Expertenstandard Ernährungsmanagement

Aus Familienwortschatz
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Der Expertenstandard Ernährungsmanagement (vollständiger Titel: Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung) will die orale Ernährung erwachsener Menschen, die pflegerischer Unterstützung bedürfen, sicherstellen (also durch die natürliche Art der Nahrungsaufnahme). Ernährung umfasst dabei auch die flüssige Ernährung, also auch die Getränke. Kinder und Säuglinge sind bei diesem Standard nicht berücksichtigt, da bei ihnen noch viele andere Faktoren zu bedenken gewesen wären. Der Standard schließt auch nicht den Diabetes mellitus ein.

Die Expertengruppe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), das den Expertenstandard herausgegeben hat, hat ihn auf einer Konsensuskonferenz am 8. Oktober 2008 vorgestellt und einem strukturierten Fachdiskurs unterworfen. Die dortigen Anmerkungen und weitere Kommentare wurden unter Einbeziehung der Expertengruppe eingearbeitet. Gegenwärtig (2009) läuft die modellhafte Implementierung, die am Ende (Anfang 2010 evtl.) mit einem Audit bewertet werden wird.

Definition Mangelernährung

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) definiert die Mangelernährung als ein anhaltendes Defizit an Energie und/oder Nährstoffen im Sinne einer negativen Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf mit Konsequenzen und Einbußen für Ernährungszustand, physiologische Funktion und Gesundheitszustand.

Standardaussage

Bei jedem Bewohner mit pflegerischem Unterstützungsbedarf oder einem Risiko für oder Anzeichen von Mangelernährung ist die orale Nahrungsaufnahme entsprechend seinen Bedürfnissen und seinem Bedarf sichergestellt.

Zielsetzung

Mit dem Ernährungsmanagement in der Pflege soll erreicht werden:

  • Frühzeitiges Erkennen der Mangelernährung
  • Verhinderung einer Mangelernährung
  • Angemessene Unterstützung bei der Aufnahme von Speisen und Getränken
  • Gestaltung der Mahlzeiten ist gewährleistet
  • Wiederherstellung des Ernährungszustandes des Bewohners nach seinen Wün-schen und Bedürfnissen
  • Vitamin- und mineralstoffreiche Ernährung
  • Vermeidung von Folgeerkrankungen (z.B. Herzrhythmusstörungen)
  • Vermeidung einer parenteralen Ernährung (z.B. PEG-Sonde, Port)
  • Körpergewicht des Bewohners im gesunden Bereich stabilisieren
  • Ernährungszustand gefährdeter Bewohner ist stets bekannt


Als Begründung wird dazu angeführt, dass Essen und Trinken die Lebensqualität beeinflussen, wichtige Bestandteile sozialer und kultureller Identität sind und der Gesunderhaltung durch die Nährstoffaufnahme dienen. Die Sicherstellung einer bedürfnisorientierten und bedarfsgerechten Ernährung kann durch die frühzeitige Erfassung und Bewertung ernährungsrelevanter Gesundheitsprobleme, angemessene Unterstützung und Umgebungsgestaltung, spezifische Maßnahmen sowie ein geeignetes Nahrungsangebot eine Mangelernährung verhindern und bestehenden Defiziten entgegenwirken.

Grundsätze

- Essen und Trinken sind menschliche Grundbedürfnisse und spielen daher eine zentrale Rolle für Gesundheit und Wohlbefinden. Kranke und pflegeabhängige Menschen können sich selbst oft nicht angemessen ernähren und benötigen daher besondere Unterstützung. Findet keine adäquate Unterstützung statt, besteht die Gefahr einer Mangelernährung.

- Essen und Trinken beeinflussen die Lebensqualität, sind wichtige Bestandteile so-zialer und kultureller Identität und dienen der Gesunderhaltung durch die Nähr-stoffaufnahme.


Die Sicherstellung einer bedürfnisorientierten und bedarfsgerechten Ernährung kann durch die frühzeitige Erfassung und Bewertung ernährungsrelevanter ge-sundheitsrelevanter Probleme, angemessene Unterstützung, Umgebungsgestal-tung, spezifische Maßnahmen sowie ein geeignetes Nahrungsangebot eine Man-gelernährung verhindern und bestehenden Defiziten entgegenwirken.

Bei vielen älteren Menschen lassen die Bedürfnisse nach Essen und Trinken auf-grund allgemeiner Risiken nach:

- Krankheits-, therapie- und altersbedingte Einschränkungen: akute und chronische Krankheiten, Multimorbidität, Auswirkungen von Krankheit oder Behandlung (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe, Schmerzen), Nebenwirkungen von Medikamenteneinnahme (z.B. Müdigkeit, Appetitlosigkeit), erhöhter Energie-, Nährstoff- oder Flüssigkeitsbedarf (z.B. offene Wunden, Fieber, motorische Unruhe), kognitive Beeinträchtigungen (z.B. Demenz), körperliche Beeinträchtigungen (Funk-tionalitäts-, Mobilitätseinschränkungen), verminderte Sinneswahrnehmung, Schluckstörungen, schlechter Mund- und Zahnstatus, Appetitlosigkeit

- Psycho-soziale Einschränkungen: Depressionen, Einsamkeit/Isolation, fehlendes soziales Netz, ungünstiges Ernährungsverhalten (z.B. durch Armut, Unkenntnis, Gewohnheit, Abhängigkeit von Alkohol und anderen Suchtmitteln), Ängste (z.B. im Zu-sammenhang mit Allergien, Unverträglichkeiten oder Vergiftung (Para-noia)), Schlankheitswahn

- Umgebungsbedingte Einschränkungen: während der Mahlzeiten -> unflexible Essenszeiten, unzureichende und un-angemessene Hilfsmittel, Unruhe und Unterbrechungen, unerkannter oder ungeäußerter Unterstützungsbedarf beim Essen und Trinken

• spezielle Risiken in der stationären Langzeitpflege:

- störende Umgebungsfaktoren (z.B. Lärm, Unruhe bei den Mahlzeiten), stö-rende Mitbewohner, Scham, Zurückhaltung oder mangelnde Ausdrucksfä-higkeit beim Einfordern von Unterstützung/Hilfe, ungeäußerte Wünsche, Bedürfnisse oder Gewohnheiten beim Essen und Trinken, Abnei-gung/Ablehnung der Speisen-/Getränkeangebote in der Gemeinschaftsver-pflegung

• Mangelernährung wirkt sich auf sämtliche Stoffwechsel- und Organfunktionen aus und ist mit einer erhöhten Komplikationsrate, Multimorbidität und Mortalität ver-bunden. Die Auswirkungen von Mangelernährung lassen sich sehr schnell als Teu-felskreis darstellen, denn Ernährungs- und Gesundheitszustand beeinflussen sich gegenseitig. Allgemeine Folgen sind ein beeinträchtigter Allgemeinzustand, Mü-digkeit, Antriebsschwäche, Abnahme der Muskelkraft, erhöhtes Sturzrisiko, beein-trächtigte Immunfunktion, Infektanfälligkeit, Haut-/Schleimhautdefekte, Wundhei-lungsstörungen und Dekubitusrisiko, neurologische und kognitive Beeinträchti-gungen, Beeinträchtigung der Herzleistung und Atemfunktion, verlangsamte Re-konvaleszenz (Genesung) sowie Einschränkungen der Lebensqualität.

• Je höher das Alter und die Anzahl der Medikamente, umso größer auch die Häu-figkeit und Schwere der Mangelernährung.

• Eine angemessene Ernährung ist die Grundlage körperlicher und seelischer Gesundheit. Wünschenswerte BMI-Werte bei über 65 jährige: 24 – 29 kg/m². Bei ei-nem BMI < 24 kg/m² liegt ein erhöhtes Risiko der Unterernährung vor und eine Beobachtung ist erforderlich. Bei einem BMI < 18,5 kg/m² liegt eine Unterernäh-rung vor, welche sofortige Interventionen erfordert. Bei der BMI-Berechnung sind Amputationen nach dem Formular „Ermittlung BMI bei Amputationen“ mit zu be-rücksichtigen.

                            Formel:             
                                    Gewicht (kg) / BMI (kg/m²)   =   Größe(m) x Größe (m)


• Bei bedeutendem Gewichtsverlust (5% des Körpergewichtes innerhalb von 4 Wo-chen) ist immer eine sofortige Intervention und engmaschige Gewichtskontrolle notwendig (siehe Hinweise – Anlage 1 „bedeutsamer Gewichtsverlust“).

• Bewohner, die aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht mehr ohne Hilfe essen können, wird die Nahrung gereicht. Dies geschieht stets unter Wahrung dessen Menschenwürde und unter Berücksichtigung vorhandener Res-sourcen. Die Nahrung sollte immer langsam gereicht werden, da stets drohende Komplikation (z.B. Aspirationspneumonie) auftreten können.

• Der Bewohner soll die individuell notwendigen Nährstoffe (z.B. Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße) auf natürliche Art zu sich nehmen. Invasive Maßnahmen (z.B. PEG-Sonde) und Zwangsernährung sollten vermieden werden.

Überblick über die Ebenen der Standardaussagen

Dieser Standard enthält folgende sechs Ebenen:

Die Pflegediagnostik

Mit der pflegerischen Diagnostik soll die Frage geklärt werden, ob ein Risiko für eine Mangelernährung vorliegt oder ob bereits eine Mangelernährung besteht. Sie sollte bei allen Personen durchgeführt werden, die gepflegt werden, weil ein Risiko dazu keinesfalls nur bei Personen besteht, die bereits Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme benötigen.

Nach einem ersten Screening beziehen sich alle weiteren Empfehlungen nur noch auf Personen, die ein Risiko dazu oder eine Mangelernährung haben. Bei einem Verdacht auf ein Risiko wird eine genauere Erfassung (Assessment; mehr als der BMI) empfohlen. Dazu gehören eine Verzehrmengenerfassung, die Abklärung von Appetitmangel, Ablehnung bestimmter Speisen aus religiösen oder anderen Gründen, Angst vor „unerlaubten“ oder unbekömmlichen Speisen oder einem erhöhten Bedarf bei besonderer Unruhe oder bei Übelkeit und Erbrechen und bei zu geringer Flüssigkeitsaufnahme.

Die berufsgruppenübergreifende Planung

Gefordert wird, dass jede Institution eine multiprofessionell geltende interne Verfahrensregelung erstellt, in der festgelegt ist, welche Berufsgruppen oder Personen für welche Bereiche im Prozess der Nahrungsbereitstellung und der Unterstützung verantwortlich sind.

Die individuelle Planung

Es soll eine individuelle Mahlzeiten- und Interaktionsgestaltung für jede betroffene Person geplant werden. Die Person selbst, bzw. die Angehörigen, ist/sind dabei einzubeziehen.

Die Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme

Die Unterstützung bezieht auch auf die Umgebung mit verschiedenen Aspekten ein.

Die Beratung

Die Beratung soll auch über Risiken und Folgen von Mangelernährung aufklären.

Die Evaluation

Die Überprüfung von Erfolg und Akzeptanz der Maßnahmen muss systematisch erfolgen.


Siehe auch:


Literatur

  • Deutsches Netzwerk für Qualitätentwicklung in der Pflege (DNQP, Hrsg.): Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege. Fachhochschule Osnabrück, Selbstverlag, 2009. Hrsg.: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), ISBN 978-3-00-025800-8. Der Sonderdruck zum Expertenstandard erschien im April 2009.
  • Sabine Bartholomeyczik, Maria Magdalena Schreier: Der neue DNQP-Expertenstandard: Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung. In: Die Schwester/Der Pfleger 3-2009
  • Joachim Berga: Expertenstandard Ernährungsmanagement. Raabe-Verlag, Stuttgart
  • Pirlich, M., Schütz, T. et al. (2006): The German hospital malnutrition study. Clin Nutr, 25 (4) 563–572
  • Pirlich, M., Schwenk, A., Müller, J.M., Ockenga, J., Schmidt, S., Schütz, T., Selberg, O., Volkert, D. (2003): DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung – Ernährungsstatus, in: H. Lochs, H. Lübke and A. H. Weimann (Hrsg.): Leitlinie Enterale Ernährung, Thieme: Stuttgart, 10–25
  • M.M. Schreier, Sabine Bartholomeyczik (2004): Mangelernährung bei alten und pflegebedürftigen Menschen – Ursachen und Prävention aus pflegerischer Perspektive – Review/Literaturanalyse. Hannover: Schlütersche
  • Tannen, A., Schütz, T. et al. (2008): Mangelernährung in deutschen Pflegeheimen und Krankenhäusern – Pflegebedarf und pflegerische Versorgung. Aktuel Ernähr Med, 33, 177–183
  • Dorothee Volkert: Ernährung im Alter. Wiesbaden, Quelle & Meyer. 372 Seiten, 1997. ISBN 3825219488
  • Dorothee Volkert: Leitlinien und Standards zur Ernährung in der Geriatrie. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2011: Bd.44:2:91-99 (Über die Bedeutung der diversen Leitlinien u.ä. Empfiehlt die Erarbeitung lokaler Standards auf deren Grundlage.)

Fußnoten


Weblinks