Wahrheit am Krankenbett

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Obwohl die rechtlichen Grundlagen wie Ärztliche Aufklärungs- und Schweigepflicht schon lange vorhanden sind, wird die Wahrheit am Krankenbett vor allem bei infausten Diagnosen oft umgangen. Dies geschieht häufig aus Angst und Unsicherheit, manchmal aus Konfliktscheu oder auch aus Bequemlichkeit. Die Situation wird durch Vermeidung schwieriger Gespräche aber nicht einfacher für die Beteiligten, sie kann sich eher verschärfen und zu einem gestörten Vertrauensverhältnis führen, was eine weitere Behandlung erschwert oder sogar unmöglich macht.

Rechte des Patienten

Der Patient hat das Recht, umfassend über seine Erkrankung und deren Folgen sowie möglicher Behandlung aufgeklärt zu werden. Auch müssen die Folgen und Erfolgsaussichten einer Behandlung wahrheitsgemäß dargestellt werden. Nur auf diesen Grundlagen kann die vielbeschworene Selbstbestimmung über das eigene Leben erfolgen, ein von den Vereinten Nationen festgelegtes Menschenrecht. Dazu gehört auch, daß der Patient bestimmt, wer von seinen Angehörigen miteinbezogen werden darf. Bei einer Untersuchung (Benson und Britten 1996) äußerten 100% der Befragten, daß ihre Angehörigen dem Arzt eine Aufklärung nicht verbieten dürfen. Diverse andere Studien bestätigen, daß Patienten Offenheit seitens des Arztes wünschen und Entscheidungen selbst oder mit dem Arzt treffen wollen.

„Die Würde des Menschen besteht in der Wahl“ (Max Frisch)

Ängste und Unsicherheiten

Als Helfer ist der Arzt auch immer bemüht, den Patienten zu schützen. Eine vermutete Belastung des Patienten durch eine wahrheitsgemäße Aufklärung kann dann zu verharmlosenden Formulierungen oder Verheimlichen von entscheidenden Fakten führen; Nachfragen wird ausgewichen. Da der Patient meist aber schon sensibilisiert ist, spürt er womöglich, daß ihm nicht alles gesagt wird. Ist er hartnäckig, wird er vielleicht mehr in Erfahrung bringen; ist er eher zurückhaltend, wird er eventuell resignieren und sich zurückziehen oder hinter Floskeln verstecken, was vom Umfeld „dankend“ aufgenommen und mit ebensolchen Floskeln beantwortet wird („Es wird schon wieder“; „Wenn du erst mal wieder bei Kräften bist“). Echte, wahrhaftige Gespräche sind dann kaum noch möglich.

Oft kommt der Hinweis, dass man den Kranken doch nicht aller Hoffnung berauben wolle, oder befürchtet, der Kranke würde sich umbringen, wenn er die Diagnose erführe. Dies mag in seltenen Einzelfällen tatsächlich geschehen sein, aber es ist kein Grund, allen Patienten "prophylaktisch" die Wahrheit vorzuenthalten (auch bei anderen Krisen wie Trennung/Scheidung töten sich Menschen; müssen deswegen alle Paare zusammenbleiben?). Das wäre Paternalismus, der in der heutigen Gesellschaft ethisch und rechtlich nicht zu vertreten ist.

Das schwierige Gespräch

Im Idealfall findet das Gespräch in einem separaten Raum statt und nicht im Krankenzimmer, in dem sich evtl. auch andere Patienten befinden. Außer dem Arzt und dem Patienten ist eine weitere vom Patienten erwünschte Person dabei ("Vier Ohren hören mehr als zwei", außerdem haben beide dann den gleichen Informationsstand). Eine während des Gespräches anwesende Pflegekraft kann währenddessen und/oder anschließend unterstützend tätig werden (z.B. das Gesagte wiederholen, fachsprachliche Ausdrücke erläutern).

Der Patient sollte zunächst selbst erzählen, was er weiß und was er selbst als Ursache seiner Beschwerden vermutet. Der Arzt kann dann entsprechend bestätigen und fragen, ob der Patient mehr Informationen wünscht. Auf sinnlose Therapieversuche sollte er nicht verweisen, allerdings auch nicht sagen, daß man nichts mehr tun könne. Besser ist die Frage „Wie kann ich Sie/Ihre Angehörigen am besten unterstützen?“ und die Aussage, daß man noch eine ganze Menge machen könne in Hinblick auf die Lebensqualität. Meist wird auch nach der Prognose gefragt, die sich kaum in genauen Zeitangaben fassen lässt. Dies sollte man auch so wiedergeben und den Patienten seine eventuellen Zukunftswünsche aussprechen lassen (z.B. plant er noch eine Reise, muß sie ihm nicht ausgeredet werden, sondern er darf planen). Nichts versprechen, was nicht auch möglich gemacht werden kann (z.B. absolute Schmerzfreiheit kann auch heute noch nicht hundertprozentig garantiert werden). Dem Patienten sollte immer ein weiterer zeitnaher Gesprächstermin in Aussicht gestellt werden, um das Besprochene noch einmal zu rekapitulieren und neu aufgetretene Fragen zu klären.

Manchmal wird seitens des Patienten auch ein behutsam geführtes Gespräch als "brutal" empfunden, was aber als eine Reaktion auf die in sich schon erschütternde Erkenntnis, sterblich zu sein, zu verstehen ist.

Es kommt auch vor, daß Patienten trotz eines solchen Gespräches behaupten, es hätte gar nicht stattgefunden oder sie seien nicht in vollem Umfang aufgeklärt worden. Dies ist eine Bewältigungsstrategie, die signalisiert, daß der bevorstehende Tod unzumutbar erscheint und der Patient keine Kraft für eine Auseinandersetzung hat. Mit dem Verstand hat er den Inhalt wohl erfasst, aber nicht akzeptiert. Es muss dann nicht um jeden Preis versucht werden, den Patienten zur Akzeptanz zu bewegen, indem man ihn immer wieder mit dem Unausweichlichen konfrontiert, sondern seine "Ignoranz" tolerieren (aber nicht bestärken!) und trotzdem Unterstützung anbieten. Oft wählen diese Patienten eine Symbolsprache, um das Unaussprechliche zu kommunizieren; antwortet man auf dieser Ebene, kann echte Nähe entstehen.

Literatur

  • Verwendete Literatur: S. Husebo, E. Klaschick: Palliativmedizin. Berlin, Springer-Verlag, 2000 (2. Auflage).

Siehe auch: