Expertenstandard Chronische Wunden
Der Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden wie den Dekubitalgeschwüren, den Folgen des Diabetischen Fußsyndroms und von gefäßbedingten Ulzera cruris hat zum Ziel, bei der Versorgung dieser Wunden den pflegerischen Beitrag zu optimieren und auf sichere Kenntnisse zu stellen. Eine Wunde wird im Standard als chronisch bezeichnet, wenn sie auch nach 4 – 12 Wochen unter fachgerechter Therapie keine Heilungstendenzen zeigt. Ein hoher Anteil der Patienten leidet wesentlich länger unter diesem Wundtyp (1 bis 5 Jahre!) und bei einem hohen Anteil kommt es wiederholt dazu (Rezidive).
Der Expertengruppe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), das den Expertenstandard herausgegeben hat, hat den Standard am 10. Oktober 2007 in der Stadthalle Osnabrück konsentiert und seither in ca. 25 stationären und ambulanten Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Altenhilfe eingeführt. Der Expertenstandard besteht aus 20 Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien.
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Definitionen
Am häufigsten entstehen chronische Wunden durch eine Erkrankung der Venen an den Beinen und durch Störungen der Blutversorgung. Wird eine akute Wunde nicht richtig versorgt oder treten im Laufe der Wundheilung Komplikationen auf, kann aus ihr eine chronische Wunde entstehen.
Wunden werden dann als chronisch bezeichnet, wenn sie innerhalb von 4 bis 12 Wochen nach Wundentstehung trotz konsequenter Therapie keine Heilungstendenzen zeigen.
Die drei häufigsten chronischen Wunden sind Dekubitus, Diabetisches Fußsyndrom und gefäßbedingte Ulcera cruris:
1. Ein Dekubitus wird jede Läsion bezeichnet, die durch länger anhaltenden Druck, eventuell kombiniert mit Scherkräften und Reibung, das Gewebe und/oder die Haut über längere Zeit verletzt. Er ist eine schlecht und langsam heilende Wunde infolge einer Minderdurchblutung der Haut bei fehlender Druckentlastung.
2. Ein Diabetisches Fußsyndrom (abgek. DFS) wird laut WHO als Infektion, Ulceration und/oder Zerstörung tiefer Gewebe am Fuß, verbunden mit neuropathischen Störungen sowie peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen (paVK) unterschiedlichen Grades am Unterschenkel definiert.
3. Das Ulcus cruris (venosum/arteriosum/mixtum, je nach auslösendem Gefäß) ist ein Unterschenkelgeschwür mit unterschiedlicher Genese, infolge von venöser oder arterieller Durchblutungsstörungen. Es stellt i.d.R. die schwerste Form einer Grunderkrankung (z.B. der chronisch venösen Insuffizienz oder peripherer arterieller Verschlusskrankheiten) dar.
Weitere chronische Wunden sind das Gangrän und die Nekrose:
4. Das Gangrän ist eine arterielle Durchblutungsstörung im fortgeschrittenen Stadium und verursacht eine Mangelversorgung des Hautgewebes (V. a. im Bereich der Füße und Zehen). Die Minderdurchblutung führt zur Schädigung und schließlich zum Absterben der betreffenden Gewebeareale. Man unterscheidet zwischen trockenen und feuchten Gangrän. - trockene Gangrän: Nekrose, die abtrocknet (das Gewebe schrumpft aufgrund des Flüssigkeitsverlustes) - feuchte Gangrän: Nekrose, bei der sich das Gewebe aufgrund einer bakteriellen Infektion verflüssigt und bläulich-livide verfärbt.
5. Die Nekrose ist ein abgestorbener Gewebebezirk. Durch Verdunstungs- und Schrumpfungsvorgänge entwickelt sich ein blauschwarzes Areal, das wie mumifiziert (spiegelnd, glänzend) oder ganz schwarz aussieht.
Grundsätze
Entstehung von chronischen Wunden bei einem:
- Dekubitus: besonders gefährdet sind die Hautbereiche, die über Knochen liegen oder wenig subkutanes Fettgewebe aufweisen
- Ulcus cruris: typische Hautveränderungen sind glänzende, dünne und leicht verletzbare Haut durch Elastizitätsverlust, braungelbe Hyperpigmentierung (besonders bei venösen Grundleiden), verletzungsbedingte unregelmäßige kleine Narben am Bein des Bewohners (infolge der schlechten Heilungsten-denz), entzündliche Veränderungen mit schmierig-eitriger Belegung (bei bakterieller oder mykotischer Folgeinfektion), Nagelveränderungen, harte bzw. wulstige und rote schmerzhafte „Platten“ (kurz vor der Ulkusentwick-lung)
- Diabetisches Fußsyndrom: der Organismus leidet bei einem Diabetes melli-tus unter den Auswirkungen einer Glukose-Stoffwechselstörung – zu hohe Blutzuckerspiegel schädigen die Blutgefäße des Körpers. Folgen können sein: Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie und Mikroangiopathie.
Ursachen von chronischen Wunden bei einem:
- Dekubitus: eingeschränkte Mobilität und Immobilität, Bewusstlosigkeit, sensorische Störungen, Alter (> 65), Stoffwechselstörungen, Durchblutungsstörungen, Kachexie, Adipositas, Schock, Fieber, Flüssigkeitsmangel, Infektionen, Vorschädigungen der Haut.
- Ulcus cruris: Stauungen und Ödembildung im Bereich der unteren Extremi-täten mit Schädigung des Gewebes durch chronisch-venöse Insuffizienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit (paVK), Folgen eines Diabetes mellitus oder einer ausgeprägten Polyneuropathie
- Diabetisches Fußsyndrom: durch traumatische Verletzung oder durch dauerhafte Druckbelastung eines bestimmten Areals der Füße (z.B. nicht fachgerechte Fußpflege und falsches Schuhwerk). Durch die Wundheilungsstörungen reichen kleinste Verletzugen aus um folgenschwere Schäden zu verursachen.
Zusätzliche Risikofaktoren für die Entstehung von chronischen Wunden sind:
- Arteriosklerose, Rauchen (nikotinbedingte Gefäßsklerose), Herzinsuffizienz, Bindegewebsschwäche, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, falsche Ernährung
Zielsetzung
- Wohlbefinden des Bewohners
- Bewohner und ihre Angehörigen kennen die Ursache der Wunde
- Bewohner und ihre Angehörigen kennen die Bedeutung der vereinbarten Maß-nahmen und sind über weitere Unterstützungsmöglichkeiten informiert
- bei Bewohnern und ihren Angehörigen ist das Selbstmanagement entsprechend ihren individuellen Möglichkeiten gefördert
- alle Maßnahmen sind entsprechend den vorhandenen Ressourcen mit dem Be-wohner besprochen
- bei Bewohnern und ihren Angehörigen ist das Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu ei-ner zweckmäßigen Umsetzung der Pflege und Therapie gestärkt
- bei Bewohnern und ihren Angehörigen wird versucht, Gefühle von Machtlosigkeit und Hilflosigkeit zu bekämpfen
- die Wunde soll fachgerecht und unter hygienisch einwandfreien Bedingungen ver-sorgt werden
- Förderung der Gewebsneubildung
- Vermeidung einer Sepsis
- die Wunde soll (möglichst) gut durchblutet und frei von Belägen sein
- Wiederherstellung einer intakten Haut
Allgemeine Wundklassifikationen
Schweregradeinteilung von Ulzera (Knigthon et al. 1990)
1. Grad: Ein Ulkus, dessen Tiefenausdehnung die Epidermis und Dermis nicht über-schreitet
2. Grad: Ein Ulkus, dessen Ausdehnung die Subkutis erreicht
3. Grad: Ein Ulkus, dessen Tiefenausdehnung eine Sehne, einen Knochen oder ein Ligament oder ein Gelenk erreicht
4. Grad: Ein Ulkus mit Tiefenausdehnung bis zur Sehne, zu Knochen, zum Ligament oder Gelenk und zusätzlicher Abszess und/oder Osteomyelitis
5. Grad: Ein Ulkus mit Tiefenausdehnung bis zur Sehne, Knochen, Ligament oder Gelenk und nekrotischem Gewebe/Gangrän in die Wunde
6. Grad: Ein Ulkus mit Tiefenausdehnung bis zur Sehne, Knochen, Ligament oder Gelenk und einem Gangrän der Wunde und des umgebenden Gewebes
Klassifikation eines Dekubitus nach der Pressure Ulcer Treatment Guidelines (EOUAO 1998)
1. Grad: Nicht-wegdrückbare Rötung intakter Haut.
2. Grad: Teilverlust der Haut mit Schädigung von Epidermis, Dermis oder beiden Hautschichten. Das Druckgeschwür ist oberflächlich und manifestiert sich klinisch als Hautabschürfung oder Blase
3. Grad: Verlust aller Hautschichten einschließlich Schädigung oder Nekrose des sub-kutanen Gewebes, die bis auf, aber nicht unter, die darunterliegende Fascie reichen kann.
4. Grad: Ausgedehnte Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder stützenden Strukturen, mit oder ohne Verlust aller Haut-schichten.
Klassifikation der chronisch-venösen Insuffizienz nach Widmer, mod. nach Marshall (1994)
1. Grad: Corona phlebectatica paraplantaris, Phleb-Ödem
2. Grad: zusätzlich trophische Störungen mit Ausnahme des Ulcus cruris (z.B. Derma-toliposklerose, Pigmentverändeurngen, weiße Atrophie)
3. Grad: Ulcus cruris venosum:
- Grad 3a: abheilendes Ulcus cruris venosum
- Grad 3b: florides Ulcus cruris venosum
I Stenosen oder Verschlüsse ohne Beschwerden
IIa Claudicatio intermittens mit einer schmerzfreien Gehstrecke > 100 m
IIb Claudicatio intermittens mit einer freien Gehstrecke < 100 m
III Ruheschmerzen und Nachtschmerzen
IV Ischämie:
- IVa: mit trophischen Störungen, Nekrosen
- IVb: sekundäre Infektion der Nekrosen
Klassifikation Diabetisches Fußsyndrom
- Klassifikation nach Wagner/Armstrong (Wagner 1981; Armstrong et al. 1998)
Siehe auch, Weblinks
- Nationale Expertenstandards, Dekubitusprophylaxe, Alterssyndrom
- Initiative Chronische Wunden ICW e.V.
- Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung - DGfW e.V.
- eine wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft, Mitglied der
Literatur
- Deutsches Netzwerk für Qualitätentwicklung in der Pflege (DNQP, Hrsg.): Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden. Fachhochschule Osnabrück, Selbstverlag, 2008. 169 Seiten. ISBN 3-0002-3708-9
- Pro Alter (2008, Ausgabe 2; Hrsg. Kuratorium Deutsche Altershilfe: S. 71, Kopiervorlage
- Marcel Faißt (2010):Der Pflege-TÜV: Was stationäre Pflegeeinrichtungen über die MDK-Noten wissen müssen, ISBN 9783839185865 (Leitfaden zur MDK-Qualitätsprüfung und zur Umsetzung der Pflegetransparenz-Kriterien des MDK mit Praxisempfehlungen, Checklisten, Rechenmethode zur Pflegenote, etc.)
- Expertenstandard zur Pflege von Menschen mit chronischen Wunde. Raabe Verlag, Stuttgart
Software
Es gibt verschiedene Wunddokumentationsprogramme, u. a.:
- C&S WundtherapieManager®
Weitere Weblinks
- http://www.dnqp.de - Bei Auszug aus dem Sonderdruck zum Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden (PDF, 253 KB) klicken! (Download oder Ausdruk)
- Anne Mauelshagen: Expertenstandard 'Pflege von Menschen mit chronischen Wunden. In: pflegen-online.de von 09.06.2008
- Unter Pflegemanagement-konkret.de finden Führungskräfte in der Pflege sowie Qualitätsbeauftragte viele Informationen rund um das Pflegemanagement. Es gibt eine Reihe von kostenlosen Downloads (z. B. Checklisten zur Umsetzung der Expertenstandards, Dokumentationsformulare, etc.) und viele praktische und aktuelle Tipps für die Arbeit.