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Der Begriff ''Psychosomatik'' wurde vermutlich erstmals 1818 von Johann Christian August Heinroth (1773-1843) benutzt. Heinroth versuchte als "Psychiker", jedes Krankheitsgeschehen in seinen psychischen wie somatischen und lebensgeschichtlichen Gesamtzusammenhängen zu verstehen. Dabei lag er mit seiner moralistischen Deutung von Krankheit (jede "Seelenstörung" beschrieb er als Abfall von Gott und der "heiligen Vernunft", als das Böse und Teuflische schlechthin) allerdings nahe an mittelalterlichen religiös geprägten Krankheitskonzepten. Missionarisch ähnlich eifrig, aber mit völlig entgegengesetzter Tendenz, war ein Jahrhundert später Georg Groddeck. In einem von ihm in Baden-Baden gegründeten Sanatorium ergänzte er die Massagen des Körpers durch "Lockerungen von Seelenverkrampfungen" mit Hilfe der [[Psychoanalyse]]. In seinem populärsten Werk, dem 1923 erschienenen "Buch vom Es" verstand er die physischen Symptome von Krankheiten als Symbole, mit denen sich die von der öffentlichen Moral verdrängte und unterdrückte Macht des Lebens, das Es, Ausdruck verschafft. Groddeck radikalisierte damit den Ansatz von [[Sigmund Freud]] in dessen Studien über [[Hysterie]] 1895: "Psychische Erregung, die nicht adäquat verarbeitet oder abgeführt werden kann, "springt" in einen Körperteil, wird also umgewandelt (Konversion)". Das körperliche Leiden ist in dieser Vorstellung Symbol des unbewussten Konflikts bzw. Traumas. Das psychoanalytische Erklärungsmodell wurde (mit späteren teilweise erheblichen Modifikationen, z.B. durch Felix Deutsch, Otto Fenichel, Harald Schultz-Hencke, Franz Alexander, Max Schur, Arthur Jores, Alexander Mitscherlich u.a.) bestimmend für einen bis heute verbreiteten Zweig der psychosomatischen Medizin. | Der Begriff ''Psychosomatik'' wurde vermutlich erstmals 1818 von Johann Christian August Heinroth (1773-1843) benutzt. Heinroth versuchte als "Psychiker", jedes Krankheitsgeschehen in seinen psychischen wie somatischen und lebensgeschichtlichen Gesamtzusammenhängen zu verstehen. Dabei lag er mit seiner moralistischen Deutung von Krankheit (jede "Seelenstörung" beschrieb er als Abfall von Gott und der "heiligen Vernunft", als das Böse und Teuflische schlechthin) allerdings nahe an mittelalterlichen religiös geprägten Krankheitskonzepten. Missionarisch ähnlich eifrig, aber mit völlig entgegengesetzter Tendenz, war ein Jahrhundert später Georg Groddeck. In einem von ihm in Baden-Baden gegründeten Sanatorium ergänzte er die Massagen des Körpers durch "Lockerungen von Seelenverkrampfungen" mit Hilfe der [[Psychoanalyse]]. In seinem populärsten Werk, dem 1923 erschienenen "Buch vom Es" verstand er die physischen Symptome von Krankheiten als Symbole, mit denen sich die von der öffentlichen Moral verdrängte und unterdrückte Macht des Lebens, das Es, Ausdruck verschafft. Groddeck radikalisierte damit den Ansatz von [[Sigmund Freud]] in dessen Studien über [[Hysterie]] 1895: "Psychische Erregung, die nicht adäquat verarbeitet oder abgeführt werden kann, "springt" in einen Körperteil, wird also umgewandelt (Konversion)". Das körperliche Leiden ist in dieser Vorstellung Symbol des unbewussten Konflikts bzw. Traumas. Das psychoanalytische Erklärungsmodell wurde (mit späteren teilweise erheblichen Modifikationen, z.B. durch Felix Deutsch, Otto Fenichel, Harald Schultz-Hencke, Franz Alexander, Max Schur, Arthur Jores, Alexander Mitscherlich u.a.) bestimmend für einen bis heute verbreiteten Zweig der psychosomatischen Medizin. | ||
Weitere Impulse kamen aus den anderen tiefenpsychologischen Schulen, aus philosophisch-anthropologischen Ansätzen (z.B. Ludolf von Krehl: "Einheit der Persönlichkeit", Viktor von Weizsäcker: "Einführung des Subjekts in die Heilkunde", Medard Boss: "Daseinsanalyse"), aus Psychobiologie|psychobiologischen (z.B. Flanders Dunbar) und psychophysiologischen Entwürfen (z.B. Walter Cannon: Affekte als Auslöser vegetativer Veränderungen; Iwan Petrowitsch Pawlow: bedingte Reflexe, Hans Selye: psychophysiologisches Stressmodell), aus der Weiterentwicklung der Psychophysiologie (Psychoneuroendokrinologie und Psychoneuroimmunologie) und der Systemtheorie (z.B. Thure von Uexküll und Wolfgang Wesiak: "dynamisches bio-psycho-soziales Modell", Herbert Weiner: "integratives (salutogenetisches) Modell von Gesundheit, Krankheit und Kranksein", George L. Engel: "biopsychosoziales Modell"). Populärwissenschaftliche Autoren wie Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke werden teilweise in der Nähe der Esoterik gesehen, aus der ebenfalls eine Reihe psychosomatischer Erklärungsversuche stammt. | Weitere Impulse kamen aus den anderen tiefenpsychologischen Schulen, aus philosophisch-anthropologischen Ansätzen (z.B. Ludolf von Krehl: "Einheit der Persönlichkeit", Viktor von Weizsäcker: "Einführung des Subjekts in die Heilkunde", Medard Boss: "Daseinsanalyse"), aus Psychobiologie|psychobiologischen (z.B. Flanders Dunbar) und psychophysiologischen Entwürfen (z.B. Walter Cannon: Affekte als Auslöser vegetativer Veränderungen; Iwan Petrowitsch Pawlow: bedingte Reflexe, Hans Selye: psychophysiologisches Stressmodell), aus der Weiterentwicklung der Psychophysiologie (Psychoneuroendokrinologie und Psychoneuroimmunologie) und der Systemtheorie (z.B. Thure von Uexküll und Wolfgang Wesiak: "dynamisches bio-psycho-soziales Modell", Herbert Weiner: "integratives (salutogenetisches) Modell von Gesundheit, Krankheit und Kranksein", George L. Engel: "[[biopsychosoziales Modell]]"). Populärwissenschaftliche Autoren wie Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke werden teilweise in der Nähe der Esoterik gesehen, aus der ebenfalls eine Reihe psychosomatischer Erklärungsversuche stammt. | ||
Letztlich kann diese Vielzahl von theoretischen Konzepten auch als ein Ausdruck der bisher nicht wirklich widerspruchsfrei beantworteten Frage nach dem Mechanismus, in dem psychisches und somatisches kausal miteinander verknüpft sind, gesehen werden. Die neueren systemtheoretisch fundierten Modelle verzichten daher auf die Suche nach einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten. Damit wird auch die Vorstellung aus der Pionierzeit aufgegeben, dass man bestimmte "psychosomatische Krankheiten" oder "Psychosomatosen" von den übrigen Erkrankungen abgrenzen könne. | Letztlich kann diese Vielzahl von theoretischen Konzepten auch als ein Ausdruck der bisher nicht wirklich widerspruchsfrei beantworteten Frage nach dem Mechanismus, in dem psychisches und somatisches kausal miteinander verknüpft sind, gesehen werden. Die neueren systemtheoretisch fundierten Modelle verzichten daher auf die Suche nach einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten. Damit wird auch die Vorstellung aus der Pionierzeit aufgegeben, dass man bestimmte "psychosomatische Krankheiten" oder "Psychosomatosen" von den übrigen Erkrankungen abgrenzen könne. | ||
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