Gähnen

Aus Familienwortschatz
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Gähnen wird im Allgemeinen mit Müdigkeit in Verbindung gebracht, obwohl Menschen und Tiere auch gähnen, ohne müde zu sein. Gähnen ist also keineswegs ein sicheres Zeichen für ein Schlafbedürfnis.

Normalerweise gähnen Menschen um die acht Mal am Tag fünf bis zehn Sekunden lang, im Laufe des Lebens somit durchschnittlich eine Viertelmillion Mal, doch die Medizin weiß nicht warum. Frauen und Männer gähnen etwa gleich oft. Es beginnt mit einem tiefen Atemzug, bei dem der Mund weit geöffnet wird, oft kommt ein Strecken der Arme und Hände hinzu und es endet mit dem Schließen des Mundes bei gleichzeitiger Ausatmung. Einmal begonnen ist der Ablauf kaum zu stoppen; damit ähnelt es dem Niesen

Die verbreitete Hypothese, Gähnen versorge das Gehirn mit zusätzlichem Sauerstoff, wurde bereits 1987 von dem amerikanischen Psychologen Robert Provine widerlegt. Studenten, die bei Versuchsreihen reinen Sauerstoff oder Luft mit 3 bis 5 % erhöhtem Kohlendioxidgehalt zum Atmen erhielten, gähnten nicht signifikant öfter oder anders. „Rückblickend kann man kaum noch verstehen, wie sich dieser Glaube so weit durchsetzen konnte“, sagt der Schweizer Neurolog Adrian Guggisberg, „denn selbst medizinische Laien verstehen sofort, dass ein einziger tiefer Atemzug die Sauerstoffversorgung des Hirns kaum beeinflusst.“ Provine konnte aber die Behauptung bestätigen, dass gelangweilte Menschen signifikant häufiger gähnen und es außerdem im Zusammenhang von Emotionen verstärkt sein kann.

Die Widersprüchlichkeit des Signal macht eine Erklärung schwer. Gähnen überfällt uns vor dem Schlafengehen, aber ebenso nach dem Aufwachen. Wir gähnen bei Hunger, aber auch nach dem Essen oder bei Müdigkeit wie bei Stress (eine Übersprungshandlung?). Manche Fallschirmspringer etwa gähnen kurz vor dem Absprung, Erstklässler, wenn sie z. B. in der Schule Lesen und Schreiben lernen. Gähnen ist wie das Lachen ein universell vorkommendes Verhalten und es wurde bis jetzt keine Menschengruppe beschrieben, die nicht immer wieder gähnen würde.

Nicht nur Menschen gähnen, sondern nahezu alle Wirbeltiere tun es. (Da irrte sich übrigens der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, als er das Gegenteil behauptete). An Land, im Wasser, in der Luft – Katzen, Ratten, Krokodile, Vögel, ja selbst Fische haben plötzliche "Gähner". Und diese Tiere gähnen nach einem ganz ähnlichen Muster wie Menschen. Es scheint weltweit vorzukommen: „Alle gähnen, aber keiner weiß, warum.“ Bereits Ungeborene (Menschen) mit 14 Wochen gähnen und strecken sich im Mutterleib.

Das Gähnen wird inzwischen auch als soziales Signal gedeutet, als eine Art nonverbale Kommunikation: Herdentiere wie das Flusspferd machen den Rest der Tiergruppe mit Gähnen auf gemeinsame Ruhezeiten aufmerksam, Löwen signalisieren ihrem Rudel den baldigen Aufbruch.

Und Gähnen ist auch "ansteckend". Es überkommt viele von uns, wenn wir andere Personen dabei beobachten. 55 Prozent aller Menschen folgen diesem Verhalten innerhalb von fünf Minuten, und sie reagieren so sozial nicht nur auf den visuellen Reiz: Es genügt, das typische Geräusch zu hören. Gähnen ist somit "ansteckender" als die meisten Infektionskrankheiten, es sieht aus wie ein Reflex auf das Signal, ist aber nach der biologischen Definition keiner.

Ein extremes Beispiel des Gähnens beobachtete der Mediziner Olivier Walusinski 1978 in Frankreich:

Ein dreißigjähriger Man gähnt einmal pro Minute. Er wagt sich kaum noch unter Leute, da er dadurch Probleme beim Essen, Sprechen und Arbeiten hat. Das Rätsel konnte nicht gelöst werden.

Literatur

  • Olivier Walusinski (Hrsg.): The Mystery of Yawning in Physiology and Disease. Karger Verlag, Basel, 2010. (engl.)
  • Jenny Niederstadt: Nicht schön, aber empathisch. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20. Juni 2010 (Zur ersten internationalen Gähnkonferenz 2010 in Paris. Auch nach 30 Jahren Forschung ist der Grund für das seltsame Verhalten unklar.)

Weblinks


vgl. Wikipedia: "Gähnen"