Henry und Emma Budge Altersheim (1929/30) in Frankfurt am Main

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Das frühere Henry und Emma Budge-Altersheim, errichtet 1929/30 an der Hansaallee in Frankfurt a. M.

  • Zu einem Schlüsselbau für die Altenpflege und seiner Geschichte


Ausgangslage

Nach dem ersten Weltkrieg bestand in Deutschland eine verstärkte Bereitschaft, in der Altersfürsorge neue Wege zu gehen, der Errichtung auch von neuen Altersheimen galt erhöhte Aufmerksamkeit. Wohlfahrtspflegerisches Ziel war, ältere hilfsbedürftige Personen, die einen eigenen Haushalt nicht mehr führen konnten, möglichst gemeinsam zu versorgen. Um bestehende Vorbehalte, die Selbständigkeit aufzugeben und sich von der Haushaltung zu trennen, abzubauen, sollte bei der Neueinrichtung von Heimen Gefühlen und Wünschen der alten Menschen verstärkt Rechnung getragen werden und ihnen z. B. gestattet werden, eigene Möbel mit zu bringen. Verbunden mit dem wohlfahrtspflegerischen Ziel der gemeinschaftlichen Versorgung unter vermehrter Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse von Rentnern war das grundsätzliche wohnungswirtschaftliche Bestreben, angesichts hoher Wohnungsnot die öfters von hilfsbedürftigen Alleinstehenden noch bewohnten größeren Wohnungen wieder auf dem Wohnungsmarkt für mehrköpfige Familien zur Verfügung zu haben.


Das Vorbild des Siedlungsbaus zur Zeit der Weimarer Republik

In Frankfurt am Main wurde nach der Inflationszeit, in der kurzen Spanne von 1925-1933 ein groß angelegtes Programm zur Linderung der Wohnungsnot in stadtteilähnlichen Dimensionen, sog. Siedlungen, realisiert mit Mietwohnungs- und Eigenheimbau nach den Vorstellungen des Neuen Bauens, der Neuen Sachlichkeit, die in Deutschland allgemein im Zusammenhang des Bauhauses bekannt sind.

In der Gesamtanlage der Siedlungen favorisierte man eine Zusammenfassung der Wohnungen in Zeilen, die sog. Zeilenbauweise, um eine bessere Durchlichtung und Durchgrünung zu erreichen, als sie bei der traditionellen Zusammenfassung von Wohnungen in Baublöcken, der sog. Blockrandbebauung (zu der man aber inzwischen teils zurückgekehrt ist) gegeben war. Farben wurden in einer neuen, heute noch prägenden Weise angewandt, große Flächen nunmehr weiß gefasst und kontrastiert mit Flächen in ungewohnt kräftigen Farbtönen, z. B. den Grundfarben. Um Baukosten zu senken, wurde eine bautechnische Rationalisierung vorangetrieben. Man unternahm Anstrengungen zur Optimierung der Wohnungsgrundrisse, speziell befasste man sich mit Kleinstwohnungen, mit der Optimierung des Grundrisses in Wohnungen für das Existenzminimum. Grundsätzlich sollten die Bewohner einer Siedlung ein neues Verständnis des Wohnens leben. Die Gemeinschaft, der Kollektivgedanke wurden zu Zielvorstellungen, die ihren Ausdruck auch in gemeinschaftlichen Wirtschaftsbauten der Siedlungen, z. B. Wäschereien, finden sollten.

Das 1929/30 nach Entwürfen der Architekten Mart Stam, Werner Moser, Ferdinand Kramer und der Architektin Erika Habermann an der Hansaallee errichtete Henry und Emma Budge-Altersheim ist einer der bedeutendsten Einzelbauten des Neuen Frankfurt der Weimarer Republik. Es hat sich in seinem Grundgefüge und wichtigen Ausstattungsbereichen bis heute erhalten.

Im Henry und Emma Budge-Heim sind grundsätzlicher Geist des Siedlungsbaues, der Kollektivgedanke, und die vom Siedlungsbau im Einzelnen gewonnenen Erfahrungen - so beim Bau von Kleinstwohnungen - auf den Altenheimbau angewendet und mit den speziellen Bedürfnissen alter Menschen verbunden worden. Auch finden sich die Maximen der Durchlichtung, Durchgrünung, die Anwendung neuer Materialien und die neue Art der Farbgebung wieder.


Stifter, Stiftung und Bewohner

Errichtet wurde das Altersheim aus Mitteln der 1920, zum 80. Geburtstag von Henry Budge ins Leben gerufenen Henry und Emma Budge-Stiftung. Henry Budge, früherer jüdischer Frankfurter Bürger war 1866 in die USA ausgewandert, dort durch Sanierungen verschiedener Eisenbahngesellschaften wohlhabend geworden und 1903 als amerikanischer Staatsbürger nach Deutschland, in die Heimatstadt seiner Frau, nach Hamburg, zurückgekehrt. Er war Zeitzeuge und Handelnder bei der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung, von der langsamen Gewinnung der Bürgerrechte bis zur schließlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichberechtigung. Er wurde Stifter als Gründungsmitglied der Frankfurter Universität. Seine 1920 gegründete eigene Stiftung stand unter dem Leitgedanken des Zusammenlebens der Frankfurter Bürger – Juden und Christen – in Toleranz und Solidarität. Die Bewohner des Altersheims sollten jeweils zur Hälfte Juden und zur Hälfte Christen sein. Dabei war es durch den verhältnismäßig hohen Pflegesatz lediglich mindestens Angehörigen des Mittelstandes möglich, in das Heim einzuziehen, nicht aber, auch bei Stiftungszuschüssen, Rentnern aus der Arbeiterschaft. Vom Typ her würde man das Budge-Heim heute vorwiegend als Altenwohnheim für Bewohner mit einer offensichtlich verhältnismäßig geringen Pflegebedürftigkeit bezeichnen.

Lebensdaten der Stifter/in

  • Henry Budge (geb. am 20.11.1840, verst. am 20.10.1928)
  • Emma Ranette Budge geb. Lazerus (geb. am 17.02.1852, verst. am 14.02.1937)
  • Gründung der Stiftung am 20. Dez. 1920 in Lugano (Schweiz)

Der Bau in seiner speziellen Ausrichtung auf Bewohner und Angestellte

Zwei Wohnzeilen mit den Einzelwohnungen der Rentner sowie, als Verbindungsbau im Zentrum, die Gemeinschafts-, Versorgungs-, Empfangs- und Verwaltungsräume ergeben eine H-förmige Gesamtanlage des Altenheims. Asymmetrisch hinzu tritt der Bau des angegliederten Angestelltenhauses.

Angestrebt wurden auf der einen Seite eine möglichst weitgehende, ungehinderte Bewegungsmöglichkeit der Bewohner, auf der anderen Seite aber auch kurze Wege für alle – daher die Anlage des Speisesaals im Zentrum. Kurze Wege waren auch auf das Wohl des Personals ausgerichtet: So konnte z. B. das zubereitete Essen von einer Durchreiche im Speisesaal ausgeteilt werden. Auch waren in der Küche Arbeitserleichterungen für das Personal durch moderne Einrichtungen wie die einer Spülmaschine gegeben.

Die Anlage des Speisesaals im Zentrum und eine zusätzliche, ihm eigene Funktion machten ihn auch zur ideellen Mitte der Anlage: Er war in seinem Grundriss variabel und konnte mit einem anschließenden kleineren Musikraum zu einem großen gemeinschaftlichen Festraum vereinigt werden. An den Seiten des Saales ergaben verstellbare Wände, wenn sie geöffnet, d.h. quer gestellt waren, eine Reihe von Nischen, in denen Gruppentische aufgestellt werden konnten. Fanden in der Mitte des Saales Aktionen statt, hatten die Bewohner die Möglichkeit, in überschaubaren, abgeschlossenen Einheiten an den Seiten zu sitzen, waren nicht „ausgesetzt“.

Ein solches Verhältnis einerseits von überschaubaren, abgeschlossenen Einheiten und weiten offenen, zur Bewegung anregenden Bereichen hat auch die Anlage der Wohneinheiten im Bezug zur Umgebung bestimmt und findet sich ebenso in der Disposition der großzügigen Eingangshalle mit Treppenanlage wieder: Hier sind – teilweise transparent – kleinere Raumeinheiten abgeteilt worden, die beim Empfang, bei der Unterhaltung mit Besuchern einen angenehmen Rahmen an den dort aufgestellten Tischen mit Sitzgruppen schufen.

Für die Rentner wurden 94 Ein- und 6 Zweizimmerwohnungen, aufgereiht in den beiden Wohnzeilen, eingerichtet. Die Erschließungsgänge liegen nach Norden, die Haupträume der Wohnungen sind konsequent nach Süden orientiert. Damit beabsichtigten die Architekten, den Zimmern ein Maximum an Licht und Wärme zu geben.

Jede Wohnung bestand aus Vorraum, Abstellraum, Wohnzimmer und Balkon. Im Vorraum waren die Kleiderablage, ein Waschtisch mit fließend Kalt- und Warmwasser, ein Kochschränkchen und ein großer Kleiderschrank angeordnet. Der Abstellraum erschien wichtig für das Empfinden der Bewohner, eine eigene Wohnung zu besitzen anstatt nur eines eigenen Zimmers. Bad und WC waren jedoch von den Wohnungen getrennt und nur als Gemeinschaftsbäder in geringerer Anzahl vorhanden. Der Hauptraum war angelegt als Wohn-Schlafzimmer mit Bettnische. Gegenüber der Bettnische ein großes Fenster, nahezu die ganze Zimmerbreite und Zimmerhöhe einnehmend. Vor jedem Zimmer befand sich im Obergeschoss ein jeweils zum Nachbarn nur transparent abgegrenzter Terrassenbalkon bzw. im Untergeschoss eine Terrasse. Erkennbar wird wiederum einerseits die abgeschlossene private Einheit der Wohnung, andererseits die geförderte Möglichkeit zur Bewegung, zum Erleben von Licht und Luft, zum unkomplizierten Hinaustreten auf die Terrasse, zur Nutzung des gemeinschaftlichen Bereichs der Grünanlagen in und vor den U-förmigen Höfen. Begünstigt wurde dies durch den nahezu ebenerdigen Übergang von der Terrasse zum Garten bzw. durch die notwendige Überwindung nur eines Stockwerkes im Rahmen des für die ganze Anlage gewählten Typus des niedrigen, vorwiegend nur zweigeschossigen Flachbaus.


Die Zeit des Nationalsozialismus

Den Intentionen der Stifter entsprechend konnten die Bewohner nur wenige Jahre im Henry und Emma Budge-Heim wohnen. Bis 1939 wurden alle jüdischen Bewohner durch einen drohenden Verkauf des Heimes an die Gestapo zum Auszug genötigt. Schließlich ging das Heim an die Stadt und nachfolgend an eine für Juden verschlossene Körperschaft über. Nach Bombenschäden wurden die Bewohner zuletzt evakuiert. Ausgehend vom Ende des Jahres 1942 besiegelte man in furchtbarer Weise das Ende der Henry und Emma Budge-Stiftung: Der jüdische Anteil des verbliebenen Vermögens wurde auf das Sperrkonto einer Gestapo-Institution überwiesen, mit dem Geld wurden Rechnungen für die Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz beglichen.


Entwicklung nach 1945

Nach 1945 ist das Gebäude über nahezu 40 Jahre durch die US-Armee genutzt worden, zuletzt als Zahnklinik für das V. Armeecorps. 1956 wurde die Henry und Emma Budge-Stiftung wieder in ihre Rechte eingesetzt. Auf der Basis der Stiftungsurkunde von 1920 wurde mit einem 1964-68 errichteten neuen Haus in Frankfurt-Seckbach ein Neuanfang im Zusammenleben von jüdischen und christlichen Bewohnern gewagt. 1998 war in Frankfurt-Seckbach wiederum der Neubau eines Pflegeheims fertiggestellt, 2003 eine Wohnanlage eingeweiht.


Der Bau an der Hansaallee unter dem jetzigen Eigentümer

Das ursprüngliche Henry und Emma Budge-Heim von 1929/30 war während der Nutzung durch die US-Armee mit Ausnahme des Einbaus unpassender Fenster ohne tiefgehende Eingriffe erhalten geblieben.

Mit dem jetzigen Eigentümer, der GbR Seniorenwohnanlage Grünhof Kurt Altmann, fand sich schließlich ein Bauherr, der bereit war, die ursprüngliche Nutzung als Altenwohnheim wieder aufzunehmen, die Werte der einst so fortschrittlichen Architektur zu respektieren und auch für die gegenwärtigen Bewohner erlebbar zu erhalten. Bei der unter fachkundiger Leitung erfolgten Sanierung konnten die Gemeinschaftseinrichtungen gemäß dem ursprünglichen Konzept wiederum in den bestehenden Räumlichkeiten im Zentrum der Anlage eingerichtet werden. Es gelang, das ursprüngliche Farbkonzept wiederherzustellen. In den Appartements wurden Bäder entsprechend den heutigen sanitären und pflegerischen Anforderungen eingebaut. Alle Zimmereingänge waren auf Rollstuhltauglichkeit zu verbreitern. Zwei Appartements wurden mit Originaltüren und Schrankeinbauten museal erhalten. Einer späteren Sanierung mag es vielleicht gelingen, die wichtigen Anforderungen der Wärmeisolation auch mit schlankeren Fensterprofilen, den ursprünglichen ähnlich, zu erreichen, so dass der einstige Charakter von Leichtigkeit wieder am ganzen Gebäude erlebbar wird.


Anschauungsmaterial

Einen guten Eindruck vom Henry und Emma Budge-Heim im Jahr 1931 gibt ein seltenes Filmdokument, ein vom Deutschen Filmmuseum in Frankfurt veröffentlichter Dokumentarfilm (Stummfilm) der Filmemacherin Ella Bergmann-Michel mit dem Titel „Wo wohnen alte Leute“, in dem der neuartige soziale Anspruch der Einrichtung deutlich hervortritt.

Literatur

  • Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 1924, S. 12-14, Stichw. Altersheime
  • Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930, S. 1, Stichw. Altersheime
  • Kondratowitz, Hans-Joachim von; Geschichte der Altenpflege, in: Wallrafen-Dreisow, Helmut (Hrsg.); Ich bin Altenpfleger/in, Berichte aus der Praxis, Hannover 1990
  • Kramer, Lore; Das Altersheim der Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt am Main – Intention und Realität, in: Wissenschaftliche Zeitschrift Hochschule für Architektur und Bauwesen (Weimar), Jg. 36 (1990), H. 1/3, S. 138-141, mit weiteren Literaturangaben
  • Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA); Rund ums Alter, Alles Wissenswerte von A-Z, München 1996
  • Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.); Denkmalpflege und Kulturgeschichte 1/2004, S. 17
  • Mohr, Christoph; Müller, Michael; Funktionalität und Moderne, Das Neue Frankfurt und seine Bauten 1925-1933, Köln 1984
  • Mohr, Christoph: Frankfurt a.M., Henry und Emma Budge-Altersheim, Ein " Rentnerhotel" des Neuen Bauens, D&K, 1/2004

Weblinks