Was war früher normal

Aus Familienwortschatz
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Was war früher normal? Früher meint hier die Situation Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit als die Menschen aufgewachsen sind, die um 1990 bis um das Jahr 2000 70-80 Jahre alt sind.

Bei der Betrachtung des Lebensalltags und der Normen und Werte dieser Zeit müssen verschiedene Perspektiven beachtet werden. So gab es mindestens drei sehr unterschiedliche 'Typen' von Lebensweisen, die auch in unterschiedlichen Normen und Wertvorstellungen ihren Niederschlag fanden. Diese Typen sind bürgerliche, bäuerliche und Arbeiter-Familien.

Die sehr unterschiedlichen ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen für diese drei gesellschaftlichen Untergruppen bedingten, dass z.B. in bürgerlichen Familien die Eheschließung als äußere Form der Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau als absoluter Standard galt, in Arbeiterfamilien gab es auch damals viele Lebensgemeinschaften ohne Trauschein. Im Zentrum der Betrachtung von Historikern stehen häufig - und so auch im folgenden - die bürgerlichen Familien. Sie machten aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohl weniger als 50% der Bevölkerung aus. Von daher müssen die nachstehenden Angaben auch immer mit dem individuellen Erlebnisrahmen der betroffenen Person (alter Mensch) abgeglichen werden.

Werte

  • Sekundärtugenden
    • Pünktlichkeit
    • Fleiss, Pflichterfüllung, Disziplin
    • Gewissenhaftigkeit
    • Ordnung
    • Treue, Gehorsam
    • Redlichkeit, "Sitte, Moral und Anstand"
    • öffentlich gelebte Religiosität

Respekt vor Autoritäten, Unterordnung ("Obrigkeitshörigkeit") und Höflichkeit spielten eine große Rolle. Die Sekundärtugenden leiteten sich teilweise aus dem soldatischen Alltag ab. Im preußischen Militär- und Verwaltungsstaat wurde der Offiziersstand zum 1. Stand im Staate und hatte somit Vorbildfunktion. Vieles davon war auch noch in der Weimarer Zeit wichtig und diente den Nationalsozialisten für ihre Zwecke. Grandios gescheitert ist diese Vorstellungswelt 1945. Im Nationalsozialismus und im Krieg zu leben, hat die Menschen nachhaltig geprägt. Viele mussten ihre Identität im Angesicht der Unmenschlichkeit umkrempeln. Gesellschaftlich erfolgte der einschneidende Paradigmenwechsel in den 1960iger Jahren. Heute werden einige Sekundärtugenden wie Fleiss und Pünktlichkeit, in unverkrampfterer Weise, teils wieder als nützlich betrachtet.

Sekundärtugend, Soldat sein um 1914

Erziehung

Die Erziehung war autoritär. In der Schule waren noch körperliche Strafen, wie Stockschläge (mittels Rohrstock auf die Handrücken sogenannte "Tatzen"), üblich.

Nach dem I. Weltkrieg entstanden Inseln der Reformpädagogik in mehreren deutschen Großstädten. Alternative Erziehungsformen wie antiautoritär oder sozial-integrativ kamen erst in den 1960iger Jahren auf.

Ein wichtiges Erziehungsmedium waren auch Lebensweisheiten und Sprichwörter. Teilweise war es auch üblich die Eltern mit "Herr Vater" und "Frau Mutter" anzusprechen und sie zu Siezen.

Normen

  • ...

Richtlinien des Verhaltens, Verhaltensforderungen, verpflichtende Kriterien des Verhaltens. Sie regulieren das menschliche Zusammenleben, Grundlage bilden die verinnerlichten Werte. Unterschied: Normen sind Kriterien des Handelns mit verpflichtendem Charakter, die von Werten abhängen. Eine Norm hängt immer von vielen Werten ab. Ein Wert kann Grundlage verschiedener Normen sein.

Anhand der AEDLs

kommunizieren

Informationen wurden meist mündlich weitergegeben, behördliche Mitteilungen gab es als Aushänge in den Gemeinden, einige Zeitungen berichteten über das politische Geschehen. Vor der Entwicklung neuer Medien in den zwanziger Jahren bestand die Kommunikation über Entfernungen zwischen sich nahestehenden Menschen in Briefkorrespondenz. Hierbei ist jedoch die gesellschaftliche Struktur zu beachten, nicht jeder konnte schreiben und lesen. Das Bürgertum und finanziell gutgestellte Familien genossen eine umfangreichere Schulbildung als die Arbeiterschaft und die Landbevölkerung. Es bestand eine Zwei-Klassengesellschaft. In der „besseren Gesellschaft“ befasste man sich zudem mit Literatur und Kunst, es wurde viel gelesen und untereinander korrespondiert.

Im Gegensatz dazu war die Kommunikation in der Arbeiterschaft und Landbevölkerung durch den hart geprägten Arbeitsalltag in der Familie nicht sonderlich ausgeprägt. Es fehlte die nötige Zeit, auch wenn die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen worden, war es üblich, diese überwiegend schweigend einzunehmen. Bei der Landbevölkerung wurde lediglich ein Tischgebet gesprochen. Es galt, dass beim Essen nicht gesprochen wird. Kindern wurde beigebracht, erst nach Aufforderung durch Erwachsene zu sprechen.

Durch die Entwicklung und Ausbreitung neuer Massenmedien, insbesondere in den Großstädten, wuchs eine neue Kommunikationskultur heran. Tageszeitungen und zahlreiche Revuen dienten dazu, das Bedürfnis nach Unterhaltung und Entspannung zu befriedigen.

Durch den Zugang zu den Medien (Kinos) erfolgte auch eine Vermischung von Arm und Reich. Ins Kino gingen alle Klassen, mit der Folge, dass sie alle die gleichen Schlager sangen bzw. die gleichen Boulevardblätter lasen, dort gab es auch die ersten Nachrichtenfilme ("Wochenschau"). Die Klassenunterschiede blieben jedoch weiter bestehen, d.h. für die ganzheitliche Pflege im AEDL - Bereich 2, dass man als Hintergrund wissen sollte, welchen Beruf, sozialen Status der Bewohner/Klient hatte, um entsprechend zu kommunizieren. Es ist auf eine adäquate Ausdrucksweise zu achten (Dialekt oder Hochdeutsch), was einen Zugang zum Bewohner ermöglicht.

sich bewegen

Der Alltag war sehr viel stärker durch körperliche Arbeit geprägt. Viele private wie auch berufliche Tätigkeiten, die heute durch Maschinen erledigt werden, wurden seinerzeit in Handarbeit erledigt, z.B. Wäschewaschen, Nähen, Ackerbau. Aber auch die Arbeit in Fabriken fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in viel größerem Umfang als heute durch menschlichen Arbeitseinsatz statt. Auch im privaten Alltag war Bewegung viel bedeutsamer. Viele Kinder und Jugendliche mussten weite Schulwege zu Fuß zurücklegen (teils etliche Kilometer), Transportmittel wie Busse und Straßenbahnen waren fast ausschließlich in Großstädten eingesetzt. Autos hatten Seltenheitswert, sie verbreiteten sich erst ab den 20'er Jahren stärker. Der Einsatz des eigenen Körpers war somit zum Bestehen der täglichen Anforderungen für die meisten Menschen unerlässlich.


vitale Funktionen

Die meisten Menschen auf dem Land kamen kaum je mit einem Arzt in Berührung, geschweige denn mit einem Krankenhaus. Krankheiten wurden zum größten Teil nicht mit Medikamenten (die es auch kaum gab), sondern mit überlieferten Hausmitteln behandelt. Nur bei schwereren Erkrankungen oder Verletzungen wurde ärztlicher Rat eingeholt, was im ländlichen Bereich nur mit grossen Umständen einherging, da die Arztdichte gering war und man ihn selbst mit einem Fuhrwerk abholen musste.

Viele heute gut behandelbare Krankheiten führten früher zum baldigen Tod (z.B. Diabetes mellitus), die Kindersterblichkeit war wegen fehlender Impfungen hoch.

sich pflegen

Körperpflege war nur ein sehr kleiner Bestandteil des Alltags der zwanziger und dreißiger Jahre. Waschen usw. war nicht von Wichtigkeit und wurde quasi nebenbei durchgeführt. Sauberkeit und Hygiene hatte damals bei weitem nicht so einen hohen Stellenwert wie heute. Man könnte nun meinen, dass diese Einstellung auf Kriegszeiten zurückzuführen ist, aber auch schon vor dem Krieg legte man keinen sonderlichen Wert auf Reinlichkeit. Alle „mufften“ gleich. Erst allmählich setzte ein neues Körperbewusstsein ein durch die "neue Zeit".

Viele Körperpflegeprodukte wurden in den Zwanzigern erfunden und hergestellt. Werbeplakate für renommierte Namen wie z. B. Nivea, Chanel usw. inspirierten die Menschen allmählich.

Üblich war es, sich morgens flüchtig zu waschen, zumeist mit kaltem Wasser, zusätzlich wurde Kernseife benutzt. Wenige Haushalte hatten ein Badezimmer mit fließendem Wasser. Viele besaßen Waschschüsseln und Waschkrüge, die direkt in den Schlafzimmern auf Kommoden standen und meist nur morgens benutzt wurden; das Wasser dafür musste erst draussen von der Pumpe oder Zisterne geholt werden. Oft befand sich im Winter in den unbeheizten Zimmern eine dünne Eisschicht auf dem Wasser, in trockenen Gegenden wurde das Wasser in manchen Sommern so knapp, dass es kaum zur Flüssigkeitsversorgung der Menschen und zur Viehtränkung reichte, so das niemand auf die Idee gekommen wäre, das Wasser zum Waschen zu verschwenden.


Wenige städtische Haushalte hatten zwischen den Etagen ein Wasserklosett, ansonsten befand sich ein Plumpsklo im Hof. Anstelle von Klopapier verwendete man alte Zeitungen. Das Benutzen von Klopapier blieb den „Reichen“ vorbehalten.

Bei den Bauern und Arbeitern war Dreck keine Schande, auf schmutzige Fingernägel wurden die Woche über nicht geachtet. Einmal oder alle 14 Tage wurde gebadet, zumeist stand eine Zinkbadewanne in der Waschküche, das Wasser wurde in zeitauftreibender Arbeit erhitzt. Die Wanne oder Bottich wurde langsam mit heißem Wasser gefüllt und die Familie stieg nacheinander ins Wasser; die Kinder zuletzt. Zum Waschen und Haarwaschen benutzte man meist Kernseife. Für Sonntags (z.Bsp. für die Kirche) waren dann alle sauber geschrubbt.

Hautcremes oder Parfüms fanden in der „ärmeren“ Bevölkerung kaum bis kein Gebrauch. Das war auch der höheren Klasse vorbehalten. Während auf dem Land und der Provinz immer noch langes Haar und Zöpfe getragen wurden, ging der Trend von jungen Frauen im Bürgerfrauen zur neuen Mode hin; die Haare wurden Kinnlang getragen, gerade oder in Wellen (Bob). Wenige konnten sich einen Friseurbesuch erlauben, so wurden die Haare kinderreicher Familien von Mutter oder Vater geschnitten.

Zahnbürsten mit Kunststoffborsten wurden erst ab den Vierziger Jahren hergestellt und setzten sich nur langsam durch. In Notzeiten konnte sich kaum jemand so etwas wie Zahnputzpulver leisten, daher wurde die Zahnpflege eher vernachlässigt. Da die Zahnmedizin auch noch "in den Kinderschuhen" steckte und zudem teuer war, wurden kranke Zähne zumeist sofort gezogen, so dass auch schon Menschen in mittleren Jahren oft fast zahnlos waren.

Die Männer rasierten sich fast täglich, mit Rasierseife und einem Rasiermesser, dass am eigenen Ledergürtel geschärft wurde. Zur Beruhigung und Pflege der Haut gab es damals schon Puder oder Wollfettsalben, was für viele erschwinglich war. Kosmetik und Schminke war auch nur ein Privileg der Reichen. Für die „armen“ Klassen war dies aber nicht nur unerschwinglich, vor allem das Schminken wurde grundsätzlich abgelehnt, da sich nach allgemeiner Meinung nur moralisch zweifelhafte Frauen "anmalten".

essen und trinken

Da auf den Feldern ausschließlich Getreide, Futterrüben, Kartoffeln, Gemüse und Obst angebaut wurde, war der Speiseplan früher sehr einseitig. Fleischverzehr war, wenn überhaupt die Mittel dafür ausreichten, den Sonn- und Feiertagen vorbehalten. Zum Trinken gab es nicht sehr viel Auswahl. Es wurde viel Milch & Wasser getrunken, unter Arbeitern in den Städten war Bier und Branntwein üblich, was bei vielen zur Trunksucht führte. Reiche Familien konnten sich an Festtagen auch etwas Wein und Fleisch leisten. Tiere wie Kühe, Hühner und Schweine konnten geschlachtet werden, aber ohne Gefriertruhe und Eisschrank war die Konservierung nur durch Räuchern, Pökeln und Einwecken möglich. Die geschlachteten Tiere mussten so schnell wie möglich verarbeitet werden, weshalb dann im Rahmen eines Schlachtfestes sämtliche Familienmitglieder und auch Nachbarn miteingespannt waren. Es wurde, besonders im Herbst, viel Obst und Gemüse eingekocht und in einem kühlen Keller aufbewahrt.

Frühstück und Abendessen gab es erst nach dem Füttern und Melken des Viehs.

Ärmere Familien besaßen nicht mal Essgeschirr, so dass sie direkt aus der Pfanne aßen. Nach dem Tischgebet erfolgte die Verteilung der Speise(n) nach der familiären Rangordnung. Der Vater erhielt als erstes die größte Portion, danach die Kinder entsprechend ihrem Alter. Die ältesten Kinder, wenn sie schon Lohn mit nach Hause brachten, bekamen gegebenenfalls auch eine zweite Portion. Was auf den Tisch kam, musste gegessen werden. Es durfte nichts auf dem Teller bleiben. Nicht einmal Krümel durften auf dem Tisch oder auf dem Boden hinterlassen werden, denn das war eine Sünde.

ausscheiden

Ein paar historische Einflüsse zum Thema Ausscheiden: Schon in der Antike gab es Einrichtungen mit unterirdischen Kanälen. Man sagte zu den Ausscheidungen auch "Endprodukt der Verdauung". Die Geräusche, die man bei der Notdurft von sich gab, nannte man oft "Heilige Winde der Eingeweide" und sie waren erwünscht: man erlangte durch sie Erleichterung und Wohlbefinden .

Man sprach offen über die Ausscheidung auf eine - nach jetzigem Empfinden - sehr derbe Art. Man hat Wörter wie "Scheiße" und "Furz" für gesellschaftsfähig empfunden. Die Notdurft wurde von der Fensterbank aus ins Freie verrichtet. Die Hygiene ließ dementsprechend zu wünschen übrig. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts fand in Paris ein Umdenken Statt. Die Menschen fingen an sich Gedanken über gutes Benehmen und Hygiene zu machen. Die Verdauungsprozesse wurden dabei zunächst als Fäulnisse oder Exkremente und daher als Bedrohung bezeichnet. Die Menschen hatten Angst in ihren eigenen Exkrementen zu versinken. Das führte zu Gesetzen, die das Ausscheiden in der Öffentlichkeit verboten. Wer in der Öffentlichkeit erwischt wurde, wurde bestraft. Dieses damalige Verständnis über die Ausscheidungsvorgänge und der damit verbundenen notwendigen Hygiene führt heute dazu, dass alles gemacht wird, die Produkte der Verdauung möglichst schnell verschwinden zu lassen. Man bedenke aber, dass die modernen Toiletten es fast unmöglich machen, Urin oder Stuhl genauer einzusehen. Deshalb wird das auf Toilette gehen oft umschrieben, wie z.B. "ich gehe mal dorthin wo selbst der Kaiser zu Fuß hin geht", oder ähnliches.

Als Inkontinenzhilfsmittel oder auch zur "Monatshygiene" der Frauen standen nur Mulltücher zur Verfügung, die zur Wiederverwendung gewaschen ("Kochwäsche") werden mussten. Daher wurde die "Sauberkeitserziehung" von Kleinkindern sehr forciert, auch körperliche Gewalt war ein übliches Mittel, um das Einkoten und -nässen zu bestrafen. Daher haben alte Menschen oft regelrecht Angst, wenn sie ihre Schutzhose beschmutzt haben oder sind gar nicht in der Lage, Urin in selbige zu lassen.

sich kleiden

In den Jahren ab 1925, nach Jahren von Krieg, Hunger, Kälte und Inflation, entwickelte sich eine neue Lust zu leben. Die Kleidung veränderte sich; inspiriert von französischen Modeschöpfern. Sie wurde bequemer, leichter, ansehnlicher und vor allem die Damenbekleidung wurde femininer. Nach Jahren der Wohlanständigkeit während der Kaiserzeit und ihrem strengen, zweckmäßigen Sinn während des 1. Weltkrieges wurden die Kleider und Röcke immer kürzer, die Rocksäume wanderten bis zum Knie. Fast alle Frauen trugen nun kurze, gerade Kleider, Riemchenschuhe und Topfhüte. Unterschiede in den verschiedenen Klassen waren an Material, im Detail, Accessoires und Details im Schnitt zu finden. Durch die industrielle Entwicklung konnte Konfektionskleidung in großen Mengen hergestellt werden und war für fast alle erschwinglich. Auch die Unterwäsche wurde mit der Zeit „stoffärmer“, ansehnlicher und bunter. Der Büstenhalter hatte die Aufgabe, den Busen unauffällig zu machen; Hüftgürtel und Strumpfbänder hielten die Strümpfe. Auch die Herrenmode veränderte sich, d.h. vom uniformartig angehauchten Outfit zu einem bekannten Tagesanzug, dem „Stresemann“; Knickerbocker und Schiebermütze wurden modern.

Die neue Mode blieb aber allerdings überwiegend den „Reichen“ vorbehalten. Sie hatten das Geld für gute Stoffe und Schnitte und konnten sich die Kleidung auf den Leib schneidern lassen. Generell musste die Kleidung der Arbeiter und Bauern zweckmäßiger, praktischer und belastbarer sein. Die breite arme Masse trug eher grobe Stoffe wie Wolle oder Leinen, Baumwolle war weniger verbreitet. Viele der Hausfrauen oder Mütter trugen die ganze Woche eine Kittelschürze und am Sonntag eine besonders schöne, weiße Schürze.

Die Frauen waren geschickt in Handarbeiten. Sie konnten die Kleidung flicken, Strümpfe, Pullover und Pullunder stricken; außerdem Decken, Schals und Handschuhe usw. Es wurde nichts weggeworfen: alles wurde noch mal umgeändert oder etwas neues aus dem ausrangierten Stoff genäht. Da es damals viele kinderreiche Familien gab, wurde die Kleidung immer wieder an die nächst kleineren, jüngsten weitergegeben. Eine Hose konnte auch schon mal ein paar Jahre mitwachsen, wurde immer kürzer und mit Hosenträgern gehalten. Für Sonntage, Feste oder Beerdigungen gab es oft eine extra Garnitur Kleidung für jeden. Es war durchaus nicht selbstverständlich, die Unterwäsche täglich zu wechseln, da das Waschen der Kleidung eine aufwändige Angelegenheit war, die manchmal nur einmal im Monat stattfinden konnte, im Winter noch seltener.

Auch die Schuhe wurden immer weitervererbt und regelmäßig neu besohlt bzw. benagelt. Oft hatten Kinder Schuhe an, die viel zu klein waren und besonders auf dem Land sind viele Kinder im Sommer fast nur barfuß gelaufen. Holzschuhe galten als Arbeiterschuhe.

Fast jeder, der auf sich hielt, trug einen Hut oder eine Kappe, für "anständige" Frauen war die Kopfbedeckung unumgänglich. Auch die Haare durften sie nicht offen tragen, sondern geflochten oder aufgesteckt (nur "lose" Frauen trugen die Haare "lose").

In der Provinz und auf dem Land versorgten sich die Leute häufig auf dem Markt, durch fliegende Händler oder Hausierer mit Kurzwaren (Hosengummis, Bändern, Stoffen usw.). In den Städten gab es Läden für Kleidung und Zubehör.

Auch die Nachtwäsche änderte sich, wurde bequemer und leichter. Allerdings trugen noch immer viele lange, weiße, schwere Leinennachthemden, Schlafhauben und Schlafmützen. Wenn man heute jemanden mit Schlafmütze tituliert, dann ist der Ursprung in diesem Kleidungsstück wiederzufinden.

ruhen und schlafen

In vielen Häusern waren die Zimmer sehr klein und eng. Bei großen Familien mussten sich zwei bis drei Kinder ein Bett teilen. Die Schlafzimmer wurden nie geheizt, weil sie sich meistens im Obergeschoss befanden und der Ofen in der Küche war. Arme städtische Familien vermieteten ihre Schlafstellen tagsüber an Schlafgänger, also Menschen, die sich selbst keine eigenen Zimmer mieten konnten. Die Nachtruhe war sehr kurz. Morgens musste man sehr früh aufstehen. Auf dem Land bestimmte der Sonnenaufgang den Zeitpunkt, um das Vieh zu melken und zu füttern. Abends wurde es dann sehr spät, bis man das Vieh im Stall hatte und es versorgt war. Mit Sonnenuntergang endete dann meist der Arbeitstag, denn elektrisches Licht gab es noch nicht überall.

beschäftigen

Freizeit gab es kaum, man beschäftigte sich fast ständig mit Dingen, die einen Nutzen hergaben. Gartenarbeit diente der Selbstversorgung und bot die Möglichkeit, sich etwas hinzu zuverdienen (Marktverkauf), auch Handarbeiten wurden aus dem Grunde gefertigt (Schreinern, Tischlern und kleinere Schnitzkunst, Nähen, Stricken, Kleidung flicken, Strümpfe stopfen). Oft arbeiteten die Frauen und Mädchen einer Nachbarschaft gemeinsam; dabei wurde oft gesungen, denn es gab kein Radio zur musikalischen Unterhaltung. Es galt als verwerflich, sich nur dem süßem Nichtstun hinzugeben.

Die Kinder haben sich mit selbst hergestelltem Spielzeug wie Puppen beschäftigt, poetisch veranlagte Jugendliche schrieben Gedichte; wer ein Instrument besaß, musizierte; wer sich Bücher leisten konnte, hat viel gelesen. Allerdings wurden auch Kinder viel zu Arbeiten im Haushalt und auf dem Hof herangezogen.

als Mann/ Frau fühlen

  • strikte Geschlechtertrennung aus verschiedenen Gründen: Mädchen sollten auf ihre Aufgaben als zukünftige Ehefrau und Mutter vorbereitet werden, bei Jungen wurde Wert auf körperliche Ertüchtigung gelegt, um aus ihnen "gute Soldaten" und "Ernährer der Familien" zu machen. Ausserdem nahm man an, dass sich Mädchen "von Natur aus" nicht für Politik und gesellschaftliche Fragen interessierten, weswegen man sie von vornherein von verschiedenen Veranstaltungen und auch Bildungsangeboten ausschloss. Auch religiöse Vorschriften wurden als Begründung der Geschlechtertrennung und der Benachteiligung von Frauen und Mädchen angeführt.
  • kein Sex vor der Ehe
Uneheliche Kinder bedeuteten Schande für die Mütter und ihre Eltern/Geschwister. Daraus entstanden "Muss-Ehen" und "sechs Monatskinder". Sollte der Vater für eine Ehe nicht bereit sein wurde es schwierig. Abtreibungen im Hinterhof waren ein offenes Geheimnis und wurden (bis in die 1960er Jahre) in jeder Stadt vorgenommen. Sie waren mit hohem Risiko für die Frauen verbunden und streng verboten. Eine weniger schlimme Möglichkeit war, die Schwangeren, bevor die Umwelt etwas merkte, bei entfernten Verwandten unterzubringen und dort gebären zu lassen. Die Kinder wuchsen dann oft in Unkenntnis ihrer leiblichen Eltern auf, die eigene Mutter wurde zur Tante u.ä., um die Schande zu verheimlichen (Spätestens bei der Heirat kam die Geburtsurkunde zum Vorschein...). Die Kirchen boten "Heime für gefallene Mädchen", aber auch dort wurde ihnen ihr "Fehltritt" oft weiter vorgehalten.

In Adelskreisen waren uneheliche Kinder nicht selten. In der Literatur wimmelt es von Alimenten und Erbschaftsstreitereien, die dadurch entstanden.

Die Menschen, die 1955 Eltern wurden (Foto), sind mit solchen Vorstellungen aufgewachsen. Auch deshalb hat die Pille einen so rasanten Siegeszug machen können.

  • wenig Gleichberechtigung

Das Frauenwahlrecht wurde erst 1918 eingeführt, vorher wurde den weiblichen Mitgliedern der Gesellschaft jegliche Befähigung oder auch Interesse an Politik abgesprochen. Ehe und Familie waren Lebenszweck der Frau (Kirche, Kinder, Küche). Geringbezahlte Berufstätigkeit war dann notwendig, wenn kein Ehemann gefunden wurde - "Wer nicht unter die (Ehe-)Haube kam, kam unter die Schwesternhaube." Das betraf vor allem die Generation, der durch den Weltkrieg potentielle Ehemänner verloren gingen.

Stichwort Trümmerfrauen - direkt nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten sehr viele Frauen, dass es nicht körperlich belastende Tätigkeiten, aber auch nicht die Übernahme von Verantwortung (z. B. Bürgermeisterin, Geschäftsführererin) sind, die einen großen oder kleinen Unterschied rechtfertigen. Es war allerdings nicht nur ihr Familiensinn, der sie nach 1948 den "heimkehrenden" Männern wieder sofort Platz machen ließ. Bis 1977(!) durfte eine Ehefrau nicht ohne Einverständnis des Gatten einer Berufstätigkeit nachgehen.
  • verbotene Homosexualität

Schwierig war es für Homosexuelle. Gleichgeschlechtliche Beziehungen waren gesetzeswidrig und wurden mit Zuchthaus bestraft (im Nationalsozialismus kam man deswegen ins Konzentrationslager); das Ausleben entsprechender Neigungen musste also mit größter Vorsicht geschehen. Während aber ein Mann durchaus als "ewiger Junggeselle" gesellschaftlich akzeptiert war, stand eine unverheiratete Frau am Rande der Gemeinschaft: Ihr wurde unterstellt, dass mit ihr etwas nicht stimme oder sie ein Blaustrumpf sei, also schlicht zu unattraktiv zum Heiraten. Auch diese Frauen mussten eigenständig ihr Geld verdienen, um der Herkunftsfamilie nicht auf der Tasche zu liegen. So entschieden sich daher auch einige lesbische Frauen für ein Leben in Schwesternschaften, um somit doch noch eine gewisse soziale Anerkennung zu erreichen.



Datei:Familie 1955 foto1.jpg
Familienkinder um 1955

sichere Umgebung

  • Schutz wurde in erster Linie durch die(Groß-)Familie gewährt, was aber auf Kosten der Individualität der einzelnen Familienmitglieder ging. Wer sich nicht anpasste, musste gehen oder wurde sogar verstossen. Die Familien waren nach aussen hin intakt, bzw. es wurde sich nicht gleich beim ersten Streit getrennt. Denn eine Scheidung bedeutete vor allem für die betroffene Frau den Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung und grosse wirtschaftliche Unsicherheit; ausserdem konnte eine strenge religiöse Ausrichtung die Trennung verhindern, denn die kirchlich geschlossene Ehe galt als unauflöslich - eine Scheidung wurde als Sünde empfunden, die nach Auffassung vieler mit ewiger Verdammnis belegt war.

Die Partnerschaft war mit anderen Ansprüchen als heute belegt, die Rollenverteilung war klar. Auch Zweckgemeinschaften waren durchaus verbreitet, z.B. wurden auf dem Land Ehen zwischen Nachbarskindern vereinbart, um den Besitz zu vergrössern.

soziale Bereiche

  • Vor allem Nachbarn halfen sich viel gegenseitig, da die Abhängigkeit vor allem im ländlichen Bereich sehr ausgeprägt war.
  • Es gab weniger Anonymität, dafür mehr soziale Kontrolle im positiven wie auch negativen Sinne.
  • Häufig lebten drei Generationen unter einem Dach, damit war die Kinderbetreuung meistens gesichert.
  • Kranke und Betagte wurden bis zum Tod durch die Familie versorgt, die Pflege wurde in der Regel von den Frauen übernommen; die Qualität dieser Laienpflege hing aber stark von den Gegebenheiten ab. In beengter Wohnung mit den entsprechenden unhygienischen Verhältnissen war die Pflegezeit oft nur sehr kurz, da Infektionen ( v.a. Tuberkulose, Pneumonie) auftraten, die noch nicht wirksam behandelt werden konnten und damit den baldigen Tod zur Folge hatten.
  • Wer keine Angehörigen hatte (z.B. wenn alle Kinder gestorben oder ausgewandert waren), war auch auf fremde Hilfe und Almosen angewiesen. Das staatliche soziale Netz war noch nicht so eng geknüpft, in den Städten und Gemeinden gab es Arbeits-, Armen- und Waisenhäuser, aus denen dann die Heime entstanden. Wohlhabende Bürger richteten manchmal Stiftungen ein, oft war aber die Inanspruchnahme der "Wohltaten" an Bedingungen geknüpft (z.B. nur für keusch lebende Frauen oder für nicht durch eigenes Verschulden in Not Geratene).

mit existenziellen Erfahrungen umgehen

Bei existenziellen Erfahrungen geht es um den Kern der Person, um seine Tiefendimension. Existenzielle Erfahrungen können auf einschneidenden Ereignissen oder banalen Alltagssituationen beruhen, jedenfalls berühren sie das Lebensgefühl grundlegend, ob in positiver oder negativer Hinsicht.

Hinter dem zeitgeschichtlichen Hintergrund kommen hier hauptsächlich Erfahrungen wie Sterben, Verlust der Heimat, Trennung von wichtigen Menschen, Gewalterfahrungen und existentielle Ängste in Betracht. Vor allem der Nationalsozialismus, Krieg und die Nachkriegszeit sind für Millionen von Menschen einschneidend gewesen. Man kann sagen, dass drei Generationen davon betroffen und geprägt sind.

Beobachtet man pflegebedürftige Menschen, so lässt sich manche „Eigenart“ vor diesem Hintergrund erklären.

Beispiele:

Horten von Nahrungsmitteln - Dies kommt aus der Zeit der Nahrungsmittelrationierung und der Nachkriegszeit, wo Hunger ein Teil des Lebensgefühls war.

Abwehrhaltung oder Ablehnung einer weiblichen Bewohnerin gegenüber einer männlichen Pflegekraft - Ursächlich hierfür ist oft die Zeit der Vertreibung und Besatzungszeit, wo zahlreiche Frauen und auch junge Frauen/Mädchen vergewaltigt wurden.

Angst vor Enge und Dunkelheit, wenn jemand im Krieg bei Gebäudeeinsturz verschüttet wurde.

Diese Ereignisse sind auch im Alter noch nicht hinreichend verarbeitet worden und müssen bei der Pflege berücksichtigt werden.

Weblinks

  • Erinnerungen Raum geben - Making Memories Matter - eine Ausstellung mit "Guckkästen" auf Erinnerungsstücke. (agathof.de bzw. www.age-exchange.org.uk/mmm/). Diese ehemaligen Munitionskisten wanderten reihum durch Europa. Sie sind auch ein Gestaltungsbeispiel für Erlebtes, auch für erlebte Geschichte in der individuellen Einmaligkeit.
  • generationenprojekt.de - ein Projekt zur Geschichtsschreibung von unten: Lebenserinnerungen, Tagebuchnotizen und literarische Texte

Quellen (zu 'sich pflegen' und 'sich kleiden')

[1]Informationen zu den Zwanziger Jahren

Interviews mit Zeitzeugen

Zusammenhänge Biografie und Geschichte

Um eine ganzheitliche Pflege zu gewährleisten, bedarf es unter anderem der Biografiearbeit. Biografie ist die Lebensgeschichte eines Menschen. Als Pflegefachkraft in der Altenpflege ist es unerlässlich, diese Lebensgeschichte aufzuspüren und nachzuforschen, denn jeder Mensch trägt diese in sich. Es werden hier die prägenden Ereignisse, Lebensgewohnheiten, Vorlieben und Lebensstil berücksichtigt. Hat man Kenntnis aus dem früheren Leben des Bewohners/Patienten, so kann die Pflegekraft diesen besser verstehen, auch wenn es sich um Eigenheiten handelt, die für Pflegende zunächst befremdlich erscheinen. In diesem Zusammenhang darf auch der zeitgeschichtliche Hintergrund nicht vergessen werden, da der Mensch auch von seiner sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umwelt (z.B. Nachkriegszeit, Flucht, Vertreibung, Front und Gefangenschaft usw.) geprägt wurde.

Hat man einen geschichtlichen Hintergrund der letzten 100 Jahre und Kenntnisse über die Lebensgeschichte, so lässt sich manche Verhaltensweise besser verstehen und in die individuelle Pflegeplanung mit einbeziehen. Unabhängig davon, wie in der Biografiearbeit vorgegangen wird (Erinnerungsrunde, themenspezifisch, Elternhausmethode u. a.), ist Voraussetzung für eine gute Informationssammlung: Empathie der Pflegekräfte.


Was wir pflegen/behandeln sind Menschen, nicht Erkrankungen!


Literatur

  • Heinrich Mann: "Der Untertan"
  • Erich Kästner: "Fabian"
  • Christopher Isherwood: "Leb wohl, Berlin"
  • Frank Wedekind: "Frühlings Erwachen"
  • Hans Peter Richter: "Damals war es Friedrich"
  • Sebastian Haffner: "Geschichte eines Deutschen", DTV, ISBN 3423308486
  • Köther, I. (Hrsg.): Thiemes Altenpflege. 2. Auflage 2005. ISBN 978-3-13-139132-2


  • Weitere Literatur befinden sich nach Thembereichen sortiert in dem
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Siehe auch