Nassraum (Humor)

Aus Familienwortschatz
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Der Naßraum

Auf dem Weg durch die Gänge gastlich, heimischer Kliniken stellt sich manches Mal dem umsichtigen Gast die Frage, was sich hinter den verschlossenen Türen pflegerischer Funktionsbereiche an geheimnisvollen und vom Bett des Gastes doch so wenig zu bemerkendem Wirken abspielt. Gestatten wir einen kleinen, zaghaften Blick und öffnen einen Spalt das sonst nur Eingeweihten offene Portal in die versteckte Welt der Station.


Der Naßraum sei hierbei unser Ziel. Obschon nicht das eigentliche Zentrum der Station, manifestiert sich in ihm ohne Zweifel eine der Achsen stationär-pflegerischer Kultur. Welcher Raum sonst ist so oft frequentiert von hygienebewußten Pflegenden, überforderten SchülerInnen, gefrusteten Zivis oder engagierten Stationshilfen? Selbst wenn das Stationszimmer hier ebenso wie die Personaltoilette als Anwärter erscheinen, so läuft der Naßraum ihnen durch seine unzweifelhaft hervorstechende, telefonlose und dennoch anerkannt arbeitsinitiierte Aufenthaltserlaubnis den Rang ab.


Der Raum in sich ist Einheit aus Arbeitsfläche und Vorratsraum. Hier findet der pflegerisch Tätige sein Handwerkszeug zur Unterstützung menschlicher Ausscheidungsvorgänge, sowie alles der Reinigung des Umfeldes zuträgliche. Mannigfach zu finden sind auch Hilfen zur Körperhygiene wie Schüsseln, Lotionen Zahnbürsten, Kämme und vielerlei mehr.


Betreten wir einen solche Lagerstatt, fällt neben den sorgsam gefüllten Reihen, die glänzend strahlenden Arbeitsplatte auf, deren Unterbau in der Regel ein Gerät zum Ausspülen der Steckbecken beheimatet. Hier findet allmorgendlich, nach dem stationären Waschprogramm für hilfsbedürftiges Klientel, die Säuberung der Arbeitsmittel statt.


Unser Naßraum wird dann zur Werkstatt für Stationshilfen und engagierten Pflegekräften. Getreu ihrer Pflicht scheuern und wienern sie, was immer unter ihren Lappen zu kommen sich getraut. Es wird eingelegt, geputzt und getrocknet.


Angesichts diesen Eifers kann es nur verwundern, daß manche Hygienefachkraft diesen Winkel zum Ort finstersten Mißverhaltens und der Verwerflichkeit erklärt. Schon in der Absicht ein fleckenloses Steckbecken dem Patienten zuzuführen durchfahren sie Frostschauer. Ebenso vermuten Sie Böses, wenn die Arbeitsplatte fleckenlos und strahlend ihrem Besuch entgegenblinkt (was ansonsten doch allgemein Stationsschwestern und Chefärzten gar wohlwollendes Kopfnicken zu entlocken vermag).


Ist es doch in den kritischen Augen der Keimfreiwächter gar schaurig, die frische Desinfektionslösung zu trocknen, bevor die Zeitspanne vollständigen Wirkens verronnen ist. Gleichsam erschüttert sind sie, wenn die sorgsam eingelegte Nierenschale zwar eine Stunde in bereiteter Lösung ruht, ihr Rand aber vorwitzig aus der wäßrig-klaren Mixtur hervorlugt, ohne sich gänzlich in das desinfizierende Medium begeben zu haben.


Mißfallen kann der Platz aber nicht nur aus hygienischer Sicht. Auch seine Eigenart immer just zu einer Zeit voller unerledigter Dinge zu sein, in der die Aufmerksamkeit der Diensthabenden auf wesentlich Unaufschiebbarerem ruht, trägt nicht sehr vorteilhaft zu seinem Ansehen bei. Umständehalber man dann eben manches auf die Ablösung überträgt, welche hierauf in der Regel mit gekräuselter Stirn ein recht unfreundlich anmutendes Gemurmel erwidert, was ebenso keine Begeisterung auslöst.


Und dennoch, allem zum trotz, finden sich engagierte Kräfte, die jenen Raum vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen in der Lage sind. Was ist wohl der Kern dieses Tatendranges, welcher von den übrigen Kräften der Station gut und gern anerkennend belächelt wird?


Es ist jene klare Struktur notwendiger Arbeit. Schon beim ersten Sichtkontakt ist alles unerledigte deutlich. Es gibt keine versteckten oder zu übersehende Aufgaben. Nichts bleibt dem Zufall oder dem Willen von Patienten überlassen. Keine noch so dumme Bemerkung schmälert das Geleistete! Keine, wie auch immer geäußerte, Mißstimmung bewirkt das manchmal aus Patientenzimmern klingende Klagegeheul der Zielobjekte.


Die vollbrachte Leistung im Naßraum macht sicher, gibt Selbstvertrauen. Keine Verschüchterung durch Patienten, keine Angst vor Offenbarung von Wissenslücken, keine Genierlichkeit durch verpatzte Kommunikation oder entglittenes Material.


Ein Raum vollzogener Einfachheit.


Nur er ist im Ablaufgeschehen legitimes Eiland der Besinnung für Zivi und SchülerIn, oder des Rückzugs für Schwestern, wenn deren Nervenkostüm eine kurze Zeit regenerativer Stille benötigt.


Er stellt ein unentbehrliches Gelände fernab jeden nervenaufreibenden Patiententums dar. Durch ihn ist eine sonst nicht erreichbare Dimension meditativer Erneuerung möglich. Selbst teamunfähige oder sonstig kontaktscheue Menschen, vermögen sich innerhalb seiner Wände ein reiches und erfüllendes Tätigkeitsfeld zu definieren.


Ein kleiner Wehrmutstropfen sei aber nicht verschwiegen:


Nirgendwo sonst kann eine SchülerIn so frei von jedwedem Hintergrundwissen erfolgreich tätig werden. An keinem Ort fällt weniger auf, wie dünn die Wissendecke im Einzelfall gezimmert ist? Allein durch Funktion und Eifer bei der Erledigung ungeliebten Schaffens erhalten sich manche Ansehen und Notendurchschnitt.


Möge uns dieses Atoll mitmenschlicher Anerkennung auf lange Sicht erhalten bleiben.


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