Patientenorientierung als Gemeinschaftsaufgabe

Aus Familienwortschatz
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Die höchste Stufe der Patientenorientierung in der Pflege und der medizinischen Behandlung ist das gemeinsame Entscheiden (engl. Begriff dafür: shared decision making) in verantwortlicher Partnerschaft von Arzt, Therapeut, Pflegeperson und Patient. Z. B. bei der Entscheidung über die Therapie oder die Pflegeplanung. Patientenorientierung heißt auch, alles dafür zu tun, die Grenzen der Patientenautonomie, wie sie etwa durch Leiden, Schmerzen, Bewusstseinstrübung, Koma usw. bedingt sind, zu erkennen und zu berücksichtigen.

„Unser“ Gesundheitswesen?

Bei Terminnachfragen in einer Arztpraxis oder Ambulanz lautet häufig die erste Gegenfrage: “Sind sie Kassenpatient, oder privat versichert?“ Eigentlich sind Patienten nur krank und wollen behandelt werden. Die Mehrzahl der gesetzlich Versicherten haben dafür ein Leben lang regelmäßig ihre Beiträge entrichtet. Vor dem Grundgesetz sind doch alle gleich, sollte man glauben - aber nicht in Deutschland, wie folgende Beispiele zeigen: Der Privatpatient wartet eine Woche, die Kassenpatienten (90 Prozent der Bevölkerung) dürfen sich über einen schnellstmöglichen Termin in drei Monaten und länger freuen. Auch eine Intervention bei der zuständigen (gesetzlichen) Krankenkasse kann da nichts ändern.

Die Notfallversorgung klappt so einigermaßen in Notaufnahmen und innerhalb des Notarztsystems. In der Notaufnahme sind allerdings Wartezeiten bis zu vier Stunden oder auch mehr keine Seltenheit. Wen wundert es da, dass viele Patienten dann in ihrer "gefühlten" Not den Notarzt zu sich nach Hause rufen? Ihn aber so von der Versorgung echter Notfälle abhalten.

Wo also bleibt der Kranke in diesem kranken System? Irgendwo in Dschungel der Überbürokratisierung und des Regulierungswahns der entsolidarisierten Gesellschaft. Gesundheit hat sich nach Meinung des Chefarztes und Bestseller-Autors Manfred Lütz zu einer eigenen Religion entwickelt. ”Gesundheitsratgeber sind die heiligen Schriften, Kliniken die Kathedralen und Ärzte die Halbgötter in Weiß."

Wir haben bestens ausgebildete Ärzte, engagiertes, motiviertes und auch noch gut ausgebildetes Pflegepersonal. Die Praxen und Krankenhäuser sind auf dem neuesten Stand der Medizin und Technik. Unser Land hat die vierthöchsten Gesundheitsausgaben weltweit. Dieser Artikel ist der Versuch über echtes Teamwork ohne Standesdünkel und Ressortegoismen die gemeinsame Aufgabe der Patientenversorgung durch Medizin und Pflege zu schultern.

Medizin heute

Alle Leistungen eines Krankenhauses sind primär ärztlich induziert. Somit tragen die Mediziner/Innen folgerichtig die Verantwortung für Diagnostik, Therapie und den Behandlungsprozess, das ist unbestritten. Die Verantwortung für die Gesundheits- und Krankenpflege tragen die professionell Pflegenden (Gesundheits- und Krankenpflger/innen, und die Fachpflegekräfte) selbst, denn Gesundheits- und Krankenpflge ist kein Lehrfach im Medizinstudium.

Moderne Medizin ist nicht nur sehr teuer, sondern auch leistungsfähig, wenn das erforderliche Geld und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen - genau das ist nicht der Fall, denn es herrscht Kostendruck, Ärztemangel und Stellenabbau.Die Ursachen hierfür sind, ausufernder Konkurrenzkampf und Gewinnstreben auf dem Gesundheitsmarkt: Das ist gar nicht so neu, denn Gewinnstreben ist so alt wie Angebot und Nachfrage und Abzocke erst recht.

Unsere Kliniken und Krankenhäuser sind nicht mehr Zufluchtsorte für Patienten, sondern knallhart betriebswirtschaftlich organisierte Betriebe, wie inzwischen viele Arztpraxen auch.

Innerhalb der Zusammenarbeit von Medizin und Krankenpflege geht es daher vordergründig auch um gegenseitiges Verständnis und Achtung der gemeinsamen Arbeit, um Akzeptanz, Wertschätzung und Flexibilität beider Berufsgruppen als Audruck der Teamarbeit. Wir brauchen die gemeinsame Patientenorientierung durch Arzt und Krankenpflege, allerdings unter Beibehaltung der berufsspezifischen Aufgaben.

Während bisher eine strikte Trennung von Medizin und Pflege postuliert wurde, herrscht inzwischen auch bei den Medizinern die Einsicht in die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit beider Berufsgruppen: Die Gesundheits- und Krankenpfleger/innen sollen verstärkt Aufgaben übernehmen, die heute zumeist noch von Ärzten wahrgenommen werden oder diesen vorbehalten sind.

Daher soll das Delegationsprinzip dem Ärztetag 2010 zufolge weiterentwickelt werden. Dabei dürften keine ökonomischen Kriterien im Vordergrund stehen, sondern die Bedürfnisse der Patienten. Die zunehmende Aufweichung klarer rechtlicher Zuständigkeiten bei der Ausübung von Heilkunde müsse dem Beschluss zufolge gestoppt werden. „Das geht zu Lasten der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit und verletzt haftungsrechtliche Standards“, kritisierten die Delegierten.(Quelle: http://www.aerzteblatt.de)

Pflege heute

Die Pflege in Deutschland hat sich schon jetzt grundlegend gewandelt: Nur noch ein Drittel der Tätigkeiten besteht aus der klassischen Pflege, zwei Drittel aus Organisation und Administration. Das ist nicht neu, denn schon immer verfügt die Gesundheits- und Krankenpflege über die Prozesskompetenz im Krankenhaus, denn Schwestern und Pfleger sind in der Praxis die Organisatoren der Arbeitsabläufe auf der Station, im OP, in der Anästhesie und nicht selten auch in den Funktionsbereichen.

Professionell Pflegende haben inzwischen Fachkompetenzen, die Ärzte nicht haben können, denn diese haben Pflege nicht gelernt. Professor Christel Bienstein, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft der Privat-Universität Witten/Herdecke, plädiert dafür, Ärzten Pflegekräfte zur Seite zu stellen, die wüssten, welches Pflegehilfsmittel für einen Patienten geeignet sei. „Ein Facharzt müsste täglich vier Stunden lesen, um auf den aktuellen Stand zu bleiben – wie sollte er es da schaffen, auch noch einen Überblick über Wechseldruckmatratzen, Rollstühle oder Stomahilfsmittel zu bekommen?“

Erfahrene und gut ausgebildeten Gesundheits- und Krankenpflegern/innen übernehmen schon jetzt „ärztliche Tätigkeiten“, innerhalb einer „aus der Not heraus geborenen Allianz zwischen Medizin und Pflege“. Viele Pflegefachkräfte haben begriffen, dass sie sich nicht länger an Tätigkeiten „festhalten“ können, die von anderen Berufsgruppen (oft besser) erledigt werden (Servicekräfte). Diese Entlastung ist Voraussetzung für eine Übernahme arztunterstützender Tätigkeiten.

Durch die Einbeziehung pflegerischen Sachverstands auf allen Ebenen der Zusammenarbeit zwischen Medizin und Pflege, sind Rationalisierungseffekte möglich. Die vermehrte Nutzung gruppendynamischen Wissens kann dazu beitragen, Konflikte und Unverständnis zwischen den Berufsgruppen zu reduzieren und kreative Potentiale zu fördern. Dazu sollen vor allem Führungshierarchien flacher gestaltet werden: Ein praxisrelevantes Beispiel hierfür ist der DGF-Fachkrankenpflegestandard.

Die Zeichen stehen auf Zusammenarbeit

Es wächst nach Diskussionen innerhalb der Berufsverbände der Ärzte, mit Pflegeverbänden (Berufsverbände) und auch untereinander, die Einsicht in die Notwendigkeit einer effizienten Zusammenarbeit, will man den steigenden Anforderungen in Diagnostik, Therapie und der professionellen Krankenpflege gerecht werden. Im Gegensatz zu althergebrachten Meinungen, sind heute Medizin und Pflege auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, denn es geht nicht mehr um Standesdünkel und Ressortegoismen, sondern auch um die Arbeitsleistung in Diagnostik, Therapie und Pflege im Sinne einer hohen Patientenorientierung.

Thomas Busse befragte 2008 bundesweit über 600 Funktionspflegekräfte aus OP und Anästhesie: Unerwartete Ergebnisse waren für ihn unter anderem die große Bereitschaft der Befragten, ärztliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wie gut ein OP-Saal arbeiten kann, hänge wesentlich von Qualität und Motivation der Pflegekräfte ab, erklärt Busse. Das ist in den anderen Fachgebieten, bei reeller und emotionsloser Betrachtung, nicht anders. Siehe auch:Teamwork in der Intensivmedizin

Überraschend und überfällig, aber sehr zu begrüßen, ist die Forderung von Professor Axel Ekkernkamp: Er ist für eine Öffnung der bislang getrennten Ausbildungen von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen. Er könne sich sogar vorstellen, „dass Medizinstudenten gemeinsam mit angehenden Physiotherapeuten oder Pflegekräften Kurse und Vorlesungen besuchen. Er ist in seiner Aussage: „Wenn die Berufsgruppen von Anfang an mehr Kontakt miteinander hätten, erleichtert das die Zusammenarbeit später in Krankenhäusern“ sehr zu unterstützen. Salopp gesagt: Problem erkannt!

In Nordrhein-Westfalen denkt man daher schon jetzt an die Errichtung einer ersten staatlichen Fachhochschule für Gesundheitsberufe mit 1.000 Studienplätzen. Zu hoffen wäre, dass diese Einrichtung ein Beitrag zum Verständnis der Berufsgruppen untereinander sein könnte, um die Berufsflucht (Fluchtakademierung) der Pflegenden endlich zu beenden, denn unsere Alten und Kranken brauchen nicht nur Diagnostik und Therapie, sondern zunehmend mehr Pflege.

Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit eine ärztliche Leistung delegierbar ist, hängt zum jetzigen Zeitpunkt noch von der Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters und der Bereitschaft des Arztes ab, auch für seine Übertragung die Verantwortung zu übernehmen. „Wir sagen ganz deutlich, wir wollen die Delegation, und dann tragen wir notfalls auch die Verantwortung vor Gericht, wenn ein Fehler passiert“, betonte BÄK Vorstandsmitglied Windhorst gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Es gehe den Ärzten dabei nicht um Besitzstandswahrung oder um die Beschränkung einer anderen Berufsgruppe. Bleibt hinzuzufügen: Veränderungen in der Bezahlung der Pflegenden gehören auch zur Übernahme zusätzlicher und „höherwertiger“ Tätigkeiten.

Versuche, die Geundheits- und Krankenpflege von Ärzten leiten zu lassen, sind in der Praxis gescheitert (siehe auch:Können Ärzte Pflege leiten?). Die Lösung dieses Konfliktes ist die Teamarbeit.

Abgrenzungen sind nötig

Leider wird innerhalb der Zusammenarbeit der Qualitätsbegriff der professionellen Pflege zunehmend auf dem Altar der medizinischen Leistung geopfert. Das ist falsch, denn Pflege ist grundsätzlich nicht der Dienstleister für die Medizin, sondern hat ihre eigene Theorie (Pflegetheorie).

Die Professionelle Pflege hat daher nicht den unbeschränkten Wunsch, alle „übertragbaren“ ärztlichen Tätigkeiten an sich zu ziehen und die Patienten der „gefährlichen Pflege“ aussetzen –das wäre verantwortungslos. Krankenpflege hat auch einen prophylaktischen Aspekt: die Vermeidung von Komplikationen. Das betrifft Infektionen, Dekubitus, DGS und alle Folgen die mit einer mangelnden Schmerzbekämpfung verbunden sind, wie Hypoventilation, Inaktivität, Sekretverhaltungen und Lagerungsschäden, um nur einige zu nennen.

Internationale Studien zeigen eine eindeutige statistische Korrelation zwischen Ausbrüchen nosokomialer Infektionen und der Überlastung bzw. Knappheit von Pflegepersonal. Daher kann man den Arbeitszeitfonds in der Pflege nicht weiter durch zusätzliche Aufgaben schwächen. Das Stichwort ist Unverteilung der Aufgaben! Denn mangelnde Pflege (Pflegequalität, Pflegefehler verlängert die Verweildauer, führt zur Kostensteigerung und erhöht den Therapie- und Pflegeaufwand - und genau das darf nicht passieren.

Zur Abgrenzung der Pflege gehört auch ihr Wandel: Es muss Ordnung in die augenblickliche Situation der Pflegenden gebracht werden, denn die Lückenbüßerfunktion kann nicht das Ziel aufoperfungsvoller Arbeit sein. Siehe: Pflegende in der „Zwickmühle“: Das Umfeld der Pflegenden /Soll die Gesundheits- und Krankenpflege alle „ übertragbaren ärztliche Tätigkeiten“ übernehmen?.

Pflege braucht Nachhaltigkeit, die nur durch eine grundlegende Reform von Alten- und Krankenpflegegesetz zu erreichen ist und dringend eine Verbeserung der Rahmenbedingungen: Dazu schreibt der Deutsche Pflegerat: "Die Investitionen in die Pflegebildung können nur Nachhaltigkeit entfalten, wenn gleichzeitig die Rahmenbedingungen der pflegerischen Arbeit verbessert werden". Dabei geht es um eine angemessene Personalausstattung, um eine Vergütung, die der Qualifikation und Verantwortung entspricht, um eine Definition von Verantwortungs- und Gestaltungsräumen für die Berufsangehörigen, die das volle Potential pflegerischer Expertise (...) ausschöpft, und um Berufsperstektiven, die Karriereoptionen eröffnen und eine Berufsausübung bis zum Eintritt in das Rentenalter möglich machen. Mehr dazu siehe: kma Online- Nachrichten- Pflege- Memorandum zur Pflegebildung.

Kooperationen können das Überleben der Krankenhäuser sichern

Kooperationen erhöhen den Handlungsspielraum der Kliniken und bieten gleichzeitig einen entscheidenden Ansatz zur Lösung des Zielkonflikts "Kostensenkung ohne Qualitätsverlust". Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Krankenhaus Trend 2009" von Steria Mummert Consulting in Zusammenarbeit mit kma online. Vorreiter sind auch hier wieder die privaten Kliniken. Die Schwerpunkte: Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten. den Kostenträgern (Versicherungen) und den Patienten. Es geht dabei um neue attraktive Behandlungsangebote und um die Erhöhung der Fallzahlen. "So ist durch eine weitere Erhöhung der Fallzahlen - zusammen mit einer Optimierung der Behandlungsprozesse - eine nachhaltige Steigerung des Deckungsbeitrages möglich." Insbesondere kleinere Krankenhäuser mit 500 bis 1.000 Mitarbeitern setzen auf die Zusammenarbeit mit anderen Kliniken, um ihre Kostenstrukturen zu optimieren und durch Spezialisierung ihre Wettbewerbsposition zu verbessern: 96 Prozent planen bis 2012 derartige Kooperationen. Mehr: http://www.kma-online.de/nachrichten/klinik-news/id__17572___view.html

Die Veränderung als Herausforderung

Veränderung verlangt von den Verantwortlichen und Mitarbeitern die Bereitschaft, gemeinsam radikal neue Wege zu gehen! Jeder kann einerseits die Veränderung einleiten, muss andererseits aber auch bereit sein, selber mitzumachen.

Eine bewusste Veränderung kann immer nur im Einklang mit den beteiligten Menschen erfolgen. Das heißt auch, dass diese die Möglichkeit haben müssen, selber zu entdecken, wie wichtig eine Veränderung ist. Denn, die Zukunft hat viele Namen: Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte, für die Tapferen ist sie die Chance.

Siehe auch