Interview

Aus Familienwortschatz
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Ein Interview ist eine verabredete Zusammenkunft (frz.: entrevue), im Verlaufe derer eine Person Fragen stellt, die eine andere Person beantworten soll (im Sinne des engl. : to interview)


Interviews weisen einen unterschiedlichen Grad der Standardisierung auf. Im Allgemeinen wird das unstrukturierte oder semi-strukturierte Interview in der qualitativen Forschung verwendet. Unstrukturiertes Gespräch, Erzählung --> halbstrukturierten Fragebögen (Fragen ohne Antwortmöglichkeiten)


Forderungen an den Interviewer

  • Personen, die an der Forschung mitarbeiten und etwas über Forschungsmethodik wissen
  • Fehler, die zu beheben sind:
    • Dominanter Kommunikationsstil
    • Neigung zu Vorgaben/Suggestion
    • Neigung zu bewertenden Äußerungen
    • Mangelhafte Geduld
    • Am Leitfaden klammern
    • Auf bestimmte Themen beharren
    • Konzentrationsschwierigkeiten


Interviewstile

  1. Harter Stil
    • Provokativ
    • Enge Fragestellung
    • Ausübung von Zwang
  2. Weicher Stil
    • Empathie/Verständnisfragen
    • Persönliche Fragen, Empfindungen
    • Sehr zurückgenommen
  3. Neutraler Stil
    • Gezielte Fragestellung
    • Wissen erfahren
    • Offene Fragen
    • Strukturiert, aber zurückgenommen


Interview als Methode der Wahl

Das Interview eignet sich vor allem bei Fragestellungen, die subjektive Interpretationen, Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, das Erleben, Erfahrungen, Wünsche, Einstellungen, Fakten oder Wissen von Personen oder Gruppen beleuchten wollen

  • bei Fragestellungen, die sprachlich/ erzählend beantwortet werden können
  • bei „gemäßigten“ (nicht heiklen) Fragestellungen, die gut in vom Interviewer provozierten und gestalteten Forschungssituationen in angenehmer Atmosphäre beantwortet werden können
  • eignet sich nur bedingt bei Fragestellungen, die von verbal oder kognitiv eingeschränkten Personen beantwortet werden müssen
  • eignet sich – je nach Interesse an der Komplexität der subjektiven Dimensionen – sowohl bei qualitativen als auch bei quantitativen Forschungsfragen, z.B.
    • „Was bedeutet Abschied für Angehörige von in den Krieg ziehenden Soldaten?“ (qualitativ)
    • oder „Wie hoch ist die Fatigue-Prävalenz bei Patienten auf onkologischen Stationen in Sachsen?“ (quantitativ)



Prinzipien der Interview-Technik

Prinzipien der Interview-Technik nach Morse and Field 1998, S. 91 ff.

Hilfen, um in ein Gespräch zu kommen

Nach Morse and Field 1998, S. 86

  • Gesprächspartner den Ort der Unterhaltung wählen lassen
  • Möglichst ungestörtes Umfeld
  • Kleiner Tisch mit Mikro ?!
  • Gute Atmosphäre mit Kaffee…
  • Einleitende Sätze
  • Interview mit Einverständniserklärung beginnen
  • Demografische Daten erfragen
  • Eingangsfrage
  • Befragten die Interviewführung überlassen


Merkmale eines guten Interviews

  • dem Gesprächspartner das Gefühl geben da zu sein
  • Aufmerksam und konzentriert zuhören
  • Ruhig sein, routinierten Eindruck machen
  • Abwarten können, Stille aushalten
  • Wissen, dass der Gesprächspartner vom Fragenden „lernt“, Wörter aufgreift
  • Wissenschaftliche Sprache vermeiden
  • Leitung des Interviews abtreten und in den Hintergrund treten


Merkmale eines schlechten Interviews

  • Nicht zu viele Fragen stellen
  • Mehrere Fragen gleichzeitig stellen
  • Äußerungen zusammenfassen
  • Verifizieren der Antworten führt zum Eindruck für die Gesprächspartner, dass sie „dumm“ sind
  • Korrektur von falschen Informationen ‡ eher eine Unterrichtsstunde
  • Rollentausch, wenn der Befragte die Fragen stellt und der Interviewer antwortet
  • Nervosität
  • Schlechter Zuhörer sein, Blick schweifen lassen

Katastrophen im Interview

Nach Morse and Field 1998, S. 93

  • Mögliche Probleme vorhersehen versuchen
  • Bei Selbstmorddrohung versuchen zu erkennen, wie ernst es der Person ist; Vertraulichkeit gilt nur im gesetzlichen Rahmen; zur Begleitung in ein KH auffordern
  • Verlust eines Interviews: Versuchen zu rekonstruieren und auf Band zu sprechen oder es wiederholen, aber mit einem andern Interviewer

Fallstricke

Nach Morse and Field 1998, S. 94 ff.

  • Unterbrechungen durch andere stören und führen evtl. zu Verlust von Infos, daher mit Erlaubnis das Telefon aushängen, …
  • Ablenkungen: Kinder, Termindruck,…
  • Lampenfieber:
    • Auch wegen Tonbandgerät und wenig Sicherheit, da offen geführt
    • Angst des Gesprächspartners vor dem Tonbandgerät ‡ ausser Sichtweise aufstellen, an der Kleidung anbringen, Telefoninterviews
  • Unangenehme Fragen vermeiden: Vorab überlegen, ob diese unbedingt notwendig sind, Einkommensspannen statt Festlegungen
  • Hin- und herspringen: Fragen in nicht logischer Reihenfolge, daher in der Frage eine Chronologie miteinbauen („Ihre Erfahrungen von… bis…“)
  • Beraten: Pflegende haben hier eine hohe Kompetenz, daher besteht die Gefahr, dass dies zu früh ausgespielt wird und das Interview negativ beeinfluss. Der Gesprächsanteil des Gesprächspartners sollte wesentlich größer sein als der des Interviewers
  • Seinen eigenen Standpunkt darstellen: Es kann vorkommen, dass Gesprächspartner den Interviewer aushorchen -> eigene Ansichten verbergen
  • Oberflächliche Interviews: Oft keine aussagekräftigen Daten nach dem ersten Gespräch, daher den Kontakt nicht abbrechen; keine Hektik und Eile vermitteln, da das Gespräch sonst nicht in die Tiefe geht
  • Vertrauliche Informationen: Gesprächspartner haben das Recht Passagen nicht in den Bericht einfließen zu lassen; man kann bei wichtigen Informationen aber auch den Informanten noch mal fragen, ob er die Netscheidung überdenken will
  • Benutzung eines Dolmetschers: Verlangsamt das Tempo des Interviews. Dies gibt dem Interviewer Zeit die Fragen zu überdenken und Mimik zu überdenken. Der Nachteil ist, dass der Dolmetscher emotionale Anteile etc. nicht adäquat übersetzt. Hier ist eine gründliche Information des Dolmetschers vorab wichtig!
  • Ausschussrate minimieren: = Anteil der irrelevanten Informationen; das erste Interview offen führen und in den anschließenden konkreter nachfragen

Dauer und Timing von Interviews

Nach Holloway and Wheeler 1998, S. 69 f.

  • nicht länger als eine Stunde, abhängig vom Partizipienten
  • Zeitrahmen abstecken, damit das Interview in den Tagesablauf des Partizipienten eingefügt werden kann


Fragearten

Fragearten (Holloway and Wheeler 1998, S. 70)

Unterscheidung nach Patton:

  • Nach Erfahrungen: „Würde sie mir bitte etwas über Ihre Erfahrung mit der Betreuung von Diabetikern erzählen?“
  • Nach Gefühlen: „Was haben sie empfunden, als der erste Patient gestorben ist, für den sie verantwortlich waren?“
  • Nach Wissen: „Welche Dienstleistungen stehen dieser Patientengruppe zur Verfügung?“

Unterscheidung nach Spradley:

  • Allgemeine Fragen: „Würden sie bitte einen typischen Tag auf Ihrer Station beschreiben?“
  • Spezifische Fragen: „Würden sie bitte beschreiben, was passiert, wenn ein Kollege Ihre Entscheidung in Frage stellt?“
=> in der qualitativen Forschung sind die Fragen so wenig direkt wie möglich, zielen aber trotzdem auf das Forschungsgebiet ab


Interviewformen

vollstandardisierte, strukturierte Interviews

  • eher quantitative Fragestellung, z.B. Erhebung sozio-demgraphische Daten
  • Vorwissen über den Gegenstand nötig
  • vorab formulierte Hypothesen
  • zeitsparend
  • alle Befragten werden die selben Fragen in der selben Reihenfolge gestellt
  • statistische Auswertung möglich
  • leichte Datenanalyse

siehe auch: Fragebogen

nicht standardisierte, unstrukturierte Interviews

  • eher qualitative Fragestellung
  • zur Generierung von Wissen über ein Phänomen
  • unvoreingenommener Interviewer
  • besonders bei mehrmaligem Interviewen einer Person


Halbstandardisierte bzw. Leitfadeninterviews

Einsatzbereich:

  • alle Themen bzw. Rekonstruktion sujektiver Theorien
  • Interviewer will von allen Informanten ähnliche Dinge erfragen


Merkmale:

  • Allgemeine Technik des Fragens mit flexiblen Fragenkatalog als Gerüst zur Datenerhebung und Datenauswertung
  • mit offenen, hypothesengerichteten und Konfrontationsfragen
  • Strukturierung der Interviewinhalte durch SLT, induktiv- deduktives Vorgehen
  • Vorschläge zum Ausdruck impliziten Wissens machen
  • Leitfaden kann im Laufe der Interviews überarbeitet werden und neue Ideen einfließen lassen
  • Komplexe, anspruchsvolle Methode und schwierige Auswertung


Interviewformen:

  1. diskursives Interview
  2. ethnographisches Interview
  3. Experteninterview
  4. fokussiertes Interview
  5. halbstandardisiertes Interview
  6. problemzentriertes Interview

Auf Erzählen abzielendes Interview

  1. Narratives Interview


Gruppenverfahren

  1. Gruppendiskussion


Übersicht

Methodologie Narratives Interview problemzentriertes Interview Fokussiertes Interview Experteninterview
Offenheit völlig weitgehend nur bedingt
Kommunikation erzählend zielorientiert fragend Leitfaden
Prozesshaftigkeit gegeben gegeben nur bedingt
Flexibilität ja ja ja
Explikation ja ja ja
Theoretische Voraussetzungen Ohne Konzepte Konzept vorhanden Weitestgehendes Konzept
Hypothesen Generierung Generierung und Prüfung eher Prüfung
Perspektive der Befragten gegeben gegeben bedingt

Literatur

  • Rosenthal (2006): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung; Juventa, Weinheim
  • Lamnek, S. (2004): Qualitative Sozialforschung, Lehrbuch. Beltz, Weinheim. 4. Aufl.
  • Loch/Rosenthal (2002): Das narrative Interview. In: Schaeffer/Müller-Mundt: Qualitative Gesundheits- und Pflegeforschung. Hans Huber, Bern
  • Witzel, A. (2000): Das problemzentrierte Interview; Forum Qualitative Sozialforschung, Volume 1 (1).
  • Maindonck (1996): Professionelle Interviewführung in der Sozialforschung. Centaurus, Pfaffendorf
  • Berger/Luckmann (1966): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Fischer, Frankfurt a.M.
  • Herrmanns (1991): Narratives Interview. In: Flick et. al.: Handbuch Qualitative Sozialforschung. PVU, München



siehe auch