Grounded Theory

Aus Familienwortschatz
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Die Grounded Theory (gegenstandsbezogene Theorie) ist eine Forschungsmethode der qualitativen Forschung, welche erstmals in den 1960er Jahren von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss vorgestellt wurde. Zur Strategie der Vorgehensweise existieren unterschiedliche Interpretationen und Schulen, so dass man nicht von der Grounded Theory sprechen kann.


Geschichte

Ein Familienmitglied Glasers lag im Sterben. Glaser fiel auf, dass dieses Thema innerhalb der Familie tabuisiert wurde, und kein Familienmitglied mit dem Betroffenen über sein Sterben sprach. Dies war Anlass für Glaser, mehr über das Phänomen "Sterben" herauszufinden. Seine Leitfrage war "Wie sterben Menschen in Amerika?" Zusammen mit Strauss ging er in Krankenhäuser, und beobachtete Patienten, die im Sterben lagen, sowie deren Pflegende und Ärzte. Ihre Ergebnisse veröffentlichten Glaser und Strauss in der Studie: Awareness of Dying (Interaktion mit Sterbenden)

  • Glaser und Strauss haben sich anschließend gefragt: "was haben wir überhaupt getan ?"
  • Ziel: Andere Methoden zur Theoriebildung für die Soziologie entwickeln: Eine Theorie, die sich aus der Empirie heraus entwicklend... Über viele kleine gegenstandsbezogene Theorien zu einer grossen (abstrakten) Theorie zu kommen. Es ist ein anderes Ziel, ob man gegenstandsbezogene oder angewandte Forschung betreibt (anwendungsbezogene Zielsetzung)
  • bestimmte Verfahrensweisen haben sich bewährt (zB Kontrastives Vorgehen, ständiges Überprüfen der Kategorien). Über die genaue Verfahrensweise hatten Glaser und Strauss unterschiedliche Auffassungen. Durch ihre unterschiedlichen Meinungen zerstritten sie sich.

Interaktionismus

Die Grounded Theory ist mit dem symbolischen Interaktionismus verwurzelt, der

  1. Interaktionsprozesse zwischen Menschen, menschliches Verhalten und soziale Rollen erforscht
  2. erklärt, wie Individuen versuchen, ihre Handlungsweisen auf die anderer Menschen abzustimmen und wie sie auf das Verhalten Anderer reagieren, es interpretieren und ihr eigenes Verhalten ändern
  3. eine Einzelperson ist aktiv und kreativ, nicht passiv
  4. Verhalten kann nur im Kontext der Aktion verstanden werden
  5. Symbolischer Interaktionismus konzentriert sich auf Handlung und Wahrnehmung des Individuums und seine Vorstellung und Absichten
  6. Forschende müssen in die Welt interaktiver Personen eintreten, Forschungsansatz findet im natürlichen Umfeld statt
  7. Betrachtung der Situation aus der Perspektive des Partizipienten

Grounded Theory, um Interaktionen, Verhaltensweisen und Erlebnisse der Partizipienten zu erforschen, aber auch die Wahrnehmung des Einzelnen und seine Überlegungen dazu


Die Grounded Theory ist gegenstandsbezogen, weil sie direkt aus der Situation (dem Gegenstand) heraus entwickelt wird


Ziele der Grounded Theory

  • Theorieentwicklung aus gesammelten Daten
  • Schaffung von erklärenden Theorien für menschliches Verhalten, Verhaltensmuster und soziale Prozesse
  • Modifizieren (Abwandlung/ Einschränkung) oder Ausweitung bestehender Theorien
  • Untersuchung der Interaktion, des Verhaltens und der Erfahrungen von Menschen


Theoriebegriff der Grounded Theory

allgemein: Theory ist, was etwas beschreibt, erklärt oder vorhersagt

  • eine Theorie besteht aus einem Bündel von Konzepten und Kategorien, die auf Grund einer Reihe von Aussagen integriert sind, welche das Wesen der Beziehung der Konzepte und Kategorien untereinander definieren
  • in der Summe erklären die Konzepte und Kategorien einzelne Phänomene sowie ihre Beziehung untereinander
  • Grounded Theory nimmt immer an, einem Phänomen oder dem Forschungsgebiet liegt ein Prozess zugrunde, was sie elementar von der Phänomenologie unterscheidet, da die Phänomenologie sich auf das Wesen eines Phänomens konzentriert
->Grounded Theory = Fokus auf Darstellung des Prozesses eines Phänomens
->Phänomenologie = Fokus auf Beschreibung des Wesens eines Phänomens


Was bedeutet methodisches Vorgehen im Sinne der Grounded Theory?

Methodologisch gesehen ist die Analyse qualitativer Daten nach der Grounded Theory auf die Entwicklung einer Theorie gerichtet, ohne spezielle Datentypen, Forschungsrichtungen oder theoretische Interessen gebunden zu sein

-> in diesem Sinne ist die Grounded Theory keine spezifische Methode oder Technik, sie ist vielmehr als ein Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert und der auf einer Reihe von charakteristischen Merkmalen hinweist (Theoretical Sampling, methodologische Leitlinien wie kontinuierliche Vergleichen, Anwendung von Kodierparadigmas)

Gütekriterien für eine Grounded Theory Studie

Gütekriterien für eine gute Grounded Theory Studie sind:

  1. Angemessenheit, d.h., die Theorie sollte dem realen Leben entsprechen
  2. Verständlichkeit, d.h. sie sollte für Informanten und professionell Tätige verständlich und nachvollziehbarsein
  3. Generalisierbarkeit, d.h. die sollte in einer Vielzahl von ´Settings´und Kontexten anwendbar sein
  4. Überprüfbarkeit, d.h. man soll nachvollziehen können, dass die Theorie wirklich aus den Daten gebildet wurden.


Ergebniskriterien

  1. Passung, d.h., die Ergebnisse passen inhaltlich zu dem Forschungsgebiet
  2. Funktionalität, d.h. die Ergbnisse müssen Informationen zum Forschungsgebiet liefern und beschreiben, wie sie im Forschungsgebiet funktionieren (z.B. "Vorhersage")
  3. Relevanz, d.h., in der Forschung werden Kern- und Basiskonzepte des Forschungsgebiets thematisiert
  4. Modifizierbarkeit, d.h. es muss gewährleistet sein, dass gesellschaftliche Veränderungen die Theorie verändern können.


Hauptmerkmale der Grounded Theory als Forschungsprozess

  • Forscher beginnt mit einem spezifischen Interesse oder einer Fragestellung in einem bestimmten Bereich. Dieser Bereich ist wenig bekannt.
  • Grounded Theory-Forscher sammeln Daten aus diesem wenig bekannten Bereich und ermöglicht Ideenentwicklung aus den Daten
  • Theoretical Sampling ist der Prozess, der die Datenerhebung und Datenanalyse leitet und so lange fortdauert, bis Konzept von ihren Eigenschaften und Dimensionen her gesättigt sind. Von einer echten Sättigung kann man allerdings nicht sprechen, da die soziale Welt unendliche Facetten besitzt und sich ständig wandelt. Man erhebt bis man für sich selber keine neuen Erkenntnisse erzielt und keine weiteren Fragen an seine Daten hat.
  • Forscher, die nach der Methode der Grounded Theory arbeiten, betreten das Foschungsfeld nicht mit theoretischen Vorannahmen/ vorgefassten Ideen über den Gegenstand („bracketing“ von theoretischen Rahmen)
-> Theorieentwicklung kann dadurch blockiert werden
-> vordefinierte Theorien sind kontraproduktiv, da sie dem entgegenstehen, was zu erreichen versucht wird
-> um Perspektive des Patienten einnehmen zu können
  • Ausnahme: wenn das Forschungsziel darin besteht, ein in früheren Forschungen gewonnene Theorie zu erweitern oder zu modifizieren, darf das Untersuchungsfeld mit einer vordefinierten Theorie betreten werden
  • Grounded Theory betont Kontextbedeutung; enge Verknüpfung von Theorie und Daten
  • Forschunsstil ist „constant comparison“ (= permanetes Vergleichen): zirkulärer Prozess
-> jede Datensequenz wird fortwährend auf Übereinstimmung und Unterschiede anlaysiert und verglichen
-> auch Literaturergebnisse fließen als Daten mit ein (Glaser: erste nach Theoriebildung!)
-> Daten werden kodiert und kategorisiert -> Konzepte und Konstrukte werden gebildet
-> Forscher sucht verbindende Themen, die eine „story line“ bilden = ein Leitmotiv, roter Faden (veränderbar!!)
-> beginnt nicht mit einer Hypothese
-> während der Datensammlung & Analyse entstehen vorübergehende Arbeitshypothesen (Induktion: Datensammlung und Kodieren)
-> Hypothesen werden mit weiterer Daten verglichen und analysiert (Deduktion: Integration und Modifikation)
  • Ähnlichkeit zum Pflegeprozess!!!
  • Grounded Theory- Forscher geben Daten beschreibend wieder und interpretieren Daten

schematischer Ablauf einer Grounded Theory

  1. persönliche Erfahrungen, Praxiserfahrungen, Literatur
  2. globale Zielsetzung
  3. richtungsweisende Fragen und Konzepte
  4. methodische Überlegungen für erste Forschungsschritte
  5. Vorbereitung und Feldzugang
  6. Sammeln offener Daten
  7. kodieren offener Daten
  8. Memos
  9. Entscheidung für ein oder mehrere Konzepte
  10. evtl. Veränderung und/oder Eingrenzung der Zielsetzung
  11. neue richtungsweisende Fragestellungen
  12. alte Daten analysieren und neue Daten erheben
  13. axiales Kodieren
  14. (Arbeits-) Hypothesen
  15. theoretisches Sampling / Kontrastieren
  16. Datensättigung
  17. Kernkategorie
  18. selektives Kodieren
  19. Grounded Theory oder Vorstufe

Methodisches Vorgehen

Die einzelnen Arbeitschritte der Grounded Theory sollen dem Forscher helfen, Konzepte und Kategorien zu identifizieren, sie zu entwickeln und in eine wohl definierte Theorie zu überführen


Welchen Stellenwert haben die Regeln zum methodischen Vorgehen der grounded theory?

  • es handelt sich hierbei um Leitlinien und Faustregeln, nicht um Vorschriften!!!
  • dienen der Orientierung


Datensammlung/ Datenerhebung

Alles was Aufschluss über einen Gegenstand geben kann, kann als Daten verwendet werden. Daten werden so lange gesammelt, bis Datensättigung erreicht ist. Radikal gesehen kann eine echte Sättigung nicht erreicht werden (denn die soziale Welt ändert sich und hat unendliche Facetten). Trotzdem muss (bei einem Forschungsprojekt) ein Schlusspunkt gesetzt werden ("Mut zur Lücke").

Wo finde ich Daten ? An welche Daten komme ich wo und wie ?


Wie oben erwähnt sind die Methoden der Datensammlung sind vielfältig und umfassend

  1. Interviews mit Informanten -> zunächst offene Fragen
  2. Beobachtungen im Feld (teilnehmende Beobachtung)
  3. Dokumentenanalyse (z.B. Tagebücher, Biographien, Videoaufnahmen, Fotos, Belletristik etc.)

Nach HOLLWAY & WHEELER:

  • sind alle auftauchenden Dinge Daten – auch die Erfahrungen des Forschers
  • interagieren Datensammlung und Datenanalyse – es werden Kategorien gebildet
  • endet die Datensammlung, wenn
  1. keine neuen Kategorien mehr gefunden werden
  2. keine neuen Fragen sich dem Forscher auftuen
-> Sättigung
  • wird durch „constant comparison“ immer fokusierter und spezifischer, dichter
  • werden während des ganzen Forschungsprozess Memos geschrieben (Vorfälle, Vorstellungen, Äußerungen etc.)

Datenanalyse

Bei der Datenanalyse sind folgende Aspekte bei der einer Grounded Theory Studie wichtig:

  • „theoretical sensitivity“
  • „theoretical sampling“
  • Kodierparadigma (Kodieren und Kategorisieren)
  • „constant comparison“
  • Verwendung von Literatur als Daten
  • Integration einer Theorie
  • Schreiben von Memos und Feldnotizen


Theoretical sensitivity

Theoretical sensitivity stellt die Fähigkeit des Forschers dar

  • Sensibel gegenüber theoretischen Zusammenhängen zu sein
  • Einsicht in Dinge zu gewinnen
  • Daten eine Bedeutung zu geben
  • Daten zu verstehen und zu trennen, „was wichtig ist und was nicht“
  • Eine aus den Daten hervorgehende Theorie konzeptualisieren und formulieren zu können

Die Fähigkeit der Theoretical Sensitivity ist wichtig, um die Bedeutung der Daten zu zeigen und wächst mit der Forschungserfahrung und in Interaktion mit den Daten. Ein Forscher, der sich ausschließlich einer vorab erschlossenen Theorie widmet, schränkt seine theoretische Sensibilität zwangsläufig ein.

  • Die Analyse der Daten beginnt nach der ersten Datenerfassung, Datenerhebung und Datenanalyse werden im stetigen Wechsel durchgeführt
  • Ziel der Datenanalyse ist es, relevante Konzepte und Kategorien zu identifizieren ‡ dieses Vorgehen wird als Kodieren bezeichnet


Abgrenzung Konzept/ Kategorie
Eine Kategorie ist auf einer höheren Ebene angesiedeltes bzw. ein abstrakteres Konzept, das für das gemeinsame Element mehrerer, auf einem geringeren Abstraktionsniveau angesiedelter Konzepte steht und diese erklärt


Inhalte von Konzepten/ Kategorien

  • Konzepte und Kategorien werden aus Ereignissen oder Begebenheiten und aus Mustern, die im Datenmaterial enthalten sind, identifiziert
  • Konzepte und Kategorien können für die Ereignisse selbst bzw. für die Bedeutungen, die die Teilnehmer den Ereignissen zuschreiben, stehen
  • Konzepte können ebenso für mit den Ereignissen verbundenen emotionalen Eindrücken oder für die Beschreibungen von Erfahrungen und den damit
  • verbundenen emotionalen Eindrücken oder für die Beschreibungen von Erfahrungen und den damit zusammenhängenden Handlungs- oder Interaktionsweisen stehen
  • ein Interview oder eine Beobachtung kann eine Vielzahl von Ereignissen enthalten, die als ein einzelnes Konzept kodiert werden
->die Identifikation relevanter Konzepte ist Resultat der Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial
-> da Konzepte und Kategorien aus der Datenanalyse hervorgehen, sind die es, die die weitere Datenerhebung leiten fi die Sample- Bildung orientiert sich nicht an den Teilnehmern einer Untersuchung, sondern an den Ereignissen, die ihrerseits zu Konzepten führen (Theoretical Sampling)


Kodierparadigma

Das Kodierparadigma ist ein konzeptionelles Instrument, das auf klassischen wissenschaftlichen Begriffen wie Bedingungen, Handlungs- bzw. Interaktionsweisen und Konsequenzen beruht, diese aber auf eigene Weise und eigenen Intentionen entsprechend nutzt

  • für erfahrene Forscher und diejenigen, die in die Daten eintauchen und diese in ihrem ganzen Potenzial ausschöpfen möchten, besonders wertvoll
  • Ziel: Phänomene (Kategorien) in einen Kontext zu stellen und die wesentlichen Variablen bzw. Einflussfaktoren zu identifizieren, mit deren Hilfe definiert und erklärt werden kann, was in dem Datenmaterial zum Ausdruck gebracht wird
  • Kodierparadigma bildet die Richtschnur für das theoretical sampling
  • Fragen: Wer? Was? Warum? Wo? Wie? Mit welchen Ergebnissen oder Folgen?

Kodieren und Kategorisieren findet während der ganzen Forschung ab Forschungsbeginn statt. Die Daten werden transformiert und reduziert


Schritte des Kodierens:

  1. Offenes Kodieren
    • Simple Form aus Worten und Wendungen
    • Kodes können Ausdrücke enthalten, die die Informanten selbst gebraucht haben („in vivo codes“)
    • Kodes sind provisorisch und werden im Laufe der Studie modifiziert
    • Kodieren Zeile für Zeile, sehr penibel und detailliert
    • Ähnlichkeiten und Zusammenhänge sollen aufgezeigt werden.
  2. Bildung von Kategorien
    • ist das Ergebnis des offenen Kodierens
    • Bildung von ähnlichen Konzepten/ Begriffen zu abstrakteren Kategorien, die meist vom Forscher formuliert werden
    • Daten müssen jetzt neu verknüpft werden
    • Wesentlichen Merkmale und Dimensionen der Kategorien werden identifiziert
  3. Bildung von Haupt- und Schlüsselkategorien = axiales Kodieren
    • Bildung von Hauptkategorien, die in den Daten basieren
    • Hauptkategorien werden vom Forscher formuliert und wurzeln in dem akademischen Wissen des Forschers
    • Hauptkategorien enthalten in Entstehung befindliche theoretische Ideen
    • Hauptkategorien sind klar voneinander abgegrenzt
  4. Identifikation der zentralen Kernkategorie („core category) = selektives Kodieren
    • muss vom Forscher identifiziert werden, nicht vom Informaten o.Ä.
    • verbindet alle Hauptkategorien = Verteilung aller Elemente um den Kern
    • Kernkategorie wird auch als zugrunde liegender sozio- psychologischer Prozess bezeichnet, enthüllt Prioritäten der Informanten
    • Neben den Hauptkategorien werden hier auch möglicherweise übergebliebene (bislang noch nicht integrierte) "Kleinkategorien" des offenen Kodierens in Verbindung gesetzt.
    • Charakteristika der Kernkategorie:
      1. zentrale Element in der Grounded Theory
      2. muss oft in Daten auftauchen und ein Muster aufweisen
      3. Verbindung zu anderen Kategorien muss existent sein – ohne grosse Forscherintervention
      4. muss im Identifikationsprozess klar und deutlich konzeptualisiert sein = roter Faden
      5. bei der Identifikation, Beschreibung und Konzeptualisierung der Kernkategorie wird die allgemeine Theorie der Studie genauer ausgeprägt
      6. entsteht in der Regel am Ende der Forschung
  5. Integration der Theorie
    • Die Theorie – muss, um glaubwürdig zu sein
      1. erklärende Kraft („explanatory power“) haben, d.h. der Realität des untersuchten Phänomens gerecht werden
      2. Kategorien verbinden und die hypothetischen Relationen verdeutlichen
      3. Detailliert, aber nicht zu allgemein sein
      4. Muss Prozess- Charakter haben und darf nicht statisch sein

Abstrakte Theorie: ist aus vielen unterschiedlichen Situationen und Settings gewachsen, übertragbar und generalisierbar

Substantive (konkrete) Theorie: stammt aus einem Kontext und ist daher nur limitiert übertragbar und aussagekräftig = situationspezifis


Was ist der Unterschied zwischen einer Grounded (= materialen oder substantiven ) Theorie und einer formalen Theorie?

  • Die komparative Analyse kann zu zwei grundlegenden Typen von Theorien führen:
  1. substantive/ materiale Theorie
  2. formale Theorie


  • materiale/ substantive Theorien
    • als material bezeichnet man Theorien, die für ein bestimmtes Sachgebiet oder empirisches Feld der Sozialforschung (z.B. Pflege von Patienten, Rassenbeziehungen, Berufsausbildung) entwickelt werden
  • formale Theorien:
  • als formal bezeichnet man Theorien, die für einen formalen oder konzeptuellen Bereich der Sozialforschung (z.B. Stigmata, abweichendes Verhalten, formale Organisation, Sozialisation, Statuskongruenz, Autorität, Macht, Belohnungssysteme, soziale Mobilität) entwickelt werden
  • beide Theorien können als Theorien mittlerer Reichweite betrachtet werden, d.h. sie fallen zwischen die kleinere Arbeitshypothese des Alltags und die allumfassenden großen Theorien
  • beide Theoriearten sind nur auf graduell abweichenden Niveaus von Verallgemeinerbarkeit

Theoretical Sampling

Die Strategie der Datenerhebung, die von entstehenden Konzepten geleitet wird und somit thematischen Kriterien folgt,

  • es wird der Spur der Konzepte gefolgt und nach Schauplätzen, Personen oder Ereignissen gesucht, die zu Vergleichen anregen, wodurch das Wissen über Eigenschaften, Dimensionen und die Beziehungen der Konzepte erweitern wird (Basis ist die parallele Datenanalyse)
  • Hauptunteschied zu anderen Sampling- Techniken besteht in den Faktoren Zeit und Kontinuität:
    • wird nicht vor, sondern während der Datensammlung & Analyse durchgeführt/ festgelegt
    • Ist nicht geplant und statisch
  • Anfangs werden initiale Sampling- Entscheidungen getroffen, um erste Informanten und eine erstes Forschungsfeld identifizieren zu können, diese Entscheidungen werden dann mit den daraus ersten gewonnenen Ideen modifiziert, vergleichend kontrastiert, evtl. modifziert
  • Hält bis zum Punkt der „saturation“ (Sättigung), wenn die Daten hochwertig, aussagekräftig und vollständig sind, d.h.wenn in dem Datenmaterial keine neuen Konzepte oder neue Eigenschaften und Dimensionen von Konzepten mehr zu finden sind
-> allgemeine Regel: eine Untersuchung gilt als gesättigt, wenn in der Datenerhebung der Punkt erreicht ist, an dem sich die Daten zu wiederholen scheinen


Literatur in der Grounded Theory

Aus der Literaturrecherche gewonnene Ergebnisse sind in der Grounded Theory

  • als Daten bzw. Datenquelle anzusehen
  • bestätigten oder widerlegen gefundene Kategorien
  • klärt Zusammenhänge mit anderen Theorien
  • stimulieren die „theoretical sensivity“
  • kann Forscher gegenüber theoretischen Zusammenhängen sensibilisieren, Assoziationen fördern, die dann überprüft werden können
  • kann Fragen/ Probleme aufzeigen, kann neues Licht auf Daten werfen, indem sie ähnliche oder widersprüchliche Ideen bietet
  • kann Anhaltspunkte für die theoretische Auswahl der Partizipienten geben, d.h. als Entscheidungshilfe dienen
  • kann herangezogen werden, um eine Kategorie zu validieren oder wirft Widersprüche auf, die dann analysiert werden müssen (Abgleich, Anhaltspunte)


Memos/ Feldnotizen

  • werden ab Forschungsbeginn gesammelt, können Kategorien, Ideen etc. enthalten
  • dokumentieren den internen Dialog des Forschers, notieren den Analyseverlauf
  • helfen den Prozess zu strukturieren und zu erinnern (Vorkommnisse)
  • zeigen den Weg von den Daten zur Theorie, werden theoretischer und komplexer -> verleihen der Studie Dichte
  • enthalten Bestandteile der Theorie und helfen, sie zu formulieren
  • besonders wichtig, während der Phase der Theoriebildung, weil ständig mit in Entwicklung begriffenen Konzepten und immer komplexeren Ideen gearbeitet wird
  • sind im Besitz des Forschers und müssen nicht stilistisch perfekt formuliert sein


Analytische Werkzeuge

Analytische Werkzeuge sind eine Hilfe, um schwer fassbare Daten in den Griff zu bekommen

  • Theoretisches Kontrastieren:
    • wurde von Glaser & Strauss entwickelt, um Blockaden zu überwinden und die theoretische Sensibilität zu erhöhen
    • theoretische Vergleiche zielen auf konzeptionell ähnliche oder unterschiedliche Situationen ab
    • sollten dazu anregen, über Vorgänge im Datenmaterial nachzudenken, die undurchdringlich scheinen
  • Ziel: Daten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und dadurch vorgefertigte Bilder und Voreingenommenheiten zu überwinden, die die Analyse blockieren
  • eine Methode des theoretischen Kontrastierens sind:
    1. minimales Kontrastieren: suchen nach Bestätigung für herausgearbeitete Kategorien und Konzepte
    2. maximales Kontrastieren: suchen nach Gegensätzen um Theorie und Hypothesen zu generieren



Bedingungsmatrix

  • Fokusiert den Blick des Forschers auf die Makrobedingungen
  • Makrobedingungen stellen die Phänomene in einen größeren strukturellen Kontext

Das Kodierparadigma und die Bedingungsmatrix sollten dogmatisch und nicht starr verwendet werden, ihr Zweck besteht alleine darin, den Forscher zu unterstützen und nicht ihn zu paralysieren!


Trias der analytischen Operationen

  • Datenerhebung
  • Kodieren
  • Memos
-> bilden den Kern des Forschungsprozesses

Offenlegung des Forschungsprozesses- Kriterien

  • Auswahl der Samples ‡ Begründung
  • Auswahl der Informanten ‡ repräsentativ? Konzepte?
  • Beschreibung der Hauptkategorien; Auswahl der Kernkategorie ‡ Begründung
  • Indikatoren der Kategorien
  • Aufstellung der Arbeitshypothesen (= Ideen, Vorstellungen) und ihre Datenbestätigung
  • Erklärung abweichender und widersprüchlicher Fälle
  • Basieren die Konzepte auf den Daten?
  • Memos systematische Verknüpfung zwischen den Konzepten


Zusammenfassung

Forschungsfrage: Was ist das zentrale Phänomen, welches den Prozess bestimmt? Veränderungen innerhalb eines Zeitabschnitts?

Grounded Theory stellt einen Analysestil dar, bei dem Datensammlung und Datenanalyse interagieren. Daten werden in der Regel durch offene Interviews und teilnehmende Beobachtung gesammelt. Forscher kodieren und kategorisieren die Daten und bilden Themen/ Kategorien. Der Forscher kondensiert die Kategorien zu Konstrukten, die eine „core category“ enthalten. Beziehungen zwischen einzelnen Kategorien helfen, vorübergehende Arbeitshypothesen zu erstellen und eventuell eine neue Theorie zu bilden. Relevante Ergebnisse aus der Literatur werden ebenfalss zu Daten. Im Forschungsprozess findet „constant comparison“ und „theoretical sampling“ statt. Memos stellen den „roten Faden“ und inneren Dialog in der Forschung dar.



Literatur

  • Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss: "Grounded Theory - Strategien qualitativer Forschung", Verlag Hans Huber, ISBN 3-456-82847-0
  • Corry Bosch (1996): "Vertrautheit - Studie zur Lebenswelt dementierender Menschen", Ullstein Medical, ISBN 3861266466 (bietet einen Umfassenden Einblick in die Arbeitsweise der Grounded Theory)


siehe auch