Heidelberger Instrument zur Lebensqualität Demenzkranker

Aus Familienwortschatz
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Das Heidelberger Instrument zur Lebensqualität Demenzkranker (kurz HILDE) ist im Kern ein Beobachtungsinstrument und eine Fremdbeurteilung unterschiedlich schwer an Demenz erkrankter Personen, um die Pflegeplanung und therapeutische Maßnahmen gezielt einzusetzen. Ziel ist es die individuelle Lebensqualität der Person zu erhalten und wo möglich zu fördern.

Es basiert auf dem an Verhalten orientierten Kompetenzbegriff der Gerontologie.

Zielsetzung

In der Pflege zeigte sich häufig, dass die Beurteilung der Demenz ausschliesslich bezogen auf die jeweils kognitive Dimension für die Praxis zu kurz greift. Vielmehr stellt eine Demenz ein Syndrom dar, das für die Beurteilung des Pflege- und Betreuungsaufwandes aber auch für die Beurteilung der Möglichkeiten zur Erfahrung subjektiven Wohlbefindens ( Lebensqualität)auch andere Kompetenzbereiche berücksichtigen muss. So unterscheiden sich beispielsweise zwei Demenzkranke trotz einem gleichen Messergebnis im Mini-Mental-Test Mini-Mental-State-Test (kurz MMST von Folstein u. a. von 1990) in ihren Verhaltensweisen doch sehr deutlich. Für eine genauere Beurteilung der Lebenssituation und der individuell erhaltenen Kompetenzen der demenzerkrankten Personen versteht HILDE daher die Demenz nicht ausschliesslich bezogen auf die mit der Erkrankung verbundenen kognitiven Beeinträchtigungen. Dabei werden neben der kognitiven Leistungsfähigkeit, die alltagspraktischen Kompetenzen sowie mögliche Verhaltensauffälligkeiten als Gesamtmuster individueller Kompetenzen in HILDE berücksichtigt. Insgesamt konnten auf der Basis von fast 1800 Daten demenzkranker Menschen vier komplexe verhaltensrelevante Kompetenzmuster herausgearbeitet werden. Diese vier Gruppen werden in HILDE deshalb als Kompetenzgruppen beschrieben und sind zentraler Bestandteil des Instruments.

H.I.L.DE. bietet:

- eine übersichtliche Darstellung zentraler Lebensdimensionen demenzkranker Menschen im Kontext stationärer Pflegeeinrichtungen

- die demenzspezifische und bedürfnisorientierte Erfassung relevanter Marker für Lebensqualität Demenzkranker

- erstmalig kompetenzspezifischen Beurteilungsmaßstäbe für die Lebensqualität Demenzkranker unabhängig vom Stadium der Erkrankung

- praxisnahe modulare Handhabung durch die Rückmeldung von über 800 Pflegenden während des Entwicklungsprozesses

- Grundlage für das Konzept der Lebensqualität des MDS

Kompetenzgruppen

Vier Gruppen werden in HILDE als Kompetenzgruppen beschrieben, die die Fähigkeiten der Bewohner in einzelnen Merkmalsbereichen (Gedächtnis und Denken, Körperliche Fähigkeiten und Selbstständigkeit in Alltagsaktivitäten, Verhaltensauffälligkeiten) widergeben. Der Sinn der Kompetenzgruppenbestimmung für jeden mit HILDE beurteilten Bewohner liegt absichtlich NICHT darin, ein Schubladendenken zu fördern. Für jeden einzelnen Bewohner bzw. jede Bewohnerin soll eine seinem bzw. ihrem individuellen Kompetenzprofil angemessene Beurteilungsgrundlage, z. B. für die Pflegeplanung geschaffen werden.

  • Leicht demenzkrank - LD
    • Weitgehend erhaltene alltagspraktische Kompetenzen bei
    • beginnender Demenz und
    • weitgehender Freiheit von nicht-kognitiven Symptomen


  • Mittelgradig demenzkrank - MD
    • In Teilen erhaltene alltagspraktische Kompetenzen bei
    • mittelgradigen kognitiven Einbußen und
    • erkennbaren nicht-kognitiven Symptomen (v.a. Depression)


  • Schwer demenzkrank mit somatischen Einschränkungen - SD-S
    • Stark eingeschränkte alltagspraktische Kompetenzen bei
    • schweren kognitiven Einbußen und
    • erkennbaren nicht-kognitiven Symptomen


  • Schwer demenzkrank mit psychopathologischen Auffälligkeiten - SD-P
    • Eingeschränkte alltagspraktische Kompetenzen bei
    • schweren kognitiven Einbußen und einer
    • Häufung verschiedener nicht-kognitiver Symptome


Als Merkmale der Kompetenzgruppen nennt HILDE :

Leicht demenzkrank - LD

  • Gedächtnis und Denken: Der Bewohner findet sich an fremden Orten nicht gut zurecht oder er vergisst früher gut bekannte Namen. Wird er auf seine Defizite angesprochen oder darauf hingewiesen, werden diese häufig verleugnet. Der Bewohner kann Fakten und Erlebnisse, die seine Person angehen noch relativ gut erinnern z.B. weiß er seinen letzten Wohnsitz oder seinen früheren Beruf und kann einzelne Episoden aus seiner Schulzeit oder auch aus der jüngeren Vergangenheit (letzten fünf Jahre) relativ detailreich erzählen.
  • Körperliche Fähigkeiten und Selbstständigkeit in Alltagsaktivitäten: Der Bewohner kann sich z.B. weitgehend selbständig waschen sowie weitgehend selbständig essen (Brot streichen, Fleisch schneiden, Besteck benutzen). Der Bewohner ist weitgehend mobil. Er ist in seinen kommunikativen Fähigkeiten (sprachlich, nonverbal) kaum eingeschränkt.
  • Der Bewohner zeigt kaum besondere Verhaltensauffälligkeiten. Am ehesten erscheint er manchmal etwas traurig oder niedergeschlagen.

Mittelgradig demenzkrank - MD

  • Gedächtnis und Denken: Der Bewohner hat zunehmend Schwierigkeiten, sich an jüngere Ereignisse zu erinnern. Häufig fällt es ihm schwer sich zur Zeit oder an bekannten Orten räumlich zu orientieren. Auch das autobiografische Gedächtnis des Bewohners ist deutlich eingeschränkt, z. B. kann er sich noch an seinen ehemaligen Beruf erinnern, diesen jedoch nur selten detailreich und lebendig schildern. Das Wissen um jüngere Ereignisse wie z. B. den Heimeinzug oder Besuche von Verwandten ist bereits deutlich beeinträchtigt.
  • Körperliche Fähigkeiten und Selbstständigkeit in Alltagsaktivitäten: Der Bewohner ist für manche Alltagsaktivitäten auf Anweisungen oder Hilfestellungen angewiesen. Er kann häufig noch selbständig essen, von einem Stuhl aufstehen, sich waschen, sowie die Toilette mit nur wenig Unterstützung benutzen. Die Kommunikation mit dem Bewohner kann aufgrund von Wortfindungs- oder Verständnisschwierigkeiten erschwert sein.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Der Bewohner fällt insgesamt kaum durch besonderes oder extremes Verhalten auf. Teilweise scheint er das Interesse an seiner Umgebung verloren zu haben. Von sich aus beginnt der Bewohner kaum ein Gespräch und es ist (zunehmend) schwer, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Es kann vorkommen, dass er leicht erregbar ist, z. B. indem er sich weigert, sich bei verschiedenen Aktivitäten helfen zu lassen oder er regt sich über Andere (Mitbewohner, Pflegekräfte, Besuch) ohne erkennbaren Grund auf. Möglich sind auch spezifische Stereotypien, d. h. er wiederholt bestimmte Aktivitäten immer wieder auf die gleiche Art und Weise und das scheinbar ohne erkennbares Ziel (z. B. auf und ab gehen, Nesteln an Knöpfen oder Tischdecken, Schubladen oder Regale aufräumen, Tische abwischen).

Schwer demenzkrank mit somatischen Einschränkungen - SD-S

  • Gedächtnis und Denken: Der Bewohner kann kurz zurückliegende Ereignisse nicht behalten. Erinnerungen an die eigene Biografie sind stark reduziert.
  • Körperliche Fähigkeiten und Selbstständigkeit in Alltagsaktivitäten: Der Bewohner ist in nahezu allen Bereichen der Alltagsaktivitäten auf die Hilfe Anderer angewiesen.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Der Bewohner fällt insgesamt eher wenig durch besonderes oder extremes Verhalten auf. Auch lassen sich bei ihm/ihr kaum Niedergeschlagenheit beobachten.

Schwer demenzkrank mit psychopathologischen Auffälligkeiten - SD-P

  • Gedächtnis und Denken: -wie zuvor-
  • Körperliche Fähigkeiten und Selbstständigkeit in Alltagsaktivitäten: Der Bewohner kann eine Reihe von alltagspraktischen Tätigkeiten nur noch mit Unterstützung von Anderen (z.B. mit entsprechenden Anweisungen oder Hilfestellungen) durchführen. Er kann jedoch oft noch selbständig essen, kann z.T. noch selbständig gehen und mit Hilfe auch die Toilette benutzen. Der Bewohner ist meist auch in seinen kommunikativen (sprachlichen und nonverbalen) Fähigkeiten stark eingeschränkt, so dass es in vielen Fällen zu Verständigungsschwierigkeiten kommt.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Der Bewohner ist häufig erregt, ist leicht durch bestimmte Situationen oder Personen aufzubringen und zeigt aggressives Verhalten. Auch seltener auftretende Verhaltensauffälligkeiten wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen, aber auch Euphorie und Enthemmung können bei ihm/ihr vorkommen. Sein Verhalten wird häufig von Anderen als störend oder belastend empfunden.

Anwendung

Vor dem Hintergrund der knappen Ressource „Zeit“ ist eine durchschnittliche Anwendungsdauer 1,5 Stunden (bei Erstanwendung), ein nicht unerhebliches Zeitkontingent. Im Rahmen der Praxisprüfung des Instruments durch Pflegende erschien dem überwiegenden Teil der Befragten dieser zeitliche Aufwand jedoch als durchaus gerechtfertigt. Da im Erfassungsheft, unabhängig vom Kompetenzprofil der einzelnen Bewohner, immer die gleichen Merkmale in den verschiedenen Inhaltsbereichen dokumentiert werden, ist zu erwarten, dass nach mehrmaligem Einsatz des Instrumentes ein Lerneffekt einsetzt, nach dem die Pflegenden üblicherweise die erfassten Kategorien im Gedächtnis haben und eine entsprechend auf diese zielende Beobachtung und Dokumentation wesentlich leichter und damit natürlich auch weniger zeitintensiv erfolgen kann. Weiterhin ist HILDE modular aufgebaut, so dass bei wiederholter Anwendung (z.B. zur Prüfung des Erfolgs einer Pflegeplanungsmaßnahme) nur noch indenjenigen Modulen durchgeführt werden muss, in denen sich die Veränderungen dann auch tatsächlich erwarten lassen.

Ein weiterer Vorteil von HILDE liegt aber auch darin, dass die Anwendung des Instruments entweder von den Pflegenden selbst mittels des Manuals erarbeitet werden kann oder diese (z.B. Multiplikatoren) über externe Schulung durch HILDE-Experten (Kontakt: [email protected]) mit relativ geringem Aufwand eingewiesen werden können. Eine weitere Zertifizierung für die Anwendung ist nicht notwendig.

Siehe auch

Literatur

  • Becker, S., Kaspar, R. & Kruse, A. (2010) Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität Demenzkranker. Huber Verlag: Bern. (Manual: ISBN 978-3-456-84903-4; Arbeitsmaterialien ISBN 978-3-456-85017-7)
  • Becker, S. (2009). Lebensqualität und Demenz – Ergebnisse und Ausblick des HILDE-Projekts. Betreuungsmanagement, 4, S. 80-184.
  • Becker,S., Kaspar, R. & Lindenthal, M. (2010). Zentrale theoretische Zugänge zu Lebensqualität bei Demenz. In: A. Kruse (Hrsg.): Lebensqualität bei Demenz? Zur Auseinandersetzung des Menschen mit Grenzsituationen. Berlin: AKA, S.73-98.
  • Becker, S., Kruse, A., Schröder, J. & Seidl, U. (2005): Heidelberger Instrument zur Erfassung von Lebensqualität bei demenzkranken Menschen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 38:108-121.
  • Becker, S., Kaspar, R. & Kruse, A.(2006): Die Bedeutung unterschiedlicher Referenzgruppen für die Beurteilung der Lebensqaulität demenzkranker Menschen - Kompetenzgruppenbestimmung mit HILDE. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 39:350–357.

Weblinks