. 30.11.1998) beantragt wurde, um einem betroffenen Rechtsanwalt im anwaltsgerichtlichen Verfahren eine ausreichende Wahrnehmung seiner Rechte zu gewährleisten, kann der Betroffene zur Anhörung weder vorgeführt, noch kann zur Begutachtung seines psychischen Zustands eine Vorführung oder seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden. Denn nach § 117 BRAO darf ein Rechtsanwalt zur Durchführung eines solchen Verfahrens weder vorläufig festgenommen noch verhaftet oder vorgeführt werden. Er kann auch nicht zur Vorbereitung eines Gutachtens über seinen psychischen Zustand in ein psychiatrisches Krankenhaus verbracht werden.

BVerfG, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 BvR 2538/10, und 1 BvR 2539/10:

Die Beschwerdeführerin wurde vor dem Erlass des Beschlusses weder schriftlich noch mündlich vom Betreuungsgericht von der beabsichtigten Untersuchung und Einrichtung einer Betreuung informiert und konnte sich dementsprechend nicht dazu äußern, ob die Einrichtung einer Betreuung angesichts der Unterstützung durch die Familie A., bei der sie lebt, erforderlich ist. Der Beschluss, mit dem die zwangsweise Vorführung und Untersuchung angeordnet wurde, wurde der Beschwerdeführerin nicht zugestellt. Auch wurde sie nicht persönlich angehört. Dies könnte ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzen. Ob darüber hinaus eine Verletzung weiterer Grundrechte in Betracht kommt, kann offen bleiben.

LG Saarbrücken, Beschluss vom 04.01.2011, 5 T 522/10:

  1. Der Betroffene muss von dem Betreuungsgericht vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung seiner Betreuungsbedürftigkeit grundsätzlich nicht persönlich angehört werden (§ 278 Abs. 1 FamFG).
  2. Anders verhält es sich nur dann, wenn das Betreuungsgericht anordnet, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird oder wenn es zur Vorbereitung des Sachverständigengutachtens die Unterbringung des Betroffenen beschließt (vgl. §§ 278 Abs. 1, 283 Abs. 1 S. 2, 284 Abs. 1 S. 2 FamFG).

Eingriff in Persönlichkeitsrechte

Die zwangsweise Vorführung von Betroffenen zu Anhörungen und Untersuchungen stellt einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar (Art. 2 Grundgesetz). Daher muss der Erforderlichkeitsgrundsatz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier besonders streng beachtet werden. Da die Maßnahmen dem Wohl des Betroffenen dienen sollen, muss Schaden, der erst durch die Vorführung entstehen kann, unbedingt vermieden werden. Durch die zwangsweise Vorführung können beim Betroffenen Verhaltensweisen entstehen oder sich derart verstärken (z.B. Erregungszustände), dass diese erst die Unterbringung erforderlich erscheinen lassen. Der Richter muss sich dessen bewußt sein und Vorführungen nur im Ausnahmefall anordnen.

Vorgehensweise

Vorführungen sollen daher, sofern dennoch erforderlich, durch fachlich ausgebildetes Personal der Betreuungsbehörde und möglichst schonend durchgeführt werden. Genaue Verfahrensanweisungen, wie die Behörde die Vorführung durchzuführen hat, gibt es nicht. Dem Betroffenen sollte die gerichtliche Anweisung gezeigt und auf Wunsch eine Abschrift aushändigt werden, der Betroffenen sollte ferner die Möglichkeit haben, eine Vertrauensperson zu benachrichtigen.

Praxishinweise:

  • im Umfeld und mit Betroffenem vorher prüfen, ob er angesichts des Vorführungsbeschlusses jetzt doch bereit ist, freiwillig zum Richter/Sachverständigen mit zu gehen;
  • ggf. über Hausmeister/Vermieter und mit Hilfe eines Zweitschlüssel den Einsatz des Schlossers oder einen Türaufbruch vermeiden
  • wenn man den Termin plant, beachten, dass sich Betroffener vorher dem Termin entzieht (evtl. Gewohnheiten berücksichtigen; Termin morgens früh etc.)
  • bei einer Vorführung zum Sachverständigen eine weitere Vorführung zur Anhörung beim Richter vermeiden, indem ggf. vorgeschlagen wird, die Anhörung gleich im Anschluss an die Begutachtung durchzuführen
  • wenn Sie aktuelle Informationen haben, die die Erforderlichkeit einer Betreuung entbehrlich machen, unmittelbare Information an Richter; Vorführung ggf. abbrechen.

Anwendung unmittelbaren Zwangs?

Die Frage der Anwendung von Gewalt durch Mitarbeiter der Betreuungsbehörde ist nicht geregelt. Lediglich im § 70g Absatz 5 FGG, der aber nicht für Vorführungen, sondern für den Vollzug von Unterbringungsmaßnahmen durch Betreuer gilt, ist geregelt, dass die Behörde Gewalt aufgrund besonderer gerichtlicher Entscheidung anwenden und ggf. die Unterstützung der Polizei in Anspruch nehmen kann. Seit 1.9.2009 ist auch für die Vorführung zur Vorbereitung des Gutachtens eine entsprechende Klausel in das Gesetz aufgenommen worden (§ 283 FamFG)

Wohnungszutritt

Auch wenn die Wohnung des Betroffenen gegen dessen Willen betreten werden muss, ist eine gerichtliche Ermächtigung erforderlich (Art. 13 Grundgesetz ). Gewaltsame Wohnungsöffnung: nur zulässig, wenn ausdrücklich durch das Gericht angeordnet (vgl. BVerfG, NJW 1979, S. 1539) Gilt auch, wenn mit einem Ersatzschlüssel von Angehörigen oder Vermieter die Wohnungstür geöffnet werden kann. Ggf. Schlüsseldienst mit der Wohnungsöffnung beauftragen. Die Kosten für die Inanspruchnahme des Schlüsseldienstes sind insoweit Verfahrenskosten nach § 137 Nr. 12b KostO und durch das VormG zu tragen.(vgl. LG Aschaffenburg, Betreuung Aktuell 3/2000, S. 30, OLG Köln, BtMan 2005, S. 105).

Insgesamt sind die Bestimmungen über Vorführungen durch die Betreuungsbehörde als problematisch zu betrachten. Gerade wenn davon auszugehen ist, dass auch künftig oft die Behörde (oder ein Behördenmitarbeiter zum Betreuer bestellt ist oder werden soll, leidet das Vertrauensverhältnis zum Betreuten erheblich, wenn die gleiche Behörde die Vorführungen zur Anhörung und Untersuchung zu bewerkstelligen hat.

Rechtslage ab 1.9.2009

Für die Betreuungsbehörde wird es für eine Vorführung und eine Zuführung zur Unterbringung ab 01.09.2009 durch das neue FamFG eine ausdrückliche gerichtliche Ermächtigung zum Wohnungszutritt geben. Die Regelungen lauten:

§ 283 FamFG Vorführung zur Untersuchung

(1) Das Gericht kann anordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird. Der Betroffene soll vorher persönlich angehört werden.

(2) Gewalt darf die Behörde nur anwenden, wenn das Gericht dies aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung angeordnet hat. Die zuständige Behörde ist befugt, erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen.

(3) Die Wohnung des Betroffenen darf ohne dessen Einwilligung nur betreten werden, wenn das Gericht dies aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung angeordnet hat. Bei Gefahr im Verzug findet Satz 1 keine Anwendung.

§ 322 FamFG Vorführung zur Untersuchung; Unterbringung zur Begutachtung

Für die Vorführung zur Untersuchung und die Unterbringung zur Begutachtung gelten die §§ 283 und 284 entsprechend.

Siehe auch

Literatur

Bücher im Bundesanzeiger-Verlag

Zeitschriftenbeiträge

Weblinks