Orientierung

Aus Familienwortschatz
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Mit Orientierung wird in der Pflege die Fähigkeit einer Person umschrieben, sich zeitlich, in ihrem sozialen Umfeld und örtlich sachgerecht zu verhalten, bzw. zu wissen, wo sie sich als wer und in welcher Rolle befindet. Der Verlust dieser Fähigkeiten kann einzeln oder insgesamt als psychiatrisches Symptom verschiedener Störungen oder Krankheiten auftreten. Orientiert zu sein bedeutet: sich Zurechtfinden in Raum und Zeit, Bescheid wissen über die Situation, d.h. die örtlichen, zeitlichen und personellen Gegebenheiten kennen, erkennen, wiedererkennen und in Beziehung zueinander setzen können. Orientierung meint also die Fähigkeit, sich räumlich, zeitlich, personell und in Bezug auf die eigene Person und Situation zurechtzufinden.

Dagegen setzt sich Desorientierung zusammen aus "De(s)"" (= ohne, kein, nicht) und "Orientierung". Zusammen meinen "Des"-"Orientierung" also: Ohne Orientierung, keine Orientierung bzw. Nicht-Orientierung. Im pflegerischen / medizinischen Umfeld sind bei "Orientierung" die Orientierungsbereiche für/zu Raum, Zeit, Person, Situation gemeint.

Desorientierung

Desorientierung dagegen meint, dass die oben genannten Fähigkeiten - ob vorübergehend oder dauerhaft - ganz oder in Teilbereichen nicht bestehen, d.h. ein desorientierter Mensch verfügt aktuell nicht oder nur zum Teil darüber.

Demzufolge kann eine räumliche Desorientierung bestehen, aber personell kann diese Fähigkeit durchaus vorhanden sein, d.h. der Betreffende weiß aktuell nicht, wo er sich befindet, kann jedoch Personen erkennen und zuordnen und weiß, wer er ist. Einem total desorientierten Menschen fehlt diese Fähigkeit der integrativen Informationsverarbeitung für alle Orientierungsbereiche (Raum, Zeit, Personen, Situation), während ein partiell desorientierter Mensch über diese Fähigkeit noch in Einzelbereichen verfügt bzw. in Einzelbereichen nicht verfügt. Ein gesunder Mensch, der gerade einen längeren Urlaub macht, kann z.B. manchmal das richtige Datum nicht nennen oder weiß nicht, welcher Wochentag gerade ist, da ihm seine normale Tagesstruktur fehlt (zur Arbeit müssen, Zeitung lesen, Termine einhalten).

Der desorientierte Mensch hat nach allgemeingültigen Maßstäben die Fähigkeit länger oder dauerhaft verloren, derzeit verfügbare Informationen - ob von der Außenwelt eintreffende oder eigene abrufbare Infomationen - zu erkennen bzw. integrativ zu verarbeiten (Wahrnehmung und Denken verknüpfen). Es ist aber möglich, v.a. bei dementiell Erkrankten, daß sich der nach aussen hin desorientiert erscheinende Mensch sich in seiner eigenen Welt befindet, in der er sich selbst durchaus zurechtfindet. Eine zeitliche Desorientierung kann sich z.B. auf die Gegenwart beziehen, während Ereignisse aus der Vergangenheit genau erinnert werden.

Dieser totale oder partielle Fähigkeitsverlust kann Folge unterschiedlicher Ereignisse sein, wie z.B.

  1. Unfall (Sensibilitätsstörungen/-verlust aufgrund Querschnittslähmung, Schädel-Hirn-Trauma,...);
  2. Psychose (Geistes-, Gemüts- bzw. Persönlichkeitsveränderungen,...);
  3. Hirnorganische Veränderungen (Alkoholmissbrauch, Apoplex, Demenz: Alzheimer, senile Demenz, Multiinfarkt-Demenz, vaskuläre Demenz , Hirnstoffwechselstörung, Gehirntumor, Intoxikationen...).
  4. fehlende Tagesstruktur

Welche Auffälligkeiten weist ein desorientierter Mensch auf?

Örtliche Desorientierung:

  • kann seinen Geburtsort nicht benennen,
  • kann keine zutreffenden Aussagen über derzeitigen Aufenthaltsort oder Wohnort machen,
  • kann die Postanschrift seiner Wohnung nicht nennen,
  • weiß nicht, wo sich seine Arbeitsstelle befindet,
  • kann auch keine Wegbeschreibungen zu ihm bekannten Orten abgeben,
  • Umgebung kommt ihm fremd vor,
  • findet Gegenstände nicht,
  • verfehlt angegebene Richtungen und verläuft sich ständig,
  • fragt ständig, wo er sich und wo sich was befindet,
  • zeigt sich verängstigt,
  • ...

Zeitliche Desorientierung:

  • kann keine Angaben über aktuelle Tageszeit, bestehenden Tagesabschnitt oder aktuelle Datum machen,
  • kann nicht bestimmen, wie lange er sich in einer Situation oder an einem Ort befindet,
  • kann keine Aussagen über Verlauf und Dauer von Ereignissen treffen,
  • kann den derzeitigen Monat oder die jeweilige Jahreszeit nicht bestimmen,
  • weiß über bevorstehende Ereignisse und ihre Bedeutung nicht Bescheid,
  • verwechselt Daten und Termine
  • zeigt sich verunsichert,
  • ...

Personelle Desorientierung (auch: fehlende Orientierung zur Identität/zur Person):

  • kann seinen Familiennamen, Vorname und/oder Geburtsname nicht benennen,
  • weiß nicht seinen Familienstand,
  • weiß sein Geburtsdatum bzw. sein Alter nicht,
  • kann keine Auskunft über seinen erlernten und ausübenden Beruf geben,
  • kann keine Angaben darüber geben, ob und wieviel Personen im Haushalt leben,
  • weiß nicht, ob und wieviel eigene Kinder, ein Ehepartner, existieren,
  • zeigt sich verstört,
  • ...

Situative Desorientierung:

  • kann Gründe für derzeitigen Aufenthalt bzw. Gegenwärtigkeit nicht benennen,
  • kann keine Auskunft über die Art und Weise seiner Her- und Ankunft abgeben,
  • kann Eigenschaften von Dingen nicht beschreiben,
  • kann Funktionen und Positionen Menschen nicht zuordnen,
  • kann Gebrauchsgegenstände nicht bestimmen bzw. unterscheiden,
  • zeigt sich ratlos,
  • ...

Die örtlich veränderte Orientierung

Ursachen

  • Internistische Erkrankung
  • Gerontopsychiatrische Erkrankung wie z.B. Hirnabbauprozesse
  • Räumliche Gegebenheiten (Ortswechsel und/oder Mehrbettzimmer)
  • Alkoholmissbrauch
  • Psychiatrische Erkrankung wie z.B. Psychotisches Erleben

Wie äußert sich diese Störung?

Verbal

  • Wo bin ich (hier)?
  • Wo ist mein Zimmer / Wo ist die Toilette etc.?
  • Fassadenverhalten (Vorgeben von Wissen)
  • Konfabulieren (betroffene Person redet und redet .. jedoch ohne wirklichen inhaltlichem Sinn)

Aktive Äußerungen

  • Erkrankte Personen betreten fremde Zimmer
  • Personen legen sich einfach in fremde / falsche Betten usw.

Die Ziele

  • Personen sollen sich in ihrer unmittelbaren Umgebung wieder zurecht finden
    • Guten Morgen Herr XY, sie sind da & dort usw.

Die Massnahmen

  • Man sollte den (Facharzt) informieren, welcher wahrscheinlich eine internistische Abklärung und Medikation in die Wege leitet
  • Die Biographie der betroffenen Person berücksichtigen
  • Validierende Gespräche und die genaue Verlaufsbeobachtung und Dokumentation durchführen
  • Eventuell Realitäts-Orientierungs-Training (ROT)

Die zeitlich veränderte Orientierung

Die Fähigkeit sich zeitlich zu orientieren, vermittelt "Zeitsicherheit", die innere Übereinstimmung mit dem Zeitrahmen anderer Personen und damit kann vom gleichen gesprochen werden, wenn es um gestern, vorhin oder jetzt, um morgen oder um etwas im nächsten Jahr geht. Wir können gemeinsam mit den anderen das Leben gestalten / planen.

Ursachen

  • siehe örtlich veränderte Orientierung

Äußerungen

  • Die Uhrzeit auf einer gut ablesbaren analogen Uhr wird nicht (mehr) erkannt
  • Ebenso werden Jahreszeiten nicht richtig erkannt (fehlendes Langzeitgedächtnis, dass es z. B. auch gestern sehr heißt war) oder falsch eingeschätzt (wissen nicht, dass das jetzt Hitze bedeutet)
  • Personen leben im Altzeitgedächtnis
  • Erkrankte fragen ständig nach der Zeit oder dem Datum
  • Konfabulieren, lenken also mit allgemein gehaltenen Äußerungen von einer Frage ab, auf die sie die Antwort nicht wissen.

Die Ziele

  • Soziale (Re)Integration
  • Individuelles Wohlbefinden (keine Hetze; z.B. noch lange genug, um etwas zum Essen zu bekommen)
  • Erfassung der aktuellen Zeit (Gong oder Glockenschläge als zusätzliches Signal)

Die pflegerischen Massnahmen

  • Hilfen anbieten:
    • großen Tagesabreißkalender aufhängen
    • Hinweise auf Wochentag/Uhrzeit geben. (z.B.: Heute ist Mittwoch, Es ist bald Mittagszeit usw.)
    • Große Uhr aufhängen
    • Die Natur betrachten lassen
    • Dekorationen aufhängen (Jahreszeiterkennung/erfahrung - Weihnachten, Ostern etc.)
    • Infos über Radio und Fernsehen .. (Achtung - gezieltes Fernsehen)

Synonyme Begriffe

Synonym, im gleichen Sinn, stehen für Desorientierung oft Ausdrücke wie z. B. "verwirrt, daneben, durcheinander, entrückt, irre, irritiert, konfus, konzeptlos, kopflos, kopfscheu, verdreht, verunsichert, verrückt".

Allerdings enthalten einige der Ausdrücke zugleich eine negative Bewertung (Konnotation) oder werden von den Betroffenen als Beschimpfung aufgefasst.

Weblinks

Siehe auch:

Literatur

  • Jürgen Messing: Allgemeine Theorie des menschlichen Bewusstseins. Weidler, Berlin 1999, ISBN 3-89693-137-7.
  • Jürgen Messing: Die Aufgaben des Begriffs. In: Marcus Rauterberg, Gerold Scholz (Hrsg.): Die Dinge haben Namen. Schneider, Hohengehren 2004, ISBN 3-89676-829-8, S. 43-57.
  • Paul Schilder: Das Körperschema. Ein Beitrag zur Lehre vom Bewußtsein des eigenen Körpers. Springer, Berlin 1923.