Milgram-Experiment

Aus Familienwortschatz
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Milgram-Experiment ist ein wissenschaftlicher Versuch, der 1963 von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt (und später nachgefilmt wurde), um die Bereitschaft zu testen, wie weit durchschnittliche Personen autoritativen Anweisungen auch dann Folge leisten, wenn dies in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Das Experiment wurde vielfach als Beleg dafür verstanden, dass fast jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen bereit ist, nicht seinem Gewissen zu folgen sondern einer Autorität.


Grober Ablauf

Ein offizieller Versuchsleiter einer Universität (Experimentator, scheinbar Arzt oder Wissenschaftler) will den Zusammenhang von Bestrafung und Lernerfolg in einem vermeintlichen Experiment untersuchen. Eine Versuchsperson soll als „Schüler“ dann besser lernen, wenn sie Stromstöße "erhält". Nach jedem Fehler wurde die Spannung um 15 Volt erhöht.

Die wirkliche Versuchsperson ist die Person, die dem vermeintlichen Schüler -in Wirklichkeit ist dies ein Schauspieler mit nur fikitiv gespielten Stromstößen- jedesmal bei einem Fehler auf Anweisung des Experimentators zunehmend stärkere Stromschläge geben soll.

Dies steigert sich bei manchen echten Versuchspersonen(Proband) soweit, dass sie bereit war, einer anscheinend schmerzgekrümmten Person immer noch stärkere Bestrafungen zu erteilen.

Alle Versuchspersonen zeigten einen aufgewühlten Gemütszustand, hatten Gewissenskonflikte und waren aufgeregt. Und doch reagierten die meisten weiterhin auf jedes Wort des Versuchsleiters und gehorchten mit der vermeintlichen Quälerei des vermeintlichen Schülers bis zum Schluss. Schließlch hat der "verantwortliche" Versuchsleiter sie nur beauftragt.

Das Experiment ist in unterschiedlichen Varianten und in anderen Ländern wiederholt worden. Die Ergebnisse waren generell vergleichbar, was eine kulturübergreifende Gültigkeit der Ergebnisse zeigt. Bis zu 90% der Probanden folgten dem Auftrag des "Experten".

Das Ergebnis einer Erweiterung des Versuchs im Jahre 1965 war, dass der Anteil der bedingungslos gehorchenden Probanden stark abnahm (auf 10%), sobald zwei weitere vermeintliche „Lehrer“ an dem Experiment teilnahmen, die dem Versuchsleiter Widerstand entgegensetzten. D. h. die Autorität wurde von anderen angezweifelt.

Bewertung, Kritik am Experiment

Was lässt Durchschnittsmenschen so grausam handeln?

Milgram kommentierte die Ergebnisse seines Experiments so: „Die rechtlichen und philosophischen Aspekte von Gehorsam sind von enormer Bedeutung, sie sagen aber sehr wenig über das Verhalten der meisten Menschen in konkreten Situationen aus. Ich habe ein einfaches Experiment an der Yale-Universität durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Schmerz ein gewöhnlicher Mitbürger einem anderen zufügen würde, einfach weil ihn ein Wissenschaftler dazu aufforderte. Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen die Schmerzensschreie der Opfer in den Ohren klingelten, gewann in der Mehrzahl der Fälle die Autorität. Die extreme Bereitschaft von erwachsenen Menschen, einer Autorität fast beliebig weit zu folgen, ist das Hauptergebnis der Studie, und eine Tatsache, die dringendster Erklärung bedarf.“ (aus: The Perils of Obedience).

Es zeigte sich, dass Personen, die die personale Verantwortlichkeit für ihr Verhalten hoch veranschlagten, das Experiment eher abbrachen und dem Versuchsleiter widersprachen. Zitat einer solchen Person: „Natürlich habe ich die Wahl, ich bin aus freien Stücken hergekommen.“ und beendete von sich aus die Bestrafung des vermeintlichen Schülers.

Um den ethischen Aspekten gerecht zu werden, erhielten die Probanden nach Abschluss der Versuchsreihe detaillierte Informationen über das Experiment und deren Ergebnisse.

Um eventuelle Langzeitschäden zu erkennen, wurden in einer Stichprobe die Versuchspersonen ein Jahr nach dem Experiment erneut besucht und befragt. Das Experiment zeigte keine schädlichen Auswirkungen auf die Psyche der Probanden. 84% der Probanden gaben an, im Nachhinein froh zu sein, an dem Experiment teilgenommen zu haben. Nur ein Proband von Hundert bedauerte seine Teilnahme. Die meisten Teilnehmer gaben an, etwas über sich gelernt zu haben und Autoritätspersonen daher in Zukunft misstrauischer gegenüberstehen zu wollen.

An vielen Universitäten stellte man inzwischen als Reaktion auf diesen Versuch ethische Richtlinien über die Zulassung von psychologischen Experimenten auf.

Ähnlich wie der berühmt gewordene Satz über die Unmöglichkeit von schöngeistiger Literatur nach Auschwitz stellt sich die Frage, ob das Experiment etwas Neues über die Verhaltensmöglichkeiten von Menschen gezeigt hat? Oder ist es nicht eher ein Selbsterfahrungskurs für Personen, die sich über ihre eigene Bereitschaft zu Gehorsam und zur Verleugnung von Verantwortung im Unklaren sind? Darf so etwas mit unvorbereiteten Menschen als Proband durchgeführt werden?

Quellen

Stanley Milgram:

  • 1963: Behavioral study of obedience. Journal of abnormal and social psychology, 67, S. 371-378
  • 1974: Obedience to Authority; An Experimental View. ISBN 006131983X
  • 1974: The Perils of Obedience. Harper's Magazine, Abridged and adapted from Obedience to Authority.


Literatur dazu

  • Stefan Mühlbauer: Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tötungshemmschwelle. Dissertation, Heidelberg, Münster, 1999, 184 S., ISBN 3-8258-4183-9 (hierin: ausführliche Analyse der vom Bundesgerichtshof hergeleiteten Rechtsgrundsätze zur Tötungshemmschwelle beim Vorsatz des Täters anhand der Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem Milgram-Experiment)
  • Steven Schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam…. Beltz, 1991, ISBN 3-407-85102-2

www

  • vgl. Artikel über das Milgram-Experiment bei Wikipedia.de. Dort u. a. auch Links zu den Stichworten Menschenversuch und Stanford Prison Experiment.


siehe auch: