Waterlow-Skala

Aus Familienwortschatz
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Hintergrund

Das Auftreten von Dekubitus ist ein bedeutsames pflegerelevantes Problem. Obschon gesicherte Fallzahlen in Deutschland erst in Ansätzen vorliegen, wird gegenwärtig von einer Prävalenz in deutschen Krankenhäusern von 10% ausgegangen (1). Für Grossbritannien nennt Grey et.al. (2) eine Prävalenz von 3% bis 14%, die bei älteren Patienten mit orthopädischen Problemen bis zu 70% betragen kann. Dekubitus bei älteren Patienten ist assoziiert mit einer fünffach erhöhten Mortalität, die Mortalität im Krankenhaus für diese Gruppe beträgt zwischen 25% und 33%. Die aufgrund von Druckgeschwüren entstehenden Kosten für das Gesundheitswesen werden in Grossbritannien auf 180 Mio. bis 2 Mrd. Brit. Pfund geschätzt (2). Für die Bundesrepublik Deutschland wurden die Kosten 2002 auf 1,5 Mrd. bis 4 Mrd. D-Mark geschätzt (1). Zu den Risikofaktoren zählen hohes Lebensalter, akute Krankheit, Bewusstseinseinschränkungen, Bewegungseinschränkungen, sensorische Störungen, schwere chronische oder präfinale Erkrankungen, Gefäßerkrankungen, Mangelernährung und Dehydrierung sowie bereits bestehende Druckgeschwüre (2). Da zahlreiche Risikofaktoren bekannt sind, erscheint es naheliegend, Assessmentinstrumente zur Risikoeinschätzung zu verwenden, um gefährdete Patienten einer gezielten Prophylaxe zuzuführen. Experten erhoffen sich durch frühzeitiges Assessment und Prophylaxe die durch Dekubitus verursachten Kosten für das Gesundheitswesen halbieren zu können(1). Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege (3) empfiehlt explizit die Anwendung von Skalen, allerdings ohne eine bestimmte Skala zu empfehlen. Beispielhaft werden neben der Waterlow-Skala die Skalen von Norton und Braden genannt. Auch die bei NICE zu findende britische Leitlinie zum Dekubitus Management (4) betont zwar die Wichtigkeit, Skalen zu verwenden, wenngleich die Anwendung der Skalen ausschließlich als eine Ergänzung der klinischen Einschätzung verstanden wird. Zudem wird darauf hingewiesen, dass es kaum Belege dafür gibt, dass Skalen genauer seien als klinische Einschätzungen. Die Leitlinie Dkubitusprophylaxe der Universität Witten/Herdecke (5) empfiehlt zwar auch die standardisierte Erfassung z.B. mittels Skalen, um das Risiko systematisch zu erfassen, empfiehlt aber explizit die nicht standardisierte Beurteilung beim Erstkontakt durch entsprechend geschulte Fachkräfte. Standardisierte Beurteilungsverfahren wie Skalen sollten dabei nur als Gedächtnishilfe genutzt werden und eine klinische Beurteilung nicht ersetzen. Kritisch wird der Nutzen des Risikofaktorenscreenings auch von Schlömer et.al. (6) in einer systematischen Übersichtsarbeit beurteilt, da es fraglich sei, ob durch ein Risikofaktorenscreening der gewünschte Effekt, nämlich die Vermeidung des Krankheitsereignisses, überhaupt effektiv erreicht werden kann.


Waterlow-Skala

Die Waterlow-Skala wurde von Judy Waterlow im Jahre 1985 publiziert (7) und beinhaltet zehn Items, von denen sechs mit Punktwerten versehen sind (Körperbau/Gewicht im Verhältnis zur Größe, Hauttyp, Geschlecht und Alter, Kontinenz, Mobilität und Appetit) und vier frei zu beurteilen sind (besondere Risiken, neurologische Defizite, größere chirurgische Eingriffe und Medikation). Ein errechneter Score von 10 bis 14 bedeutet ein Risiko, Dekubitus zu entwickeln, ein Score von 15 bis 19 steht für ein hohes Risiko und ein Score von 20 und mehr bedeutet ein sehr hohes Risiko. Die ursprüngliche Fassung war primär auf die Anwendung in Akutkrankenhäusern ausgelegt. Im Jahre 2005 wurde von der Autorin eine modifizierte Fassung vorgestellt, bei der das Malnutrition Screening Tool (MST) (8) integriert wurde (9). Neben dem MST wird der Body-Mass-Index, Hauttyp, Alter und Geschlecht, Kontinenz und Mobilität erhoben, als besondere Risikofaktoren Fehlernährung der Haut, Neurologische Defizite, Medikation und größere chirurgische Eingriffe bzw. Verletzungen. Auffällig ist, dass alle Items genaue Score-Vorgaben haben (anders als die ursprüngliche Fassung), lediglich für Medikation und neurologische Defizite kann in einer Bandbreite gescored werden. Wie auch in der ursprünglichen Fassung bedeutet ein Score von 10-14 ein Risiko, ein Score von 15-19 ein hohes Risiko und ein Score von 20 oder mehr Punkten ein sehr hohes Risiko, einen Dekubitus zu entwickeln. Die modifizierte Fassung soll für alle pflegerelevanten Bereiche geeignet sein, von der Intensivpflege bis hin zur Pflege in Pflegeheimen (10). Kritisch anzumerken ist dabei allerdings, dass das MST für die Akutpflege entwickelt und validiert worden ist, eine Verwendung ausserhalb dieses Anwendungsbereiches damit fragwürdig erscheint. Die Waterlow-Skala stellt nach Aussagen der Autorin die in Grossbritannien am verbreitetsten verwendete Skala zum Dekubitus-Assessment dar (10).


Validität der Waterlow-Skala

Eine systematische Übersichtsarbeit (11) ermittelte für die Waterlow Skala eine hohe Sensitivität (82,4%) und eine schlechte Spezifität (27,4%). Obschon die Autoren der Waterlow Skala eine gute Risikovorhersage bescheinigen (OR = 2,05) muss diese Aussage im Lichte des sehr breiten Konfidenzintervalls (95% CI = 1,11-3,76) kritisch hinterfragt werden, bedeutet die untere Grenze doch, dass das Instrument kaum eine Vorhersage treffen kann (Wert nahe bei 1). Auch die Schlussfolgerung der Autoren, dass die Braden Skala der Waterlow Skala überlegen sei (immerhin wurde für die Braden Skala eine OR = 4,08 ermittelt, 95% CI = 2,56-6,48) darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Unterschied aufgrund der Überschneidung der Konfidenzintervalle statistisch nicht signifikant ist. Überwiegend waren die eingeschlossenen Studien von geringer Qualität, von den Studien, die die Waterlow Skala berücksichtigten, war lediglich bei zwei Studien eine Verblindung des Pflegepersonals beschrieben, die meisten Studien hatten zudem eine sehr kleine Studienpopulation. Alter der untersuchten Patienten, Art der Einrichtung und Verweildauer variierten zudem, nicht alle Studien berücksichtigten den von Waterlow vorgegebenen Cut-off-Punkt von 10. In der Arbeit wurde auch die klinische Beurteilung Pflegender erhoben, es wurde mäßige Sensitivität (50,6%) und Spezifität (60,1%) ermittelt, allerdings die höchsten positiv prädiktiven Werte (32,9% gegenüber 16% bei Waterlow). Einschränkend muss erwähnt werden, dass lediglich drei Studien die klinische Beurteilung erhoben haben, der Ausbildungsstand der untersuchten Pflegekräfte unklar ist und die Studien in Einrichtungen mit hoher Dekubitus-Inzidenz durchgeführt wurden. Die Studie konnte für keine der untersuchten Risikoassessmentskalen eine auf ihre Anwendung beruhende Verringerung der Dekubitusinzidenz nachweisen, diesbezüglich wurde die fehlende Evidenz bekräftigt. Eine recht gut konzipierte prospektive Kohortenstudie (12), die immerhin n = 1229 Patienten einschloss, die in chirurgische, innere, neurologische oder geriatrische Abteilungen eingewiesen wurden und eine erwartete Liegedauer von mindestens fünf Tagen aufwiesen, wurde in den Niederlanden durchgeführt. Die hinzugezogenen Pflegekräfte wurden dabei für die Beobachtung verblindet. Für die Waterlow Skala wurde eine Sensitivität von 89,5% (95% CI = 83,8%-95,1%), eine Spezifität von 22,4% (95% CI = 20,5%-24,4%), positiv prädiktiver Wert von 6,7% (95% CI = 5,5%-8,0%) und negativ prädiktiver wert von 97,2% (95% CI = 95,1%-98,5%) ermittelt. Die Skala kann damit nicht zufriedenstellend die Entstehung von Dekubitus vorhersagen, eine Zuführung aller Patienten, denen durch die Skala ein Risiko zugeschrieben wird (Cut-off = 10) zu präventiven Massnahmen führt zu ineffizienter Ressourcenallokation.


Klinische Relevanz der Waterlow-Skala

Ein Screeninginstrument ist erst dann sinnvoll, wenn durch eine randomisiert-kontrollierte Studie nachgewiesen wird, dass die Mortalität (oder zumindest die Morbidität) durch die Einführung sinkt, d.h. das Screeninginstrument muss immer im Zusammenhang mit der darauf aufbauenden Therapie überprüft werden (13). Beide zitierten Studien (11)(12) betonen die fehlende Evidenz, dass die Einführung einer Assessmentskala zur Abschätzung des Dekubitusrisikos zu einer niedrigeren Dekubitus-Inzidenz führt. Die Waterlow-Skala scheint zudem nicht hinreichend valide zu sein, so dass, zumindest bei einem Cut-off von 10, die Einführung präventiver Massnahmen unwirtschaftlich ist. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen (gerechnet mit den Zahlen von Schoonhoven et.al. (12): Die untersuchten Patienten wiesen eine wöchentliche Dekubitus-Inzidenz von 6,2% auf. Zwar können durch die Anwendung der Waterlow Skala die meisten der Patienten, die einen Dekubitus entwickeln werden, identifiziert werden (in dem Beispiel werden von 1000 gescreenten Patienten 55 als Risikopatienten identifiziert von 62, die einen Dekubitus entwickeln werden), allerdings erhalten von 1000 gescreenten Patienten auch 728 eine Zuweisung zur Risikogruppe, obwohl sie keinen Dekubitus entwickeln werden. Diese Patienten würden Prophylaxe-Massnahmen erhalten, obwohl das nicht erforderlich ist. Zwar mag der durch die Prophylaxemassnahmen mögliche Schaden für den Patienten (z.B. häufiges Drehen) gering sein (6) und vor allem in der Fehlallokation pflegerischer Arbeitszeit zu bestehen, die für sinnvollere pflegerische Tätigkeiten genutzt werden könnte: Massnahmen, deren Nutzen erwiesen ist.

Quellenangaben

(1) Robert Koch Institut (2002): Gesundheitsberichtserstattung des Bundes. Heft 12: Dekubitus. ISBN 3-89606-137-2 (pdf)

(2) Grey et.al. (2006): Pressure Ulcers. BMJ 332(2), S. 472-475 (Englisch)

(3) Deutsches Netzwerk für Qualität in der Pflege (DNQP)(2000): Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. ISBN 3-00-009033-9

(4) Royal College of Nursing (NICE, 2005): The Management of Pressure Ulcers in Primary and Secondary Care. (pdf) (Englisch)

(5) Wissensnetzwerk evidence.de der Universität Witten/Herdecke (2001): Dekubitusprävention: Evidenzbasierte Leitlinie. (pdf)

(6) Schlömer et.al. (2003): Dekubitusrisikoskalen als Screeninginstrumente - Ein systematischer Überblick externer Evidenz. ZaeFQ 97, S. 33-46.

(7) Waterlow et.al. (1985): Pressure Sores: A risk assessment card. NursTimes 81(48), S. 49-55 (Englisch)

(8) Ferguson et.al. (1999): Development of a valid and reliable malnutrition screening tool for adult acute hospital patients. Nutrition 15(6), S. 458-464. (Englisch)

(9) Waterlow Score Card 2005(Englisch)

(10) Beschreibung der Waterlow-Skala auf der Homepage von Judy Waterlow(Englisch)

(11) Pancorbo-Hidalgo et.al. (2006): Risk assessment scales for pressure ulcer prevention: a systematic review. JAdvNurs 54(1), S. 94-110 (Englisch)

(12) Schoonhoven et.al. (2002): Prospective cohort study of routine use of risk assessment scales for prediction of pressure ulcers. BMJ 325(10), S. 797-801 (Englisch)

(13) National Screening Committee (NSC, 2003): Criteria for appraising the viability, effectiveness and appropriateness of a screening programme. (pdf) (Englisch)



siehe auch:



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