Macht das Setting den Unterschied?

Aus Familienwortschatz
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Angela Dühring schrieb das Buch Macht das „Setting“ den Unterschied? als Dissertation 2006 an der Universität Kassel.

  • Sie behandelt darin die "Planification Informatisée des Soins Infirmiers Requis" (französisch, übersetzbar etwa mit: EDV-gestützte Planung des erforderlichen Pflegeaufwands, besser bekannt unter seiner Abkürzung PLAISIR). Das Bemessungsverfahren für den bei einer Person erforderlichen Pflegeaufwand wird in Kanada seit 1983 in der Region Quebec (Hauptstadt Montreal) und in der West-Schweiz seit 1996 in vier Kantonen eingesetzt. Seine allgemeine Einführung in Deutschland kam nicht zustande. Es wurde vom kanadischen Informatiker Charles Tilquin entwickelt.
  • und das Beobachtungsverfahren Dementia Care Mapping (Abkürzung DCM), das speziell für Feststellung von Zufriedenheit von Menschen mit Demenz entwickelt wurde, bei denen Befragungen zu keinem Resultat führen könnten.

in einem Vergleich der bisherigen institutionelle Pflege und der Versorgung in Hausgemeinschaften. Das Wort Setting bedeutet dabei das Umfeld, in dem die gepflegten oder zu pflegenden Personen leben. Ihr Vorgehen bei der Untersuchung und ihre Ergebnisse sollen hier zusammengefasst werden (Rezension).

Aufbau der Untersuchung

Zur Erhebung wurden vorrangig die beiden standardisierten Verfahren „DCM“ und „Plaisir“ ausgewählt. Daneben wurde eine schriftliche, standardisierte Befragung der Mitarbeiter und der Angehörigen durchgeführt und verschiedene Informationen bei den Bewohnern, ihren Angehörigen, den pflegenden/betreuenden MitarbeiterInnen, den so genannten DCM-Mappern und den Plaisir©-Evaluatoren erhoben.

Die Auswahl der Verfahren erfolgte, weil

1. … die Perspektive der Betroffenen im Mittelpunkt stehen soll. Da Beobachter und die Beobachtungssituation die Ergebnisse sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können, wurde zur Erhöhung der Aussagekraft die Untersuchung mit den anderen Instrumente ergänzt: offene Beobachtungen, Mitarbeiter- und Angehörigenbefragungen.
2. … ein Vergleich die institutionelle Pflege und die Versorgung in Hausgemeinschaften angestellt werden soll. Mit Hilfe standardisierter Methoden können eher quantitative Vergleiche von zwei Einrichtungsformen vorgenommen werden.
3. … das Interesse an einem Einsatz dieser Instrumente im Rahmen der Untersuchung bestand. Beide Einrichtungen hatten bereits über einen längeren Zeitraum praktische Erfahrungen in der Anwendung des Plaisir-Verfahrens gesammelt.

Besonderheiten der beobachteten Personen

Es handelte sich um eine Gelegenheitsstichprobe mit insgesamt 40 Personen, die in dem Untersuchungszeitraum in die Einrichtungen eingezogen sind. Die 40 Personen wurden in zwei Gruppen je nach dem Einrichtungstypus, in dem sie leben, unterteilt. Beide Einrichtungen belegten ihre Plätze nach den Integrationsprinzip: Es wurden sowohl dementiell erkrankte als auch nicht dementiell erkrankte alte Menschen aufgenommen. In der klassischen stationären Einrichtung bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung ein teilsegregatives Gruppenangebot für eine kleine Bewohnergruppe mit weit fortgeschrittener Demenz und ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten. Zum Untersuchungszeitpunkt nahm keiner der beobachteten Bewohner an diesem Gruppenangebot teil.

Im Untersuchungszeitraum wurden die Probanden in der Reihenfolge, in der sie in die Einrichtungen eingezogen sind, aufgesucht. Besondere allgemeine Aufnahmekriterien für Bewohner, wie zum Beispiel besondere Fertigkeiten und Fähigkeiten, bestanden nicht. Die Auswahlkriterien waren Alter, das Vorliegen einer ärztlich ermittelten Diagnose Demenz (leicht bis mittelschwer), bekannte Einschränkungen im kognitiven, affektiven Bereich, in Verhalten, Sprache, Sehvermögen und Gehör, bestehender Pflegebedarf und das Einverständnis der Betroffenen (soweit möglich von den Bewohnern selbst bzw. der Betreuer und Angehörigen. Ausschlusskriterien waren Bettlägerigkeit der Bewohner, eine Parkinsonsche Erkrankung, Lähmungen und psychiatrischen Erkrankungen, die die Mimik beeinträchtigen können, eine generell ablehnende Haltung der Betroffenen sowie das Vorliegen einer schweren Demenz.

Ergebnisse der Untersuchung

Anhand der Betrachtung der Wohlbefindenswerte aus der DCM-Erfassung wurde deutlich, dass die Bewohner in den Hausgemeinschaften sich wohler fühlen und sich dieses Gefühl im weiteren Aufenthalt in der Einrichtung steigert. Die Werte in der Vergleichseinrichtung blieben im gleichen Zeitraum auf einem niedrigeren Niveau. Die Ergebnisse der DCM-Erfassung stützen die Beobachtungen der Mitarbeiter, Angehörigen und der Untersucher. Auch sie fühlten sich in der Hausgemeinschaft wohler. Zu berücksichtigen ist, dass die Erfassung der Wohlbefindenswerte mangels verbaler Ausdrucksmöglichkeiten der Betroffenen nur durch die Beobachtungen der Mapper und durch Einschätzung des Personals bzw. der Angehörigen ermittelt wurde. Es fiel auf, dass die Wohlbefindenswerte keinen Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit aufweisen.

Die Ergebnisse belegen eine Reduzierung von freiheitsentziehenden Maßnahmen, vor allem der Psychopharmakagaben, in den Hausgemeinschaften. In der Untersuchung konnte im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit dort aber keine Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit festgestellt werden.

Der Alltag in der klassischen Pflegeeinrichtung war stark von Stille und Isolation geprägt. Ihr Tagesablauf wird durch die pflegerische Intervention und durch das Warten auf die Mahlzeiten strukturiert. Da die Bewohner untereinander nicht in der Lage waren ohne Unterstützung Kontakte herzustellen, wurde diese "Stille" durch gelegentlich stattfindende Beschäftigungsangebote, Pflegemaßnahmen, die Mahlzeitenverteilung und durch das Radio oder Fernsehprogramm unterbrochen bzw. übertönt. Mehrere Ergebnisse sprechen für eine hohe Qualität der Interaktion und Kommunikation in den Hausgemeinschaften. Diese scheinen auch eher von den Angehörigen als Aufenthaltsort akzeptiert zu werden.

Einschätzung der Ergebnisse

Die (bei dieser Anzahl nicht repräsentativen) Ergebnisse unterstützen die Forderungen nach einer konsequenten Umgestaltung klassischer stationärer Pflegeeinrichtungen: weg von der großräumigen Versorgung vieler Personen gleichzeitig hin zu kleinräumigen, überschaubaren Wohngruppen. Deren Hauptvorteil liegt im Konzept der „Normalität“.

Literatur

  • G. M. Backes, W. Clemens (2003): Lebensphase Alter. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung. Weinheim, Juventa.
  • Sabine Bartholomeyczik, M. Halek (Hrsg., 2004): Assessmentinstrumente in der Pflege. Möglichkeiten und Grenzen. Hannover, Schlütersche
  • BMFSFJ-Projektbericht: Analyse und Transfer des Verfahrens PLAISIR© (Downloadbar über www.bmfsfj.de, Bereich Publikationen. Die Anlagen müssen gesondert angefordert werden). Qualitative und quantitative Erfassung des erforderlichen Pflegezeit- und Personalbedarfs in deutschen Altenpflegeheimen. Band 225 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Evtl. noch kostenlos zu beziehen und downloadbar über das BMFSFJ)
  • J. Dettbarn-Reggentin (2005): Studie zum Einfluss von Wohngruppenmilieus auf demenziell Erkrankte in stationären Einrichtungen. Z GerontolGeriat 38: 95-100 (2005)
  • Angela Dühring: Macht das „Setting“ den Unterschied? Diss. Univ. Kassel, 2006 (Fachbereich Sozialwesen)
  • A. Elsbernd (2000): Pflegesituationen. Erlebnisorientierte Situationsforschung in der Pflege. Bern, Huber
  • Heinemann-Knoch, M; Korte, E; Schönberger, Ch; Schwarz, B. (1999): Möglichkeiten und Grenzen selbständigen Lebens und Arbeitens in stationären Einrichtungen. Belastungskonfigurationen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Hilfen. Band 147.3 Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Stuttgart, u.a.: Kohlhammer
  • Anthea Innes: Die Dementia Care Mapping Methode (DCM). Erfahrungen mit dem Instrument zu Kitwoods personenzentriertem Ansatz. Huber, Bern, 2004. 160 Seiten. ISBN 3-456-84040-3. (Rezension hier bei socialnet.de)
  • Kitwood, Tom (2000): Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: Verlag Hans Huber (Basiswerk. Das Standardwerk zur personenzentrierten Pflege wurde von Christian Müller-Hergl, dem deutschen "Importeur" des DCM-Verfahrens übersetzt. Es bildet die theoretische Grundlage der Pflegetheorie nach Kitwood und für das DCM.)
  • Kuratorium Deutsche Altershilfe: Pflegezeitbedarf, Personalbemessung und Fachkraftanteil in vollstationären Einrichtungen. Dokumentation einer KDA-Fachtagung am 22. und 23. September 1999 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg. (= thema 154)
  • Pro ALTER - Magazin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, Heft 3-2000 (Okt.). 33. Jahrgang. Inhalt unter kda.de. (Schwerpunkt war die Möglichkeit der Bedarfsermittlung in Heimen: Wie viel Zeit und Personal erfordert Pflege?)
  • Statistisches Bundesamt (2005): Bericht: Pflegestatistik 2003 – Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung – Deutschlandergebnisse. Bonn

Weblinks

Siehe auch