Expertenstandard Dekubitusprophylaxe
Ein Dekubitus gehört zu den gravierenden Gesundheitsrisiken hilfe- und pflegebedürftiger Patienten / Bewohner in Kliniken, Pflegeheimen und in der häuslichen Krankenpflege. Er steht im Zusammenhang mit dem damit einhergehenden Mobilitätsverlust. Daher sind die systematische Einschätzung des Dekubitusrisikos und die fachlich durchgeführte Dekubitusprophylaxe, unter besonderer Beachtung der Bewegungsförderung, Druckreduzierung und einer vollwertigen Ernährung von besonderer Bedeutung.
Ein Dekubitusrisiko muss immer auch im Zusammenhang eines Gesamtgeschehens (Schwere der Erkrankung) betrachtet werden. Dazu gehören: die Vorgeschichte der Erkrankung (langwierige Operationen, Auflagedruck am OP-Tisch, die Dauer einer künstlichen Ernährung und Beatmung und eine länger bestehende schlechte Kreislaufsituation (Katecholamine) während der Phase der Intensivtherapie / Intensivpflege sind zusätzlich zu berücksichtigen. Daher kann ein Dekubitus nicht immer nur als ein Pflegefehler klassifiziert werden. In vielen Fällen ist er aber vermeidbar.
Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe
Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe[1] ist der erste Expertenstandard, der im Jahre 2000 für Deutschland vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) entwickelt wurde. Dieser wurde mittlerweile (2010) überarbeitet und aktualisiert.[2] In der neuen Fassung fehlt der Hinweis auf die Verwendung von Einschätzungsskalen zur Einschätzung des Dekubitusrisikos, da sich diese Assessmentinstrumente nach neuen Erkenntnissen in der Praxis nicht bewährt haben.[3]
Der Expertenstandard war zunächst vorwiegend für die Pflege in Krankenhäusern gedacht. Gegenstand sind die Möglichkeiten innerhalb der Struktur und des Pflegeprozesses, der Entstehung eines Dekubitus vorzubeugen, nicht die Pflege bei vorhandenem Dekubitus. Damit ein solcher Standard in die Praxis implementiert (eingeführt) werden kann, ist die genaue Beschäftigung mit dem Inhalt, insbesondere der Kommentierung, unerlässlich. Die Entscheidung, ob und wie ein Expertenstandard eingeführt bzw. umgesetzt wird, ist eine Aufgabe des Pflegemanagements. Pflegende können dies aber stark beeinflussen. Eventuell sollte dafür fachlicher Rat eingeholt werden.
Überblick über die zusammengefassten Standardkriterien der Fassung von 1999-2002
Der nachfolgende Expertenstandard ist nicht mehr aktuell. Die aktuelle Version kann von der Internetseite des DNQP heruntergeladen werden (s. Weblinks).
- P steht für die Merkmale des Pflege-Prozesses
- E steht für Ergebnis
- S steht für die Strukturen der Einrichtung
- 1, 2, … usw. für die auf einander aufbauenden Stufen des Standards
- In Stufe 7 sind die Zielwerte formuliert.
Die Pflegefachkraft … (als Satzbeginn)
- S1 - verfügt über aktuelles Wissen zur Dekubitusentstehung sowie Einschätzungskompetenz des Dekubitusrisikos.
- P1 - beurteilt das Dekubitusrisiko aller Patienten/Betroffenen, bei denen die Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, bei der Aufnahme des Patienten und danach in individuell festzulegenden Abständen sowie unverzüglich bei Veränderungen der Mobilität, der Aktivität und des Druckes u.a. mit Hilfe der standardisierten Einschätzungsskala, z.B. Braden, Waterlow oder Norton.
- E1 Eine aktuelle, systematische Einschätzung der Dekubitusgefährdung liegt vor.
- S2 -beherrscht haut- und gewebeschonende Bewegungs-, Lagerungs- und Transfertechniken.
- P2 -gewährleistet auf der Basis eines individuellen Bewegungsplanes sofortige Druckentlastung durch die regelmäßige Bewegung/ Mobilisierung des Patienten/Betroffenen, z. B. 30° Lagerung, Mikrobewegung, reibungs- und scherkräftearmer Transfer und fördert soweit als möglich die Eigenbewegung des Patienten/Betroffenen ( aktivierende Pflege wird angestrebt).
- E2 Ein individueller und Bewegungsplan liegt vor.
- S3a -verfügt über die Kompetenz, geeignete druckreduzierende Hilfsmittel auszuwählen.
- S3b Druckreduzierende Hilfsmittel (z. B. [[Weichlagerungskissen und -matratzen),sind sofort zugänglich,Spezialbetten (z.B. Luftkssenbetten) innerhalb von 12 h.
- P3 -wendet die geeigneten druckreduzierenden Hilfsmittel an, wenn der Zustand des Patienten/Betroffenen eine ausreichende Bewegungsförderung bzw. Druckentlastung nicht zulässt.
- E3 Der Patient/Betroffene befindet sich unverzüglich auf einer für ihn geeigneten druckreduzierenden Unterlage, druckreduzierende Hilfsmittel werden unverzüglich angewendet.
- S4 -kennt neben Bewegungsförderung und Druckreduktion weitere geeignete Interventionen zur Dekubitusprophylaxe, die sich aus der Risikoeinschätzung ergeben.
- P4 -leitet auf der Grundlage der Risikoeinschätzung für alle identifizierten Risikofaktoren weitere Interventionen ein, die beispielsweise die Erhaltung und Förderung der Gewebetoleranz betreffen.
- E4 Die durchgeführten Interventionen zu den Risikofaktoren sind dokumentiert
- S5 -verfügt über Fähigkeiten, Informations- und Schulungsmaterial zur Anleitung und Beratung des Patienten/Betroffenen und seiner Angehörigen zur Förderung der Eigenbewegung des Patienten/Betroffenen und zur Druckreduktion.
- P5 -erläutert die Dekubitusgefährdung und die Notwendigkeit von prophylaktischen Maßnahmen, plant diese individuell mit dem Patienten/Betroffenen und seinen Angehörigen.
- E5 Der Patient/Betroffene und seine Angehörigen kennen die Ursachen der Dekubitusgefährdung sowie die geplanten Maßnahmen und wirken auf der Basis ihrer Möglichkeiten an deren Umsetzung mit.
- S6 Die Einrichtung stellt sicher, dass alle an der Versorgung des Patienten/Betroffenen Beteiligten den Zusammenhang von Kontinuität der Intervention und Erfolg der Dekubitusprophylaxe kennen und gewährleistet die Informationsweitergabe über die Dekubitusgefährdung an externe Beteiligte
- P6 -informiert die an der Versorgung des dekubitusgefährdeten Patienten/Betroffenen Beteiligten über die Notwendigkeit der kontinuierlichen Fortführung der Interventionen (z. B. Personal in Arztpraxen, OP-und Röntgenabteilungen, oder Transportdiensten).
- E6 Die Dekubitusgefährdung und die notwendigen Maßnahmen sind allen an der Versorgung des Patienten/Betroffenen Beteiligten bekannt.
- S7 -verfügt über die Kompetenz, die Effektivität der prophylaktischen Maßnahmen zu beurteilen.
- P7 -begutachtet den Hautzustand des gefährdeten Patienten/ Betroffenen in individuell zu betsimmenden Zeitabständen.
- E7 Der Patient/Betroffene hat keinen Dekubitus.
Nächste Schritte vor Ort
- Der Standard muss in die jeweilige Einrichtung implementiert (mit Inhalt gefüllt) werden.
- Welche (Assessment-) Instrumente sind schon vorhanden?
- Welche Unterlagen muss für alle zur Einsicht kopiert werden?
- Zu welchen Themen gibt es die nächsten drei Fortbildungs-Veranstaltungen?
- Der nächste Schritt besteht in der Anpassung derer Punkte, die noch teilweise ein Defizit aufweisen.
- Der nächste Schritt wäre dann die gelegentliche Erfolgskontrolle.
Literatur
- Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) "Expertenstandard Dekubitusprophylaxe", ISBN 3-00-009033-9, 137 Seiten, Preis: 17,- € (inkl. Versand)
- kda-Zeitschrift Pro Alter 1 / 2002 Schwerpunkt "Expertenstandard Dekubitusprophylaxe" - Inhalte:
- Kopiervorlage des NES.
- Dauerproblem in der Pflege? „Viele Druckgeschwüre bleiben unbehandelt“ Neue Studie aus Hannover zeigt erschreckende Ergebnisse
- ProAlter-Experten-Interview: „Große Mängel bei der Leichenschau“
- Erster Nationaler Expertenstandard in der Pflege: Endlich Schluss mit Mythen und Ritualen bei der Dekubitusprophylaxe
- Dekubitus-Gefahr – Was ist zu tun?
- BMG fördert weitere Expertenstandards
- MDK-Prüfungen: Pflegedefizite bei Dekubitusprophylaxe und -therapie
- Wege aus dem Dekubitus-Dilemma: Von der statistischen Erfassung bis zur Task-Force
- Pflege heute: Marc Strunz, vom Dilemme her; 8-19
- C. Bienstein (Hrsg.), G. Schröder (Hrsg.), M. Braun (Hrsg.), K.-D. Neander (Hrsg.): "Dekubitus – Die Herausforderung für Pflegende." Thieme-Verlag, 1997 ISBN 3-13-101951-4
- Heike Lubatsch: Dekubitusmanagement auf der Basis des Nationalen Expertenstandards. Ein Qualität entwickelndes Pflegemanagement. Schlütersche, 2004. 240 Seiten. ISBN 3899931211
- U. Reus, H. Huber, U. Heine. 2005: Pflegebegutachtung und Dekubitus. Eine Datenerhebung aus der Pflegebegutachtung des Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK WL) in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie Volume 38, Number 3 S: 210 – 217.
- Markus Stitz, Friederike Störkel, Dietmar Stolecki: Dekubitusprophylaxe in der Praxis. Anpassung eines hausinternen Standards an den Expertenstandard. In: Die Schwester/Der Pfleger 44:: 08/2005
- Weiss, Susanne: Expertenstandard Dekubitusprophylaxe. Entwickeln Sie Schritt für Schritt eine Verfahrensanweisung für den bestmöglichen Schutz Dr. Josef Raabe Verlags-GmbH
- Wilborn, D; Halfens, R.; Dassen, T.; Tannen, A. (2010): Dekubitusprävalenzen in deutschen Pflegeheimen und Kliniken - Welche Rolle spielt der Nationale Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege? In Gesundheitswesen 72:240-245
Weblinks
- Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege (1. Aktualisierung Dezember 2010)
- Ursprüngliche Fassung von 1999-2002 als PDF-Datei
- Zur Häufigkeit des Auftretens von Dekubitus siehe Dekubitus unter Prävalenz
- KDA - Kuratorium Deutsche Altershilfe – Pressemitteilung - Kampagne der Aktion gegen Gewalt in der Pflege: Wir retten unsere Haut! Kampf gegen Druckgeschwüre - ein Dekubitus ist ein vermeidbares SchicksalBerlin (AGP), 18. Juli 2002 hier
- Vorbeugen und frühzeitiges Erkennen von Wundliegen - Leitlinie für Betroffene, Angehörige und Pflegende des Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de der Universität Witten/Herdecke.
- Ein Text für PraktikerInnen: Simone Spangenberg: Expertenstandards in der Pflege. Dekubitusprophylaxe. 1. Aktualisierung 2010. Gibt es etwas Neues oder – bleibt alles beim Alten?, Mai 2011, (pdf-Datei, 7 Seiten)
Einzelnachweise
- ↑ Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege, Entwicklung – Konsentierung – Implementierung (Februar 2004), 2. Auflage mit aktualisierter Literaturstudie (1999-2002); Hrsg.: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), ISBN: 3-00-009033-9, 137 Seiten, Preis: 17,- € (inkl. MwSt. und Versand) Bezugsadresse: DNQP Fachhochschule Osnabrück, Postfach 19 40, 49009 Osnabrück, Fax (0541) 9 69 - 29 71, e-mail dnqp@fh-osnabrueck.de
- ↑ Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege (1. Aktualisierung Dezember 2010)
- ↑ http://www.heilberufe-online.de/pflegeaktuell/meldungen/110225.php?PHPSESSID=19e2326d1644415de283afb820724ed0 www.heilberufe-online.de