Bauchgehirn

Aus Familienwortschatz
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Der Magen-Darm-Trakt besitzt ein eigenes Nervensystem mit etwa 100 Millionen Zellen. Dieses so genannte enterische Nervensystem (Enterisches Nervensystem) wird aufgrund seiner Komplexität auch als „Bauchgehirn“ bezeichnet. Das Bauchhirn kann Informationen seiner Sensoren selbst bearbeiten und in Eigenregie kontrollieren.

Das Bauchgehirn als „Meister aller Klassen“

Fragen Sie einen Bauchchirurgen nach dem „Bauchgehirn“, wird er antworten, dass er noch keines gesehen hat. Es ist immerhin umstritten, dass es etwas in unserem Bauch gibt, das, von uns unbemerkt, ähnlich wie ein Gehirn funktioniert.

Vermutungen darüber, dass es das Verdauungssystem in seiner Gesamtheit sein könnte, werden von wenigen Neurobiologen bestätigt. Auch wenn es umstritten ist: vielleicht trägt das Gedärm entscheidend zu Gesundheit und Immunkraft bei und verfügt sogar über ein eigenes Hirn – das "Bauchgehirn" -, womit umgangssprachlich die neuronale Struktur der Bauch- und Darmregion in Abgrenzung zum ZNS (Kopfgehirn und Rückenmark) und dem peripheren Nervensystem gemeint ist.

Einige Bemerkungen zur Anatomie und Physiologie des Darmes

Dünn- und Dickdarm sind zusammen acht Meter lang. Beide schleusen in Kooperation mit dem Magen im Laufe eines Lebens einige Tonnen Nahrung durch den Verdauungstrakt. Bei der Verdauung helfen dem Darm etwa zwei Kilogramm nützliche Bakterien, die aus sehr verschiedenen Bakterienarten bestehen. Nicht nur das: Auch fünfundachtzig Prozent aller körpereigenen Abwehrzellen haben ihren Sitz im Darm und schützen so unseren Organismus vor Infektionen. Also ist der Darm auch unser größtes Immunorgan: Es ist nicht verwunderlich, dass Funktionsstörungen des Darmes nicht selten zu Hauterkrankungen und zu Stimmungsschwankungen führen können. Erfahrene Pflegekräfte „begreifen“ daher die Haut auch als „Spiegel der Seele“, und kennen auch den Begriff „Giftküche Darm“ als Synonym des Abweichens von der „physiologischen Norm“ (Balance) des Darmes. Naturheilkundler raten dann zu einer „Darmreinigung“, nicht selten mit gutem Erfolg.

Das Bauchgehirn ist ganz einfach da

Menschliche Handlungen können - mal mehr, mal weniger bewusst - ganz spontan durch das Bauchgehirn beeinflusst werden. Der Zustand der Bauch- und Darmregion wirkt auf die Selbstwahrnehmung und die Emotionen einer Person und kann so auf deren Denken Einfluss nehmen. So sagt man, Einfälle, geniale Ideen und auch Geistesblitze kämen oftmals "aus dem Bauch heraus". Wer es versteht, diese emotionale Kompetenz mit der Leistung seines Geistes zu vernetzen, hat es im Leben leichter. „Höre auf deinen Bauch“ - „erklingt“ es in Managementkursen (Haller).

Ist das Bauchgehirn eine Kopie des Hirns?

Das „ Bauchgehirn“ ist eigentlich eine Kopie des Gehirns, meinen einige Forscher, denn die Zelltypen und Rezeptoren des Magen- Darmtraktes seien identisch mit denen des Gehirns und kommunizieren miteinander über ihre eigenen Botenstoffe (Serotonin und Dopamin). Ferner besteht eine Nervenstrang-Verbindung zu der Großhirnrinde und somit zum limbischen System, unserm Emotionszentrum im Gehirn. Das Bauchgehirn scheint auch somatische Marker zu besitzen, die uns für gewisse Dinge ein "Vorgefühl" geben, es sendet Informationen vom Bauch an das Großhirn und ist somit auch für Stimmungen und Emotionen von Bedeutung (emotionale Kompetenz). Das enterische Nervensystem verfügt demnach auf chemischer und neuronaler Ebene über Ähnlichkeiten mit dem Gehirn. Das Gehirn unterscheidet sich jedoch insbesondere durch den hohen Grad seiner neuronalen Komplexität sowie durch deren funktional klar unterschiedene Nutzung, insbesondere für Kognition (also, grob gesagt: Denken, Emotionsverarbeitung und Bewusstsein) und Motorik, sowie die Verarbeitung von Sinnesdaten und deren Bewusstmachung.

Wie erleben wir das Bauchgehirn?

Umgangssprachlich wird unbewusst auf das Bauchgehirn durch folgende Äußerungen verwiesen: „Kribbeln im Bauch“, „auf den Magen geschlagen“, das „Schmetterlingsgefühl“ im Bauch, oder es werden „Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ getroffen. Einfach so dahin gesagt? N E I N – denn dahinter stecken eigenes Erleben und untrügliche Erfahrungen. Das kann jeder ältere Mensch bestätigen, denn er nimmt tagtäglich diese „stille Kompetenz“ die uns das Bauchgehirn vermittelt, unbewusst in Anspruch.

Forscher sehen in Fehlfunktionen des ENS die Ursache für verbreitete Leiden, wie Reizdarm und Morbus Crohn, also ein Abweichen von dem „guten Gefühl" im Bauch.

Es gibt Autoren (gelesen bei Lucak, in Geo 11/2000) die überzeugt sind: " Das zweite Gehirn ist ein Überlebensgarant für Leib und Seele". Praktiker in der Krankenpflege können dieses nur betätigen, denn sie wissen aus Erfahrung, dass der Körper früher reagiert als das Bewusstsein."

Beweise für die Existenz des Bauchgehirns lassen sich finden, denn "das darmeigene Nervensystem arbeitet selbständig: Schneidet man etwa ein Darmstück heraus ..., legt es in Nährlösung, bleibt es funktionsfähig" (Büssem, Modern Times 19.Feb. 2006).

Pathologen (Pathologie) bestätigen, was Krankenschwestern und Krankenpfleger aus der Praxis kennen: Der Magen-Darm-Trakt arbeitet nach dem Tod sogar noch 24 Stunden lang weiter.

Der Bauch – ein Seismograf der Seele

Nicht nur das: Wir wissen, dass bei großen Bauchoperationen der Patient schon unter der Operation eine Periduralanästhesie zusätzlich zur Allgemeinnarkose (Narkose) braucht. Muss da außerhalb des ZNS noch etwas anderes betäubt werden? J A ! Es ist das Enterische Nervensystem (ENS). Umgangssprachlich sprechen wir auch vom "gesunder Menschenverstand", vom "sechsten Sinn" oder eben vom "Bauchgehirn".

Das "Bauchgehirn" ist Teil des über den Nervus vagus mit dem Gehirn verbundenen parasympathischen Nervensystems (ENS). Es enthält mehr als 100 Millionen Neuronen, ist somit umfangreicher als das Rückenmark. In der Neurobiologie besteht Gewissheit darüber, dass über den Nervus vagus das Gehirn über die Situation nicht nur im Darm, sondern auch in den anderen Organen und über den Zustand des Immunsystems informiert wird. Das „Bauchgehirn“ regelt die Darmmotorik und die Verdauung. Es enthält 90 % afferente (zum Gehirn hinführende) neuronale und 10 % efferente (vom Gehirn zum Darm führende) Verbindungen.

Das erklärt auch, warum Patienten nach Darmoperationen über Übelkeit und Inappetenz klagen. Gastroskopisch findet man dann eine reaktive Antrum- und Korpusgastritis (Gastritis).

Patienten die mit „Herzschmerzen“ und Infarktverdacht (Herzinfarkt) eingewiesen werden, klagen über Herzschmerzen, Extrasystolen , Magenschmerzen und Übelkeit. Die Röntgenaufnahme des Brustkorbs zeigt einen linksseitigen Zwerchfellhochstand, der eine Verschiebung des Herzens nach rechts oben zur Folge hat. Klinisch fallen ein stark geblähter Magen und Meteorismus auf. Grobklinisch betrachtet handelt es sich um einen „gastrokardialen Symptomkomplex“. Diagnose: Römheld-Syndrom.

Es ist der viszeroviszerale Reflex, der zu einer Verminderung der Koronardurchblutung führt – da haben wir es wieder – das „Bauchgehirn“! Was tun? In der Regel helfen: Hoher Schwenkeinlauf um die Luft aus dem Darm zu exmittieren, feuchte Wärme - für ein gutes Bauchgefühl, ein leichtes Spasmolytikum (krampflösendes Mittel) zur Lösung der Spasmen (Krämpfe) und damit Wegnahme der Schmerzen, Pefferminzöl in Kapseln ist besonders beim Vorliegen eines Reizdarmes hilfreich und bewährt. Indische Flohsamenschalen sind ein regelrechter Segen für den Darm bei dauerhaften Durchfällen, aber auch Verstopfungen. Vor allen Dingen müssen wir unseren Patienten die Angst nehmen. Diese verschwindet schnell bei effektiver Therapie und guter psychischer Führung.

Begriffsklärung: "Bauchgehirn" versus "Bauchentscheidung"

In diesem Abschnitt wird erläutert, wieso das Bauchgehirn trotz gegenläufiger Assoziationen wenig mit kognitiven Prozessen, insbesondere dem Entscheiden, zu tun hat.

Der umgangssprachliche Begriff „Bauchgehirn“ bezeichnet eine besondere Anhäufung von Nervenzellen und –verbindungen im menschlichen gastro-intestinalen Trakt: das enterische Nervensystem. „Bauch“ ist hier also wörtlich zu verstehen (als eine Verortung), „Gehirn“ allerdings als Analogie oder Metapher. Das menschliche Gehirn zeichnet sich durch eine Reihe anatomischer und funktionaler Eigenschaften aus, die mit dem „Bauchgehirn“ nichts gemein haben. Insbesondere die Hervorbringung kognitiver Fähigkeiten ist dem Gehirn vorbehalten. Die Gemeinsamkeit zwischen dem Gehirn und dem „Bauchgehirn“ besteht vorrangig in der (bezogen auf die Anordnung der Nerven im menschlichen Körper) relativ gehäuften und (vom Gehirn) relativ autonomen Verarbeitung von Nervenimpulsen. Das Bauchgehirn wirkt aufgrund dieser Eigenschaft wie eine weitere „Schaltzentrale“ im menschlichen Nervensystem.

Weiterführende Analogien zwischen „Bauchgehirn“ und eigentlichem Gehirn führen des Öfteren zu Verwirrung und insbesondere zur falschen Zuschreibung von kognitiven Eigenschaften. So heisst es etwa „man entscheide aus dem Bauch heraus“ und schließt aus der Geläufigkeit dieser Redewendung oft fälschlicherweise, die entsprechende Entscheidung sei im „Bauchgehirn“ vonstatten gegangen. Die landläufige Redewendung „aus dem Bauch heraus entscheiden“ bezeichnet jedoch keine Vorgänge im gastro-intestinalen Trakt, sondern intuitive kognitive Prozesse. Kognitive Prozesse finden ausschließlich im Gehirn statt. Insofern bezeichnet der Begriff „Bauchentscheidung“ eine Tätigkeit des Gehirns und nicht des Bauchgehirns. Entscheiden „aus dem Bauch heraus“, oder Entscheidungen, die auf einem „Bauchgefühl“ beruhen (o.Ä.), ist stets intuitives Entscheiden, also Entscheiden ohne das explizite Benennen (d.i. das Explizieren ggü. anderen) oder Bewusstmachen (d.i. das Explizieren ggü. sich selbst) von Gründen.

Das Bauchgehirn verarbeitet Nervenimpulse, die im gastro-intestinalen Trakt entstehen (also z.B. jene, die von den Sinneszellen des Darms erzeugt werden) und ist in der Lage, selbstständig Impulse in den gastro-intestinalen Trakt zurückzusenden und damit autonom zu reagieren. Metaphorisch könnte man also sagen, das „Bauchgehirn“ treffe hier Entscheidungen. Dies hat jedoch offensichtlich mit dem Begriff der kognitiven Entscheidung nichts zu tun, denn die „Entscheidungen“ (also die Zuordnung von Output zu Input) des Bauchgehirns können systematisch kein Gegenstand eines kognitiven Abwägungsprozesses sein, sei dieser nun intuitiv oder explizit rational. Mit einer Ausnahme: Kognitive Prozesse laufen zwar im Gehirn ab, werden jedoch von Prozessen, die nicht im Gehirn stattfinden, beeinflusst. So beeinflusst etwa die Körperwahrnehmung die Urteils- und Entscheidungsfindung. Ist einer Person mulmig zumute, so entscheidet oder urteilt sie anders als in bester Laune, selbst wenn das mulmige Gefühl in keinem inhaltlichen (oder logischen) Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht. Zahlreiche psychologische Studien zeigen, dass Menschen geneigt sind, ihre Körperwahrnehmung zu rationalisieren, d.h. einen für sie subjektiv nachvollziehbaren Grund anzugeben, weshalb ihnen im Augenblick gerade so-und-so zumute ist. Diese Rationalisierung kann wiederum zurückwirken auf eine eventuelle momentane Entscheidungsfindung, selbst wenn der rationalisierend angegebene Grund einen anderen als den tatsächlich kausal wirksamen Faktor angibt.

Ein Beispiel: Personen, die unter Medikamenteneinfluss stehen, sich über die emotionale Auswirkung des Medikaments jedoch nicht im Klaren sind, neigen dazu, ihre vom Medikament verursachten Stimmungsschwankungen ihnen zugänglichen Verursachern zuzuschreiben, wie etwa dem unfreundlichen Nachbarn. Fänden sie sich nun in der Position, die Entscheidung zu treffen, ihren Nachbarn zu begünstigen oder diese Begünstigung zu unterlassen, kann es sehr wohl sein, dass die aus Unwissen entstandene fälschliche Attribuierung dazu führt, dass sie die Entscheidung zu Ungunsten ihres Nachbarn fällen. Insofern war das „Bauchgefühl“, zusammen mit der falschen Attribuierung, ausschlaggebend für die Entscheidung. Es ist jedoch leicht zu sehen, dass solche Situationen nicht dem entsprechen, was wir landläufig mit „aus dem Bauch heraus entscheiden“ meinen. Denn hier wurde die Entscheidung ja (im wörtlichen Sinn) weder "im Bauch" noch "aus dem Bauch heraus" entschieden: Eine unterbewusste und/oder emotionale Beeinflussung rationaler Entscheidungsprozesse wie die eben beispielhaft beschriebene kann selbst wiederum ausschließlich im Gehirn wirksam werden, da die kognitiven Entscheidungsprozesse dort vonstatten gehen. Das Bauchgehirn kann also indirekt Entscheidungen beeinflussen, indem die Sinnesreize, die im gastro-intestinalen Trakt entstehen und ans Gehirn weitergeleitet werden, die subjektive Körperwahrnehmung beeinflussen. Doch heisst dies weder, dass „im Bauch“ oder „aus dem Bauch heraus“ entschieden wird, noch heisst es, dass die Körperwahrnehmung einen hinreichenden oder durchschlagenden Erklärungsgrund für kognitive Entscheidungen konstituieren kann.

Auch Behauptungen, das "Bauchgehirn" verfüge über ein "Gedächtnis", können hier hier in die Irre führen. Tatsächlich verfügt das enterische Nervensystem nach aktuellem Wissensstand über ein neuronales Gedächtnis (d.h. Nervenendungen werden entsprechend ihres Gebrauchs langfristig verändert, neu gebildet oder verkümmern). Dieses Gedächtnis ist allerdings kein semantisches Gedächtnis, wie wir es landläufig im Sinn haben, wenn wir von einem "Gedächtnis" sprechen. Ein semantisches Gedächtnis ist eines, das einen symbolisch (d.i. sprachlich, bildhaft, logisch) repräsentierten Inhalt speichert. Diese Art von semantischem Gehalt kommt im enterischen Nervensystem nicht vor; es erfüllt für den gastro-intestinalen Trakt keine Funktion.

Wissenschaftler zum Bauchgehirn:

    • Michael Gershon oder J.C. Rüegg bestätigen: Im Bauch sitzt eine zweite Kommandozentrale, die oft kompetenter entscheidet als der Kopf. (Gershon und Vogel: Der kluge Bauch)
    • Professor Emeran Mayer, Physiologe an der Universität Kalifornien, konnte nachweisen, dass nicht nur das Hirn Erfahrungen speichert, sondern auch der Bauch.
    • Der amerikanische Psychologe Antonio Damasio empfahl: Wir sollten in unseren hektischen kopflastigen Zeit ruhig mehr auf unser Bauchgehirn hören. (Quelle LIFELINE)
    • Der deutsche Berater und Intuitionsexperte Andreas Zeuch bindet das ENS in seine "multidisziplinäre Intuitionstheorie" ein.

Literatur

  • Hania Lucak: „Wie der Bauch den Kopf bestimmt“, in GEO Magazin 11/00,
  • Kurt Wanka: “Gibt es ein Bauchgehirn“, in HEILBERUFE, 4.2006, 38.
  • Büssem: „Kann der Bauch denken oder fühlen?“, Modern Times, 19.Februar 2006
  • Ursula Haller: “Mit dem Bauchgehirn zum Erfolg“, Januar 2003
  • Michael Gershon (Autor), Sebastian Vogel (Übersetzer): Der kluge Bauch. Goldmann, 2001. ISBN 3442151147

Webseiten


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