Trajektmodell
Das Trajektmodell dient als übergreifende Orientierungsrahmen für patientennah arbeitende Gesundheitsberufe zur Verbesserung der Versorgungskontinuität multimorbider langzeitpflegebedürftiger Patienten. Es wurde von Strauss und Corbin 1988 als "model for health policy and practice" entwickelt.
Probleme
Problem: fragmentiertes Gesundheitssystem mit vielen Übergängen (Institutionen/Berufsgruppen) für Pat mit einem hohen Care und Cure Bedarf
Die daraus erwachsenden Probleme lassen sich auf drei Ebenen beobachten:
- Patienten und Angehörige: Diskontinuitätserfahrungen, führen zu Verschüttung von Rehabilitationserfahrungen, Genesungsverzögerungen, unnötiger Leidensbelastung
- Beschäftigte in der Gesundheitsversorgung: Verlust der Gesamtsituation, keine gemeinsame Fallverantwortung, Bewältigungserfordernisse der Pat. und Handlungsstrategien beziehen sich nicht aufeinander, Fehlversorgung ist vorprogrammiert
- Ebene des Gesundheitssystems: Vergeudung knapper Ressourcen, kaum notwendige Synergieeffkte spezialisierter Einzelinterventionen
Disease Management Programme scheinen hierfür keine Lösung zu sein, da sie sich auf nur eine Erkrankung beziehen
Normdruck und Normschwäche
- Normdruck: erleben von starkem Erwartungsdruck seitens der Einrichtung, Kollegen, Pat. erschwert die Wahrnehmung von Handlungs und Gestaltungsspielräumen
- Normschwäche: bezieht sich auf die Unkenntnis und Unsicherheit was der gemeinsame Bereich der Versorgung der Patientengruppe ist
Normschwäche und Normdruck verstärken die institutionellen und konzeptionellen Versorgungsbrüche besonders in vier Handlungsfeldern:
- Umgang mit den organisationalen Anforderungen an die Arbeitausrichtung
- Im Umgang mit innerprofessionellen Hierarchien/Machtgefügen
- Im Umgang mit interprofessionellen Hierarchien/Machtgefügen
- Im Umgang mit den Veränderten Rollen der Patienten
Institutionelle Versorgungsbrüche
- verursacht durch die immer stärkeren Spezialisierungstendenzen
- verstärkt durch die enge Anlehnung der Interventionen an ökonomische und lukrative Schwerpunktaufträge und die Reduzierung der Tätigkeiten auf diese
- diese Spezialisierung bietet auch einen Ausweg aus dem hohen Normdruck
Konzeptionelle Versorgungsbrüche
- beziehen sich auf die Wirkung der Spezialisierung auf Seiten der Akteure
- Auswirkungen sind die unterschiedlichen Problemeinschätzungen, Interventionsstrategien und Zielvorstellungen der Berufsgruppen
- Führt dazu das bei komplexen Versorgungserfordernissen die Gesamtsituation des Pat aus dem Blick gerät
- Eine übergeordnete Zielabstimmung und Koordination unterbleibt
- Vom Pat wird eine nicht mehr Aufeinander bezogen sein der unterschiedlichen Maßnahmen
- Verursacht werden diese durch die unterschiedliche Sozialisationen, Interessen, Wissenskörpern, Machtinteressen, Kompetenzen, rechtlichen Zuständigkeiten
- Diese Konzentration der Professionen auf ihre Sicht der Dinge muß als Normschwäche gewertet werden
Die intensive Gewahrwerdung und Auseinandersetzung mit Normdruck und Normschwäche führt üblicherweise zu Rollenstress
- Rollenstress führt oft zu: Engagementverlust, Distanzverlust (zwanghaftes bestehen auf Regeln, Überanpassung an organisationale Erfordernisse, aufblähen der eigenen Autorität, Querolantentum...)
- Erforderlich ist deshalb Schnittstellen relevante Arbeitabläufe zu reorganisieren und ihre Einzelelemente aufeinander zu beziehen
- Auf Seiten des Gesundheitssystems sind hierfür veränderte Rahmenregelungen nötig
- Trotzdem besteht innerhalb der Organisationen und der Berufsgruppen durchaus Spielraum den Beschriebenen Versorgungsbrüchen zu begegnen
Das Trajektmodell als übergreifender Orientierungsrahmen
Das Trajektkonzept (von Stauss und Corbin 1988 als model for health policy and practice entwickelt) teilt dem in Krankheitsepisoden denkendem normalen Medizin Modell, trajectories (Verläufe) entgegen
- Ausgangspunkt sind die individuellen aber meist typischen Bewältigungserfordernisse der Pat.
- Pat. bekommen eine aktive Gestaltungsrolle
- Betont werden die Wechselwirkungen zwischen Krankheits- und Pflegeverlauf, unterschiedlichen inneren und äußeren Einflussgrößen, die den induíviduellen Verlauf konstituieren
- Anhand des modifiziertem Trajektmodells nach Höhmann lassen sich zwei Hauptkennzeichen identifizieren: die zentralen Bewältigungsarbeiten und das Phasenkonzept
Die zentralen Bewältigungsarbeiten
- Krankheitsbezogene Bewältigungsarbeit: unterschiedlichste Methoden Symptome vorzubeugen, unter Kontrolle zu halten , zu lindern, sekundär Erkrankungen zu verhindern
- Alltagsbezogene Bewältigungsarbeit: umfassendes Management der täglichen Abläufe die bedroht sind oder schon zusammen gebrochen sind
- Biografiebezogene Bewältigungsarbeit: Integration der Veränderungen in die eigene Lebensgeschichte, der Neuentwurf der Identität/Zukunftsvorstellungen
- Steuerungsarbeiten:
- zentraler Kern
- oft unsichtbar
- beinhaltet die hinter den konkreten Bewältigungsarbeiten liegenden Informations-, Beratungs-, Ordnungs- und
Kompensationsprozesse
- zum Teil als Selbststeuerungsarbeit aber gerade bei älteren und multimorbiden oft in fremder Hand
- Schulungen/Beratungen können je nach Fragestellung als gesonderter Punkt oder als Unterstützung der Selbststeuerungsarbeit angesehen werden
Das Phasenkonzept
- Sind Managementphasen die sich bei langfristiger Erkrankung und Pflegebedürftigkeit ergeben
- Übergänge sind nicht gradlinig oder deterministisch, die Dauer der einzelnen Phasen ist ungewiss
- Der Grad der Abhängigkeit steigt von 2-7
- Schritte in eine höhere Phase sind möglich
- Vorstadium: Aufschichtung des Verlaufkurvenpotentials (sich abzeichnende Risiken)
- Hervorgehobenes, auslösendes Ereignis der Verlaufskurve (auslösendes Ereignis egal welcher Genese)
- Labiles Gleichgewicht mit z.T. stabilen Elementen, jenach Coping Kapazität
- Erschöpfung der (inneren) Handlungskapazitäten
- Entwicklung von Folgeproblemen (zweiter Ordnung)
- Labiles Gleichgewicht gerät ins Trudeln (oft durch äußere Einflüsse)
- Zusammenbruch der Handlungsorientierung (in Folge äußerer und innerer Wandlungsprozesse)
Praktische Konsequenzen
In der Verbesserung der alltäglichen Schnittstellengestaltung hat das Trajektmodell drei praktische Unterstützungsfunktionen
- inhaltlicher Rahmen zur Rekonstruktion und Analyse der Versorgungspraxis/brüche
- Orientierungskonzept zur Weiterleitung von Care und Cure bezogenen Informationen im Inner und Interprofessionellem Dialog
- als Strukturierungsinstrument zur berufs- und einrichtungsübergreifenden Versorgungsplanung und –durchführung
Akteure
- Erlangung besonderer Qualifikationsanforderungen besonders im Beratungs- und Case Management Bereich und in generellen Abstimmungsprozessen und Steuerungsarbeiten
- Identifizierung des fachlichen Eigenbeitrags in der Versorgungskette im Zusammenhang mit dem übergeordneten Care und Cure Bedarf
- Fähigkeit Aushandlungsprozesse mit Patienten, Angehörigen, anderen Berufsgruppen, Organisationen einzuleiten und abgestimmte Handlungsstrategien einzuleiten
- Ausbalancieren der alltäglichen Normschwächen und des Normdrucks und seine Interventionsbeiträge zu leisten
Arbeitsabläufe:
- Möglichkeit zur inhaltlichen Füllung der Patientenorientierung
- Erfordernis von sequenziell vollständigen und sequenziell vollständigen und überschaubaren Arbeitsabläufen
- Konzeptionelle Beteiligung an Planungsüberlegungen
- Beteiligung and der Durchführung oder die Information darüber
- Beteiligung an der Bewertung von Ergebnissen und der Neuausrichtung
Einrichtungen
- organisationaler Wille patientenbezogene Prioritätensetzungen von Arbeitsabläufen zu ermöglichen
- Bändigung von berufgruppenbezogenen Einzelinteressen
- Gezielte Kompetenzentwicklung von Berufsgruppen, gestützt durch OE um Leerlaufkommunikation und Konflikte zu verhindern
- Corporate Identity auf Care und Cure Bedarf (also Patientenzentriert) und nicht so sehr auf die jeweilige Einrichtung
Gesundheitssystem
- Integration von Care Prioritäten in das dominierende Care Paradigma
- Nutzerorientierte, vernetzungsfreundliche, ökonomische und juristische Rahmenbedingungen
- Veränderte berufliche Sozialisation aller beteiligten Berufgruppen
- Schaffung von Denkmodellen und Ausbildungskonzepten die inhaltliche Verständigungsmöglichkeiten im interprofessionellen Dialog fördern
- Förderung/Stärkung von Patientenrechten
- Förderung von Informationsmöglichkeiten
siehe auch
Literatur
Höhmann, U. (2002) - Spezifische Vernetzungserfordernisse für chronisch kranke, langzeitpflegebedürftige hochaltrige Menschen. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.) - Expertisen zum Vierten Altenbericht der Bundesregierung. Band III. Vincentz. Hannover. S. 289-405
Corbin, J. M. & Strauss, A. L. (2004) - Weiterleben lernen. Verlauf und Bewältigung chronischer Krankheit. 2. Auflage. Verlag Hans Huber. Bern
Weblinks
http://www.pflege-und-gesundheit.net/pdfs/Trajectory_Model.pdf