Teufelskreismodell
Teufelskreismodell
Das Teufelskreismodell beschreibt eine zirkuläre, sich gegenseitig verstärkende Konfliktdynamik, bei der Handlungen und Reaktionen ein sich selbst perpetuierendes Muster bilden. Der Teufelskreis – auch als circulus vitiosus oder Abwärtsspirale bekannt – ist ein zentrales Konzept der Kommunikationspsychologie und wird in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens beobachtet: in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei der Entstehung von Angststörungen, in chronischen Schmerzbildern und in beruflichen Konflikten.
Einleitung
Der Begriff des Teufelskreises entstammt der modernen Kommunikationspsychologie und wurde zunächst von Paul Watzlawick beschrieben, später aber von Friedemann Schulz von Thun und Christoph Thomann zu einem umfassenden Modell weiterentwickelt. Das Teufelskreismodell ist ein wirksames Werkzeug zur Erkennung und zum Verständnis negativer Beziehungsdynamiken. Die Besonderheit dieses Modells liegt darin, dass es zeigt, wie jeder Beteiligte sein eigenes Verhalten ausschließlich als Reaktion auf das Verhalten des anderen wahrnimmt – ohne seinen eigenen Anteil an der Eskalation zu erkennen. Typischerweise gibt es keinen klaren Anfang und kein Ende; die Dynamik verstärkt sich immer weiter, ähnlich wie ein Virus in einem Computerprogramm, der sich verselbstständigt und das gesamte System überlagert.
Umgangssprachliche Bedeutung
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff "Teufelskreis" verwendet, um ausweglose, sich verschärfende Situationen zu beschreiben, in denen Versuche, die Lage zu verbessern, sie paradoxerweise verschlimmern. Ein klassisches Beispiel findet sich in beruflichen oder privaten Konflikten: Eine Person kritisiert die andere, woraufhin diese defensiv reagiert. Diese defensive Reaktion wird vom Kritisierenden als Bestätigung seiner negativen Wahrnehmung interpretiert, was zu weiterer Kritik führt – der Kreislauf wird enger gezogen. Menschen berichten häufig, dass sie sich "gefangen" in solchen Mustern fühlen und "keinen Ausweg" sehen.
Auch im Kontext von Gesundheitsproblemen wird der Begriff verwendet: etwa wenn die Angst vor einer Krankheit körperliche Symptome auslöst, die wiederum die Angst verstärken, oder wenn Vermeidungsverhalten von Schmerzen zu vermehrtem Schmerz führt. In Süchten oder bei Schlafstörungen sprechen Menschen ebenfalls von Teufelskreisen – der Versuch, das Problem zu bekämpfen, führt zu mehr Anspannung und damit zur Verschärfung des ursprünglichen Problems.
Das Teufelskreismodell nach Schulz von Thun
Friedemann Schulz von Thun und Christoph Thomann haben das ursprüngliche Konzept von Paul Watzlawick zu einem systematischen Vier-Stationen-Modell weiterentwickelt. Dieses Modell unterscheidet zwischen:
- Äußerungen – die von außen sichtbaren und wirksamen Verhaltensweisen beider Personen (dargestellt in eckigen Kästen)
- Innerungen – die inneren Reaktionen, Gefühle und Gedanken auf das Verhalten des anderen (dargestellt in Kreisen)
Die vier Stationen
Das Modell visualisiert den Teufelskreis durch vier aufeinanderfolgende Stationen:
- Äußerung von Person A: Person A zeigt ein bestimmtes Verhalten oder sagt etwas.
- Innere Reaktion von Person B: Person B nimmt diese Äußerung wahr, deutet sie und entwickelt innere Reaktionen – Gefühle, Gedanken, Bewertungen.
- Äußerung von Person B: Basierend auf ihrer inneren Reaktion zeigt Person B ein bestimmtes Verhalten oder gibt eine Antwort.
- Innere Reaktion von Person A: Person A wiederum nimmt diese Reaktion wahr, deutet sie nach ihren eigenen Überzeugungen und entwickelt innere Reaktionen.
Der Kreislauf schließt sich, wenn Person A erneut reagiert – die Dynamik verstärkt sich mit jeder Runde. Das Entscheidende ist, dass beide Parteien überzeugt sind, nur zu reagieren. Jeder erlebt sein eigenes Verhalten als eine bloße Reaktion auf das (vermeintlich provokative) Verhalten des anderen. Die innersten Beweggründe – die Innerungen – des Gegenübers bleiben unverständlich.
Ein klassisches Beispiel
Das oft zitierte Beispiel von Paul Watzlawick beschreibt ein Ehepaar:
- Die Frau: „Mein Mann geht so häufig abends weg. Das verletzt mich, und ich beschwere mich ständig."
- Der Mann: „Meine Frau nörgelt immer an mir herum. Deshalb gehe ich abends weg, um dieser Beschwerderei zu entkommen."
Beide erleben sich als Opfer und den anderen als Schuldigen. Aus der Perspektive der Frau ist der Mann schuld – weil er wegginge, müsse sie sich beschweren. Aus der Perspektive des Mannes ist die Frau schuld – weil sie beschwerde, müsse er weggehen. Diese unterschiedliche Ursache-Wirkung-Zuordnung (Interpunktion) ist typisch für Teufelskreise und macht sie so hartnäckig.
Teufelskreise in verschiedenen Lebensbereichen
Teufelskreis der Angst
In der Psychologie der Angststörungen ist der Teufelskreis ein gut erforschtes Phänomen. Er beginnt oft mit der Wahrnehmung einer vermeintlichen Bedrohung oder eines körperlichen Symptoms – etwa ein Herzrasen, Schwindel oder Taubheitsgefühl. Der Betroffene interpretiert dieses Symptom als Zeichen einer ernsthaften Krankheit und entwickelt Angst. Diese Angst löst verstärkte körperliche Reaktionen aus: Die Muskulatur spannt sich an, die Atmung wird schneller, es tritt Schwitzen auf. Diese körperlichen Reaktionen werden wiederum als Bestätigung der befürchteten Krankheit interpretiert, was die Angst weiter verschärft. Ein Teufelskreis schließt sich: Angst → körperliche Symptome → verstärkte Angst → verstärkte Symptome.
Das zentrale Problem in diesem Kreislauf ist die Vermeidung. Der Betroffene versucht, die angstauslösenden Situationen zu vermeiden, was kurzfristig Erleichterung bringt. Langfristig wird dadurch aber die Angst verstärkt, denn der Betroffene macht nie die heilsame Erfahrung, dass die befürchtete Katastrophe ausbleibt und dass die Angst auch ohne Flucht wieder abklingt. Die Vermeidung hält den Teufelskreis aufrecht.
Teufelskreis der Depression
Auch bei depressiven Erkrankungen spielen Teufelskreise eine zentrale Rolle. Ein klassisches Muster sieht folgendermaßen aus:
Negative oder hoffnungslose Gedanken entstehen (oft durch belastende Ereignisse oder organische Faktoren) → diese Gedanken erzeugen gedrückte Stimmung und Hoffnungslosigkeit → betroffene Personen ziehen sich sozial zurück und vermeiden Aktivitäten, die ihnen Freude bereiten → ohne positive Erlebnisse und soziale Unterstützung verstärken sich die negativen Gedanken → die Symptome vertiefen sich. Dieser Kreislauf aus negativen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen (Rückzug, Inaktivität) verstärkt sich gegenseitig und wird immer starrköpfiger.
Teufelskreis bei chronischen Schmerzen
Bei chronischen Schmerzpatientinnen und -patienten entsteht oft ein Teufelskreis aus Schmerz, Angst und Vermeidung. Der Schmerz führt zu Angst vor Bewegung, diese Angst führt zu Inaktivität und körperlicher Dekonditionierung. Die fehlende Aktivität verstärkt Schmerz, Muskelschwäche und Steifheit. Ein Teufelskreis entsteht auch durch mentale Faktoren: Der Schmerz führt zu Depressivität und Hoffnungslosigkeit → betroffene Personen konzentrieren sich intensiv auf den Schmerz → die Schmerzempfindlichkeit erhöht sich → die psychische Belastung nimmt zu. Das Nervensystem gerät in einen permanenten Alarmzustand, was die Schmerzen noch verstärkt.
Teufelskreis in zwischenmenschlichen Beziehungen
Teufelskreise entstehen leicht auch in Familie, Partnerschaft und Beruf. Ein klassisches Beispiel ist das Verhältnis zwischen strengem Vorgesetztem und demotiviertem Mitarbeiter:
- Der Vorgesetzte: Der Mitarbeiter ist unmotiviert und leistet schlecht, deshalb werde ich strenger und fordernder.
- Der Mitarbeiter: Mein Chef behandelt mich unfair und vertraut mir nicht, deshalb motoviere ich mich selbst nicht.
Mit jeder Runde wird das Vertrauen kleiner, die Fronten verhärten sich, und die Situation scheint immer auswegloser.
Merkmale von Teufelskreisen
Teufelskreise teilen charakteristische Merkmale:
- Keine klare Ursache und Wirkung: Jeder Beteiligte sieht sich als Reaktierender, den anderen als Verursacher. Die Interpunktion (zeitliche Aufteilung von Ursache und Wirkung) ist unterschiedlich.
- Gegenseitige Verstärkung: Mit jeder Runde verstärken sich negative Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen gegenseitig.
- Eskalation: Die Dynamik schaukelt sich auf. Bereits Kleinigkeiten können extreme Reaktionen auslösen, wenn der Kreislauf weit fortgeschritten ist.
- Gefühl der Hilflosigkeit: Beteiligte berichten von Gefühlen der Ohnmacht, des Kontrollverlustes und der Ausweglosigkeit.
- Automatische Prozesse: Mit der Zeit werden die reaktiven Muster automatisiert. Sie laufen ab wie ein Reflex, ohne dass die Beteiligten bewusst handeln.
- Veränderung der Wahrnehmung: Je länger der Teufelskreis andauert, desto weniger können Beteiligte die guten Absichten des anderen erkennen. Alle Handlungen des anderen werden negativ interpretiert.
Fachliche Perspektive: Psychologische und systemische Deutung
Aus psychologischer Sicht werden Teufelskreise durch mehrere Mechanismen aufrechterhalten:
Kognitiv-behaviorale Perspektive
In der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) werden Teufelskreise durch die gegenseitige Verstärkung von Gedanken, Gefühlen und Verhalten erklärt. Negative automatische Gedanken führen zu negativen Gefühlen, die verstärktes Vermeidungsverhalten auslösen, was wiederum die negativen Gedanken bestätigt. Diese Selbstbestätigung macht Teufelskreise besonders stabil.
Systemische Perspektive
Aus systemischer Sicht sind Teufelskreise zirkuläre, sich selbst aufrechterhaltende Muster innerhalb eines Systems (Familie, Paar, Team). Sie entstehen nicht wegen eines einzigen Fehlers einer Person, sondern wegen der wechselseitigen Verstärkung zwischen den Beteiligten. Die Idee von Paul Watzlawick, dass „man nicht nicht kommunizieren kann", verdeutlicht, dass selbst Schweigen oder Rückzug kommunikativ wirksam sind und Reaktionen auslösen.
Neurobiologische Perspektive
Die Neurowissenschaft zeigt, dass Angst und Stress körperliche Reaktionen auslösen (Aktivierung des sympathischen Nervensystems), die wiederum emotionale und kognitive Prozesse beeinflussen. Im Stresszustand werden verstärkt Stresshormone wie Cortisol ausgeschüttet, die die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und rationale Überlegungen erschweren. Dies erklärt, warum es im Teufelskreis schwer fällt, rational zu denken und die Perspektive des anderen zu verstehen.
Ausstiegsmöglichkeiten aus dem Teufelskreis
Die Erkenntnis über Teufelskreise führt auch zur Erkenntnis über Ausstiegsmöglichkeiten:
Bewusstsein schaffen
Der erste Schritt ist das Erkennen des Teufelskreises selbst. Wenn Beteiligte verstehen, dass es sich um einen gegenseitig verstärkten Kreislauf handelt und nicht um einen einseitigen Fehler des anderen, entsteht Raum für Veränderung.
Den Kreislauf unterbrechen
Eine Strategie besteht darin, an einer beliebigen Stelle des Kreislaufs das Verhalten zu verändern. Wenn Person A anders reagiert als gewohnt, kann dies auch die Reaktion von Person B verändern. Etwa bei Schlafstörungen: Statt sich ängstlich im Bett zu quälen, könnte man aufstehen und etwas anderes tun, bis sich die Müdigkeit einstellt. Dies unterbricht den Teufelskreis aus Gedanken, Anspannung und schlaflosem Liegen.
Professionelle Unterstützung
Psychotherapeutische Verfahren wie Verhaltenstherapie oder Paartherapie helfen dabei:
- Die gegenseitigen Innerungen (inneren Reaktionen) sichtbar zu machen
- Empathie für die Perspektive des anderen aufzubauen
- Neue Reaktionsmuster zu trainieren
- Bei Angststörungen durch Expositionstherapie die Erfahrung zu ermöglichen, dass das Befürchtete nicht eintritt
Akzeptanz und Änderung
Manche Teufelskreise lassen sich besser durch Achtsamkeits-basierte Verfahren (etwa MBSR) oder Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) durchbrechen, indem gelernt wird, die Gedanken und Gefühle anders zu bewerten, statt sie zu vermeiden.
Relevanz im Alltag und in der Gesundheit
Das Verständnis von Teufelskreisen hat praktische Bedeutung in vielen Bereichen:
- Paartherapie und Familienberatung: Das Modell hilft Paaren und Familien, Konflikte zu verstehen und zu lösen.
- Berufliche Konflikte: In Organisationen wird das Teufelskreismodell genutzt, um Teamdynamiken und Kommunikationsprobleme zu analysieren.
- Psychische Gesundheit: Das Verständnis von Teufelskreisen ist zentral für die Therapie von Angststörungen, Depressionen, Schmerzstörungen und anderen psychischen Erkrankungen.
- Prävention: Das Erkennen früher Anzeichen von Teufelskreisen kann helfen, eine Eskalation zu verhindern.
Quellen
Externe Links
- ↑ Schulz von Thun, Friedemann (2019). "Miteinander Reden". Rowohlt Taschenbuch Verlag.
- ↑ Thomann, Christoph & Schulz von Thun, Friedemann (2009). "Klärungshilfe". Rohwolt Verlag.
- ↑ Watzlawick, Paul (1983). "Anleitung zum Unglücklichsein". Piper Verlag.
- ↑ Schön Klinik: Angststörung: Ursachen, Symptome & Diagnostik
- ↑ Angst Selbsthilfe: Der Teufelskreis der Angst - Wie Angststörungen entstehen
- ↑ Schmerzgesellschaft: Kognitive Verhaltenstherapie bei chronischem Schmerz