Liliane Juchli

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Porträt Liliane Juchli
Liliane Juchli

Schwester Liliane Juchli (* 19. Oktober 1933 in Nussbaumen im schweizerischen Kanton Aargau) ist Krankenschwester und Ordensschwester im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in der Schweiz. Ihr Name ist lange Zeit zum Synonym für das Pflegemodell der Aktivitäten des täglichen Lebens sowie für das von ihr begründete Pflege-Lehrbuch in einem deutschen Verlag geworden.

Leben und Werk

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Liliane Juchli

Liliane Juchli setzte sich für eine Systematisierung, Strukturierung, Vertiefung und Aktualisierung des vorhandenen Krankenpflegewissens ein. Ihr Hauptanliegen war eine ganzheitliche Sicht der gepflegten Personen; die Ganzheit und Einheit von Körper, Seele und Geist des Menschen. Pflege umfasst nach ihrem Leitbild die Sorge für den Patienten (die Pflegequalität) wie auch die Selbstsorge (die Lebensqualität der Pflegenden).

Ausbildung

Auf die Grundschulen in Nussbaumen/Baden (Ch) folgte 1953–56 die Ausbildung als Krankenschwester an der Krankenpflegeschule Theodosianum in Zürich. 1956 Eintritt in den Orden der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz (genannt Ingebohler Schwestern) im Institut Ingenbohl, Ingenbohl/Brunnen, Schweiz; 1959 Profess. Anschliessend Ausbildung zur Lehrerin für Krankenpflege an der Kaderschule des Schweizerischen Roten Kreuzes, Zürich mit Abschluss 1964.

1978 Abschluss an der Akademie für Erwachsenenbildung Luzern; Abschlüsse mit Zertifikat 1979–84 in initiatischer Therapie bei Karlfried Graf Dürckheim in Todtmoos-Rütte (Deutschland) als Mitarbeiterin sowie 1984–87 berufsbegleitende Gestaltpädagogische Schulung bei Albert Höfer, Graz; 1990–94 ebenfalls berufsbegleitende Logotherapeutische Ausbildung nach Viktor Frankl am Institut für Logotherapie in Tübingen.

Arbeits- und Lehrtätigkeit

Nach 10 Jahren Einsatz als Krankenschwester in verschiedenen Krankenhäusern aller Fachrichtungen (z.B. Walenstadt, Locarno, Zürich) wirkte Liliane Juchli während den folgenden 10 Jahren als Lehrerin für Krankenpflege in Schule, Theorie und Praxis in Zürich und St. Gallen. Dabei entwickelte sie die Klinische Anleitung und Begleitung der Schülerinnen. Später war sie während 4 Jahren Leiterin der ordenseigenen Pflegeschule am Clara-Spital, Basel, 1971–77 Mitarbeiterin an der Kaderschule für Krankenpflege des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) in Aarau und 1983–90 hier Dozentin in den Fächern Didaktik und Krankenpflege. Anschliessend begann sie eine umfangreiche Lehrtätigkeit in Erwachsenenbildung sowie Weiterbildung für Pflegende, Leitende und Unterrichtende im In- und Ausland.

Reisende in Sachen Pflege

Der Beginn der 80er Jahre war die Zeit, wo der Orden Schwester Liliane als unermüdliche Botschafterin für diese Arbeit grosszügig freigab. Sie war in eigenständiger Tätigkeit in Schulung und Beratung, Kursen und Dozententätigkeit im In- und Ausland sehr viel unterwegs. Die Aussage sie sei »Reisende für Pflege« berichtigte sie: Wenn schon, dann »Reisende in Hoffnung«.

Als gefragte Rednerin nahm sie an internationalen Kongressen teil und bereiste die Welt, so in alle europäischen Länder sowie in die USA und nach Taiwan. In ihren Seminaren und Vorträgen setzte sie gerne Bilder und Geschichten ein; solche Bildgeschichten blieben den Teilnehmenden in lebhafter Erinnerung.

Derzeitige Tätigkeiten

Mit zunehmendem Alter traf Schwester Liliane bewusst die Entscheidung, für sich selbst einen Zeitpunkt für das Abtreten aus ihrer intensiven Reisetätigkeit festzulegen. Die Auseinandersetzung mit ihrem Abschied aus der Berufstätigkeit mündete im Buch »Ganzheitliche Pflege - Vision oder Wirklichkeit«. Als Vertreterin einer Generation, die über Jahrzehnte den Pflegeberuf sowohl in der Rückbindung an Traditionen als auch durch neue Denkweisen geprägt hat, war sie sich bewusst, dass eine junge Generation von Pflegenden angetreten war, welche Pflege auf ihre Art sehen, gestalteten und verändern wird. Es galt Bisheriges loszulassen um Neuem Platz zu machen.

Ab 1990 hat sie neue Wirkungsfelder gefunden:

  • Bildungsarbeit mit Schwestern verschiedener Orden und Kongregationen in der dritten und vierten Lebensphase, sowie mit Schwestern, die alte und kranke Schwestern begleiten, betreuen und pflegen (Fachausbildung für gerontologische Pflege),
  • Lebenskurse mit Themen wie: Sinnfindung und Lebensgestaltung, Lebensprozesse und Lebenswenden, Schmerz, Leiden und Grenzerfahrungen sowie die Wiederentdeckung der Ressourcen gesunden Lebens,
  • Lebensberatung und Begleitung (logotherapeutisch und/oder seelsorglich).

Ein Zitat von 2011 [ 1]

Die Gefahren, die uns heute umgeben“, sagte Sr. Liliane Juchli
bei einem Pflegekongress in Hamburg zur Situation in der Pflege
verstecken sich oftmals hinter gewichtigen Worten wie
„Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Rationalisierung“
denen wir wachsam zu begegnen haben."

Pflegeverständnis im Wandel

Entwicklungen der Pflege

Ein Blick auf die Berufsgeschichte, wie Liliane Juchli Pflege erlebt und wie sie diese durch ihre Erkenntnisse und Lehren mitgestaltet hat:

Die 50er Jahre

Die Schülerin erlebte die Pflege als eigenständigen Bereich der Abteilungsschwester. Diese war so etwas wie eine Drehscheibe vor Ort, ein Orientierungspunkt für die anderen Dienstleistungen wie Labor, Röntgen, Physiotherapie, Seelsorge. Der Tagesablauf wurde von ihr bestimmt, die Nachtwache übernahm die Betreuung der Patienten nach ihren Anweisungen.

Die Pflege war geprägt von der Persönlichkeit der jeweiligen Abteilungsschwester. Die Schülerin lernte am Vorbild; auch wenn es in erster Linie um die Ausführungen von Pflegeverrichtungen ging, wurde den Bedürfnissen des Patienten eine hohe Priorität eingeräumt. So eigneten sich die Schülerinnen eine von Intuition geprägte, individuelle, selbständige und oftmals auch eigenwillige Pflege an.

Die 60er und 70er Jahre

Mit der Entwicklung der Medizin und Pflege in den 60er Jahren, die Juchli als Unterrichtende erlebte, begann eine neue Ära: die Krankenpflege wurde vermehrt medizin- und handlungsorientiert. Es entwickelte sich die technik- und arztorientierte Assistenz, »das Zudienen«. Vermehrt war Technik gefragt; Funktionspflege prägte das Krankenhaus dieser Zeit. Juchli entwickelt Pflegeunterlagen und lehrt auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtete Handlungsweisen. In der Folge erschien 1971 das erste Manuskript Umfassende Krankenpflege das zum Vorläufer des Pflegebuches wurde.

In den 70er Jahren verstärkte sich die Technisierung und Medizin-Orientierung der Pflege weiter. Verbunden mit einem zunehmenden Unbehagen der Pflegenden selbst, führte diese Situation gegen Ende dieser Periode zum so genannten ‚Pflegenotstand’. Schlagzeilen wie: »Entmenschlichung im Krankenhaus« und »Krank gewordenes Gesundheitswesen« tauchten in der Presse auf. Ein Veränderungsschub war fällig, es erwachte und wuchs ein Bewusstsein für die eigene, gewichtige Rolle des Pflegeberufs.

Die 80er und 90er Jahre

Eine neue Entwicklung kommt in Gang, welche der bisherigen vorerst diametral entgegensteht: Juchli entwickelt ein neues Konzept für die 4. und 5. Auflage des Standardwerkes auf der Basis ganzheitlichen und vernetzen Denkens. Gleichzeitig propagiert die WHO ein neues Gesundheitsverständnis und erarbeitet Modelle für mehr Verantwortlichkeit des Einzelnen und der Gesellschaft. Die Altersforschung entwickelt neue Lebensstufenmodelle, die der veränderten Altersstruktur Rechnung trägt und dem Lebenszeitraum »Alter« differenziertere Beachtung schenkt. Die Ökologen kämpfen für eine umweltgerechte Lebensform und für die Vernetzung auseinander gefallener Systeme in Natur und Lebenswelt. Im Pflegeberuf entwickelt sich ein bewussteres Berufs- und Selbstverständnis. Es werden neue Pflegetheorien, -modelle und -konzepte entwickelt die eine bewusstere Integration des Problemlösungs- und Beziehungsprozesses und die Stärkung der Professionalisierung auslöste. Die Funktionspflege wird abgelöst durch pflege- und patienten-orientierte Modelle. Pflegewissenschaft und Pflegeforschung etablieren sich. Engagierte Pflegefachfrauen und -männer setzten sich für den Zugang zu Universität und die Anerkennung von Fachhochschulen ein.

Juchli unterstützt diese Bestrebungen, fördert sie und nimmt Einfluss wo immer sich ihr die Gelegenheit dazu bietet. Ihr Hauptanliegen dabei ist und bleibt:

  • Die Sorge um die Pflegequalität im konkreten Praxisfeld.
  • Die Förderung und gezielte Unterstützung der Qualitätssicherung im Pflegealltag mit entsprechenden Fort- und Weiterbildungsangeboten für Theorie und Praxis.

So sehr Liliane Juchli die Wichtigkeit der Akademisierung der Pflege betonte, war und blieb ihr grosses Anliegen die Stützung und Förderung der Qualität der Pflege im konkreten Praxisfeld. Das in der 4. Auflage grundgelegte neue Denken – und damit ein neues Pflegeverständnis – hat sich in den folgenden Jahren gefestigt und weiterentwickelt. Dazu werden hier drei Schwerpunkte genannt:

Menschenbild, Menschenwürde

Nach Liliane Juchli ist ein als Maschine funktionierender Körper, der sich höchstens in der Vorstellung mit Seele und Geist berührt, ein verkürztes Menschenbild. Für sie ist klar, dass die Grundlage einer ganzheitlichen Pflege und die Grundlage ganzheitlichen Denkens – das Weltbild und das Menschenbild – ebenfalls ganzheitlich sein müssen. So hat z. B. jede Frau auch männliche und jeder Mann auch weibliche Anteile. Diese werden allerdings – je nach kultureller, gesellschaftlicher und individueller Prägung – recht unterschiedlich gelebt oder verdrängt. Wo eine Gesellschaft Verdrängungen fördert, fördert sie ein einseitiges, in diesem Fall sexistisches Menschenbild. Dies ungeachtet der menschlichen Zielsetzung zur Ganzheit, die von Mann und Frau gleichermassen verlangt wird. Das heisst also, dass die einseitig weibliche oder männliche Einstellung und Einordnung (natürlich in: Mann oben – anordnend, wissend, führend; Frau unten – ausführend, weisungsabhängig, gefügig) zu revidieren ist. Schwester Liliane setzte sich ein Leben lang für die Würde des Menschen ein; dieser Einsatz steht bei ihr im Zentrum ihres Lebens, ein Wert, der zutiefst in ihr lebt und in ihr Wirken drängt. Sie bezeichnet Würde als ein höchster menschlicher Wert, wie auch als Gegenkraft zu einer Leistungsgesellschaft, die mit einer demographischen Veränderung, in der Menschen immer älter werden, konfrontiert ist.

Die Wahrung der Menschlichkeit und der Menschenwürde in unseren Krankenhäusern und Heimen darf aber nicht den Pflegenden allein überantwortet werden. Eine positive Bewältigung braucht das Zusammenspiel aller Kräfte, der politisch-gesellschaftlichen wie der ethischen Verantwortlichkeit.

Die Aktivitäten des täglichen Lebens als ein Lebensmodell

Die verschiedenen Ebenen der ATL (in Anlehnung an die Pyramide von Maslow)

In der 8. Auflage ihres Standardwerkes definierte Juchli den geschichtlichen Hintergrund der Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL): Wie es gesund und krank als überlieferte Urerfahrungen des Menschen gibt, so gibt es auch »Modelle gesunden Lebens«. Deren abendländische Wurzeln finden ihren klassischen Ausdruck im »Corpus Hippocraticum« die als „diätetisches Modell“ bekannt auch heute noch als die Wurzeln aller Modelle gelten können, die sich mit der Lebenssorge und der Gesundheitsbildung befassen.

Die darin beschriebenen sechs Grundthemen gesunden Lebens wurden im Verlaufe der Geschichte von verschiedenen Denkern und Denkerinnen weiterentwickelt und der jeweiligen Zeit entsprechend anders benannt. Spricht Hippokrates noch von den sechs Sachen, so sind es bei Hildegard von Bingen (1098–1179) sechs Regeln, die in der neueren Zeit von Heinrich Schipperges (1988) als Regelkreise der Lebensordnung bezeichnet werden. Im Befragen der Grundmotivationen des Menschen hat Abraham Maslow (1954) den Begriff der Grundbedürfnisse eingeführt. Virginia Henderson hat diese zum ersten Mal mit der Pflege in Beziehung gebracht. Nancy Roper braucht später den Begriff der Lebensaktivitäten; Juchli hat die Bezeichnung »Aktivitäten des täglichen Lebens« (ATL) vorgezogen. Allen Modellen gemeinsam ist der Versuch, etwas über das Leben, die Lebensäusserungen und die Kunst gesunden Lebens auszusagen.

Juchli beschreibt die zwölf ATL im Bezug auf deren Auswirkungen auf das Leben an sich (Gesundheitssorge, Selbstpflege) und auf die Wahrnehmung und Beobachtung des kranken Menschen. Sie sieht in den ATL ein Instrument zur Umsetzung eines ganzheitlichen Pflegeprozesses weil sie alle Ebenen des Menschseins umfassen: die physiologische, die personal-soziale und die geistige. Dadurch ist die Reihenfolge, wie sie die ATL auflistet, keine zufällige Aneinanderreihung.

Physiologische Ebene

  1. Wach sein und schlafen
  2. Sich bewegen
  3. Sich waschen und kleiden
  4. Essen und trinken
  5. Ausscheiden
  6. Körpertemperatur regulieren
  7. Atmen

Personal-soziale Ebene

8. Sich sicher fühlen und verhalten
9. Raum und Zeit gestalten - Arbeiten und Spielen

Geistige Ebene mit einschliessend

10. Kommunizieren
11. Kind, Frau, Mann sein
12. Sinn finden im Werden, Sein, Vergehen

Wichtig ist Juchli auch die ganzheitliche Sicht der Wahrnehmung wie:

  • Einflussfaktoren in allen Lebensbereichen: körperliche (biophysische), seelisch-geistige, soziale (einschliesslich ökonomische, gesellschaftliche, politische und kulturelle) sowie ökologische Faktoren.
  • Beobachtung von gesunden und kranken Lebensäusserungen. Es werden die wichtigsten Informationen zum jeweiligen Themenbereich angeboten.
  • Die Sorge für das Gesunde, die sowohl Aspekte der Gesundheitsbildung wie der Gesundheitsförderung berücksichtigt.

Da sich die Inhalte des Modells von Juchli am Pflegealltag orientierten fand es eine rasche Ausbreitung und diente als Basis für weiterführende Modelle.

Ganzheitlichkeit

Die Bereiche und Ausdrucksformen der Person. Person ist dynamisch, will sich ausdrücken (personare), strebt über sich selbst hinaus.

Juchli versuchte das Grundwissen von Philosophie und Physik ins Pflegedenken hineinzuholen, so das Wissen, dass ein Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile. Ganzheit ist nicht etwas Abgeschlossenes, Homogenes, Einheitlich-Wahrnehmbares. Der gesamtheitliche Charakter zeigt sich vielmehr in Eigenschaften, die an keinem der isolierten Teile vorzufinden sind, so z. B. im Ausdruck des Gesichts eines Menschen in seinem Befinden in einer schwierigen Lebenssituation, in Krankheit, Leiden oder Freude usw.

Den Menschen ganzheitlich sehen heisst, ihn in seiner Gesamtheit zu begreifen, in all seinen Dimensionen der physischen, psychischen und der geistigen. Ganzheit ist eine leib-seelisch-geistige Einheit. Diese Erkenntnis bedingt das Einüben komplexeren Denkens, ein Netzwerk-Denken.

Die Mannigfaltigkeit ist ein Merkmal ganzheitlicher Pflege, sie ist jene Grundlage, auf der die Kreativität, der Geistesblitz und die Intuition ihren Platz finden – letztlich die Kunst in der Pflege. Hier geben sich kognitives Denken und kreativ-schöpferisches Erspüren (männliche und weibliche Werte) die Hand.

Wird von professioneller oder ganzheitlicher Pflege gesprochen, gilt es hinzuschauen – ob der Patient wirklich davon gewinnt, ob die Strukturen einen solchen Ansatz überhaupt erlauben und ob Pflegende dem Leben und der Lebendigkeit Raum geben, auch ihrem eigenen Leben und Wohlbefinden. Denn »heilende Pflege« steht und fällt mit dem Heilsein und Wohlsein der Pflegenden. Ganzheitliches Denken ist notwendige Voraussetzung für ein ganzheitliches Handeln. Die Pflegenden selbst werden dabei ganzheitlicher. Denn ganzheitliche Pflege orientiert sich gleicherweise am Gesunden (Ressourcen, Selbstpflegepotential) wie am Kranken (Probleme, Defizite, Hilfsbedürftigkeit).

Weiter gilt nach Juchli: Die wahre Professionalität erfüllt sich nur in der Wirklichkeit ganzheitlichen Lebens, sie schöpft aus der Wesenstiefe des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ebenso wie sie von Lehre und Forschung lebt.

Auch alternative, additive oder komplementäre Praktiken, die in der Pflege wirksam werden können, richten sich direkt an den Menschen. Sie basieren auf einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis und verstehen sich als Hilfe zur Selbsthilfe, als Hinführung zu mehr Verantwortlichkeit (Bewusstseinsbildung) in der Integration von Körper, Seele und Geist. Sie sollen eine Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin sein.

Das Pflege-Lehrbuch

Das von Juchli verfasste Krankenpflegebuch (ein Standardwerk, in Fachkreisen »Die Juchli« genannt) entstand aus gesammelten Arbeitsblättern, die sie als junge Schulschwester in den 60er-Jahren für ihre Schülerinnen entwickelt hatte. Als gebundenes Buch mit dem Titel Umfassende Krankenpflege wurde es auch den Diplomierten zur Verfügung gestellt. Dieses 300 Seiten starke Manuskript wurde bald als eines der wenigen Pflegebücher der Nachkriegszeit auch in Deutschland gesucht. Schliesslich gab es der Thieme-Verlag als Lehrbuch heraus. Es hat sich im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte bis in die neuere Zeit als Standardwerk für Pflege gehalten.

Die Titel der verschiedenen Auflagen

Anhand der Titel dieses Buches ist dessen Entwicklung im Wandel der Zeit ablesbar. Diese Titel sind auch Ausdruck der Suche nach Identität eines Berufes, der sich neuen Anforderungen zu stellen hatte.

  • 1953–1969 entsteht aus Arbeitsblättern ein 300seitiges »Praktikumsheft«, später als gebundenes Buch für den Eigengebrauch an der Schule Theodosianum, Zürich
  • 1969 »Umfassende Krankenpflege - Grundpflege-Behandlungspflege«, Manuskript der Schule Theodosianum; dann als
  • Liliane Juchli, Beda Högger: Umfassende Krankenpflege. Thieme, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-484901-1
  • 1973 »Allgemeine und spezielle Krankenpflege«, 1.–3. Auflage
    • Liliane Juchli: Allgemeine und spezielle Krankenpflege: ein Lehr- u. Lernbuch. 1. Auflage. Thieme, Stuttgart 1973, ISBN 3-13-500001-X.
  • 1978, 1982 und 1989 wurden 100, 250 und 550 Tausend Exemplare insgesamt verkauft (Thieme-Verlag)
  • 1983, 1987 und 1991 »Krankenpflege - Praxis und Theorie der Gesundheitsförderung und Pflege Kranker«, 4.–6. Auflage, die 1.000-Seiten-Marke wird erreicht. Mit der 5. Auflage scheidet A. Vogel aus der didaktischen Mitarbeit aus.
  • 1994–1997 »Pflege - Praxis und Theorie der Gesundheits- und Krankenpflege«, 7. u. 8. Auflage
  • Mit der 8. Auflage übergibt Juchli dieses Werk dem Thieme-Verlag, der es als »Thiemes Pflege« weiterführt.
  • 2009 »Thiemes Pflege: das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung«, 11. Auflage, Schewior-Popp, Susanne Hrsg., mit einem Plädoyer von Liliane Juchli und Ursula Geissner zur Nachhaltigen Bedeutung der ATL in der Pflege, ISBN 978-3-13-500011-4

Juchlis Standardwerk hat unterdessen die Auflagezahl einer Million erreicht. Es ist auch in italienischer und holländischer Sprache in mehreren Auflagen erschienen, so: 1980 »Leerboek verpleegkunde - Basisverpleegkunde«, Juchli, Liliane, Elsellier, Amsterdam, 2 Aufl.; 1994 »L' assistenza infermieristica di base«, Juchli, Liliane, Rosini, Firenze, 3. ed. italiana.

Krise und Umbruch – 1979–81

Nach der dritten Auflage ihres Lehrbuches war Schwester Liliane Juchli Schulleiterin einer Krankenpflegeschule und gleichzeitig Pädagogiklehrerin an der Kaderschule für Krankenpflege, sowie in verschiedensten Arbeits- und Projektgruppen und als Buchautorin tätig. Es war eine Zeit grösster Herausforderung, wo es Schwester Liliane oftmals vorkam, als müsste sie das Letzte geben, bis sie nur allzu oft selber ausgelaugt dastand – mit leeren Händen. Sie spürte nun selbst, was es heisst, mit allen Sinnen betroffen zu sein und dass auch Heilsein und Ganzheit mit allen Sinnen zusammenhängt. Gleichzeitig durfte sie aber auch erfahren, dass sich in eben diese leeren Hände hinein auch der Himmel öffnete, und sie trotz allem im Letzten Beschenkte blieb. Nachdem sich die Lebenskräfte wieder eingestellt hatten erfuhr sie nicht nur eine tiefere Rückbindung an den Wesenskern menschlichen Seins sondern auch eine neue Schaffenskraft: es entstanden Bücher, Fachartikel und Unterlagen für eine rege Vortragstätigkeit. In diese Zeit fiel auch die Entscheidung für die Neugestaltung der vierten Auflage des Krankenpflegebuches. Mit dessen Erscheinen (1983) durchbrach Liliane Juchli das traditionelle Denken in der Krankenpflege, an dem auch sie sich bis dahin orientiert hatte, ein eher handlungsorientiertes Modell mit den Schwerpunkten »Grundpflege, Behandlungspflege, Pflege bei Organerkrankungen«.

Vierte Auflage des Klassikers

Auffallend ist schon der neue Titel der vierten Auflage 1983 (»Krankenpflege - Praxis und Theorie der Gesundheitsförderung und Pflege Kranker«), der zeigt, dass nicht mehr nur die Krankheit sondern auch die Gesundheit/das Gesunde thematisiert werden soll. Grundlegend neu aber war die Orientierung an einem Menschenbild – das heisst der personale und ganzheitliche Ansatz – sowie die Gewichtung der Inhalte der Pflege an den Bedürfnissen des Menschen in allen seinen Dimensionen. In Anlehnung an die Pflegeliteratur, die Juchli damals zur Verfügung stand, entwickelte sie ihren eigenen Ansatz: die Aktivitäten des täglichen Lebens. Dieses Umdenken bezüglich Menschsein und Pflegen wurde durch eine Auszeit vorbereitet, die ihr die Reflexion von Lebenswerten ebenso ermöglichte wie das Studium von Grundlagen in Bereichen der Humanwissenschaften, wie Philosophie, Psychologie, Theologie. In einem anschliessenden zweijährigen Einsatz in fast allen Pflegegebieten konnte sie das theoretische Wissen mit der konkreten Wirklichkeit am Patientenbett überprüfen und schliesslich als Grundlage für die Neuauflage aufbereiten. Das »neue» Buch löste so etwas wie eine kleine Revolution aus, die dazu führte, dass Juchli bald mit einer Flut von Anfragen um Weiterbildung, insbesondere zum Thema »ganzheitliche Pflege«, überschwemmt wurde. Unter dem Titel »Heilen durch Wiederentdecken der Ganzheit« veröffentlichte sie bald darauf ein Buch, das die Inhalte und Erfahrungen von Seminaren zu diesem Thema zusammenfasste.

Leidenschaft für das Mögliche

Liliane Juchli beschreibt, was ihr wichtig war, auch als »Leidenschaft für das Mögliche«, vielleicht auch als das, was zu ermöglichen ist:

Wegworte
- Juchlis wichtigstes Leitwort: Ich pflege als die, die ich bin.

Berufsbewusstsein, Ganzheit

  • Pflegende haben einen sowohl anspruchsvollen wie schönen Beruf; sie sind es, die ihn attraktiv und menschlich gestalten können.
  • Je mehr die Medizin sich spezialisiert (High-Tech), desto wichtiger wird eine dem kranken und leidenden Menschen gerecht werdende Pflege (High-Touch).
  • Es gilt Farbe zu bekennen, unbequem zu sein, wo Forderungen am Selbst- und Berufsverständnis der Pflegenden vorbei zielen, wo das Wohl der Patienten ignoriert wird oder Pflegende dabei schliesslich selbst auf der Strecke bleiben.
  • Alles ist brauchbar was Pflegenden hilft auf dem Weg ganzheitlichen Denkens und Handelns weiterzukommen. Jedes Modell, das sich nicht am nur medizinischen, tätigkeits- oder krankheitsorientierten Ansatz orientiert, kann dafür herangezogen werden.
  • Ganzheitliche Pflege ist immer auch kreative Pflege.
  • Ganzheitliche Pflege ist, wie ganzheitliches Menschsein, ein Prozess der dem Wachsen und Reifen dient.
  • Ganzheitlichkeit kann nur ganzheitlich – also mehrdimensional und vernetzt – vermittelt und gelebt werden.
  • Ganzheitliches Leben ist ein Prozess lebendigen Wachsens und Reifens die/der zu werden, die/der ich werden kann und werden soll.

Pflege – Blick auf den Patienten

  • Pflege ist Dienst des ganzen Menschen am ganzen Menschen. Sie fordert Ehrfurcht und Respekt vor der Würde des Menschen.
  • Die Pflege ist ein Beruf, der sowohl wissenschaftlich, rational-analytisch, zielorientiert, selbstbestimmend und eigenständig ist, als auch intuitiv, ganzheitlich, nach Synthese suchend, der momentanen Situation entsprechend umgebungsbestimmend, und somit immer auch abhängig und bestimmt ist.
  • Sein und Handeln sind die beiden Pole der Pflege.
  • Leben heisst lieben, und Pflegen heisst lieben üben. Liebe nicht als Zugabe zur Professionalität, sondern als deren Fundament.
  • Pflege ist, wie das Leben selbst, ein Weg von Veränderung zu Veränderung.
  • Pflege deinen Nächsten wie dich selbst, bzw. sorge für deine eigene Lebensqualität, wie du für die Pflegequalität (das Wohl des Patienten) besorgt bist.

Selbstsorge und Persönlichkeit

  • Pflegen heisst auch – und vor allem – pfleglich mit sich selbst umzugehen.
  • Wenn ich nicht gut zu mir selber bin, kann ich es auch nicht für andere sein.
  • Mut zum Pflegen – Kraft ins Leben – Freude am Sein.
  • Ausgebrannte Pflegende bringen keine Wärme mehr; wem nützt ein Leuchtturm, wenn die Lampe nicht brennt?
  • Die Pflege ist ein Kulturauftrag, der anfängt bei der Sorge für uns selbst.
  • Uns Menschen ist es auferlegt, mit unserer menschlichen Existenz zurechtzukommen, was letztlich auch heisst: es liegt an uns zu entscheiden und zu handeln.
  • Jung und alt sind nur die beiden Pole des einen Lebens, dazwischen liegt das Spannungsfeld erfüllten Menschseins.
  • Entwicklung heisst Wandlung‚ doch man wandelt nur, was man annimmt.

Zukunft und Hoffnung

  • Unabdingbar ist es, die eigenen Wurzeln zu kennen, Entwicklungsschritte zu verstehen, um Zukunft sinnvoll gestalten zu können.
  • Eine erfolgreiche Zukunft steht und fällt mit dem Zusammenbringen von Theorie und Praxis.
  • Zukunftsträchtig sind nicht die Unternehmen, auch nicht ein Berufsverband oder eine Fachhochschule an sich, zukunftsträchtig sind immer nur die Menschen – Menschen, die das »Schiff Pflege« auf Kurs halten.

Werte und Würde

  • Würde geschieht dort und dann, wenn ich dem Menschen Mensch bin.
  • Kompetenz allein genügt nicht; Menschen brauchen Zuwendung und die Erfahrung respektiert und akzeptiert zu sein.
  • Eigentlich sind wir nur hier um bedingungslos lieben zu lernen.
  • Es ist wichtig sein eigens Menschsein zu akzeptieren, zu den eigenen Stärken zu stehen, diese auch zu zeigen und darüber sprechen zu können. Nur wo wir zu unseren Werten stehen, können wir auch unsere Grenzen annehmen.
  • Sobald eine Arbeit mit Menschen zu tun hat, ist sie mehr als nur ein Job.
  • Wir sollten das Alter nicht als Last sondern als Herausforderung und Aufgabe verstehen und gestalten; es gilt anstehende Probleme zu bewältigen und noch unentdeckte Schätze zu heben.

Werke (Auswahl)

  • Das mit ihrem Namen verbundene Lehrbuch in seinen verschiedenen Auflagen siehe oben.
Autorin/Herausgeberin bis einschließlich 8. Auflage (diverse Titeländerungen). Aktuelles Nachfolgewerk: 2009 Thiemes Pflege. 11. Auflage.
  • Sein und Handeln - Ein ABC für Schwestern und Pfleger. RECOM, Basel 1987, ISBN 3-7244-8646-4
  • Was kranke Menschen brauchen. Hilfen für eine ganzheitliche Pflege. Herder, Freiburg 1988, ISBN 3-451-21025-8
  • Alt werden - alt sein - Ein ABC für die Begleitung und Betreuung Betagter. RECOM, Basel 1993, ISBN 3-7244-8649-9
  • Heilen durch Wiederentdecken der Ganzheit. Kreuz Verlag, 1993, ISBN 3-7831-0794-6
  • Pflegen-Begleiten-Leben - Kranke und Behinderte daheim - ein ABC für alle Betroffenen. F. Reinhardt Basel, 1992, ISBN 3-7245-0576-0
  • Bilder einer Depression - Leben mit den Kräften der Tiefe. Kreuz, Stuttgart 1993, ISBN 3-7831-0870-5
  • Ganzheitliche Pflege - Vision oder Wirklichkeit. RECOM, Basel 1993, ISBN 3-315-00076-X
  • Wohin mit meinem Schmerz? Herder, Freiburg 1996, ISBN 3-451-04212-6

Literatur

  • gsh-Innovationsteam (Herausgeber): Liliane Juchli - Ein Zeitdokument der Pflege. Leben und Lebenswerk von Liliane Juchli. Verlag=gsh, Dietzenbach, 1998, Div. Fachautoren

Ehrungen

Siehe auch

Weblinks