Herausforderndes Verhalten

Aus Familienwortschatz
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Im Zusammenhang mit "Demenz" wird eine besonders typische, bei verschiedenen Erkrankten wiederkehrende Verhaltensauffälligkeit beschrieben, die als Belastung der Pflegenden und der Personen in der Umgebung wahrgenommen wird. Als herausforderndes Verhalten wird oft beschrieben, wenn sich eine Person über lange Zeiten des Tages nicht situationsgerecht, sozial unangepasst verhält. Es heißt dann oft, dass sich die betreffende Person - trotz geduldigem Erklären - der Pflege widersetzt oder andere "stört." Die Verhaltensauffälligkeit kann beispielsweise als durchdringendes Hilferufen, ständiges "Herumlaufen" oder in Form von "Schreiattacken" beobachtet werden. Wird nur das Verhalten der betroffenen Person ohne Bezug auf die Umgebung beschrieben, erscheinen oft die Begriffe Ruhelosigkeit, Erregung, Unruhe, Hyperaktivität.

Dieses Verhalten muss aber a) nicht bei allen Kranken und b) nicht in einer bestimmten Phase der Krankheitsverläufe (mittlerem oder Endstadium der verschiedenen Demenzarten) auftreten. Generell sollte darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dem Begriff nicht um eine psychiatrische oder neurologische Diagnosestellung handelt.

Den pflegenden Personen ist zumindest in den ersten Wochen und Monaten des Auftretens eines solchen Verhaltens oft nicht klar, wie weit sich dahinter eine gesteuerte Unangepasstheit verbirgt oder ob nur ein vollkommenes Unverständnis für die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere vorliegt. Letzteres ist die wahrscheinliche Erklärung, wird aber von Angehörigen oder Pflegenden (zunächst) nicht so wahrgenommen, da sie immer wieder eine Aussage in das Verhalten der ihnen vertrauten Person hineininterpretieren und meinen, dass eine gezielte Kommunikation stattfindet. Dadurch setzen sich diese Pflegekräfte möglicherweise selbst unter enormen Stress. Es ist eine Denkfalle zu glauben, dass jedes herausfordernde Verhalten eine aktuelle Ursache hat oder Ausdruck eines aktuellen Wunsches ist. Diese Denkfalle ist quasi zwangsläufig, da im Umgang mit an Demenz leidenden Personen Empathie ein professionelles Werkzeug für die Pflege darstellt.

Oft kommt es dazu, dass hinter dem Verhalten eine Aggression als Ursache und damit ein aggressives Verhalten vermutet wird. Dies muss aber bei herausforderndem Verhalten nicht vorliegen. Es kann aufgrund der unbestimmten Begrifflichkeit a) zu einer Vermengung beider Verhaltensformen kommen oder b) auch Elemente aggressiven Verhaltens unter diesem Oberbegriff "Herausforderndes Verhalten" eingeordnet werden, solange die Ursache nicht abgeklärt werden konnte. Auch Agitiertheit kann von Pflegenden als herausforderndes Verhalten empfunden werden, steht aber nicht unbedingt in Zusammenhang mit Demenz, sondern tritt eher im Rahmen eines Delirs auf.

Ein Mißverständnis?

Oft handelt es sich beim "Herausfordernden Verhalten" gar nicht um ein „problematisches“ oder „aggressives“ (zielgerichtetes) Verhalten, das durch einen „schwierigen“ Charakter des alten Menschen (mit der Krankheit Demenz) bedingt ist.

Vielmehr kann es als ein (gar nicht genau kontrolliertes) Abwehrverhalten in einer nicht mehr einschätzbaren Situation gedeutet werden, das durch die Angst der betroffenen Person ausgelöst wurde. Allerdings muss auch überlegt werden, ob es tatsächlich noch diesen Reflexbogen (Auslöser, Handlung) bei der Person geben kann. Es kann auch eine Angst vor der kognitiven Veränderung sein oder durch Nebenwirkungen von Medikamenten oder durch das Verhalten anderer Menschen (Partner, Freunde, Pflegende etc.) hervorgerufen worden sein.

Reaktion der Pflegenden

Appelle, Bitten, aber auch Validation ist dann hierbei jedoch eine unangemessene Reaktion bzw. ein hoffnungsloser Versuch der Pflegenden, wenn die Annahme stimmt, dass die betreffende Person die Wirkung ihres Verhaltens mit ihrem Verstand gar nicht einschätzen kann. Ihr Verhalten darf dann nicht als zielgerichtet verstanden werden, auch wenn als Botschaft deutlich gesagt wird, "Ich will nach Hause" oder scheinbar Hunger signalisiert wird. Pflegenden einer vertrauten Person fällt es schwer, so eine scheinbar eindeutige Mitteilung nicht als inhaltliche Botschaft aufzunehmen. Gehen sie jedoch auf die vermeintlichen Wünsche ein, stellen sie bald fest, dass sich das Verhalten dadurch nicht ändert. Dies wiederum löst Frustration auf Seiten der Pflegenden aus, was unter bestimmten Umständen zu gewalttätigen Äußerungen oder Handlungen führen kann.

Die Rahmenempfehlungen

Das Bundesgesundheitsministerium hatte die, letztlich sieben, Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in Auftrag gegeben:

Verstehende Diagnostik,
Einsatz von geeigneten Assessmentinstrumente,
Validierende Grundhaltung der Pflegenden,
Erinnerungspflege,
Berührung - Basale Stimulation - Snoezelen,
Bewegungsförderung sowie
pflegerisches Handeln in akuten psychiatrischen Krisen von Demenzkranken.

Siehe auch

Literatur

  • Sabine Bartholomeyczik: Mit herausforderndem Verhalten umgehen. Berlin, Bundeskongress DRK, 31.5.07, Referat beim …
  • Bartholomeyczik, S., Halek, M., Sowinski, C., Besselmann, K., Dürrmann, P., Haupt, M. et al.: Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Berlin: BMG, 2007, Selbstverlag.
  • Bartholomeyczik, S., Halek, M.: Assessmentinstrumente in der Pflege. Schlütersche, Hannover, 2009.
  • Jacques Heijkoop: Herausforderndes Verhalten von Menschen mit geistiger Behinderung. Beltz, Weinheim, 1998. ISBN 3407557957
  • Elisabeth Höwler: Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz: Erleben und Strategien Pflegender. Kohlhammer, Stuttgart, 2008. 180 Seiten. ISBN 3170204912
  • Halek, M., Bartholomeyczik, S.: Die Effektivität der Validationstherapie bei herausforderndem Verhalten von Altenheimbewohnerinnnen und -bewohnern mit Demenz: Eine Literaturanalyse nationaler und internationaler Forschungsarbeiten. In J. Needham, S. Schoppmann, M. Schulz & H. Stefan (Eds.), Wissen schafft Pflege - Pflege schafft Wissen: Psychiatrische Pflege als Praxis und Wissenschaft. Vorträge, Workshops und Poster vom 3. Dreiländerkongress in Wien 2006(S. 210-214). Unterostendorf: IBICURA.
  • Hamers J., Meyer G., Köpke S., Lindenmann R., Groven R., Huizing A.: Attitudes of Dutch, German and Swiss nursing staff towards physical restraint use in nursing home residents, a cross-sectional study. Int J Nurs Stud 46:2009:248-255 (engl.)
  • Köpke S., Meyer G., Haut A., Gerlach A.: Methodenpapier zur Entwicklung einer Praxisleitlinie zur Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwesen 2008:102:45-53
  • Mann E., Meyer G.: Medikamentöse Freiheitsbeschränkung in Pflegeheimen im Bundesland Vorarlberg, Österreich: Analyse der ersten Meldungen und Implikationen für eine zukünftige sachgerechte Verwirklichung der gesetzlichen Meldepflicht. Wien, Med Wochenschr 2008:158: 489-92
  • Jan Wojnar, Claudia Thoelen (Fotografien): Die Welt der Demenzkranken: Leben im Augenblick. Verlag Vincentz Network, Hannover, 2007. 173 Seiten. ISBN 387870657X ("Um schwierigen Situationen gelassener zu begegnen und den Alltag für Betreute und Betreuende entspannter zu gestalten," … )

Weblinks


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