Hausarbeit: Grundlagen gruppendynamischer Prozesse und ihre Bedeutung für die Pflege

Aus Familienwortschatz
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Hausarbeit: "Grundlagen gruppendynamischer Prozesse und ihre Bedeutung für die Pflege" von Martin Dichter, 2007

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Eigene Motivation

Gesundheitsbezogene Leistungen und damit auch pflegerische Leistungen werden in der Regel durch Teams erbracht. Nur durch die Arbeitsteilung innerhalb dieser Grup-pen kann die komplexe Versorgung der Menschen mit Gesundheitsleistungen 24 Stunden sichergestellt werden. Diese Gruppen tragen die verschiedensten Namen und erfüllen jeweils unterschiedliche Aufgaben, sie reichen von der Familie bis hin zu inter-disziplinären multiprofessionellen Teams.

Als Gesundheits- und Krankenpfleger hatte ich während meiner Ausbildung, während meiner beruflichen Tätigkeit und jetzt als Student die Gelegenheit, Mitglied unter-schiedlichster Gruppen zu sein, zum Beispiel in Pflegeteams, im therapeutischen Team, in Projektgruppen und Arbeitsgruppen. Hierbei stellte ich vielfältige Unterschie-de fest. So hatte jede Gruppe ihre eigenen Regeln und Kommunikationsformen, zudem waren nicht alle Mitglieder einer Gruppe gleich hoch angesehen innerhalb der Gruppe. Ferner gab es Führungspersönlichkeiten, aber auch Außenseiter oder Sündenböcke. Manche Gruppen arbeiteten zielstrebig, während andere ihr Ziel nie erreichten. Jede Gruppe schien aufgrund ihrer Regeln auch ein eigenes Klima entwickelt zu haben, so dass eine von mir gewählte Strategie zur Verbesserung von Arbeitsabläufen längst nicht in jedem Team gleich gut funktionierte.

Vor dem Hintergrund meiner genannten Erfahrungen entstanden folgende Fragen:

  • Was steckt hinter dem Begriff der Gruppendynamik und welche Faktoren beeinflussen das Geschehen in Gruppen?
  • Welche Bedingungen müssen innerhalb einer Gruppe geschaffen werden, zum Wohlergehen der Gruppenmitglieder und zur optimalen Aufgabenerfül-lung und was bedeutet dies für die Pflege?

Für mich stellt das Wissen, dass sich hinter diesen Fragestellungen verbirgt eine wich-tige Grundvoraussetzung dar, damit möglichst alle kreativen Potentiale der in der Ge-sundheitsversorgung Tätigen genutzt werden können. Dies halte ich für äußerst wichtig in einer Zeit, in der die gesundheitliche Versorgung der Menschen von immer komple-xeren Fragestellungen und einem stetig steigendem Kostendruck bestimmt werden.

Die Literatur mit deren Hilfe diese Arbeit entstanden ist, habe ich im Internet recher-chiert, wobei ich als Suchbegriffe „Gruppe“, „Gruppendynamik“ und „Organisationspsy-chologie“ verwendet habe. Dabei habe ich mich nur mit den Angaben näher auseinan-dergesetzt, die mir für meine Fragestellungen hilfreich erschienen. Daneben wurde ich durch das Institut für Pflegewissenschaft unterstützt, das mir einige Bücher zum Thema zur Verfügung gestellt hat.

Im Rahmen dieser Arbeit werden zunächst wichtige Begriffe wie Gruppe, Gruppendy-namik und Team definiert. Nach einer kurzen Einführung über die Geschichte der Gruppendynamik wird ein Überblick über gruppendynamische Prozesse und Strukturen gegeben. Abschließend werden Schlussfolgerungen gezogen, die sich aus dem Wis-sen über Gruppendynamik für die Pflege ergeben.


Grundbegriffe der Gruppendynamik

Definition: Gruppe

Der Begriff Gruppe wird vom alltäglichen Sprachgebrauch bis in die gruppendynami-sche Forschung hinein verwendet. Daher wird er je nach Verwendungszweck unter-schiedlich eng bzw. weit definiert. So verbirgt sich laut von Rosenstiel hinter der Grup-pe im Alltagsgebrauch erst einmal nur eine Mehrzahl von Menschen (2003, S. 273). In dieser weiten Definition fehlen aber Aussagen zur direkten Interaktion innerhalb der Gruppe oder zu den Gemeinsamkeiten der Gruppenmitglieder völlig, so dass sie zur Analyse gruppendynamischer Prozesse nicht ausreicht.

Der sehr weiten Begriffsbestimmung gegenübergestellt, geht die Kleingruppenfor-schung von einer eher engen Definition aus (König, Schattenhofer 2006, S. 15). Laut dieser zeichnen sich Gruppen zu Beginn und im Verlauf ihrer Entwicklung durch fol-gende Faktoren aus:

  • „3 bis ca. 20 Mitglieder (von Großgruppen spricht man ab ca. 20 Mitglie-dern)
  • eine gemeinsame Aufgabe oder ein gemeinsames Ziel
  • die Möglichkeit der direkten (Face to Face) Kommunikation
  • eine gewisse zeitliche Dauer, von 3 Stunden (der durchschnittlichen Le-bensdauer vieler Gruppen aus der experimentellen Psychologie) bis zu vie-len Jahren
  • ein Wir-Gefühl der Gruppenzugehörigkeit und des Gruppenzusammenhalts
  • ein System gemeinsamer Normen und Werte als Grundlage der Kommuni-kations- und Interaktionsprozesse
  • ein Geflecht aufeinander bezogener sozialer Rollen, die auf das Gruppen-ziel gerichtet sind“ (König, Schattenhoffer 2006, S. 15)

Aufgrund der Vielfältigkeit unterschiedlicher Gruppen und der damit einhergehenden Schwierigkeit einer einheitlichen Definition, identifizierten Sader (1991) und von Ro-senstiel (1992) wesentliche Merkmale einer Gruppe als Definitionsbestandteile. (Ardelt-Gattinger, Gattinger 1998, S. 2-3). Diese wurden von Ardelt-Gattinger und Gattinger um qualitative und zahlenmäßige Ausprägungen erweitert. Hieraus ergaben sich fol-gende Definitionsmerkmale einer Gruppe:

  • „Klarheit des Zieles, Grad der Gemeinsamkeit der Zielerreichung
  • Grad (d.h. Richtung im Sinne von positiv und negativ, und Intensität der Emotionen) der Kohäsion
  • Menge und Intensität der Normen
  • Art und Stabilität der Rollen
  • Ausmaß der Konformität, d.h. der Streuung über diese Normen
  • Anzahl und Inhalt der Interaktionen miteinander und im Verhältnis zu ande-ren Systemen.“ (Ardelt-Gattinger, Gattinger 1998, S. 3)

Definition Team

In meinen Ausführungen zur Motivation taucht neben dem Gruppenbegriff auch mehr-mals der Teambegriff auf. Beide Begriffe werden im alltäglichen Sprachgebrauch, nach meiner Auffassung, teilweise synonym verwendet. Daher erachte ich es als wichtig, neben der Gruppe auch kurz die Bedeutung des Teambegriffs zu erläutern.

Unter dem Begriff Team wird eine gut funktionierende Gruppe verstanden, zum Bei-spiel durch eine intensive Kooperation der Mitglieder, flache Hierarchien innerhalb der Gruppe oder eine starke Bindung an das gemeinsame Ziel (von Rosenstiel 2003, S. 274-275). Daraus wird deutlich, dass jedes Team eine Gruppe, längst nicht jede Grup-pe aber auch ein Team ist (Kauffeld 2001, in von Rosenstiel 2003, S. 274).


Definition Gruppendynamik

Durch die unterschiedlichen Entwicklungsströmungen in der Geschichte der Gruppen-dynamik (Sozialpsychologie, Psychoanalyse), werden drei unterschiedliche Bedeutun-gen mit dem Begriff Gruppendynamik verbunden (König, Schattenhofer 2006, S. 12)

  • „Er bezeichnet das Geschehen in Gruppen, die Dynamik von Veränderung und Kontinuität, mit anderen Worten: das Kräftespiel einer Gruppe.
  • Er bezeichnet die wissenschaftliche Erforschung solcher Prozesse in klei-nen Gruppen, also Gruppendynamik als eine Disziplin innerhalb der Sozial-wissenschaften.
  • Darüber hinaus wird mit Gruppendynamik ein Verfahren sozialen Lernens bezeichnet, das bei Erwachsenen soziale Lernprozesse und Verhaltensän-derungen anstoßen soll.“ (König, Schattenhofer 2006, S. 12-13)

Zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage, beschäftigt sich diese Arbeit vor al-lem mit dem ersten Punkt.


Ausgangspunkte und Begründer der Gruppendynamik

Als Ausgangspunkt der Gruppendynamik können die Arbeiten von Kurt Lewin und Ja-cob L. Moreno bezeichnet werden. Beide vertraten zwei unterschiedliche Ansätze, Le-win den sozialpsychologischen und Moreno den gruppentherapeutischen Ansatz. Le-win beschäftigte sich nach seiner Emigration aus Deutschland in die USA mit den Auswirkungen unterschiedlicher Führungsstile auf die Gruppenatmosphäre und dem Einfluss von Feedback auf Gruppenprozesse. Im Jahre 1945 gründete er am Massa-chusetts Institute for Technology das Research Center for Group Dynamics. Moreno gilt als Begründer der Gruppenpsychotherapie. Sein Name steht für eine Annäherung zwischen der akademischen Sozialpsychologie und der überwiegend an der klinischen Behandlung von Klienten interessierten Gruppentherapie. (Rechtien 2001, S. 44-45)

Laut Rechtien gehört die Gruppendynamik in den Bereich der Sozialpsychologie. Die-se, als Teilgebiet der Psychologie, beschäftigt sich mit dem Geschehen in und zwi-schen Gruppen. Die Sozialpsychologie ging in den ersten zwanzig Jahren ihres Beste-hens davon aus, dass sich die Eigenschaften von Individuen nicht von denen der Indi-viduen in Gruppen unterscheiden (Allport 1924, in Rechtien 2001, S. 47). Erst durch Lewin wurde der Begriff Gruppe für Psychologen als ein „überindividuelles, reales und ganzheitliches System“ akzeptabel (Rechtien 2001, S. 47).


Gruppenstruktur und Gruppenprozess

Die Gruppe wird von Schattenhofer und Weigand als quasi autonomes Sozialsystem verstanden, das nicht direkt von außen gesteuert werden kann (1998, in König, Schat-tenhofer 2006, S. 19). Um die Dynamik und damit das Kräftespiel einer Gruppe verste-hen zu können, ist es notwendig, den Blick auf ihre Strukturen (z.B. Normen, Rollen) und Prozesse (z.B. Entwicklungsphasen) zu richten. Gruppenstruktur und Gruppenpro-zess können dabei nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, da sie sich stark wechselseitig beeinflussen (von Rosenstiel 2003, S. 275).


Interne und externe Einflüsse

Auch wenn die Gruppe nicht direkt von außen gesteuert werden kann, so unterliegt sie doch unterschiedlichsten inneren und äußeren Einflüssen, zu denen eine wechselseiti-ge Abhängigkeit besteht.

Unter den externen Einflüssen werden die Rahmenbedingungen verstanden, innerhalb derer die Gruppe arbeitet. Darunter fallen beispielsweise die Ressourcen, die zur Ver-fügung stehen, die Pflichten, die mit der Arbeit verbunden sind, die Freiwilligkeit oder der Zwang, mit dem die Mitgliedschaft in der Gruppe verbunden ist und das Maß an Autonomie, mit der die Gruppe gegenüber ihrer Umwelt ausgestattet ist (König, Schat-tenhofer 2006, S. 23).

Mit internen Einflüssen sind „alle bewussten und unbewussten Gefühle, Bedürfnisse, Wertvorstellungen, Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und Ansichten der einzelnen Mitglieder gemeint“ (König, Schattenhofer 2006, S. 24). Diese internen Einflüsse wer-den von Schattenhofer und König anhand des Eisbergmodells in unterschiedliche E-benen eingeteilt. Innerhalb der gut sichtbaren Sachebene geht es um das Gruppenziel und alle Maßnahmen, wie dieses erreicht werden soll. Die Kommunikation innerhalb der Gruppe befasst sich mit der jeweiligen Aufgabenstellung. Die zweite, nur noch teil-weise sichtbare Ebene wird als Beziehungsebene bezeichnet. Hier bilden sich die Einflüsse ab, die durch die Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander entstehen, nicht das Was der Kommunikation steht im Vordergrund, sondern das Wie und Wer. Unterhalb der Wasseroberfläche liegt die psychodynamische Ebene. In ihr kommen die Wünsche, Ängste oder auch Befürchtungen zum Tragen, die die Gruppenmitglieder aufgrund ihrer Lebensgeschichte mitbringen. Als tiefste gruppendynamische Ebene wird der Kernkonflikt einer Gruppe bezeichnet. Die beiden Autoren gehen davon aus, dass sich in jeder Gruppe ein Kernkonflikt herausbildet, der „im Sinne eines immer wieder auftretenden Handlungsmusters“ die Prozesse der Gruppe prägt (König, Schat-tenhofer 2006, S. 26-33).

In jeder Gruppe kann immer nur ein Teil dieser internen Einflüsse zugelassen werden, da sonst die Gemeinsamkeit und damit die Orientierungsfunktion der Gruppe verloren gehen würde. Daher erfordert die Mitgliedschaft in einer Gruppe von jedem Mitglied eine Anpassungsleistung und damit den Verzicht auf eigene Wünsche oder Bedürfnis-se zu Gunsten der Gruppe und ihres Ziels (König, Schattenhofer 2006, S.24).


Gruppencharakteristika

Um das Geschehen in Gruppen verstehen zu können, ist es notwendig, sich mit den verschiedenen Charakteristika einer Gruppe auseinanderzusetzen. Diese beeinflussen sich wechselseitig und prägen die Interaktionsbeziehungen, das Verhalten, die Aktivitä-ten und die Resultate der Mitglieder innerhalb einer Gruppe (Weinert 1987, S. 322). Die Abbildung 1 veranschaulicht diese wechselseitige Beziehung:


Abbildung 1: Wechselseitige Beziehung von Gruppencharakteristika, nach Weinert 1987, S. 323

Es muss jedoch betont werden, dass die Gruppencharakteristika sich nicht unbedingt in einer linearen Ursache-Wirkungsbeziehung gegenüberstehen, sondern dass die Veränderung einer Variable sich systemisch auf die gesamte Gruppe auswirkt. Des Weiteren unterscheiden sie sich je nach Gruppe und können sowohl von den Grup-penmitgliedern wie auch von externen Faktoren beeinflusst werden (Weinert 1987, S. 323).


Gruppengröße

Die Anzahl der Gruppenmitglieder hat entscheidenden Einfluss auf das Geschehen innerhalb von Gruppen. Weinert geht davon aus, dass mit zunehmender Gruppengrö-ße die Homogenität, das Engagement, das Vertrauen, sowie die Offenheit der Mitglie-der untereinander und damit die Kommunikation innerhalb der Gruppe eingeschränkt werden. Um die Arbeit möglichst optimal zu gestalten und die kreativen Potentiale der Gruppenmitglieder nutzen zu können, ist daher jeweils auf eine angemessene Grup-pengröße zu achten (Weinert 1987, S. 323-324).


Kommunikation

Die Kommunikation und damit der Informationsaustausch innerhalb einer Gruppe stellt eine entscheidende Voraussetzung und damit ein wichtiges Charakteristikum einer Gruppe dar. Hier kann zwischen den Kommunikationsfähigkeiten einer jeweiligen Per-son und den festgelegten Kommunikationsstrukturen unterschieden werden (von Ro-senstiel 2003, S. 310). Auf diese Strukturen soll an dieser Stelle kurz näher eingegan-gen werden, da sie im Gegensatz zu den individuellen Kommunikationsfähigkeiten einer Person eine Besonderheit der Gruppe darstellen. Leavitt (1951) und Bavelas (1962) überprüften im Laborexperiment u. a. die Wirkung unterschiedlicher Kommuni-kationsstrukturen auf die Variablen Leistungsfähigkeit, Führeridentifikation (vgl. Kapitel 2.3.2, Abschnitt zur Führung) und verschiedener Zufriedenheitsmaße (in von Rosen-stiel 2003, S. 312). Aus den Ergebnissen wurde abgeleitet, dass je zentraler die Kom-munikation einer Gruppe abläuft, die Identifikation gegenüber der Führung steigt, gleichzeitig aber die durchschnittliche Zufriedenheit der Gruppenmitglieder sinkt. Bei eher dezentralen Strukturen, die jedem Mitglied ein gleiches Informationsniveau bieten, steigt hingegen die durchschnittliche Zufriedenheit der Gruppe an, während die Führer-identifikation absinkt (von Rosenstiel 2003, S. 312). Collins und Raven plädieren dafür, die jeweilige Kommunikationsstruktur in Abhängigkeit zur Komplexität der Gruppenauf-gabe festzulegen. Sie sehen bei einfachen Aufgaben zentrale und bei komplexen Auf-gaben (beispielsweise in der Pflege) dezentrale Strukturen als Vorteil (1969, in von Rosenstiel 2003, S. 312).


Normen und Konformität

Durch die Interaktion der Gruppenmitglieder entwickelt jede Gruppe eigene Regeln oder Normen (Weinert 1987, S. 328). König bezeichnet diese Normen als einen Ver-haltensstandard, „der von einzelnen ihrer Mitglieder oder von außen an eine Gruppe herangetragen wird bzw. den die Mitglieder einer Gruppe herausgebildet haben und an dem sie sich orientieren und der das Zusammenleben in Gruppen überhaupt erst mög-lich macht“ (2002, in König, Schattenhofer 2006, S. 44). Sie gelten für alle Gruppen-mitglieder gleichermaßen und stellen somit das Gemeinsame der Gruppe dar, durch individuelle Interessen oder Einflussmöglichkeiten sind die Beteiligten an ihrer Entste-hung und Gestaltung direkt beteiligt (König, Schattenhofer 2006, S. 43).

Mit Konformität wird die Anpassung und Übereinstimmung von Mitgliedern einer Grup-pe oder Gesellschaft bezeichnet; sie kann auf Zwang, persönlichem Opportunismus oder innerer Bejahung beruhen (Der Grosse Brockhaus in einem Band 2003, S. 565). Laut Weinert bilden Normen und eine bestimmte Konformität der Gruppenmitglieder zu diesen die Vorraussetzung für das Funktionieren einer Gruppe. Er geht davon aus, dass Normen eine wichtige Orientierungsfunktion der Gruppe darstellen, um mit Ver-änderungen oder komplexen Problemen umzugehen. Ein Übermaß an Normen hinge-gen stellt infolge von verringerten Handlungs- und Entscheidungsspielräumen einen Verlust an Individualität der Gruppenmitglieder dar (1987, S. 328).

Die Einhaltung der Gruppennormen wird durch positive bzw. negative Sanktionen der Gruppenmitglieder gewährleistet (von Rosenstiel 2003, S. 281). Dies kann bis zum Ignorieren oder unter Druck setzen einzelner Gruppenmitglieder führen (Weinert 1987, S. 329). Die Stärke der Sanktionsmöglichkeiten ist wiederum abhängig von dem Grad der Übereinstimmung der Gruppenmitglieder (Kohäsion) (von Rosenstiel 2003, S. 283).


Rolle und Status

Die Gruppendynamik versteht unter dem Begriff Rolle „Erwartungen, die von anderen [Gruppenmitgliedern und externen Personen] der jeweiligen Rolle entgegengebracht und vom Rollenspieler hinreichend akzeptiert werden sowie von ihm in unterschiedli-chem Ausmaß verinnerlicht sein können“ (König, Schattenhofer 2006, S. 47), wobei diese Rolle immer nur einen Teil der Person repräsentiert. Ziel der Gruppe ist es, ein bestimmtes Repertoire, je nach Aufgabe, an unterschiedlichen Rollen herauszubilden, das benötigt wird, um arbeitsfähig zu sein (König, Schattenhofer 2006, S. 48). Antons differenziert unterschiedliche Rollen in aufgabenbezogene Rollen, Erhaltungs- und Aufbaurollen und negative Rollen, die jeweils bestimmte Verhaltensweisen mit unter-schiedlicher Wirkung auf das Gruppengeschehen darstellen (2000, in König, Schatten-hofer 2006, S. 47). Die Rollen, beispielsweise Gruppenleitung oder Ideengeber, sind in Gruppen nicht fest an bestimmte Personen geknüpft, sondern können situationsspezi-fisch rotieren (König, Schattenhofer 2006, S. 48).

Die konkrete Rollengestaltung stellt jeweils einen Kompromiss zwischen den Gruppen-anforderungen und den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten des Gruppenmit-glieds dar (König, Schattenhofer 2006, S. 50). Hierbei ist zu beachten, dass eine Rolle auch stets mit einem bestimmten Status innerhalb der Gruppe verbunden ist (Weinert 1987, S. 327). Laut Weinert ist die Quantität und Qualität an Informationen, die ein Gruppenmitglied empfängt, weiterleitet oder selbst produziert wiederum im starken Maße abhängig von seinem Status in der Gruppe (1987, S. 324). Durch die entstehen-den Rollen kommt es also zu einer Differenzierung der Gruppenmitglieder untereinan-der und damit zu einer Hierarchiebildung mit entsprechender Machtverteilung und Ein-flussmöglichkeiten auf das Gruppengeschehen.


Führung

Eine spezielle Rolle innerhalb der Gruppe stellt die Führungsrolle dar (von Rosenstiel 2003, S. 327). Ausgehend von den Ergebnissen Kurt Lewins , der drei unterschiedliche Führungsstile identifizierte, wurde ihr große Aufmerksamkeit in der Forschung ge-schenkt (Weinert 1987, S. 330). Dabei identifizierte Weinert drei Grundannahmen der Führungsforschung (1989, in von Rosenstiel 2003, S. 328):

  • „Führung ist ein Gruppenphänomen (das die Interaktion zwischen mehreren Personen einschließt)
  • Führung ist intentionale soziale Einflussnahme (wobei es wiederum Diffe-renzen darüber gibt, wer in einer Gruppe auf wen Einfluss ausübt und wie dieser ausgeübt wird)
  • Führung zielt darauf ab, durch Kommunikationsprozesse Ziele zu erreichen“

Bei den Führungsaufgaben innerhalb einer Gruppe unterscheidet Weinert in aufgaben-orientierte und psychologisch-emotionale Aufgaben. Er weist darauf hin, dass bei for-mellen Gruppen eher die aufgabenorientierten und bei informellen Gruppen eher die psychologisch-emotionalen Aufgaben überwiegen.

Lotmar und Tondeur unterscheiden drei Hauptaufgaben des Führens in auf die Leis-tungserbringung ausgerichteten sozialen Organisationen wie z.B. Krankenhäusern oder Pflegediensten (1989, S. 27-28):

  • Aufgaben (zu)ordnen und Arbeitsabläufe koordinieren,
  • persönliche Ziele und Organisationsziele miteinander verbinden und
  • die Zusammenarbeit und das Wohlbefinden der beteiligten Personen för-dern.

Die Aufgaben können von einer Person übernommen werden, daneben besteht laut Weinert aber auch die Möglichkeit, dass diese unter verschiedene Personen innerhalb der Gruppe aufgeteilt werden (1987, S. 330).


Kohäsion und Dependenz

Die Attraktivität einer Gruppe für ihre Mitglieder wird in der Regel als Kohäsion be-zeichnet (von Rosenstiel 2003, S. 280). Dieser innere Zusammenhalt (Der Grosse Brockhaus in einem Band 2003, S. 556) einer Gruppe entsteht durch die Übereinstim-mung der Bedürfnisse und Ziele der einzelnen Gruppenmitglieder mit dem jeweiligen Gruppenziel (Weinert 1987, S. 329). In Gruppen mit geringer Kohäsion werden die gemeinsamen Ziele vernachlässigt, im Extremfall führt dies zum Zerfall der Gruppe (von Rosenstiel 2003, S. 285)

Eine Dependenz oder Abhängigkeit von einer Gruppe entsteht für ein Mitglied dann, wenn durch die Gruppenmitgliedschaft Vorteile be- oder entstehen, die es ansonsten nicht erreichen kann.

Die unterschiedlichen Wirkungen dieser beiden Faktoren zeigen sich wiederum im Gruppengeschehen. So sind in Gruppen mit hoher Kohäsion und niedriger Dependenz Fehlzeiten und Wechsel von Gruppenmitgliedern gering; in Gruppen mit hoher Depen-denz aber niedriger Kohäsion sind die Fehlzeiten der Mitglieder hoch, die Fluktuation der Gruppenmitglieder ist aber auch hier gering, da sie die Vorteile der Gruppenmit-gliedschaft nicht aufgeben möchten (von Rosenstiel 2003, S. 281). Laut von Rosenstiel konnte aber in der bisherigen Forschung nicht nachgewiesen werden, dass durch eine hohe Kohäsion gleichzeitig ein hohes Leistungsniveau der Gruppe entsteht. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass eine hohe Kohäsion die Streuung der Einzelleistungen der Gruppenmitglieder reduziert. Die durchschnittliche Leistung einer Gruppe kann jedoch nur durch eine Veränderung der Gruppennormen gesteigert werden (von Ro-senstiel 2003, S. 284).


Aufgaben/Ziele

Wie bereits bei der Darstellung der vorherigen Gruppencharakteristika erwähnt, stellt die Gruppenaufgabe oder das Gruppenziel eine wichtige Variable dar. Durch ein ge-meinsames Gruppenziel erscheint eine Gruppe attraktiv. Nach diesem Ziel wird die Rollendifferenzierung, die Gruppengröße, die Gruppennormen und die Kommunikati-onsstruktur einer Gruppe ausgerichtet. Die Gruppenaufgabe ist die Basis der gemein-samen Kommunikation; ohne ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Aufgabe, fehlt die Grundlage der gemeinsamen Gruppenarbeit überhaupt.


Gruppenarten

Neben den erwähnten Gruppenmerkmalen werden Gruppen in der Literatur in unter-schiedliche Gruppenarten unterteilt, denen wiederum unterschiedliche Eigenschaften zugeordnet werden:

  • formelle und informelle – Formelle Gruppen werden gezielt, zur Bearbei-tung bestimmter Aufgaben oder Ziele gebildet. Informelle Gruppen hingegen werden nicht gezielt gebildet, sie entstehen bei der Erfüllung sozialer Bedürfnisse (vgl. Weinert 1987, S. 319)
  • interagierende und koagierende – In interagierenden Gruppen erfüllen die Mitglieder ihre Aufgaben gemeinsam, die Kommunikation zwischen den Mitgliedern ist Vorraussetzung zur Zielereichung. Mitglieder in koagierenden Gruppen arbeiten relativ autonom.
  • offene und geschlossene – Bei geschlossenen Gruppen ist der Ein- bzw. Ausstieg von Mitgliedern grundsätzlich nicht möglich, sie zeichnen sich vor allem durch festere Normen im Vergleich zu offenen Gruppen aus. Offene Gruppen, bei denen der Ein- bzw. Ausstieg von Mitgliedern möglich ist, beugen dadurch einer möglichen Starrheit in der Gruppenentwicklung vor. In geschlossenen Gruppen ist die Intensität der persönlichen Beziehungen höher als in offenen Gruppen.

Keine dieser Gruppenarten tritt in der Praxis in Reinform auf (vgl. Ardelt-Gattinger, Gat-tinger 1998, S. 3-5). Beispielsweise ist das Pflegeteam einer Station eine formelle, in-teragierende und offene Gruppe. Gleichzeitig kann es aber auch aufgrund starker emo-tionaler und sozialer Beziehungen eine informelle, interagierende und geschlossene Gruppe sein.


Gruppenentwicklung

Laut König und Schattenhofer gestaltet sich die Arbeit in Gruppen und damit die Grup-penentwicklung in der Regel nicht linear und geradlinig. Sie ist vielmehr gezeichnet durch Höhen und Tiefen, Dynamik und scheinbaren Stillstand. Das Geschehen in Gruppen wird von ihnen als eine Pendelbewegung zwischen zwei unterschiedlichen Polen, z.B. Spannung und Entspannung gesehen. Eine Einwicklung zum Pol Span-nung scheint Gegenkräfte innerhalb der Gruppe zu mobilisieren, die zu einer wechsel-seitigen Bewegung in Richtung Entspannung führen (2006, S. 56-57).

Damit beziehen sich König und Schattenhofer auf die Feldtheorie von Kurt Lewin (1963), der Gruppenprozesse ebenfalls als Pendelbewegung zwischen unterschiedli-chen Polen beschreibt. Für Lewin haben dabei die beiden Dimensionen Integration und Differenzierung zentrale Bedeutung. Unter Integration werden zentripetale Kräfte ver-standen (z.B. gleiche Erfahrungen und Bedürfnisse), die zu einem starken Gruppenzu-sammenhalt führen. Der Pol Differenzierung hingegen steht für die zentrifugalen Kräfte wie beispielsweise Spannungen oder Unterschiede. Eine positive Gruppenentwicklung ist nur dann möglich, wenn beide Dimensionen innerhalb der Gruppe zugelassen wer-den, denn neben einem starken Zusammenhalt innerhalb von Gruppen ist es auch wichtig, dass Unterschiede und gegensätzliche Meinungen zugelassen und ausgehal-ten werden können. Nur so wird die Kreativität und der Handlungsspielraum des Ein-zelnen nicht eingeschränkt, und sich ergänzende Rollen innerhalb der Gruppe können entstehen (König, Schattenhofer 2006, S. 58-59).

Diese Sichtweise auf das Kräftespiel und damit die Dynamik innerhalb von Gruppen, lässt Störungen, Konflikte oder Blockaden in Gruppen als wichtigen Teil der Entwick-lung erscheinen. Wenn die Gruppenmitglieder sich bewusst mit ihnen auseinanderset-zen und versuchen sie zu klären, dann kann jeder Tiefpunkt innerhalb der Gruppenar-beit zum Ausgangspunkt eines neuen Höhepunktes werden. Auf die gesammelten Er-fahrungen im Umgang mit z.B. Konflikten, kann die Gruppe beim erneuten Auftreten aufbauen, um sie zu lösen (König, Schattenhofer 2006, S. 59-60).


Gruppenentwicklungsphasen

Zur Beschreibung von Gruppenprozessen ist in der Sozialpsychologie eine Untertei-lung der Gruppenentwicklung in unterschiedliche Phasen üblich. Dazu wurden unter-schiedliche Modelle entwickelt, deren Stadien aufeinander aufbauen (König, Schatten-hofer 2006, S. 60).

Eines der bekanntesten Modelle stellt das Gruppenentwicklungsschema nach Tuck-man (1977) dar. Dieses teilt Gruppenprozesse in vier unterschiedliche aufeinander abfolgende Stufen ein, die hier kurz vorgestellt werden:

  • „forming“: Diese erste Phase der Entwicklung ist durch Unsicherheit und die Suche nach Orientierung geprägt.
  • „storming“: In dieser Phase wird das Gruppengeschehen durch Konflikte der einzelnen Gruppenmitglieder um Rollen und Normen bestimmt.
  • „norming“: Die dritte Phase ist durch das Aufstellen von Normen und gegen-seitigen Respekt der Gruppenmitglieder gekennzeichnet.
  • „performing“: In dieser letzten Phase pendelt sich die Gruppenleistung auf einem bestimmten Niveau ein (Ardelt-Gattinger, Gattinger 1998, S. 7-9).

Ausgehend von diesem Schema stellten sich Ardelt-Gattinger und Gattinger die Frage, ob die Gruppenentwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist und damit auch keine Weiterentwicklung und Veränderung der Gruppe mehr möglich wäre (1998, S. 8-9). Ihre Forschungsergebnisse bestätigten zunächst das Vorhandensein solcher Gruppenphasen. Sie kamen aber zu dem Schluss, dass diese immer wieder auftreten können und sich nicht einem bestimmten Zeitpunkt oder einer Abfolge zuord-nen lassen. Daraus lässt sich laut Ardelt-Gattinger und Gattinger ableiten, dass die Gruppenentwicklung zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen ist, so dass jederzeit Fort-, aber auch Rückschritte möglich sind. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass eine Gruppe immer wieder zeitliche Ressourcen, beispielsweise zur Klärung von Unsi-cherheiten oder zur Neuausrichtung von Normen und Rollen, benötigt (1998, S. 9).


Gruppendynamik – Schlussfolgerungen für die Pflege

Ausgehend von den bisherigen Ausführungen und der Erkenntnis, dass Gruppen und ihre jeweilige Dynamik die Gruppenarbeit sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können, stellt sich für die Pflege die Frage:

  • Welche Bedingungen müssen innerhalb einer Gruppe geschaffen werden, zum Wohlergehen der Gruppenmitglieder und zur optimalen Aufgabenerfül-lung und was bedeutet dies für die Pflege?

Laut der WHO besteht die Aufgabe der Pflege darin „dem einzelnen Menschen, der Familie und ganzen Gruppen dabei zu helfen, ihr physisches, psychisches und sozia-les Potential zu bestimmen und zu verwirklichen, und zwar in dem für die Arbeit an-spruchsvollen Kontext ihrer Lebens- und Arbeitsumwelt. Deshalb müssen die Pflegen-den Funktionen aufbauen und erfüllen, die die Gesundheit fördern und erhalten und Krankheit verhindern. Zur Pflege gehört auch die Planung und Betreuung bei Krankheit und während der Rehabilitation, und sie umfasst zudem die physischen, psychischen und sozialen Aspekte des Lebens in ihrer Auswirkung auf Gesundheit, Krankheit, Be-hinderung und Sterben“ (1995). Diese pflegerische Aufgabe soll in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Betroffenen , seiner Familie, seinen Freunden und anderen an der gesundheitlichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen erbracht werden (WHO 1995).

Daraus lässt sich ableiten, dass gesundheitsbezogene Leistungen durch multiprofessi-onelle Teams erbracht werden sollten, in denen die verschiedenen Berufsgruppen wie z.B. Pflegende, Ärzte oder Physiotherapeuten und die Betroffenen bzw. deren Angehö-rige zusammenarbeiten. Dies würde aus meiner Sicht eine Weiterentwicklung darstel-len, da aktuell die Leistungen eher durch berufsspezifische Gruppen, die jeweils die Angehörigen individuell mit einbeziehen, erbracht werden. Diese Gruppen kooperieren zwar miteinander, da sie aber kein gemeinsames Team bilden, können durch unter-schiedliche berufsspezifische Rollen und Normen Kommunikationsbarrieren und Kon-flikte, mit entsprechend negativen Folgen für das jeweilige Ziel entstehen. Bei der Bil-dung multiprofessioneller Teams ist jedoch zu beachten, dass die Anzahl der Grup-penmitglieder nicht zu groß wird (siehe dazu Kapitel 4.2.1). Daher sind beispielsweise Pflegestationen in Krankenhäusern, die für 40 oder mehr Patienten ausgelegt sind, kritisch zu sehen.

Anhand der Definition der WHO wird deutlich, mit welchen komplexen Aufgabenstel-lungen sich die Pflegenden und die insgesamt an der gesundheitlichen Versorgung Beteiligten beschäftigen. Die verwendeten Kommunikationsstrukturen werden dieser Aufgabe aus meiner Sicht nicht gerecht. So dokumentieren, und damit auch kommuni-zieren, die einzelnen Berufsgruppen oft in separaten Dokumentationssystemen und Teambesprechungen, Fallbesprechungen, Übergaben oder Patientengespräche finden oft nur berufsgruppenspezifisch statt. Dies führt zu Informationsverlusten und Konflik-ten zwischen den Berufsgruppen, die durch gemeinsame Kommunikationsformen ver-mieden werden könnten. Hieraus entsteht der Bedarf nach von allen Berufsgruppen gemeinsam zu nutzenden Dokumentations- und Kommunikationsstrukturen.

Innerhalb so genannter Stationsbesprechungen von Pflegeteams werden oft nur die Organisation betreffenden Informationen ausgetauscht. Kommunikationsstrukturen zur Reflexion und zum Wissensaustausch in der Gruppe oder auch Möglichkeiten zur indi-viduellen Zielvereinbarung bestehen kaum. Zur Förderung von Kohäsion und Konformi-tät und zur Vermeidung starrer Rollen und Normen sind diese jedoch enorm wichtig. Nur durch das zur Sprache bringen und eine Diskussion über die Normen und Ziele einer Gruppe, ist ihre Weiterentwicklung möglich (König, Schattenhofer 2006, S. 46). Daher sollten Kommunikationsstrukturen geschaffen werden, die die Diskussion und anschließende Anpassung der Gruppennormen und Rollen an sich verändernde Auf-gaben fördern. Daneben können sie sowohl die Integration neuen Wissens, als auch den Austausch zwischen den Berufsgruppen in der täglichen Gruppenarbeit unterstüt-zen und die Übereinstimmung zwischen den Bedürfnissen und Zielen der einzelnen Gruppenmitglieder und der Gesamtaufgabe fördern.

Laut Lotmar und Tondeur arbeiten Menschen nicht zufällig in sozialen Organisationen. Sie gehen davon aus, dass an das Bedürfnis mit Menschen zu arbeiten und diese un-terstützen zu wollen, auch oft die Hoffnung geknüpft ist, auf flexible Strukturen zu tref-fen, die es ermöglichen, durch eigene kreative Ideen gestaltend wirken zu können (1989, S. 21-22). Dies kann ich für den Bereich der Pflege aufgrund meiner eigenen Erfahrungen bestätigen. Pflegende investieren oft ein hohes Maß an eigener Freizeit für Aktivitäten, die der jeweiligen sozialen Organisation zu Gute kommen. Es führt je-doch auch dazu, dass Pflegende sich über Normen und Regeln hinwegsetzen und so pflegen, wie sie es für richtig halten. Hieraus ergibt sich eine große Herausforderung für die Führung: Einerseits sollten die kreativen Potentiale der Mitarbeiter genutzt und gefördert werden und andererseits dürfen die Organisationsziele in der täglichen Arbeit nicht untergehen.

Um diesem Spannungsverhältnis zwischen dem Gewähren pflegerischer Freiräume und der Einhaltung allgemeiner Standards gerecht werden zu können, müssen inner-halb der Organisation Kommunikationsstrukturen geschaffen werden, die die Organisa-tionsziele transparent machen und die dazu beitragen, dass diese Ziele in die tägliche Arbeit integriert und mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter verbunden werden. Oft sind Zertifizierungsbestrebungen oder das Leitbild eines Krankenhauses den Pflegenden zwar bekannt, welcher Sinn und Zweck sich dahinter verbirgt, bleibt aber oft unklar. Sie werden daher oft nur als unnütze Papierflut und Beschränkung empfunden. Daneben müssen Pflegeteams aber auch die Möglichkeit erhalten, eigenverantwortlich arbeiten zu können und sich so beispielsweise selbst Qualitätsziele setzen zu dürfen. Dies trägt neben der Nutzung des kreativen Potentials auch zur Gesundheitsförderung der Pfle-genden selbst bei. Laut Hajen, Paetow und Schumacher wirken sich Arbeitsbedingun-gen mit einem hohen Grad an Einfluss und Kontrolle über Arbeitszeit und Inhalte ge-sundheitsfördernd aus (2004, S. 36).


Schlussbetrachtung – Persönliches Fazit

Die vermehrte Nutzung gruppendynamischen Wissens kann, aus meiner Sicht, dazu beitragen, Konflikte und Unverständnis zwischen den und innerhalb der an der ge-sundheitlichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen zu reduzieren und kreative Po-tentiale zu fördern. Dazu müssten vor allem Kommunikationsstrukturen dezentraler und Führungshierarchien flacher gestaltet werden.

Durch den verstärkten Einfluss gruppendynamischen Wissens in Aus-, Fort- und Wei-terbildung könnte es zu einer gesteigerten Sensibilisierung kommen. Diese würde dazu beitragen, das Geschehen in Gruppen besser zu verstehen, beispielsweise in Bezug auf die Bedeutung von unterschiedlichen Rollen innerhalb einer Gruppe oder auch in Bezug auf die Wichtigkeit von Phasen, in denen es zu Auseinandersetzungen um Rol-len, Normen oder Meinungen kommt.

Eine Umsetzung im Sinne multiprofessioneller Teams, die sich gleichberechtigt an der gesundheitlichen Versorgung beteiligen, erachte ich jedoch als schwierig, da eine Viel-zahl von Vorurteilen und unterschiedlichen berufsspezifischen Interessen oftmals die Arbeit der in der gesundheitlichen Versorgung tätigen Gruppen beeinflussen. Trotz dieser Schwierigkeiten gilt es allerdings zu bedenken, dass immer komplexere Ge-sundheitsbedürfnisse und der steigende Kostendruck auf die Entwicklung kreativer Lösungen drängen.

Meiner Meinung nach trägt das Wissen zum Thema Gruppendynamik dazu bei, Phä-nomene in der Pflege, wie beispielsweise die oft vorhandene „Jammerkultur“, ein man-gelndes Verständnis gegenüber Berufspolitik und auch Probleme im Theorie-Praxis Transfer, zu erklären. Daraus resultieren aber auch wiederum Ansatzpunkte, wie verbesserte dezentrale Kommunikationsstrukturen, die es ermöglichen, Veränderungen einzuleiten.


Verwendete Literatur

  • Ardelt-Gattinger, E; Gattinger, E (1998): Gruppenarten und Gruppenphasen. In: Ardelt-Gattinger, E; Lechner, H; Schlögl, W: Gruppendynamik. Anspruch und Wirklichkeit der Arbeit in Gruppen. Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen.
  • Brocher, T. (1999): Gruppenberatung und Gruppendynamik. Rosenberger Fachverlag, Leonberg.
  • Der Grosse Brockhaus in einem Band (2003). 1. Auflage. F. A. Brockhaus, Leipzig, Mannheim.
  • Hajen, L; Paetow, H; Schumacher, H. (2004): Gesundheitsökonomie. Struk-turen-Methoden-Praxisbeispiele. 2. überarbeitete und erweitere Auflage. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
  • König, O; Schattenhoffer, K. (2006): Einführung in die Gruppendynamik. Carl Auer Verlag, Heidelberg.
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  • Von Rosenstiel, L. (2003): Grundlagen der Organisationspsychologie. Schäf-fer-Poeschel Verlag, Stuttgart.
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