Pflegerische Beratung zur Fluoridgabe bei Säuglingen

Aus Familienwortschatz
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Hintergrund

Es gilt als unumstritten, dass Fluoride einen wichtigen Platz in der wirkungsvollen Prävention von Karies einnehmen. Den Beweis hierfür findet man in den rückläufigen Zahlen von Zahnkaries, seit dem gezielten Einsatz von Fluoriden. Aber seit einigen Jahren herrscht Uneinigkeit darüber, wann und wie Fluoride eingesetzt werden sollten.

Im Jahre 1996 wurde gemeinsam von Kinder- und Jugendmedizinern sowie Zahnmedizinern ein Programm zur Kariesprävention entworfen und veröffentlicht. Danach sollen Säuglinge und Kleinkinder in den ersten drei Lebensjahren möglichst Fluoride in Form von Tabletten oder Tropfen erhalten. Seit 2000 weicht die Meinung der Zahnmediziner von dem gemeinsam entwickelten Programm ab. Sie empfehlen seither, erst ab dem Durchbruch des ersten Milchzahnes die Zähne mit fluoridierter Zahnpasta zu putzen und auf die systemische Fluoridzufuhr (Tabletten/Tropfen) zu verzichten. Dazu wurde bis Juli 2005 vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) eine neue Leitlinie entwickelt und die Kurzfassung im April 2006 veröffentlicht. Diese wurde von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in die Entwicklungsstufe 3 eingeordnet. In der Vollversion (2005) verzichten die Autoren auf die Empfehlung, die Zähne von Säuglingen und Kleinstkindern mit Zahnpasta zu putzen. In der Kurzfassung (2006) dagegen wird diese Empfehlung wieder ausgesprochen. Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) hält an dem Präventionsprogramm von 1996 fest.


Kariesprävention

Karies entsteht durch das Zusammenwirken von kariesauslösenden Mikroorganismen (Plaque), unzureichender Mundhygiene und häufiger Aufnahme von Zucker. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist noch anzumerken, dass sich ein Dauernuckeln an der Flasche oder Brust, ständiges Essen, z. B. von Keksen und eine Ansteckung über die Eltern bzw. Pflegepersonal (durch ablecken von Schnuller oder Löffel des Kindes) ungünstig auf die Zahngesundheit auswirken. Die wichtigste kariesprophylaktische Maßnahme ist die Fluoridanwendung. Der Zahnschmelz wird durch die Aufnahme von Fluoridsalzen (Remineralisation) aus dem Speichel widerstandsfähiger gegen Karies.

Fluoridierungsmaßnahmen

Zwei Formen der Fluoridierung sind bekannt:

  1. Systemisch wirkende Fluoride (werden über das Blutsystem im gesamten Körper verteilt):
    • Fluoridtabletten
    • Fluoridtropfen
    • Fluoridiertes Speisesalz
    • Fluoridiertes Trinkwasser
  2. Lokal / topisch wirkende Fluoride (werden nur örtlich, insbesondere oberflächlich, aufgetragen und wirken auf einem begrenzten Areal):
    • Fluoridhaltige Zahnpasten
    • Fluoridhaltige Gele
    • Fluoridhaltige Lacke
    • Fluoridhaltige Spüllösungen


Bei einigen Präparaten ist eine klare Trennung der einzelnen Wirkweisen nicht möglich. Fluoridtabletten wirken auch lokal am durchgebrochenen Zahn, wenn sie gelutscht werden. Zahnpasta wirkt auch systemisch, wenn sie verschluckt wird, was bei Kindern unter 4 Jahren noch häufig vorkommt.


Dentalfluorose

Besonders bei Kleinkindern muss eine Überdosierung von Fluorid vermieden werden. Bei Konsum zu großer Mengen von Fluorid, kann es zu einer Beeinträchtigung des Wachstums der zweiten Zähne kommen. Die Zähne zeigen Mineralisationsstörungen in Form weißer bis weiß-gelblicher und sogar brauner Flecken im Zahnschmelz. Dieses Phänomen wird als Dentalfluorose bezeichnet.


Unterschiedliche Empfehlungen

In Deutschland kam es zu einer Verunsicherung gegenüber der Fluoridierungsmaßnahmen, da sich Kinder- und Jugendärzte mit den Zahnärzten nicht einig sind über die Art und Weise wie Fluoride am sichersten zugeführt werden sollen.


1. Empfehlung der Zahnmediziner:

Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) empfiehlt schon die ersten Milchzähne, nach dem Durchbruch, einmal täglich, mit einer etwa erbsengroßen Menge fluoridhaltiger Kinderzahnpasta (mit niedriger Fluoridkonzentration: 500 ppm Fluorid) zu putzen. Davor sind keine Fluoridierungsmaßnahmen erforderlich. Mit Beginn des dritten Lebensjahres sollte der Gebrauch von fluoridierter Zahnpasta auf zweimal täglich erhöht werden. Zusätzlich zum Zähneputzen, mit fluoridierter Zahnpasta, wird empfohlen, fluoridhaltiges Speisesalz im Haushalt zu verwenden. Ab dem Schuleintritt sollte die verwendete Zahnpasta eine Fluoridkonzentration von 1000 bis 1500 ppm enthalten. Eine Fluoridgabe in Form von Tabletten kann dann erfolgen, wenn keine fluoridierte Zahnpasta und auch kein fluoridiertes Speisesalz verwendet werden.


2. Empfehlung der Kinder- und Jugendmediziner:

Laut der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) sollte in den ersten sechs Lebensmonaten, d.h. vor Durchbruch des ersten Milchzahnes, die Fluoridierung über Tabletten oder Tropfen (0,25 mg Fluorid/Tag) erfolgen. Diese Dosierung sollte bis zum 36. Lebensmonat beibehalten werden. Erst wenn, etwa ab dem vierten Lebensjahr, eine regelmäßige zweimal tägliche Zahnpflege (ohne wesentliches Verschlucken der Zahnpasta) mit fluoridhaltiger Kinderzahnpasta (500 ppm Fluorid) und die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz gewährleistet ist, sollte die Tablettengabe eingestellt werden. Sollten diese Bedingungen nicht eingehalten werden, ist die altersgemäße Fluoridzufuhr mit Tabletten fortzuführen.


Diskussion

Wie können Milchzähne bei Säuglingen und Kleinkindern nun am wirksamsten vor Karies geschützt werden? Sollten Fluoridtabletten ab den ersten Lebenstagen gegeben werden (systemisch) oder erst mit dem Durchbruch des ersten Zahnes mit fluoridierter Zahnpasta geputzt werden (lokal / topisch) und zusätzlich fluoridiertes Speisesalz verwendet werden? Was sagt das Pflegepersonal der Entbindungsstation den frisch gebackenen Eltern? Wie beraten sie Eltern, die bezüglich der Fluoridgabe verunsichert sind?


Die Zahnmediziner vertreten die Meinung, dass eine lokale Anwendung von Fluoriden wirksamer und die präeruptive (d.h. vor dem Zahndurchbruch) Fluoridanreicherung in den Zahnhartsubstanzen zu vernachlässigen sei. Sie wollen so die Gefahr der Dentalfluorose bannen. Müssen sich aber den Vorwurf, seitens der Kinder- und Jugendmediziner, gefallen lassen, dass sie ihre Aussage nicht evidenzbasiert stützen können. Selbst schreiben sie in der Leitlinie zu Fluoridierungsmaßnahmen (2005), dass die Wirksamkeit von Zahnpasten mit niedrigem Fluoridgehalt (250 bis 500 ppm) bisher klinisch nicht ausreichend gesichert ist, die dazu vorliegenden Ergebnisse sind uneinheitlich.


Gegen die zahnmedizinischen Empfehlungen wenden Kinder- und Jugendmediziner wissenschaftliche, wie auch praktische Erwägungen ein:

  • Kleinkinder verschlucken häufig Zahnpasta. Da Zahnpasten jedoch als Kosmetika deklariert sind, unterliegen sie keinen lebensmittelrechtlichen Kontrollen und eignen sich daher nicht zum Verzehr (Verschlucken).
  • Kinderärztlich wird empfohlen, generell kein zusätzliches Speisesalz in Kindernahrung zu verwenden.
  • Eine genaue Dosierung fluoridierter Zahnpasta ist nicht zu gewährleisten, solange nicht alle Eltern oder Pflegende individuell und verlässlich in der korrekten Zahnpflege ausgebildet sind.

Aus der aktuellen wissenschaftlichen Sicht, ist die systemische Fluoridierung wenig empfehlenswert. Es fehlen qualifizierte Studien, die Nebenwirkungen (außer der Dentalfluorose) und genaue Wirksamkeit untersuchen. Im speziellen fehlen Studien, welche die Wirksamkeit von Fluoridtabletten mit der von fluoridierter Zahnpasta bei Säuglingen vergleichen! Hier besteht dringend Forschungsbedarf!


Dennoch erfüllt Fluorid seinen Zweck. Es bleibt eine individuelle Entscheidung! In Abwesenheit aussagekräftiger Studien, kann den Eltern vermittelt werden, dass es nicht klar ist, welche Entscheidung richtig ist und sie sich somit, ohne schlechtes Gewissen gegen, aber wahrscheinlich auch für die Tabletten entscheiden können.

Ausblick

Die Leitlinie zu Fluoridierungsmaßnahmen soll in diesem Jahr (2008) überarbeitet und aktualisiert werden. (Nachtrag am 25.11.08:) Die Fertigstellung ist für Mai 2009 geplant.


Literatur

[1] Bergmann K.E., Niethammer D. (2007). Empfehlungen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin zur Prävention der Milchzahnkaries

[2] Brodehl J. (2003). Ist die Kariesprophylaxe mit Fluoriden immer noch aktuell? Gynäkologische Praxis, 27

[3] Bergmann K.E., Brodehl J. (2003). Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin zu den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung zur Prophylaxe der Zahnkaries mit Fluoriden

[4] Leitlinie der Zahnärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung im Institut der Deutschen Zahnärzte (Vollversion, 2005): Fluoridierungsmaßnahmen, S. 8-25 / 56-144

[5] Wissenschaftlich abgesicherte Patienteninformation der Bundeszahnärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (2007): Fluoridierung zur Kariesprävention

[6] Marinho VVC, Higgins JPT, Sheiham A, Logan S. (2004). One topical fluoride (toothpaste, or mouthrinses, or gels, or varnishes) versus another for preventing dental caries in children and adolescents. Cochrane Review

[7] Leitlinie der Zahnärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung im Institut der Deutschen Zahnärzte (Kurzfassung, 2006): Fluoridierungsmaßnahmen, S. 2-7


Weblinks