Selbstpflegedefizit

Aus Familienwortschatz
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Die Selbstpflegedefizit-Theorie von Dorothea Orem gehört zu den Bedürfnistheorien. Diese Pflegetheorien liefern eine Erklärung dafür, was Pflege tut.

Teil der Selbstpflegedefizit-Theorie ist ein Pflegemodell (abgebildet auf dem Buchumschlag von "Strukturkonzepte der Pflegepraxis") und ein Liste der Grundbedürfnisse des Menschen, die von Orem selbst jedoch nie vollständig zusammengefasst dargestellt wurde.

Selbstpflege-Defizit-Theorie

Datei:Selbstpflegedefizit-Modell.jpg
Selbstpflegedefizit-Modell

Der Kerngedanke der Pflegetheorie von Orem ist die Annahme, dass Menschen Grundbedürfnisse haben (beispielsweise Ernährung, Liebe, Lernen, Atmung...), die sie selbstständig erfüllen wollen - Selbstpflege oder Selbstfürsorge. In der Orem´schen Terminologie heißen diese Grundbedürfnisse Selbstpflege- oder Selbstfürsorgeerfordernisse. Können dieser Erfordernisse nicht eigenständig befriedigt werden (Selbstpflegedefizit), muss fremde Hilfe in Anspruch genommen werden. Ein sogenannter Selbstpflege-Handelnder erfüllt seine eigenen Erfordernisse. Ein Selbstpflege-Handelnder kann aber auch eine Pflegekraft sein, die als Agent der Selbstpflege einer hilfebedürftigen Person auftritt, um dessen Erfordernisse zu erfüllen.

Eine Sonderstellung haben sozial abhängige Erwachsene und Kinder. Bei ihnen führen Familienmitglieder oder andere Bezugspersonen die Dependenz- oder Abhängigenpflege durch.

Das zur Pflegetheorie gehörende Modell stellt die Selbstpflege (und das Selbstpflegedefizit) in das Spannungsfeld zwischen der Selbstpflegekompetenz einerseits und dem Selbstpflegebedarf andererseits. Eingreifend kommt die (professionelle) Pflegekompetenz noch hinzu.

Zielgruppe

Potentiell ist diese Pflegetheorie bei allen Patienten anwendbar, da jeder Patient (z.B. in der Klinik) Einschränkungen hat. Es liegt also, bis auf wenige Ausnahmen, ein Selbstpflegedefizit vor, welches durch Pflegekompetenz (durch die Pflege) kompensiert werden kann.

Beispiele:

  • kardiologischer Patient mit Bettruhe - Selbstpflegedefizit: Körperpflege, Mobilisation
  • erblindeter Patient - Selbstpflegedefizit: muss alles neu erlernen
  • Patient mit Fraktur des Armes - Selbstpflegedefizit: Kleiden

Diskussion

Die Orem´sche Pflegetheorie betont stark die Eigenständigkeit von Individuen. Sie geht davon aus, dass jeder Mensch sich zu einer selbständigen Person entwickeln will oder Selbstständigkeit wiedererlangen möchte. Um zu beschreiben, was Pflege tut, orientiert sie sich jedoch an Defiziten und lässt die Grenzen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden verschwimmen. Dieser letztgenannte Theoriebruch kann in der Praxis problematisch werden. Dorothea Orem wurde in ihrer Wortwahl und in ihrem Denken ein mechanistisches, funktionalistisches Menschenbild vorgeworfen. Sie versuchte, dem mit einem positiven Bild des Menschen als reifende Persönlichkeit zu begegnen. Ihre Pflegetheorie macht kaum Aussagen zur Umwelt eines Individuums. Sie versuchte deshalb später, systemtheoretische Gedanken in ihre Theorie zu integrieren.

Relevanz für die Pflegepraxis

Die Selbstpflegedefizit-Theorie ist besonders gut in der Kinderkrankenpflege einzusetzen, durch den Gedanken der kindlichen Abhängigkeit, oder auch in der Heilerziehungspflege. Praktische Bedeutung hat die Theorie momentan auch bei der personellen Zergliederung des Pflegeprozesses in der Akutpflege von Verantwortlichen für die Diagnostik und der praktischen Durchführung der Pflege im Rahmen der DRG-Einführung. Außerdem ist Selbstpflege als Schlagwort sehr beliebt. Oft wird es dann ohne einen Zusammenhang mit der Pflegetheorie von Orem gebraucht, sondern meint beispielsweise das Selbstcoaching, die Psychohygiene oder die Selbstmotivation von Pflegenden.

Kritik an Orems Theorie

  • Hauptkritik : Ausgangspunkt sind "gestörte Funktionen"
  • Problem: Defizitär ausgerichtet, "normal, gesund" werden auf "Aktivitäten" reduziert, orientieren sich aber nicht am Leben der Menschen
  • Menschen sind evtl. andere Dinge wichtiger, als der Erhalt "gestörter Funktionen" (Zitat einer Bewohnerin: "Ich würde so gerne für meine Enkel nähen... da aber morgens immer die Schwestern kommen, und ich mich dann immer am Waschbecken selber waschen und kleiden muss, bin ich anschließend so erschöpft, dass ich den ganzen Tag nichts mehr schaffe.")

Literatur

  • Connie M. Dennis: Dorothea Orem. Selbstpflege- und Selbstpflegedefizittheorie. Huber, Bern. 2001. 192 Seiten. ISBN
  • Dorothea E. Orem: Strukturkonzepte der Pflegepraxis, deutsche Ausgabe herausgegeben von Gerd Bekel. Ullstein Mosby, Berlin/Wiesbaden 1997. ISBN 3-86126-548-6

Weblinks