Ruth Cohns Beitrag zur Kommunikation

Aus Familienwortschatz
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Wer kennt sie nicht, diese endlosen Besprechungen, wo „wichtige“ Leute nicht enden wollende Monologe halten, wo es angeblich nur um die Sache geht, wo Gefühle bewusst unterdrückt, wo Konflikte unter dem Tisch gehalten werden. Die Ergebnisse vieler Besprechungen und Konferenzen sind kärglich und die Teilnehmer ziemlich frustriert. Oder die Arbeit in Projektgruppen: Warum geht es nur schleppend voran? Warum ist es so schwer, die Teilnehmer auf Linie zu bringen, sie von meinen Ideen zu überzeugen? Es treten Konflikte auf. Jeder will sich profilieren, auf Kosten der anderen und kocht sein eigenes Süppchen. Wie kann man das verhindern? Wie arbeitet man mit der Gruppe effizient und erzielt positive Arbeitsergebnisse?

Beitrag von Ruth Cohn zur Gesprächsführung und Kommunikation.

Regeln für die Gruppenarbeit nach Ruth Cohn

Ruth Cohn hat eine Methode entwickelt, die sie „Themenzentrierte Interaktion“ (TZI) nennt. Was ist TZI? Es handelt sich um das Lebenswerk Ruth Cohns und besteht darin, sachliche Gesichtspunkte (Thema) mit dem Menschlichen und Mitmenschlichen (Ich + Wir) in Einklang zu bringen. Die Sach- und Beziehungsebene gehören bei Ruth Cohn zusammen. Man könnte TZI mit „themenbezogener Gruppenarbeit“ übersetzen.

Das Grundprinzip der interaktionellen Methode ist die „dynamische Balance“.

Die Grundelemente, das ICH, das WIR, das ES, müssen gleichgewichtig behandelt werden.


ICH = die eigenen Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse

WIR = Interaktion in der Gruppe

ES = die Aufgabe, das Thema, um das es in der Gruppe geht

Es kommt noch ein vierter, wichtiger Faktor hinzu: der Globus, die Umwelt. Eine Gruppe darf nicht das Umfeld, die Welt, in der wir leben, aus den Augen verlieren. Das wäre realitätsfremd. Die Außenwelt beeinflusst immer die Arbeit in der Gruppe.

TZI beruht auf humanistisch-holistischen Grundsätzen. Es gibt Regeln und Hilfsregeln. Hier die wichtigsten:

Postulate

- Du bist dein eigener Chairman. Leite dich selbst, sei du selbst!

- Höre auf deine inneren Stimmen, deine verschiedenen Bedürfnisse, Wünsche, Motivationen, Ideen. Brauche alle deine Sinne: Höre, sehe, rieche, nimm wahr!

- Gebrauche deinen Geist, dein Wissen, deine Urteilskraft, deine Verantwortlichkeit, deine Denkfähigkeit.

- Wäge deine Entscheidungen sorgfältig ab. Niemand kann dir deine Entscheidung abnehmen.

- Ich akzeptiere mich, wie ich bin. Das schließt meine Wünsche und Absichten ein, mich zu ändern.

- Ich mache mir meine Gefühle bewusst und wäge das „Ich soll“ gegen mein „Ich möchte“ ab.

- Sich selbst und andere wahrnehmen.

- Menschliche Achtung gegenüber den anderen.

- Welche Möglichkeiten habe ich, wo sind meine Grenzen: Ich bin nicht allmächtig, ich bin aber auch nicht ohnmächtig.

Störungen haben Vorrang

Störungen fragen nicht nach Erlaubnis, sie sind da: als Schmerz, als Freude, als Angst, als Zerstreutheit. Wer sich ärgert, zu sehr langweilt, Schmerzen hat, aufgeregt ist, sich freut oder sich nicht konzentrieren kann, soll es sagen. Störungen und leidenschaftliche Gefühle haben Vorrang vor dem behandelten Thema. Sie müssen erst beseitigt werden.

Hilfsregeln

1. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen, sprich nicht per MAN oder WIR, sondern per ICH.

Die Formulierungen

o Wir glauben

o Man tut das nicht

o Jemand denkt

o Niemand sollte

sind fast immer persönliche Versteckspiele. Wenn ich an meine eigene Aussage glaube, brauche ich keine fiktive, quantitative Unterstützung des anderen. Die Regel fordert auch, „verantwortliche Aussagen“ zu machen.

2. Sei authentisch und selektiv in deiner Kommunikation. Mach dir bewusst, was du denkst und fühlst, und wähle, was du sagst und tust.


Wie leite ich eine Gruppe?

Ruth Cohn hat die Frage so beantwortet:

- Ich beschäftige mich mit dem Thema, was ich davon weiß, und warte, was die anderen sagen.

- Ich fördere Meinungs- und Gefühlsäußerungen, ähnlich wie in Therapiegruppen, nur gehe ich auf persönliche Probleme nicht länger ein.

- Ich lasse jeden so sein, wie er ist, solange niemand gegen sich selber oder andere destruktiv zu sein scheint. Nur dann interveniere ich. So fördere ich ein akzeptierendes, tolerantes Klima.

- Ich verstehe das Thema und die Wichtigkeit der Person und ihre Kommunikation. Gefühle sind mir gleich wichtig.

- Wenn Störungen oder starke Betroffenheit jemanden hindern, sich auf die Gruppe einzulassen, gebe ich Störungen und Ablenkungen den Vorrang.

- Ich bin als Leiterin Mitglied der Gruppe wie alle anderen, mit einer zusätzlichen Funktion: die Arbeit, die Interaktion der Gruppe, die Betroffenheit oder eben Störungen wahrzunehmen und mich einzusetzen, wenn ich glaube, dass es angemessen sei.


Rolle des Gruppenleiters

Der Gruppenleiter ist verantwortlich dafür, dass die Balance ICH-WIR-ES hergestellt wird. Er muss also seine Aufmerksamkeit richten auf:

- das Thema

- sich selber

- die anderen Teilnehmer

- die Interaktion

- das Einhalten der angebotenen Struktur (Gruppenarbeit, Kleingruppenarbeit, Zweiergespräche, Rollenspiele. Die Struktur wird durch die Gruppe festgelegt).

Der Leiter der Gruppe hat dafür zu sorgen, dass das Thema, die Aufgabe themenzentriert und positiv formuliert werden:

Nicht: Beschwerden über die Pflege, sondern Was müssen wir tun, um die Pflegequalität zu verbessern?

Der Leiter der Gruppe fördert die Autonomie jedes einzelnen Teilnehmers, behandelt jeden gleichwertig und versucht, ein angstfreies Klima herzustellen.


Literatur

- Cohn, Ruth: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion, Klett-Cotta Stuttgart 2009, ISBN 9783608952889

- List, Karl-Heinz: Praxisbuch Personalmanagement in der Pflege, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2010, ISBN 9783941468214

- Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Kommunikationspsychologie für Führungskräfte, Rowohlt Reinbek, 2003, ISBN 9783499615313