Unruhe

Aus Familienwortschatz
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Unruhe ist die nicht klar abzugrenzende Bezeichnung eines Zustandes, der sich sowohl psychisch-emotional als auch körperlich äussern kann. Unruhe wird subjektiv wahrgenommen, sie ist wie Schmerz nicht messbar, aber entweder vom Betroffenen selbst oder durch geschultes Personal einschätzbar. Die Bandbreite reicht von gefühlter Nervosität über Schlaflosigkeit und ziellosem Umherwandern bis hin zu vermeintlich aggressiven Handlungen.

Bei Unruhe kann es sich auch um eine beginnende Krise in Form einer Psychose, einer Depression oder eines Akut-organischen-Psychosyndroms handeln, wie z.B. ein Delir. Bei der ADHS ist mit Unruhe der übermässige körperliche Bewegungsdrang gemeint. Daher sollte der Begriff durch konkrete Beschreibung des Zustandes (Wie äussert sich die Unruhe?) eingegrenzt werden, um frühzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Unruhe gehört zu den Hauptsymptomen am Lebensende und führt bei Sterbenden im häuslichen Bereich zu oft unnötigen Krankenhauseinweisungen, wenn die pflegenden Angehörigen auf eine solche Krise nicht vorbereitet waren.

Erscheinungsformen der Unruhe

  • Von aussen kaum erkennbar ist die innere Unruhe: Betroffene schildern einen Zustand von Anspannung, ungerichteter Ängstlichkeit, ein Gefühl des Bedrohtseins oder Schlafprobleme.
  • Die innere Unruhe wird sichtbar, wenn die Patienten beginnen, vermehrt wegen Kleinigkeiten zu klingeln, das Personal durch Redefluss bei sich zu halten versuchen oder, wenn sie sich durch Klingeln nicht mehr bemerkbar machen können, laut rufen, Gegenstände - oder sich selbst - zu Boden fallen lassen (was dann möglicherweise als "randalieren" oder "Verwirrtheit" ausgelegt wird statt als Hilferuf). Demenziell erkrankte Menschen neigen zum Umherwandern oder ständigem Aus- und Umräumen.
  • Bei Bettlägerigen, die sich verbal kaum oder nicht mehr äussern können, wird auch ständiges Stöhnen, das ständige Festklammern an der Haltevorrichtung oder Herumwälzen als Unruhe wahrgenommen. Vor allem bei Sterbenden erwarten die Angehörigen aber eher, dass der Kranke still und gerade im Bett liegt; sie machen sich sofort Sorgen, wenn der Sterbende sich ein wenig bewegt oder Laute von sich gibt. Wenn man sich sicher sein kann, dass nicht Schmerzen oder andere quälende Symptome die Ursache dieser Unruhe sind, hilft die Erklärung, dass der Sterbende vielleicht noch auf diese Art kommuniziert, weil er es nur noch so kann.
  • Verwirrte oder sich ständig wiederholende Äusserungen können auch ein Hinweis auf ein delirantes Syndrom sein. Bei Sterbenden ist es eine Vergiftungserscheinung durch Organversagen, v.a. der Leberfunktion, oder aufgrund von Hirndruck bei Gehirntumor oder -metastasen.

Ursachen

Die Ursachen können organisch, psychisch oder auch medikamentös bzw. toxisch bedingt sein.

  • Bei Patienten, die sich nicht mehr adäquat äussern können und ständig aufstehen wollen, kann der Grund für die Unruhe Harn- oder Stuhldrang sein bzw. die Angst vor der Beschmutzung durch Einkoten oder Einnässen und Angst vor Bestrafung für die Beschmutzung (als Folge einer strengen Sauberkeitserziehung in der Kindheit).
  • Patienten, die auf Wechseldruckmatratzen liegen, verlieren ihre Körperwahrnehmung und versuchen, Halt zu finden.

Psychische Ursachen können sein:

  • Angst vor anstehenden Untersuchungen oder Operation
  • Sorgen um die bevorstehende Diagnose einer eventuell lebensbedrohlichen Krankheit
  • Konflikte im Umfeld (auch nicht-ausgesprochene Konflikte, die der Kranke aber dennoch spürt und ihn gerade deswegen ängstigen)
  • in der Sterbephase oft auch Schuldgefühle, Angst vor Bestrafung von Sünden oder dem Fegefeuer, Ohnmachtsgefühle, Angst vor Kontrollverlust



Vorgehen bei Unruhe

Wenn keine toxischen Gründe für die Unruhe vorliegen, sollte festgestellt werden, wer unter der Unruhe leidet, bevor Maßnahmen getroffen werden - ist es der Patient oder sein Umfeld?

Ist die Unruhe Symptom einer Vergiftung, medikamentös oder organisch bedingt, muss die Ursache ärztlich behandelt werden. Bei Sterbenden wird aber die Unruhe dann in Kauf genommen, wenn die Behandlung der Ursache für ihn eine zusätzliche Belastung bedeuten würde oder den Sterbeprozess stören könnte. Da meist mehr die Angehörigen unter dem unruhigen Zustand des Kranken leiden als er selbst (Beobachtung v.a. der Mimik des Sterbenden kann darüber Auskunft geben), müssen sie ausführlich über geplante und auch über unterlassene Handlungen informiert werden sowie den Grund für diese Entscheidungen erfahren, um verstehen und folgen zu können. Entlastung der Angehörigen, beispielsweise durch das Ermöglichen einer "Aus-Zeit", ist dann das Pflegeziel.

Bei leichteren Formen der Unruhe und wenn toxische, medikamentöse oder organische Ursachen ausgeschlossen werden können, hilft oft schon ein Gespräch, bei dem signalisiert wird, dass das Problem als solches ernst genommen wird und man gemeinsam überlegt, was helfen könnte (Für Sicherheit sorgen durch z.B. das Verabreden häufigerer "Kontroll"-Gänge, nachts Licht anlassen, Tür geöffnet halten, Angebot einer psychologische Beratung, Einbeziehen der Angehörigen). Bei Atemnot empfiehlt sich die Atemstimulierende Einreibung. Ist der Patient zur Mitarbeit bereit, kann das Erlernen und die Anwendung bestimmter Entspannungsmethoden (z.B. Autogenes Training, Phantasie-Reisen) für anhaltende Beruhigung sorgen.

Unruhige Patienten, die sich nicht (mehr) mitteilen können, kann man auf die Bettkante setzen und sich danebensetzen, um Halt zu geben; auch Unterstützung zum Aufstehen kann hilfreich sein, um dem Kranken noch einmal das Stehen auf festem Boden und damit Orientierung zu ermöglichen. Auch Basale Stimulation kann orientierend und damit entspannend und beruhigend wirken. Wird als Ursache Harn- oder Stuhldrang vermutet, sollte ein Toilettengang unternommen werden (bei immobilen Patienten evtl. Einmalkatheterisierung) oder für geeignete Abführmaßnahmen gesorgt werden.

Nehmen die Probleme trotzdem zu, wird ein Arzt hinzugezogen, der über weitere Schritte zusammen mit dem Patienten entscheidet (z.B. Einsatz von Psychopharmaka oder beruhigender Medikamente, psychiatrisches Konsil). Ist ein Patient aufgrund seiner Verfassung nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, müssen Betreuer und Angehörige mit einbezogen werden.

Erst bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung sollte als letztmögliche Maßnahme und unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben eine Fixierung in Betracht gezogen werden. Andere Möglichkeiten sollten vorher ausgeschöpft worden sein, z.B. kann bei Patienten, die ständig allein aufstehen, eine Sitzwache angefordert werden oder eine Matratze vor dem Bett einen eventuellen Sturz abmildern.

siehe auch

Literatur

  • K. Dörner, U. Plog, C. Teller, F. Wendt: Irren ist menschlich - Lehrbuch der Psychatrie und Psychotherapie, Psychatrie-Verlag Bonn 2002, 3. korrigierte Auflage 2007 ISBN 3-88414-440-5